Einführung
Russisch-belarussische Energiekriege wegen der Preise für Öl- und Gaslieferungen brechen regelmäßig aus. Der aktuelle Konflikt begann 2018 aufgrund des russischen »Steuermanövers« im Bereich der Ölförderung und -lieferungen. Zuvor hatte sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Öl- und Gaskonflikt von 2016 konzentriert. Der war wegen der Preise für Öl und Gas ausgebrochen, wobei die Ölkomponente in diesem Konflikt durch die russische Seite als Hebel zur Einflussnahme eingeflochten wurde. Auf jeden Fall war Minsk bestrebt, für sich regional einen Wettbewerbsvorteil hinsichtlich der Preise auf Energieträger zu bewahren (warum sonst würde man eine Integration mit Russland benötigen?). Russland wiederum wollte die Preise auf die nach Belarus gelieferten Energieträger dem regionalen Niveau annähern. Da aber keiner der zuvor erreichten Kompromisse eine der beiden Seiten zufrieden gestellt hatte, legten es eine oder beide Seiten sofort darauf an, das jeweils erreichte Abkommen zu revidieren.
Russisch-belarussische Beziehungen: die Ölkomponente
Der Streit mit Russland über den Preis der Öllieferungen nach Belarus währte von 2018 bis 2019. Bis Ende 2019 hatten Belarus und Russland aber dennoch kein Übereinkommen in dieser Frage erreicht und lediglich einen Lieferumfang von 24 Millionen Tonnen pro Jahr vereinbart. Die beiden Seiten haben keinen neuen Vertrag geschlossen und auch nicht den 2018 und 2019 geltenden Vertrag verlängert. Belarus weigerte sich, die russischen Preisbedingungen zu akzeptieren und erhielt im Januar und Februar 2020 kein russisches Öl durch die »Druschba«-Pipeline.
Der Ölpreis für Belarus wird auf folgende Weise gebildet: Der europäische Durchschnittspreis für die Sorte Urals abzüglich Exportgebühren und Transitkosten zuzüglich Lieferprämien in Höhe von 10 US-Dollar pro Tonne. Es ergeben sich mit Stand von Ende Februar 2020 rund 420 US-Dollar. Belarus ist bereit, Öl zu kaufen, allerdings zu einer vereinfachten Formel, nämlich ohne Prämien an die Lieferanten, also für 410 US-Dollar pro Tonne. Dadurch ergeben die Lieferungen über 2 Millionen Tonnen eine Marge von monatlich 20 Millionen US-Dollar. Das ist der wirtschaftliche Preis, um den es in diesem Krieg geht.
Der Grund für diesen Konflikt mag recht unsinnig erscheinen, doch geht es hier nicht nur um konkrete Ziffern, sondern auch um die Prinzipien der Zusammenarbeit in diesem Bereich. Das sogenannte Steuermanöver Russlands im Ölsektor, das im Januar 2019 in Kraft trat, zielt auf einen Anstieg der Haushaltseinnahmen aus der Branche und sieht eine auf fünf Jahre gestreckte Umwidmung von Zahlungen in den Haushalt weg vom Export hin zur Ölforderung vor. Durch die Bedingungen des russischen Steuermanövers erhöht sich jährlich der Ölpreis für Belarus und nähert sich allmählich den Weltpreisen an. Dementsprechend verringern sich die regionalen Wettbewerbsvorteile der belarussischen Wirtschaft. In diesem Kontext wird eine zutiefst wirtschaftliche Frage zu einer politischen, da die derzeitige politische Elite, die grundsätzlich nicht reformorientiert ist, daran interessiert ist, ihre Position als Disponent des Überschusses zu wahren, unter anderem der Ölmarge. Dadurch gerät die Ölkomponente wenn auch nicht zur einzigen, so doch zu einer wichtigen Komponente für das Fortbestehen des belarussischen Regimes.
