Open Government – Partnerschaft in einem unfreien Regime?

Von Irina Busygina (Moskau), Michail Filippow (Binghamton (NY))

Zusammenfassung
In Russland, das von Freedom House seit 2008 als »konsolidiertes autoritäres Regime« eingestuft wird, hat die Gesellschaft gleichwohl Zugang zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie einer stetig wachsenden Zahl weitgehend unbeschränkter Internetquellen und sozialer Netzwerke, während die Regierung gleichzeitig internationale Projekte wie die Open Government-Partnerschaft unterstützt. Das gibt ein Rätsel auf, dessen Auflösung womöglich für einen breiteren Kontext als nur Russland von Bedeutung sein könnte. Warum sollten in einer Nicht-Demokratie die Kommunikationstechnologien und die Netzwerke nicht unterdrückt werden? Unsere These lautet, dass für eine undemokratische Regierung durch einen freien Informationsfluss zwar beträchtliche Kosten und Risiken entstehen können, der geschickte Einsatz der gleichen Kommunikationskanäle ihr aber auch einen spürbaren politischen und wirtschaftlichen Nutzen bescheren könnte. Experten sollten dabei berücksichtigen, dass für den Staat durch ein verändertes Verhältnis zu seinen Bürgern sowohl Kosten als auch Nutzen entstehen können, und dass jede Entscheidung das Risiko eines Rückschlags in sich birgt. Darüber hinaus müssen die politischen Machthaber ein geeignetes Bild ihres Landes präsentieren, wenn sie den Kapitalzufluss in ihr Land anregen wollen.

Den Erwartungen zum Trotz

Es wird grundsätzlich erwartet, dass undemokratische Regime die Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien bestenfalls tolerieren, sie jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach aktiv zu beschneiden und unterdrücken suchen. In Russland, das von Freedom House seit 2008 als »konsolidiertes autoritäres Regime« eingestuft wird, beobachten wir jedoch, dass entgegen solcher Erwartungen Projekte wie Open Government gestartet werden. Dies ist ein Widerspruch, der nicht nur für Russland, sondern auch für andere Länder bedeutsam ist. Warum sollte eine undemokratische Regierung sich entscheiden, die Kommunikationstechnologien und Netzwerke nicht zu unterdrücken? Unsere These lautet, dass eine undemokratische Regierung zwar durch einen freien Informationsfluss beträchtliche Kosten zu tragen hätte, eine geschickte Nutzung eben dieser Kommunikationskanäle durch die Regierung dieser aber greifbaren politischen und wirtschaftlichen Nutzen einbringen könnte. Die Strategie einer Regierung hinsichtlich der Offenheit von Kommunikationstechnologien wird durch eine Kosten-Nutzen-Analyse bestimmt, die im Kontext des betreffenden Gemeinwesens angestellt wird.

Zum Einen entstehen Kosten und Nutzen durch einen Wandel des Verhältnisses zu den Bürgern, und jeder Entscheidung wohnen eigene Risiken inne. Wie beeinflussen nun die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern in Russland? Die Fakten weisen in widersprüchliche Richtungen. Durch die neuen Technologien kann der Prozess der Gewinnung und Verbreitung von Informationen – den der Staat früher streng kontrolliert hat – auf dramatische Weise dezentralisiert und seine Kosten gesenkt werden. Durch Smartphones und soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder das Blogportal »Livejournal« haben einzelne Personen und kleine Gruppen genügend technische Mittel zur Hand, um schnell und effizient eine beträchtliche gesellschaftliche Reaktion auf Nachrichten über Regierungshandeln zu koordinieren. So waren die Organisatoren einer Online-Petition gegen den Entwurf des Dima-Jakowlew-Gesetzes, das US-Bürgern die Adoption von Waisenkindern in Russland verbieten sollte, in der Lage, vom 18. bis zum 21. Dezember, also innerhalb von nur drei Tagen, über 100.000 Unterstützerunterschriften zu sammeln.

Andererseits stimmt auch, dass der Staat in Russland die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien immer geschickter zum eigenen Vorteil einsetzt. Mit dem Wandel der Technologien ändert sich auch die Art und Weise, in der der Staat die öffentliche Meinung manipuliert und seine Legitimität erhöhen möchte. Verbreitete Befürchtungen dieser Art wurden im Februar 2012 durch belastbare Belege untermauert, nachdem Hacker die Inhalte von E-Mail-Konten veröffentlichten, aus denen hervorging, dass die vom Kreml unterstützte Jugendorganisation »Naschi« an zahlreiche teils prominente Blogger Gelder gezahlt hatte – die Blogger veröffentlichten Beiträge, die Wladimir Putin in einem günstigen Licht darstellen und Aktivisten der Opposition diskreditieren sollten.

