Domodedowo

Von Hans-Henning Schröder (Berlin)

Am 24. Januar 2011 – nach einer Pause von neun Monaten – ist der Terror wieder nach Moskau gekommen. Ein Selbstmordattentäter brachte im Ankunftsbereich des Flughafens Domodedowo eine Bombe zur Explosion, die 35 Menschen tötete und mehr als 160 verletzte. Über den Täter und seine Motive ist gegenwärtig noch nichts bekannt. Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass die Gewaltkonflikte in den nordkaukasischen Republiken abermals nach Moskau übergeschlagen sind. Der Bürgerkrieg, der seit 1994 in Tschetschenien geführt wird, ist wohl erstickt worden, doch in den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien haben sich die latenten Konflikte zwischen Clans, zwischen Ethnien, zwischen Religionsgruppen, zwischen kriminellen Organisationen in den letzten Jahren verstärkt. Gewaltakte, Attentate, Feuergefechte sind an der Tagesordnung. Islamismus spielt eine gewisse Rolle, doch die Vorstellung, es gehe um einen Krieg zwischen Ordnungskräften und islamistischen Terroristen, vereinfacht die hochkomplexe Konfliktlage in dieser Region allzu sehr.

Das Kerngebiet Russlands war lange Zeit von Anschlägen verschont geblieben. Nach den Anschlagsserien in der ersten Amtszeit Putins, dem Überfall auf das Theaterzentrum an der Dubrowka in Moskau, in dem das Musical »Nord-Ost« gespielt wurde, im Jahre 2002, dem Selbstmordattentat beim Rockfestival am Flughafen Tuschino 2003, bei den Attentaten auf Züge in Kislowodsk, den Anschlägen auf zwei Passagierflugzeuge im August 2004 und der Katastrophe von Beslan im September desselben Jahres, wurden außerhalb des Nordkaukasus lange Zeit keine Terroranschläge verübt. Erst nach einer fünfjährigen Pause gab es mit dem Anschlag auf den Newskij-Express im November 2009, dem Moskauer Metro-Attentat im März 2010 und dem Terrorakt in Domodedowo im Januar 2011 eine neue Serie. Die Hintergründe dieser Anschläge bleiben jedoch im Dunkeln. Weder gibt es Bekennerschreiben, noch werden Forderungen erhoben, noch wird klar, ob damit politische Ziele verfolgt werden. Inzwischen wird auch die Mutmaßung geäußert, das Attentat in Domodedowo sei eine Reaktion auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Moskau im Dezember 2010. Doch auch eine solche Deutung erfährt keine Bestätigung.

Was bleibt, ist die Angst. Russland ist nach wie vor eine von Gewalt geprägte Gesellschaft, die Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage Sicherheit zu schaffen. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte in den Jahren 2002–2004 hat den fatalen Eindruck hinterlassen, dass Menschen in Russland nicht zählen. Der Versuch eines Politikwechsels im Nordkaukasus, in dem man nun auf wirtschaftlichen Ausbau und soziale Förderung setzt, zeigt vorläufig keine Ergebnisse. Es ist auch nur schwer vorstellbar, wie der Tourismus in einer Region entwickelt werden kann, in der Gewaltkonflikte alltäglich sind. Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass es in Russland auch außerhalb des Nordkaukasus immer wieder zu Anschlägen mit großen Opferzahlen kommen wird. Bei einer Umfrage im September 2010 hatten viele der Respondenten die Wahrscheinlichkeit weiterer Anschläge hoch eingeschätzt und einen Flughafen oder einen Bahnhof als Anschlagsort angenommen. Jetzt hat es Domodedowo getroffen.

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Analyse

Miliz + Polizei = Pilizei? Medwedews Ansätze zu einer Reform von Innenministerium und Miliz

Von Hans-Henning Schröder
Im Kontext seiner Modernisierungskampagne hat Präsident Dmitrij Medwedew Ende 2009 eine Reform des Innenministeriums (MWD) und der Miliz eingeleitet, die in Russland breit diskutiert wird. Er fordert eine Reorganisation der ineffizienten Behörden, die in der Öffentlichkeit nur geringes Ansehen genießen. Ein neues Polizeigesetz, das im August 2010 im Internet zur Diskussion gestellt wurde, soll Grundlage für eine durchgreifende Reform sein, die Innenbehörden und Polizei effizienter und bürgerfreundlicher machen sollen. Bisher ist unklar, wie dies durchgesetzt werden soll. Ein Grundproblem bleibt, dass Staatsanwaltschaft und Inlandsgeheimdienst FSB in die Reform nicht einbezogen wurden. (…)
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Analyse

Die nationale Sicherheit Russlands in der Bewertung von Experten

Von Reinhard Krumm
Die Sicherheitspolitik Russlands hat sich gewandelt und es stellt sich die Frage, wie die russischen sicherheitspolitischen Eliten diese Entwicklung wahrnehmen. Das Moskauer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gemeinsam mit dem Soziologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften eine Umfrage durchgeführt, die eben dies ermitteln sollte. Das Ergebnis ist überraschend: Die nationale Sicherheit Russlands, da sind sich die Experten und Beamten einig, wird weniger von außen als von innen bedroht. Nicht Atomwaffen der USA, nicht die NATO, nicht der Iran, sondern Korruption im eigenen Staatsapparat, soziale Ungerechtigkeit und Ineffizienz der Wirtschaftspolitik bedrohen Russland im 21. Jahrhundert. (…)
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