Wird die russische Seite letztendlich gewisse Zugeständnisse machen, und zwar ausreichende, um die Frage von der Tagesordnung zu nehmen oder in die Zukunft zu verschieben? Hat der Kreml ein Interesse an der Entthronung Lukaschenkas? Das ist nur schwer mit Sicherheit zu sagen, wichtig ist hier aber folgendes: Die größten Ölunternehmen Russlands (etwa Rosneft, Tatneft, Lukoil, Surgutneftegaz u. a.) sind nicht dagegen, die Kosten des Steuermanövers zu minimieren, und sie sind somit potenziell bereit, mit Aljaksandr Lukaschenka Abkommen zum beiderseitigen Nutzen abzuschließen. Darüber hinaus sind diese Akteure an der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen über Öllieferungen nach Europa interessiert. Es genügte die Drohung Lukaschenkas vom 17. Februar 2020, dass aus der Transitpipeline Öl entnommen werden könnte, damit am folgenden Tag Igor Setschin, der Chef von Rosneft, mit der offensichtlichen Absicht nach Minsk kam, um die Frage zu regeln. Schließlich ist die Transitroute durch Belarus optimal für den Öltransport nach Nordeuropa, und Lukaschenka nutzt diesen Faktor unentwegt, um seine Verhandlungsposition bei Streitereien mit Russland zu stärken.
Gaspreise von gleicher Einträglichkeit als Zuckerbrot für Integration
Auch in Bezug auf Gaslieferungen bzw. den Gastransit ist Minsk nicht mit den derzeitigen Preisbedingungen einverstanden, während sie Russland zufrieden stellen.
Belarus kauft Gas nach folgender Formel: Preis für 1000 Kubikmeter im Autonomen Bezirk der Jamal-Nenzen plus Lieferpreis per Pipeline plus ein Aufpreis von Gazprom (in dessen Besitz sich die belarussischen Gastransportwege befinden) von 19 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Insgesamt sind es 146 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Den größten Anteil machen die Transportkosten aus: Die Tarife sind hier hoch, nämlich die gleichen wie für Polen und Deutschland, und der Lieferweg sehr lang (über 2.000 km).
Lukaschenka hat mehrfach erklärt, dass er Gas zu für einen Verbündeten angemessenen Bedingungen kaufen will, und dass er es gerecht fände, wenn einem Verbündeten Gas zu Preisen des Gebietes Smolensk plus Lieferkosten nach Belarus geliefert würde (insgesamt rund 100 USD / 1.000 m3). Früher war Russland auf einen solchen Ansatz bei dieser Frage eingegangen, indem es mehrfach »gleiche« Preise für das Gas nach Belarus versprochen hatte, zuerst im Rahmen des Unionsstaates, dann auf »gemeinsamen Gasmärkten« im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Jetzt erklärt die russische Führung, dass es Inlandspreise auf Energieträger nur für Bürger Russlands gibt. Und Belarus müsse, um Energieträger vergünstigt zu erhalten, eine tiefergehende Integration als jene anstreben, die im Rahmen der EAWU oder früher im Rahmen des Unionsstaates erreicht wurde.
In den vergangenen 20 Jahren war dies (mindestens) das dritte Versprechen Russlands nach dem Motto »morgens Integration – und abends russische Inlandspreise auf Gas«, das, so ist zu ergänzen, von Moskau nicht gehalten wird. So hatte die belarussische Seite nach dem Verkauf von Beltransgas 2011 innerrussische Gaspreise erwartet, sie aber nicht zu sehen bekommen. Nach Angaben Offizieller aus Belarus habe es entsprechende Abmachungen gegeben, doch wurden von niemandem Dokumente vorgelegt, die das bestätigen würden. Auch Gaspreise »gleicher Einträglichkeit« (die beim Verkauf an russische und belarussische Firmen den gleichen Ertrag für Gazprom vorsehen) waren Minsk als Anreiz für einen Beitritt zur EAWU 2014 versprochen worden, doch wird die Einführung solcher Preise durch Russland um immer längere Zeit verschoben. Derzeit ist von 2025 die Rede; ab diesem Zeitpunkt sollen die gemeinsamen Gasmärkte der EAWU funktionieren, auf denen der Zugang zu Energieressourcen für alle Mitglieder der EAWU gleich wäre. Das bedeutete, dass die innerrussische Infrastruktur für Akteure in Russland wie auch in Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Armenien zu gleichen Preisen arbeitet.
Die belarussische Seite hat sich übrigens die Methoden dieses Spiels zu eigen gemacht und baut seine Vorschläge nach der umgekehrten Formel auf: »morgens Gaspreise gleicher Erträglichkeit – und abends Integration«. Da ein Ende dieses Spiels bislang nicht abzusehen ist, lohnt sich ein kurzer Blick, was eigentlich im Bereich der russisch-belarussischen Integration geschieht.
