Putins dritte Amtszeit: Rollentausch als Intrige?

Von Christoph Laug (Konstanz/Moskau)

Am zweiten Tag des Parteitages von »Einiges Russland«, dem 24. September 2011, wurden die Karten aufgedeckt. Präsident Dmitrij Medwedew schlug der Partei die Kandidatur von Ministerpräsident Wladimir Putin für die Präsidentschaftswahlen am 4. März 2012 vor. Putin, der parteilose Parteivorsitzende von »Einiges Russland«, schlug im Gegenzug Medwedew vor, bei den Dumawahlen am 4. Dezember 2011 die Liste der Partei anzuführen und somit, bei erfolgreichem Abschneiden der Partei, seinerseits Ministerpräsident zu werden.

War es nicht schon immer klar? Wurde nicht schon vielerorts und seit langer Zeit prognostiziert, dass es genau so kommen würde? Die Versuchung ist groß, das Geschehene als lang Erwartetes mit wenigen Worten abzuhandeln, nach dem Motto: Medwedew konnte ja nur der Platzhalter für Wladimir Putin sein, der sich 2008 an die formalen Regeln der Verfassung halten wollte. So passte gut ins Bild, das Medwedew als eine seiner ersten Amtshandlungen die Amtszeit des kommenden Präsidenten um zwei Jahre auf nunmehr sechs Jahre verlängerte (mit der Bemerkung, er tue dies nicht für sich). Also alles wie vorhergesagt?

Diese Diskussion würde von der Art und Weise, wie diese Entscheidung gefallen ist, ablenken. Das, was sich am 24. September im Moskauer Sportpalast »Luschniki« ereignete, zeigt nicht nur die zentrale Rolle Wladimir Putins, sondern vermittelt zudem einen Eindruck von der Überheblichkeit der Entscheidungsträger. Auch wenn der Verlauf der Ereignisse erwartet werden konnte, so ist bezeichnend, dass außer Putin, Medwedew und Wladislaw Surkow, jüngst von Michail Prochorow, dem gefallenen Helden der Partei »Prawoe Delo«, als »größter Strippenzieher im Lande« bezeichnet , wohl nur wenige Personen in die Absprache eingeweiht waren. Als hätte es nicht gereicht, die über 600, aus ganz Russland angereisten Delegierten von »Einiges Russland« mit der Entscheidung zu überraschen. Statt dessen führten Putin und Medwedew offenherzig aus, dass diese Entscheidung »schon lange – seit einigen Jahren gefallen sei«, es eine »tief durchdachte Entscheidung ist.«

Dmitrij Medwedew präzisierte der Vollständigkeit halber gleich den Zeitpunkt der Absprache (ob dies nun tatsächlich so war oder nur die vollkommene Übereinstimmung der beiden ersten Personen im Staat unterstreichen sollte, wie dies Medwedew im Fernsehinterview vom 30. September tat, sei dahingestellt):

»Wir haben diese Option der Ereignisse in der Tat schon zu der Zeit besprochen, als sich unsere kollegiale Gemeinschaft herausgebildet hat. Die vergangenen Jahre haben uns, und ich hoffe sehr, auch der Mehrheit unserer Bevölkerung, die Richtigkeit unserer Strategie und die Effektivität des herausgebildeten Führungsmodells gezeigt.«

Und dann folgt der kleine, im öffentlichen Protokoll nicht enthaltene, jedoch bezeichnende Ausruf: »Nu wot!« – in diesem Kontext als »da seht ihr«, wer böse will, auch als »da habt ihr’s« übersetzbar.

Dennoch scheint es so, als wolle sich Medwedew für die Entscheidungen entschuldigen:

»Und darüber, dass wir bis jetzt relativ lange unsere Position über die Wahlszenarien nicht früher bekannt gegeben haben, hoffe ich, dass Ihr uns versteht, wie auch unsere Staatsbürger, dass dies eine Frage der politischen Gesetzmäßigkeit, eine Frage der Gesetze des politischen Genres gerade in unserem Land ist.«

Hierbei wird deutlich, wie sehr sich Medwedew (s)einer Rolle zu fügen wusste und wie wenig er, entgegen aller Erwartungen, die sich auf Grund seiner gelegentlich liberalen Äußerungen an ihn richteten, bereit oder auch fähig war, seinen eigenen Weg zu gehen – ohne zu viele Hoffnungen in die Handlungen einer einzigen Person projizieren zu wollen. Deutlich wurde an diesem 24. September, dass Medwedew Produkt und Abhängiger des ihn umgebenden Systems ist. Seine Position als kommender Ministerpräsident kann jedoch nicht als völlig sicher angesehen werden – die Entlassung Kudrins zwei Tage später erscheint aber wie die Beseitigung eines Konkurrenten.

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