Bei allem demokratischen Potential machen es die neuen Technologien dem Staat allerdings auch leichter, die Bürger besser zu überwachen und noch genauere Informationen über jene zu sammeln, die in Opposition zu ihm stehen. Nur Computer- und IT-Experten können erklären, auf welche Weise genau und in welchem Maße das heutzutage bewerkstelligt werden kann; wir wollen uns hier auf den Kommentar beschränken, dass dieses heikle Thema bei der Betrachtung undemokratischer Regime nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Schließlich bieten die neuen Technologien den unstrittigen Nutzen einer verbesserten Regierungsführung, da sie ein kostengünstiges Instrument zur Verbesserung der Qualität der öffentlichen Güter und Dienstleistungen darstellen. Mit den neuen Technologien kann jede Regierung ihre Bürokratie, die Polizei, die Verkehrspolizei, die Anbieter im Gesundheitswesen und viele andere ordnungspolitische Bereiche besser beaufsichtigen. Neben dem Binnennutzen verbesserter Regierungsführung senden solche Maßnahmen auch positive Signale an ausländische Investoren. Gute Regierungsführung und hohe Transparenz bedeuten für Unternehmen implizit niedrigere Transaktionskosten und ein stabileres Investitionsklima. Projekte, die »Open Government«, eine »offene Regierung« gewährleisten sollen, dienen hier als Instrumente, mit denen die Entschlossenheit zu hohen Standards bei Regierungsführung und Transparenz demonstriert werden soll. Das Dilemma des Kreml ließe sich als typisch für undemokratische Regime verstehen: Die Logik des internen (hier: innerrussischen) politischen Spiels verlangt zwar Isolation, doch wird zur Machtsicherung Wohlstand benötigt, der nur durch eine Beteiligung an der Globalisierung erzeugt werden kann.

Bueno de Mesquita und Downs meinen hierzu: »zur eigenen Absicherung müssen [Machthaber] die Kosten für die politische Koordinierung der Opposition steigen lassen, ohne dass die Kosten für die wirtschaftliche Koordinierung allzu stark anwachsen, da dann das Wirtschaftswachstum gehemmt und die Stabilität des Regimes gefährdet würde«. Für die Führung in Russland bedeutet dieses Argument hinsichtlich der Bereitschaft, die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zu fördern, klar definierte Grenzen: Die Machthaber wollen eine strategische Koordinierung durch die Opposition unterbinden, um das eigene politische Überleben zu sichern. Wir könnten also Beschränkungen bei Technologien erwarten, die für soziale Mobilisierung einsetzbar sind. Die Nutzung der neuen Technologien durch einzelne Bürger zur »direkten« Kommunikation mit dem Staat würde hingegen keine Gefahr für das Regime darstellen, eher das Gegenteil. Stellen wir uns einmal vor, dass die einzelnen Bürger, anstatt sich mit Organisieren und Mobilisierung zu befassen – sei es nun auf der Straße oder im virtuellen Raum –, ihre Fragen oder Aufrufe auf geeigneten offiziellen Websites vorbringen, die so nutzerfreundlich sind, dass sogar die Internetadressen kyrillisch sind! Es ließe sich erwarten, dass der Staat hinsichtlich der neuen Technologien die neu entstehenden politischen Möglichkeiten beschränkt und gleichzeitig den technokratischen Nutzen dieser Technologien für eine effizientere Verwaltung fördert.

Abwägen zwischen freier Information im Lande selbst und der Suche nach Kapital im Ausland

Diese widersprüchlichen Tendenzen wurden nach der Welle der Massenproteste, die im Dezember 2011 einsetzte, zunehmend deutlich. Der Staat versuchte wiederholt, eine straffere Kontrolle des Internet herzustellen und die juristischen und technologischen Mittel zu schaffen, mit denen das Netz im Notfall umgehend ausgeschaltet werden könnte. Gleichzeitig versuchte der Staat, in der Hoffnung auf technokratischen Nutzen den Einsatz der neuen Technologien auszuweiten.