Reversive Integration
Als 1999 der Vertrag über die Schaffung eines Unionsstaates von Russland und Belarus unterzeichnet wurde, war die Rede von der Verabschiedung einer Verfassungsakte (einer Verfassung des Unionsstaats), der Einführung einer gemeinsamen Währung, der Bildung einer gemeinsamen Regierung und sogar von Souveränitätssymbolen wie einer Hymne, eines Wappens und einer Flagge des Unionsstaates. Daran erinnert sich heute kaum noch jemand. Im Verlauf des nachfolgenden Jahrzehnts wurden die Fragen einer gemeinsamen Währung, einer Verfassungsakte und eines gemeinsamen Energiesystems zwar von Zeit zu Zeit vorangetrieben und von umfassenden Pressekampagnen begleitet, letztendlich aber auf die lange Bank geschoben.
Insgesamt haben sich in den 20 Jahren die Ambitionen der beiden Seiten in Richtung einer Vereinigung stark verringert. Zum einen haben die beiden Seiten seit 2010 immer seltener das Thema gemeinsame Verfassung und gemeinsame Währung angesprochen und es mit Beginn der EAWU 2015 gänzlich eingestellt. Zweitens wurde der Unionsstaat als Plattform, auf der wichtige praktische Fragen der Zusammenarbeit erörtert werden, de facto in vielem (wenn auch nicht vollkommen) durch die EAWU abgelöst. Doch auch dieser Zusammenschluss war bei der wirtschaftlichen Integration der beiden Länder bisher nicht erfolgreich.
Gerechterweise sollten aber zunächst auch die Erfolge der EAWU als Handelszusammenschluss erwähnt werden. In ihrem Rahmen gelang es Belarus und Russland, bei einer sehr großen Palette von Positionen die Zolltarife und die technischen Produktstandards zu harmonisieren sowie einen Teil der Handelsbarrieren zu beseitigen. Das ist eine wichtige Leistung, wenn man bedenkt, dass sich die Ansprüche der EAWU von Anfang an auf die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten in den Bereichen Handel und Wirtschaft beschränkt hatten. Allerdings blieben in der EAWU rund 500 nicht abgesprochene Handelsbeschränkungen bestehen, worüber Aljaksandr Lukaschenka seinen Unmut äußert. 2020 hat Belarus den Vorsitz in der EAWU inne, und am 27. Februar gab der belarussische Präsident Michail Mjasnikowitsch, dem Vorsitzenden des Kollegiums der Eurasischen Wirtschaftskommission der EAWU, die Anweisung, eine Aufhebung dieser Beschränkungen zu erreichen.
Gleichzeitig bot dieser Handelszusammenschluss Russland und Belarus nicht die Möglichkeit, die Preise auf Energieträger abzustimmen. Dieser Prozess wird wohl kaum im Rahmen der EAWU in nächster Zukunft bewältigt werden können, etwa bis 2024, wie Russland es derzeit verkündet. Das Problem ist, dass die Einführung von Energiepreisen gleicher Erträglichkeit zugunsten von Belarus eine radikale Reform des realwirtschaftlichen Sektors in Russland bedeuten würde, nämlich den Übergang russischer Unternehmen zu Weltpreisen auf Energieträger. Hierzu ist die Wirtschaft Russlands nicht bereit, und sie dürfte auch bis 2025 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bereit sein. Die Industrieunternehmen in Russland, einem Ölland, beabsichtigen keineswegs, auf die bestehende preisliche Vorzugsbehandlung zu verzichten. Und die Lobbyisten aller Branchen versuchen alles in ihrer Macht Stehende, um die Folgen des Steuermanövers zu minimieren. Im Prinzip kann man Lukaschenka mit einen der Branchenlobbyisten vergleichen, er ist zwar nicht als Chef von Öl- oder Agrarunternehmen erfolgreich, aber einflussreicher als die Oberhäupter der Regionen in Russland.
Betrachtet man ihn auf diese Weise, wird klar, warum der Kreml Lukaschenkas aufsehenerregenden Vorstoß 2018 auf der Tribüne der EAWU ernstnehmen musste. Lukaschenka hatte Russland eine Nichterfüllung der Abmachungen über einen Übergang zu Energiepreisen gleicher Erträglichkeit vorgeworfen. Als Antwort erklärte der russische Regierungschef Dmitrij Medwedew Ende 2018, dass die Rechtsbasis der EAWU gegenwärtig keine ausreichende Grundlage für einen solchen Übergang biete. Er schlug zudem vor, die Möglichkeit einer »vertieften Integration« im Rahmen des Unionsstaates zu erwägen. Dadurch wurden nach einem Schritt nach vorn zwei Schritte zurück gemacht, hin zu einer Wiederbelebung des Unionsstaates, allerdings in etwas veränderter Form, nämlich gemäß dem neuen »Integrationsprogramm«.
