Belarus-Analysen

Ausgabe 77 (07.02.2025) — DOI: 10.31205/BA.077.01, S. 5–9

Autonomie und Solidarität im belarusischen Widerstand

Von Olga Shparaga (Institut für Philosophie der FernUniversität in Hagen), Marina Sokolova (»Die fünfte Republik«, Vilnius)

Zusammenfassung
Der Artikel analysiert die Widerstandsfähigkeit und den Zusammenhalt der belarusischen politischen Gemeinschaft in der Situation des Drucks des Lukaschenka Regimes. Es wird aufgezeigt, wie soziale Bindungen, digitale Kommunikation und das gemeinsame Ziel einer demokratischen Transformation Aktivist*innen innerhalb des Landes, in der Emigration und über Grenzen hinweg vereinen und eine dynamische Struktur des Widerstands bilden, die auf den Prinzipien der relationalen Autonomie und der gegenseitigen Verantwortung beruht.

Die Darstellung der belarusischen Gesellschaft unter dem derzeitigen politischen Regime als eine in »Eigene« und »Fremde« gespaltene war eine der auffälligsten Reaktionen der belarusischen Staatspropagandist*innen auf die Massenproteste von 2020, wie man das z. B. in der Zeitung »Sowjetisches Belarus« (SB) nachverfolgen kann. Zunächst stellten die Staatspropagandist*innen den rebellierenden Teil der belarusischen Gesellschaft als eine vom Westen angeführte Minderheit dar, dann verwandelte sich diese »Minderheit« in »Feinde und Volksverräter« und schließlich arbeiten die Propagandist*innen seit dem Sommer 2021 aktiv mit der Idee von einer Unterteilung der Belarus*innen in diejenigen, die geblieben sind, und jene, die das Land verlassen haben.

Das bedeutet, dass das autoritäre belarusische Regime die Idee der territorialen Identität aktiv als Instrument zur Konsolidierung seiner Macht nutzt, indem es eine strikte Trennung zwischen den »Eigenen« (den im Lande Verbliebenen) und den »Fremden« vornimmt, also denjenigen, die aufgrund politischer Verfolgung gezwungen waren, das Land zu verlassen. Diese Unterteilung wird eingesetzt, um politische Gegner*innen und Oppositionelle sowohl im Land selbst als auch im Exil zu diskreditieren und sie als vom wirklichen Leben losgelöst und fremden Einflüssen ausgesetzt darzustellen.

Trotz dieser Rhetorik gibt es jedoch – wie wir im weiteren Verlauf argumentieren – keine wirkliche Kluft zwischen den Exilant*innen und den im Lande Verbliebenen, vor allem jenen mit einer prodemokratischen Positionen. Diese beiden Gruppen, die sich als Teil der belarusischen Gesellschaft verstehen, sind durch gemeinsame Bestrebungen für einen demokratischen Wandel verbunden und interagieren aktiv miteinander, indem sie eine vernetzte Gemeinschaft bilden, die geografische Grenzen überbrückt.

Seit 2020 hat das belarusische Regime über 1.800 Nichtregierungsorganisationen (NRO) aufgelöst oder deren Selbstauflösung bewirkt. Trotz dieses harten Vorgehens setzen belarusische NRO nun im Ausland ihre Bemühungen fort und setzen sich für Menschenrechte, Demokratie und Freiheit in Belarus ein. Sie nutzen dabei verschiedene Mittel, unter anderem soziale Medien, internationale Lobbyarbeit und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, um auf die Situation in Belarus aufmerksam zu machen und dadurch die gewünschten Veränderungen in Belarus zu bewirken.

Relationale Autonomie vs. Rhetorik des Bruchs

Man kann davon ausgehen, dass der Vernetzung oder Geschlossenheit dieser belarusischen politischen Gemeinschaft ein Gefühl der Zugehörigkeit und grenzübergreifenden Loyalität zugrunde liegt. Das Zugehörigkeitsgefühl manifestiert sich als eine emotional gefärbte Erfahrung, in der man sich mit der Gruppe verbunden fühlt, sich als Teil von etwas Größerem identifiziert, in ihr Unterstützung findet und, wenn möglich, diese Unterstützung auch selbst leistet.

