Modernisierung in Russland: Der »Blick von unten« oder warum die Initiativen von Präsident Medwedew auf der Stelle treten?

Von Andrei Yakovlev (Moskau)

Die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft war und ist eines der zentralen Ziele im Programm von Präsident Dmitrij Medwedew. Mit dieser Devise wurde das Projekt »Skolkowo« angestoßen, wurden Forschungsuniversitäten bestimmt, und gegenüber Großunternehmen und Staatskonzernen begann eine »Nötigung zu Innovationen«. Mit Ergebnissen dieser Politik sieht es aber nicht so rosig aus.

Meiner Meinung nach geht es nicht darum, nach unauffindbaren »Gegnern der Modernisierung und des Fortschritts« zu suchen, sondern um Akzente und Methoden der Politik selbst. Erstens ist für sie ein verengtes Verständnis von Modernisierung charakteristisch, das zu Innovationen im traditionellen Sinne führt – anders ausgedrückt: zu rein technischen Innovationen. Zweitens wird die gegenwärtige russische Modernisierungspolitik allein von oben betrieben, bei gleichzeitiger Ausweitung der Reglementierung der Tätigkeiten von Beamten auf allen Ebenen.

Da steht für die Unternehmerschaft gewissermaßen »der Wagen vor dem Pferd« – viele russische Unternehmen haben einfach nicht das Effizienzniveau erreicht, bei dem eigene Forschung und die Entwicklung eigener Produkte Gewinne einbringt. Gleichzeitig haben die Beamten weder Spielraum noch Anreize, um Initiativen zu fördern. Bei »Modernisierungserfolgen« können sie allenfalls gelobt werden, bei Verletzung der Vorschriften und Anweisungen der föderalen Staatskasse, der Föderalen Antimonopolbehörde (FAS), dem Rechnungshof und anderer Kontrollinstanzen können sie dagegen nicht nur ihr Amt verlieren, sondern auch angeklagt werden.

Was ist nötig, um die »Modernisierung der Bevölkerung nahezubringen«?

Erstens: Es bedarf eines breiten Verständnisses von Modernisierung. Eine neue Qualität des Wirtschaftswachstums, die Steigerung der Effizienz und der Anstieg des Lebensstandards – die eigentlichen Ziele von Modernisierung – können heute durch unterschiedliche Faktoren erreicht werden. Hierzu zählt nicht nur technische Innovation, die in der gegenwärtigen Politik besondere Beachtung findet, sondern auch die Erneuerung des Produktionspotentials durch die Übernahme von Technologien sowie eine moderne Organisation der Managementprozesse.

Russland verfügt, dank des sowjetischen Erbes bei Bildung und Forschung, über ein beachtliches Innovationspotential. Gleichzeitig bleibt jedoch für einen bedeutenden Teil der Unternehmen die Übernahme von Technologien, die in den Industrieländern entwickelt und schon getestet wurden, sowie die Verbesserung der Managementprozesse hoch aktuell. Die Übernahme von Technologien und die Einführung moderner Managementmethoden in russischen Unternehmen ermöglichen eine deutliche Steigerung der Produktivität und sind eine Voraussetzung für die Schaffung einer Nachfrage nach Innovation, da nur bei einem ausreichend hohen Effizienzniveau eine Nachfrage nach klassischer Innovation entsteht. Dabei stellen für die einzelnen russischen Unternehmen die Übernahme von Technologien, die in entwickelten Ländern genutzt werden, der Einstieg in die Exportmärkte und eine Produktqualität, die internationalen Standards entspricht, bereits ernstzunehmende Innovationen dar. Genau deswegen sollte der Staat Modernisierungsprozesse in allen Formen anregen – Innovationen, die Übernahme modernster Technologien und die Einführung moderner Methoden zur Organisation von Managementprozessen.

Zweitens: Es bedarf eines realistischen Verständnisses von der Rolle des Staates bei der Modernisierung und einer klaren Vorstellung über die anderen Akteure dieses Prozesses. Der Staat kann Modernisierungsprozesse initiieren. Umgesetzt wird die Modernisierung jedoch von Wirtschaftsakteuren, die in umfassendem Sinne planen müssen – darunter nicht nur kleine, mittlere und Großunternehmen, sondern auch Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft, regionale und lokale Staatsorgane. Die Modernisierung ist möglich, wenn sie den Interessen der Wirtschaftsakteure entspricht (genauer – denen der fortschrittlichsten unter ihnen) und wenn diese Wirtschaftsakteure ihrerseits entsprechende Initiativen entwickeln.

Zur Klärung der tatsächlichen Interessen der Akteure bedarf es eines Rückkoppelungsmechanismus – nicht im Format der »Einbahnstraßenkonferenz« beim »Großen Chef«, sondern durch einen Dialog, bei dem die Föderalregierung als Partner der regionalen Staatsorgane, privater Unternehmen (in Form von Unternehmensverbänden) und Organisationen des kommunalen Sektors (die ebenfalls ihre eigenen Vertreter haben sollten) auftritt.

Drittens: Innovationen sind möglich, wenn man persönlicher Initiative Freiraum lässt. Dieser Raum ist heute jedoch durch immer detailliertere Vorgaben und Regulierungen eingeschränkt. Die Einschränkungen erstrecken sich sowohl auf Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft und Organe der Staatsverwaltung als auch auf Privatunternehmen. Der Staat schreibt vor, was erlaubt ist und was nicht. Die sich ausbreitende Regulierung ist eine Reaktion auf das Scheitern von Markt und Staat, das für die 1990er Jahre charakteristisch war, und spiegelt das Bestreben wider, die Risiken zu minimieren und die an Wirtschaftstransaktionen Beteiligten vor möglichen Betrügereien und Manipulationen zu schützen. Auf der anderen Seite bedeutet diese Tendenz, dass jegliche Initiative, jedes neue Projekt für die Wirtschaftsakteure heute mit erheblichen zusätzlichen Lasten und Risiken verbunden ist.

Vor diesem Hintergrund ist in der Politik der Präsidialadministration und der Regierung eine Akzentverschiebung von der aktuellen Reglementierung der Haushaltsausgaben in Richtung einer Ergebniskontrolle unabdingbar. Dies betrifft in gleichem Maße staatliche Investitionen, Staatseinkäufe, die Co-Finanzierung von Innovationsprojekten usw. Ein Regierungsbeamter sagte hierzu kürzlich in einem Seminar zur Strategie-2020 in der Higher School of Economics: Es ist offensichtlich, dass die Präsidialadministration den Willen hat, etwas zu verändern. Doch dieser wird durch die Bemühungen überdeckt, den Prozess nicht außer Kontrolle geraten zu lassen und alles an kurzer Leine zu halten.

Zu guter Letzt: Wie sollen reale, von unten heranwachsende Projekte von jenen ehrgeizigen »Projects« unterschieden werden, die heutzutage von verschiedensten Akteuren angeboten werden und im Wesentlichen auf das Anzapfen von Haushaltsmitteln ausgerichtet sind? Das Kriterium für die Ernsthaftigkeit von Initiativprojekten sind Investitionen in diese Projekte durch die Unternehmen, die Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft sowie die regionalen und lokalen Staatsorgane. Aus diesem Grund sollte die Unterstützung der Modernisierungsprozesse durch die Föderalregierung auf Prinzipien der Co-Finanzierung basieren und der Bereitstellung organisatorischer Unterstützung für jene Projekte, die schon selbst von unten mit der Umsetzung, der Einwerbung privater Gelder begonnen haben.

Übersetzung: Christoph Laug

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