Dieses Programm ist eine »umgekrempelte« Version des Vertrages von 1999. Während der Vertrag von 1999 allgemeine Prinzipien festschreibt, wird das neue Integrationsprogramm von unten nach oben – von Detailfragen zu allgemeinen Fragen – umgesetzt. Oder anders ausgedrückt: In erster Linie werden jene Probleme abgestimmt, bei denen der Widerstand der Lobbygruppen am geringsten ist. Dadurch ergeben sich anstelle einer großen schnellen viele kleine Integrationen. In der Anfangsphase, im Lauf des Jahres 2019, stimmten die beiden Seiten miteinander Roadmaps zur Integration ab. Diese Roadmaps sind Pläne zur Normensetzung in verschiedenen Bereichen (Zollgesetze, Elemente der Steuerpolitik, der Finanzpolitik und zur Regulierung der Bankensphäre usw.). Die Arbeit an den Roadmaps dauerte das ganze Jahr 2019, blieb aber letztendlich aus einem einfachen Grund stecken: Die für Russland und Belarus interessantesten Fragen, nämlich die nach der Preisbildung bei Energieressourcen wurden nicht auf annehmbare Weise gelöst. Es kam zum Ölkonflikt und die Arbeit an der Integration wurde – durchaus logischerweise – ausgesetzt. Die scheinbar technische Frage der Preisbildung bei Energieressourcen wurde wieder einmal zu einer politischen.
Unterdessen waren ja über das gesamte Jahr 2019 hinweg in der belarussischen, russischen und internationalen Presse eine mögliche Annexion von Belarus durch Russland und Pläne des Kreml zur Verlängerung der Machtbefugnisse von Putin nach 2024 mit Hilfe des Unionsstaates thematisiert worden. Ob es solche Pläne gab, ob sie weiterhin auf der Agenda des Kreml stehen, ist nur schwer mit Sicherheit zu sagen. Klar ist nur, dass die Wiederbelebung des Unionsvertrages mit dem Ölkonflikt 2018 begann und mit dem jüngsten Konflikt 2020 aufhörte. Allerdings werden sogar in den komplizierten russisch-ukrainischen Beziehungen heikle Fragen in Bezug auf Energielieferungen gelöst. Offensichtlich muss jenen Experten Recht gegeben werden, die der Ansicht sind, dass bei allen erklärten globalen Ambitionen Russlands – Krim, Ukraine, Syrien, Weltraumstreitkräfte und Kolonien in der Arktis – die Möglichkeiten hierfür durch die Interessen der Eliten dort eingeschränkt werden. Diese Interessen wiederum spiegeln sich in der Struktur des russischen Exports wider, der zu mehr als der Hälfte von Öl und Gas abhängt.
Perspektiven für eine Lösung des Konflikts
Aufgrund einer Untersuchung der russisch-belarussischen Beziehung lässt sich schlussfolgern, dass der Streit über Öl und Gas sowie über Formen der Integration mindestens die nächsten fünf Jahre aktuell bleiben wird. Keines der jetzt erreichten oder in Zukunft abgeschlossenen Abkommen – in allen Richtungen, auch über Öl und Gas – wird nachhaltig und unerschütterlich sein können: Die beiden Seiten werden bestrebt sein, alte Verträge zu revidieren und neue abzuschließen.
Was die Frage des Öls betrifft, so hat es Belarus mit Stand von Anfang März 2020 vermocht, Lieferabkommen über ein Gesamtvolumen von einer Million Tonnen zu erreichen. Das ist die Hälfte des 2019 vereinbarten Lieferplans über zwei Millionen Tonnen monatlich. Dieses Abkommen ist offensichtlich ein provisorisches, weil es nicht die größten russischen Anbieter (die oben erwähnten großen fünf) betrifft. Dafür, dass das Abkommen für beide Seiten nicht zufriedenstellend ist, spricht auch, dass weder Einzelheiten des Abkommens noch die beteiligten Akteure bekannt gegeben werden.