Die jüngste Entwicklung zeigt, auf welche Weise Russland den Versuch unternimmt, gegen die demokratisierenden Aspekte des Internet vorzugehen und gleichzeitig das Internet dazu einzusetzen, die Lebensdauer des Regimes zu erhöhen. Im Juli 2012 hat das Parlament einhellig einen Gesetzentwurf gebilligt, durch den auf einer föderalen Website eine »schwarzen Liste« von Websites eingerichtet wird, die durch die Internetanbieter umgehend vom Netz zu nehmen sind. Andernfalls droht innerhalb von 24 Stunden deren Schließung, ein Vorgang, der keinen Gerichtsbeschluss erfordert. Das Gesetz schreibt zudem vor, dass Internetanbieter die notwendigen technischen Mittel und eine Software installieren müssen, die es dem Regime ermöglichen, augenblicklich eine umfassende Zensur durchzusetzen. Die Technologie ähnelt derjenigen, die von der Kommunistischen Partei Chinas zur Sperrung von Websites eingesetzt wird. Dieses Gesetz ist eines von mehreren restriktiven Gesetzen, die 2012 durch die Staatsduma gepeitscht wurden. Durch die neuen Gesetzesvorschriften werden unter anderem die Strafen für öffentlichen Protest drastisch erhöht, wird Verleumdung wieder strafbar, werden Beschränkungen für Informationen eingeführt, die »die Familienwerte negieren«, und werden NGOs, die ausländische Gelder erhalten, dazu verpflichtet, sich als »ausländische Agenten« registrieren zu lassen.

Russland schlug im Dezember 2012 auf der Weltkonferenz für internationale Fernmeldedienste der Vereinten Nationen in Dubai vor, die Grundprinzipien für den Betrieb des Internet dahingehend zu ändern, dass »das souveräne Recht […], das nationale Segment des Internet zu regulieren«, anerkannt wird. Die Initiative stieß auf den Protest anderer Staaten und scheiterte letztendlich.

Fast parallel zur Konferenz in Dubai verkündete Ministerpräsident Medwedew unterdessen, dass Russland sich an der Open Government-Partnerschaft (OGP), einer multilateralen Initiative der USA und 50 anderer Staaten, beteiligen werde, die den öffentlichen Sektor vor dem Hintergrund der jüngsten technologischen Entwicklungen revolutionieren soll. Die US-Regierung hofft, dass die Regierungen durch die OGP in die Lage versetzt werden, Transparenz zu fördern, die Bürger und die Zivilgesellschaft zu stärken, Korruption aufzudecken und allgemein eine demokratische Regierungsführung zu stärken.

Die Umsetzung von »Open Government« in einem geschlossenen Herrschaftssystem

Die Reaktion Russlands auf das Open Government-Projekt bestand anfangs in einem eigenen Projekt mit der Bezeichnung »Bolschoje Prawitelstwo« (»Große Regierung«), das von dem damaligen Präsidenten Medwedew vorgeschlagen und Mitte Oktober 2011 vom Gesellschaftlichen Komitee der Unterstützer des Präsidenten gestartet wurde. Es war nicht nur der neueste Schritt einer Kampagne, die in den Augen der Bevölkerung die Legitimität der Regierung steigern sollte. Die Initiative »Große Regierung« sollte auch die Botschaft aussenden, dass die Regierung in Russland ihre Effizienz durch die Hinzuziehung externer Experten erhöhen wolle, die die Verwaltung beraten sollen.

Im Oktober 2011 gab Präsident Medwedew dann die ähnlich gelagerte »Open Government«-Initiative bekannt, die seiner Konzeption zufolge die Kanäle zwischen Beamten der einzelnen Ressorts einerseits und Parteiaktivisten, Experten und den unterschiedlichsten Institutionen der Zivilgesellschaft anderseits öffnen sollten. Er definierte den Bereich des »Open Government« äußerst weit: er reicht von öffentlichen Dienstleistungen und der Förderung Wettbewerb und Unternehmertums bis hin zu Sport und Tourismus. Medwedews erste Treffen mit Dutzenden von Experten befassten sich mit einer Reform des öffentlichen Dienstes, der Antikorruptionspolitik und der Stärkung des Wettbewerbs in Russland.