Grenzübergreifende Loyalität, wie sie von Ashwini Vasanthakumar in seinem Buch »The Ethics of Exile: A Political Theory of Diaspora« (Oxford Academic, 2021) definiert wird, umfasst die Interessen mehrerer Gemeinschaften, nämlich die der Zurückgebliebenen und die der Exilant*innen. Diese Loyalität setzt voraus, dass die Prioritäten der im Land Gebliebenen respektiert und die Solidarität mit den Opfern von Repressionen gestärkt wird. Diese Kombination aus Zugehörigkeit und Loyalität bringt die Menschen zusammen und stärkt ihre innere Verbundenheit mit einer größeren Gemeinschaft, was wiederum zum Aufbau nachhaltiger und sinnstiftender sozialer Beziehungen beiträgt.

In ihrem Bestreben, der Logik des »politischen Handelns unter den Bedingungen der anderen, d. h. nicht nur von eigenen Interessen ausgehend, zu folgen, erkennen die belarusischen Exilant*innen den Vorrang der Entscheidungen der Aktivist*innen im Land an und sind sich deren epistemischen Vorteils bei der Beurteilung der Situation vor Ort und der Festlegung der erforderlichen Handlungen bewusst. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass die Exilinitiativen ihre Strategien systematisch an die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Widerstands innerhalb von Belarus anpassen und sich mit den Aktivist*innen vor Ort beraten, bevor sie wichtige Entscheidungen treffen. Besonderes Augenmerk wird auf den Schutz der Interessen der am stärksten gefährdeten Gruppen gelegt, nämlich der politischen Gefangenen und ihrer Familien. Das folgt dem von Vasanthakumar beschriebenen Prinzip der moralischen Verantwortung von Solidaritätsvermittler*innen, eine gerechte Verteilung von Ressourcen und Aufmerksamkeit zu gewährleisten.

Der Online-Marathon der Solidarität mit den belarusischen politischen Gefangenen, der am 29. Juli 2023 stattfand und von Volha Harbunowa, der damaligen Vertreterin des Vereinigten Übergangskabinetts von Belarus, initiiert wurde, hat die Bemühungen von mehr als 20 unabhängigen belarusischen Medien und zahlreichen bekannten Belarus*innen gebündelt und über eine halbe Million Euro für die Bedürfnisse der politischen Gefangenen und ihrer Familien gesammelt. Die zahlreichen anderen Formen der kollektiven Hilfe für politische Gefangene – vom Schreiben von Briefen bis hin zur Sammlung von Geldmitteln und der Organisation von Evakuierungen – sind heute die vielleicht sichtbarsten Beispiele dafür, wie sich das Zugehörigkeitsgefühl unter Belarus*innen im Land und im Exil manifestiert und die meisten vom Regime postulierten Gräben überwindet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es innerhalb der belarusischen politischen Gemeinschaft unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Strategien zur Freilassung der politischen Gefangener gibt, was zu Debatten über deren jeweiliger Wirksamkeit führt.

Durch das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft beginnt eine Person, sich als Teil von etwas Größerem zu sehen, das über ihre Individualität hinausgeht. Dies fördert ein Gefühl der Verantwortung für das Wohlergehen anderer. Dadurch interagieren die Mitglieder*innen der Gemeinschaft weiterhin miteinander, koordinieren ihre Handlungen und unterstützen sich gegenseitig.

Auf diese Weise entstehen Verbindungen in Form der »relationalen oder geteilten Autonomie« zwischen den Menschen innerhalb und außerhalb von Belarus: Trotz der räumlichen Entfernung wird durch ständige Interaktion und Zusammenarbeit eine Autonomie jeder Gruppe, d. h. innerhalb und außerhalb von Belarus, geschaffen, durch die jede Gruppe ihre Autonomie und Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung und beim Handeln bewahrt.

Das bedeutet auch, dass die Verbindungen zwischen den Menschen anerkannt und wertgeschätzt werden. So sind beispielsweise Exilant*innen oft auf die Informationen, Ressourcen und Aktionen derjenigen angewiesen, die ihre Aktivitäten in der Heimat fortsetzen, um in ihrem politischen oder sozialen Kampf relevant und effektiv zu bleiben. Umgekehrt kann der »fragile« – also der von der Herrschaft losgelöste und in erster Linie mit Netzwerken gegenseitiger Information, Unterstützung und alltäglicher Kommunikation verbundene – Widerstand innerhalb von Belarus auf die Unterstützung, den Schutz und die Anerkennung auf internationaler Ebene angewiesen sein, die Exilant*innen bieten, um die Aktivitäten in Belarus angesichts von politischem Druck oder Repression fortzusetzen. Wie in dem Bericht »I feel like a fish out of water: Report on the situation of Belarusian civil society in exile« (https://www.libereco.org/en/report-belarusian-civil-society-in-exile/) argumentiert wird, besteht in diesem Fall die Hauptaufgabe darin, »den Zugang zu Ressourcen zu organisieren, zu beraten und dabei zu helfen, Brücken für diejenigen zu bauen, die innerhalb des Landes arbeiten. Dies erfordert jedoch den Aufbau von Vertrauen und die Suche nach Gruppen in Belarus, die als Vermittler*innen fungieren können«.

Diese praktischen Beobachtungen finden auch eine theoretische Bestätigung. Die Forscher*innen, die sich mit Fragen der politischen Gemeinschaft auseinandersetzen, haben festgestellt, dass diese nicht ausschließlich durch ein territoriales Prisma betrachtet werden sollte, das sie auf den Staat beschränkt und als etwas Statisches und Unveränderliches hinstellt. Der territoriale Ansatz wird vor allem deshalb kritisiert, weil er zu einer Vergegenständlichung (»Erstarrung«) der Gemeinschaft führt und die Vielfalt und die Dynamik jeder Gemeinschaft, einschließlich der Rolle der Diaspora und der Opposition im Exil, außer Acht lässt. Gérard Delanty zufolge bildet sich eine politische Gemeinschaft um menschliche Beziehungen und Interessen, unabhängig vom geografischen Standort. Sie lebt von der Qualität der Interaktionen und den akzeptierten Regeln, die die Rechte, die Verantwortlichkeiten und die Beteiligung ihrer Mitglieder definieren.

Dynamik und Instrumente zur Vernetzung

Da im belarusischen Kontext soziale Bindungen, die auf dem Gefühl der Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft beruhen, eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung der Existenz und der Einheit dieser Gemeinschaft spielen, bleibt sie trotz der geografischen Trennung und der Versuche des Regimes, die Teile dieser Gemeinschaft voneinander zu isolieren, lebendig und dynamisch und erhält ihre Integrität durch die Interaktion ihrer Teilnehmer*innen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes.

Dies zeigt sich vor allem in der Koordinierung von Maßnahmen zwischen verschiedenen Gruppen, sowohl innerhalb von Belarus als auch unter den Belarus*innen im Exil. Einige Beispiele von solchen Koordinierungs- und Unterstützungsinstitutionen stellt der Koordinierungsrat dar, der seit seiner Gründung im August 2020 Jugend-, Arbeiter*innen-, Frauen-, akademische und andere Vertretungen verschiedener sozialer Gruppen zusammenbrachte; unter anderem die BYSOL-Stiftung (https://bysol.org/en/) und die »Volksbotschafter von Belarus« (@PEofBelarus), beide im 2020 gegründet. Die Belarusische Sektion des PEN, die vom belarusischen Regime im Jahr 2021 geschlossen wurde, jetzt weiter in Polen aktiv ist und dabei immer noch die Interessen von Menschen der belarusischen Wortkunst vertritt, unabhängig davon, wo sie leben, sei es die medizinische Initiative »White Coats« (dt.: »Weiße Kittel«; @belhalat_by), der »Belarusische Journalistenverband« (BAJ) oder die »Belarusische Unabhängige Filmakademie« (https://belfilmacademy.com/). Die Liste lässt sich weiter fortsetzen und umfasst belarusische Unternehmen, verschiedene Berufsverbände, charitative Stiftungen, queer-feministische, journalistische, Menschenrechts-, Forschungs-, Bildungs-, Expert*inneninitiativen und solche für kulturelle Solidarität.

Oppositionsführer*innen und führende Persönlichkeiten wie Swjatlana Zichanouskaja werden von der internationalen Gemeinschaft als Vertreter*innen des belarusischen Volkes anerkannt. Diese Anerkennung unterstreicht, dass es eine organisierte politische Kraft gibt, die im Namen der Bürger*innen des Landes handelt.

Regelmäßige Protestaktionen und die Unterstützung des demokratischen Wandels, vor allem in verschiedenen Ländern außerhalb von Belarus, sowie die gegenseitige Unterstützung über staatliche Grenzen hinweg, die sich heute vor allem in der Hilfe für politische Gefangene sichtbar ist, zeigen, dass es eine aktive politische Gemeinschaft gibt, die durch gemeinsame Ziele geeint ist.