Selbst dann, wenn ein grundlegenderes Abkommen abgeschlossen werden sollte – unter Beteiligung der russischen Ölgiganten –, dürfte es dennoch nicht länger als zwei Jahre in Kraft bleiben, weil sich in zwei Jahren der Kontext der Zusammenarbeit im Ölbereich verändern haben wird. Russland orientiert sich einerseits ständig an der Konjunktur der Ölpreise und anderseits an einer Zunahme seiner Transportkapazitäten. Dabei ist die herrschende Klasse in Russland permanent genötigt, die »Liberalisierung« aufzuschieben, also den Übergang der Unternehmen auf regionale, gleichermaßen einträgliche Energiepreise, und zwar auf Druck der Branchenlobbyisten und auch wegen politischer Risiken. Belarus wiederum liegt mit einer »Liberalisierung« gegenüber Russland um mindestens 5–7 Jahre zurück. Das Land ist außerordentlichem Maße an der Ölrente interessiert, also an der Weiterleitung der Einnahmen aus der Ölverarbeitung zugunsten des defizitären Staatssektors. Folglich wird Belarus im Ölspiel mit Russland unweigerlich auf eine Preissenkung hinarbeiten.
Die Zunahme alternativer Transitkapazitäten in den kommenden fünf Jahren wird Russland nicht zu einer Unabhängigkeit von belarussischen Transitrouten verhelfen. Auch wenn sich das relative Gewicht der Route durch Belarus am russischen Ölexport weiterhin verringern wird, bleibt sie dennoch ein Faktor, der berücksichtigt werden muss, und durch den die Preisforderungen von Minsk nicht ohne weitere Erörterung zurückgewiesen können. Die Ölrente für die belarussische Elite wird sich natürlich verringern, allerdings nicht schnell und nicht zielstrebig.
Neben anderem ist die Kremlstrategie eines Profizits an Transportkapazitäten und einer Umgehung von Transitländern mit einem gewissen Fehler behaftet: Die mit dem russischen Staat assoziierten Rohstoffunternehmen sind auf der Makroebene (auf der Ebene der strategischen Planung) an globalen Projekten interessiert, also an alternativen Routen und umfangreichen Haushaltsmitteln zur Erschließung von Mega-Projekten. Auf der Mikroebene (der Partikularinteressen der Managementspitze) sind sie auf relative geringe, doch sehr verführerische Einnahmen aus, die nur schwer aufzutreiben sind. Das bedeutet, dass die russischen Ölunternehmen im Prinzip an separaten Deals mit Lukaschenka interessiert sein dürften.
Was die Gasfrage anbelangt, so bewahrt sich Belarus hier, wie beim Öl, im Vergleich zu anderen Ländern der Region einen gewissen Preisvorteil, den es in absehbarer Zeit wohl kaum vollständig verlieren wird. Allerdings sind die Verhandlungspositionen der belarussischen Seite hier schwächer als beim Öl. Zum einen ist Gazprom leichter durch den Kreml zu steuern als die russischen Ölunternehmen. Zweitens ist Gazprom der einzige Eigner der Gastransportkapazitäten in Belarus. Und es ist Gazprom, das die Preise festlegt. Daher werden in den nächsten fünf Jahren die Preisbedingungen beim Gas für Belarus günstiger bleiben als für die anderen Länder der Region; allerdings dürften diese Vorteile aufgrund der Streitereien tendenziell geringer werden.
Aufgrund der spezifischen wechselseitigen Abhängigkeit von Belarus und Russland im Bereich der Öl- und Gaslieferungen und einer erheblichen Anzahl anderer gemeinsamer Interessen, unter anderem bei der Verteidigung, beim Festlandstransit, beim Arbeitsmarkt etc. wird keine der beiden Seiten bereit sein, in absehbarer Zukunft auf das Projekt Unionsstaat zu verzichten. Gleichzeitig sind Belarus und Russland aber immer weniger bereit, sich beim Aufbau des Unionsstaates voran zu bewegen. Daher wird der Streit über Formen und Bedingungen der Integration weitergehen.
Die 2020 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Belarus und die Verfassungsänderungen in Russland werden den Beziehungen mehr Schärfe verleihen. Vor jeder Präsidentschaftswahl spitzt sich üblicherweise der Streit mit Russland zu. Einerseits ist Lukaschenka bestrebt, seine Reputation als fürsorglicher Landesherr aufzufrischen, und im Streit mit Putin gelingt das besser als in der realen Wirtschaft. Andererseits greift der Kreml zu Medienattacken und Sabotage, um die Verhandlungspositionen Lukaschenkas zu schwächen. Bei den jetzigen Präsidentschaftswahlen wird Russland, das medial über einen erheblichen Einfluss in Belarus verfügt, bestrebt sein, Lukaschenkas Reputation eines aufrichtigen Verbündeten und effektiven Wirtschafters zu untergraben. Weitergehende Ziele, etwa die Aufstellung eines prorussischen Präsidentschaftskandidaten, wird der Kreml nicht erreichen können.
Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder