Unzureichende staatliche Förderung + Korruption = Bildungsfinanzierung in Russland?

Von Christine Teichmann (Berlin)

Wissenschaftliche Untersuchungen und Begleitung des Wandels in den nationalen Bildungssystemen der Länder Ost- und Mitteleuropas im Kontext der gesellschaftlichen Transformationsprozesse seit 1990 spielten und spielen heute noch in den einschlägigen Forschungsbereichen (so auch in der Osteuropaforschung) eher eine marginale Rolle – verglichen mit dem wissenschaftlichen Interesse, dass dem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel in diesen Ländern entgegengebracht wird. Diese Marginalisierung steht andererseits im Widerspruch zur Bedeutung von Bildung und Wissenschaft in der modernen Gesellschaft, die sowohl Wissenschaftler als auch politische Akteure in Ost und West immer wieder betonen. Von daher ist der Beitrag von Eduard Klein zur aktuellen Entwicklung im Bildungssystem der Russischen Föderation sehr zu begrüßen. Ich komme jedoch nicht umhin, gleichzeitig einige kritische Anmerkungen zu der Darstellung zu machen, da die Beschreibung und Analyse dem Leser – sofern er nicht über ein fundiertes Hintergrundwissen verfügt – eine einseitige Sicht auf die Bildungsfinanzierung in der Russischen Föderation vermitteln und die Realität nur unzureichend beschreiben.

Trotz der Fokussierung auf das Phänomen der Korruption im Bildungswesen sollten in der Analyse alle Quellen berücksichtigt bzw. erwähnt werden, aus denen Gelder in die einzelnen Bildungssektoren fließen. Denn nur so ist es möglich, den Stellenwert »korrupter Praktiken« im Gesamtkontext adäquat zu bewerten.

Richtig ist, dass Bildungsinstitutionen und -akteure aufgrund der drastisch reduzierten staatlichen »Förderung« (eher: Alimentierung) seit Beginn der Reformen im nationalen Bildungswesen nach alternativen Einnahmequellen suchen mussten. In diesem Zusammenhang muss auch auf den »Rückgriff auf korrupte Praktiken« (S.2) verwiesen werden. Die Darstellung im Artikel vermittelt allerdings den Eindruck, als sei das die einzige erfolgversprechende Alternative (gewesen). Die tatsächliche Situation war und ist aber eine andere. Gleichwohl werden vom Autor weder Alternativen genannt noch ihr Anteil an der Bildungsfinanzierung im Verhältnis zur staatlichen Alimentierung beziffert. Zudem gibt es deutliche Unterschiede in der Finanzierung der einzelnen Sektoren im Bildungsbereich. Betrachtet man z. B. die Hochschulen, so sind es in erster Linie Studiengebühren, die seit Anfang der 1990er Jahre an staatlichen Hochschulen erhoben werden, und die den Einrichtungen zusätzliche Gelder in nicht unbeträchtlichem Umfang bringen. Hinzu kommt, dass vor allem in den letzen Jahren immer mehr Hochschulen Drittmittel (aus dem In- und Ausland) einwerben und sich auch um die »Vermarktung« von geistigem und materiellem Eigentum bemühen. Russische Bildungseinrichtungen (und vor allem Hochschulen) funktionieren nicht nur durch unzureichende staatliche Alimentierung und korrupte Praktiken!

Die EGE als einheitliche Schulabschlussprüfungen (die bereits fast 10 Jahre landesweit getestet werden!) waren in diesem Zusammenhang keineswegs primär als Instrument zur Korruptionsbekämpfung beim Hochschulzugang konzipiert. In erster Linie ging es darum, das Verfahren der Aufnahmeprüfungen inhaltlich in bezug auf die Anforderungen zu vereinheitlichen, da bis zu Beginn des Jahres 2000 jede Hochschule ihre eigenen Aufnahmeprüfungen (wie bereits zu Sowjetzeiten) durchgeführt hat, was den landesweiten Hochschulzugang für viele Bewerber erschwerte. Dass in diesem Zusammenhang das Thema »Korruption« mit auf der Agenda stand, war auf die fehlende Transparenz bei der Vergabe der Studienplätze zurückzuführen.

Grundsätzlich ist m. E. zu hinterfragen, ob »Nachhilfe(unterricht)« bzw. »repetitorstwo« generell mit dem Phänomen der Korruption zu verbinden ist – wie es in dem Beitrag getan wird. Nachhilfestunden waren und sind notwendig, da das staatliche Bildungssystem in Russland gerade in den letzten 15–20 Jahren in seiner Ausbildungsqualität deutlich nachgelassen hat und die Bewerber um einen Studienplatz die Anforderungen in den Aufnahmeprüfungen oftmals nicht mehr bewältigen. So unerfreulich dieser Tatbestand auch sein mag, kann dies nicht Anlass zu dem Schluss sein, dass der Einsatz von privaten Geldern für Nachhilfestunden per se als illegitim angesehen wird. Das erschließt sich dem Leser des Textes aber erst, wenn er auch in der Lage ist, die zugrundegelegte Originalstudie in russischer Sprache zu konsultieren. Im übrigen sei darauf verwiesen, dass auch in Deutschland das »Geschäft mit der Nachhilfe« in den letzten Jahren sichtbar zugenommen hat, da Defizite in der Qualität der staatlichen Schulausbildung nicht mehr zu übersehen sind!

Gerade auch das letzte Beispiel zeigt m. E. deutlich, dass insgesamt ein sorgfältiger(er) Umgang mit der russischen Terminologie in diesem sensiblen Bereich unbedingt anzuraten ist: Genannt seien an dieser Stelle nur die Begriffe »neofizialnye sredstwa na obrasowanie« – »tenevye sposoby dostischenija obrasowatelnych zelei« – »wsjatki«, die nicht ohne weiteres mit »Korruption« gleichgesetzt bzw. synonym verwendet werden können.


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