Die Nutzung verschiedener digitaler Instrumente – von Chats, Kanälen und Bots in Telegram –, wie das beispielsweise vom Menschenrechtszentrum »Viasna« und von »Dissidentby« unternommen wird, Initiativen wie die Spender*innenvereinigung »Magistrat« (https://mahistrat.byculture.org/) oder »Femgroup Belarus« (@femgroupbelarus) sowie YouTube-Plattformen wie die Live-Sendungen von »Euroradio« (euroradio.fm) oder »Shyzzjo-Malina« von Mikita Melkasjorau, die digitale App »Nowaja Belarus«, Online-Bildungsplattformen wie »Nation of Leaders« (nationofleaders.org) oder »Social Camp« (https://www.socialcamp.org/by), Kulturplattformen wie Sekktor (Sekktor.online: ein »Medium für Menschen, die die belarusische Kultur voranbringen«) wurden für die Koordinierung von Aktionen, den Informationsaustausch und die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft unabhängig von ihrem Standort geschaffen und zeigen das Funktionieren einer vernetzten politischen Gemeinschaft.

Im Gegensatz zu zeitlich begrenzten Gruppen basiert diese Gemeinschaft auf dem Bewusstsein für eine gegenseitige Verantwortung, was die Überwindung von Unterschieden und die Anpassung an neue Herausforderungen ermöglicht und die Regelmäßigkeit und Kontinuität der gemeinsamen Aktionen gewährleistet. Das Ethos der Aufmerksamkeit und Fürsorge, die das Bewusstsein für die Bedürfnisse und das Wohlergehen der anderen als ein Schlüsselelement der Interaktion versteht, wird zu einem wesentlichen Element der kooperativen Praxis.

Dieses Ethos beinhaltet dabei darüber hinaus die Schaffung einer Interaktionsstruktur zwischen Akteur*innen, Zielpersonen und Vermittler*innen der Solidarität. In dieser Struktur fungieren Exilant*innen häufig als Vermittler*innen, die dazu beitragen, die Barrieren zwischen denjenigen, die Unterstützung leisten (Akteur*innen), und denjenigen, die sie benötigen (Zielpersonen), abzubauen. Dies gilt als entscheidendes Element in der Praxis der Zusammenarbeit und trägt zur Stärkung der Legitimität des Widerstands bei.

Im Gegensatz zu sozialen Bewegungen, die sich oft auf die Lösung spezifischer Probleme konzentrieren, ist die belarusische politische Gemeinschaft dabei durch ein gemeinsames Ziel geeint, nämlich die Verwirklichung demokratischer Veränderungen im Lande. Um die Legitimität einer solchen Gemeinschaft zu stärken, sind allerdings eine klare Organisationsstruktur und eine langfristige Strategie erforderlich.

Das Bestreben, eine solche Struktur zu bilden, ist beispielsweise in der »Strategie des Übergangs zum Neuen Belarus« von 2023 zu erkennen, die auf der Website von Swjatlana Zichanouskaja veröffentlicht wurde (https://tsikhanouskaya.org/en/the-new-belarus-transition-strategy.html). Dieses Dokument enthält z. B. einen Abschnitt, der der »Gewährleistung wirtschaftlicher Stabilität und Entwicklung« gewidmet ist, während die Schaffung einer »belarusischen nationalen Identität« und eine »nationale Wiedergeburt« als Schlüsselmechanismen der sozialen Integration betrachtet werden. Dieses und andere Dokumente, die vom Büro von Swjatlana Zichanouskaja zusammen mit anderen belarusischen (Proto-)Institutionen und Gemeinschaften im Exil erarbeitet wurden und sich auf den Übergang vom Autoritarismus zur Demokratie in Belarus beziehen, müssen jedoch erst noch für die belarusische politische Gemeinschaft eine Bedeutung bekommen werden, Das ist ohne eine breite öffentliche Diskussion der Dokumente offenbar nicht möglich. Das Ziel sollte die Interaktion und Koordinierung von Maßnahmen der Teilnehmer*innen und Akteur*innen innerhalb und außerhalb von Belarus sein, die auf einen systemischen Wandel der politischen Landschaft abzielen und gleichzeitig ein Gleichgewicht zwischen der Unterstützung im eigenen Land, in der Diaspora und auf der internationalen Bühne bewahren.

Die dynamische und handlungsorientierte Struktur der belarusischen politischen prodemokratischen Gemeinschaft, die über die staatlichen Grenzen hinweg existiert, ist dadurch gekennzeichnet, dass Macht und Einfluss in ihr nicht statisch verteilt sind, sondern durch die Interaktion ihrer Mitglieder und Teilnehmer*innen geformt wird. Der handlungsorientierte Charakter dieser Gemeinschaft bedeutet, dass ihre Existenz und Entwicklung von den ständigen Aktionen und Interaktionen ihrer Mitglieder abhängen. Diese sollen nicht nur bereits bestehende Ideen und Normen zum Ausdruck bringen, sondern auch aktiv die politische Realität schaffen und stärken.

Die Lebensfähigkeit einer solchen Gemeinschaft wird durch die Fähigkeit gewährleistet, die Ressourcen der verschiedenen Gruppen (sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes) zu nutzen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dies erfordert die Anerkennung gegenseitiger Verpflichtungen bei Fragen der finanziellen und anderen Unterstützung, der Beratung, beim Austausch von Informationen und Wissen, wie auch bei politischem Aktivismus, der politischen Kommunikation und Kooperation, die aktive Beteiligung aller Mitglieder der Gemeinschaft und die Aufrechterhaltung der Legitimität der Koordinierungsstrukturen durch ständige Demonstration ihrer Effizienz und ihres Engagements für die Interessen der in Belarus Verbliebenen.

Flexibilität bei der Entscheidungsfindung vermeidet Zwang, was besonders wichtig ist, um zu verstehen, ob eine Gemeinschaft wirklich demokratisch ist. Chandran Kukathas betont, dass eine politische Gemeinschaft so lange existiert, wie ihre Mitglieder die ihr zugrunde liegenden Normen und Regeln anerkennen und sie gutheißen. Diese Anerkennung und Zustimmung fördert die Fähigkeit der Gemeinschaft, sich an veränderte Bedingungen anzupassen, und macht sie widerstandsfähig gegenüber internen und externen Herausforderungen.

Schlussfolgerungen

Die belarusische politische Gemeinschaft bleibt trotz der Versuche des Regimes, sie in »die Eigenen« und »die Fremden« zu spalten, dank starker sozialer Bindungen und des gemeinsamen Ziels eines demokratischen Wandels lebendig und geeint. Diese Gemeinschaft ist nicht durch territoriale Grenzen geteilt und vereint sowohl diejenigen, die im Land geblieben sind, als auch diejenigen, die es verlassen mussten. Das Gefühl der Zugehörigkeit, die gegenseitige Verantwortung und die aktive Interaktion gewährleisten, dass die Gemeinschaft trotz räumlicher Entfernung und des Drucks durch das Regime lebensfähig bleibt. Die Interaktion über verschiedene digitale Plattformen und die Koordinierung der Bemühungen zwischen Gruppen innerhalb und außerhalb des Landes stärken die Bindungen und bilden eine flexible, dynamische Widerstandsstruktur. Die politische Stärke dieser Gemeinschaft beruht auf einem Fundament relationaler Autonomie, bei der jede Gruppe ihre Unabhängigkeit bewahrt, aber zusammenarbeitet, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Projekt »Die Fünfte Republik« (https://5-republic.eu) verfasst.

Beide Autorinnen leben und arbeiten nach 2020 im Exil.

Lesetipps / Bibliographie

  • Delanty G.: Community, London: Routledge 2003, S. 55.
  • Kukathas, Chandran: The Liberal Archipelago: A Theory of Diversity and Freedom. Oxford, UK: Oxford University Press 2003.
  • McMillan, D.; D. Chavis: Sense of Community: A Definition and Theory., in: Journal of Community Psychology, 14.1986, Nr. 1, S. 6–23.
  • Shain J.: The Frontier of Loyalty: Political Exiles in the Age of the Nation-State. Middletown, CT: Wesleyan University Press 1989, S. 165, 132.
  • Vasanthakumar, A.: The Ethics of Exile: A Political Theory of Diaspora. Oxford: Oxford University Press 2021, S. 4–5, 10, 16–17, 63–87.

Zum Weiterlesen

Analyse

Nur eine einzige Umarmung wert: Die (fehlende) Kooperation zwischen der belarusischen und russischen nicht-systemischen Opposition

Von Boris Ginzburg
Obwohl die belarusischen und russischen nicht-systemischen Oppositionsbewegungen ihre jeweilige personalistische Autokratie in ihren Heimatstaaten weiterhin aus dem Exil heraus politisch zu bekämpfen versuchen, kann – im Gegensatz zu den beiden scheinbar „verbrüderten“ Autokraten Lukaschenka und Putin – bei den beiden nationalen Demokratiebewegungen keine Zusammenarbeit beobachtet werden. Doch warum ist dies der Fall? Dieser Frage wird im Artikel nachgegangen. Es wird festgestellt, dass neben den ideologischen Diskrepanzen zwischen beiden Seiten zusätzlich eine institutionelle Basis nicht vorhanden ist, die eine solche Kooperation ermöglichen könnte. Dieser institutionelle Rahmen fehlt insbesondere innerhalb der russischen nicht-systemischen Opposition, aber auch zwischen den beiden Oppositionsbewegungen. (…)
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