Die föderalen Behörden betrachten die »Offene Regierung« im Allgemeinen als Instrument, mit dem auf allen Ebenen und in allen Zweigen staatlicher Verwaltung für Transparenz gesorgt, ein freier Informationsaustausch zwischen Staat und Zivilgesellschaft angeregt, die Qualität und Verfügbarkeit staatlicher Dienstleistungen durch eine gesellschaftliche Kontrolle verbessert und (letztendlich) die Verantwortung bei Entscheidungen auf die Exekutive und die Zivilgesellschaft verteilt würde. Schlüsselvoraussetzung des Konzeptes der »Offenen Regierung« ist die Vorstellung, dass die Behörden auf die Forderungen der Zivilgesellschaft reagieren sollten. »Offene Regierung« liefert durch ihre wichtigsten Institutionen (Expertenräte, unabhängige gesellschaftliche Kommissionen innerhalb der Exekutive, Ombudsmänner, Unternehmerverbände und NGOs) Expertise in Form von Empfehlungen an Vertreter der Exekutive. Die Ergebnisse dieser Expertenratschläge und -empfehlungen werden öffentlich diskutiert. Die Exekutive nutzt also »Offene Regierung« als einen Weg, nach Lösungen zu suchen, die besser wären als die ausschließlich eigenen. Darüber hinaus sendet die Exekutive mit der Einführung eines Systems der »Offenen Regierung« der Gesellschaft das Signal, dass sie bereit ist, die Qualität ihrer Arbeit zum Gegenstand eines Gesellschaftsvertrags zu machen.

Im August ernannte Medwedew (nunmehr als Minister­präsident) offiziell 200 »ständige Experten« für die »Offene Regierung«, um eine Rückmeldung zu wichtigen Regierungsinitiativen zu erhalten. Im Dezember 2012 teilte Medwedew den Teilnehmern einer Internationalen Konferenz zu »Open Government« in Skolkowo Mitte Dezember 2012 mit, dass einige Anregungen dieser Experten bereits auf föderaler und regionaler Ebene umgesetzt worden seien. »Ich denke, ein solches Kommunikationssystem ist das wichtigste Ergebnis unserer Arbeit«, bemerkte Medwedew (http://rt.com/politics/medve dev-open-government-join-042/). Diese Aussage passt zu der Beobachtung in »Forbes«, dass »außerhalb der Website die wichtigsten Arbeitsinstrumente von »Open Governmant« in Russland aus Arbeitsgruppen und Expertenräten bestehen.«

Als die Website für »Offene Regierung« gestartet wurde, behaupteten die Behörden, dass diese es jedem Bürger Russlands (oder zumindest den 60 Millionen Internetnutzern des Landes) erlauben werde, sich an der Regierung zu beteiligen. Die Angaben zur tatsächlichen Wirkung des Projekts sind allerdings leicht widersprüchlich. Obwohl die Website angeblich bereits über zwei Millionen Besucher registrierte, verzeichnete die größte russische Suchmaschine Yandex im Dezember 2012 für den Suchbegriff »otkrytoje prawitelstwo« (»offene Regierung«) lediglich 10.659 Anfragen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum wurden 175.349 Suchanfragen zu »Nawalnyj« verzeichnet, dem oppositionellen Blogger. Alle Regionen Russlands wurden dazu verpflichtet, vor Ort Miniversionen von »Offene Regierung« unter der Bezeichnung »Offene Region« einzurichten und dazu Websites zu schalten sowie lokale Experten hinzu zu ziehen. Bis Dezember 2012 sind in 18 Regionen und 4 Kommunen »Offene Region«-Projekte online gegangen. Yandex hat allerdings im Dezember 2012 nur 2.528 Suchanfragen für »otkrytyj region« (»offene Region«) registriert.

Während Medwedew die Rolle der Experten bei der Verbesserung der Regierungsführung betont, hat Putin den Wunsch geäußert, die Aufmerksamkeit der Internetnutzer weg von der hohen Politik hin zu Alltagsfragen auf lokaler Ebene zu lenken. Putin erklärte in einem seiner Wahlkampf-Manifeste: »Gegenwärtig haben unsere Bürger Zugang zu allen Informationen über politische Debatten im Parlament, über die Weltmärkte und über Hochzeiten und Scheidungen von Hollywood-Stars […] Die meisten Leute wollen jedoch Informationen, die für sie relevant sind: über ihr Zuhause, dessen nähere Umgebung, die umliegenden Parks, Schulen oder ihre Kommunen«.5

Es besteht natürlich die Hoffnung, dass Russlands Beteiligung an der »Open Government«-Partnerschaft und die zahlreichen »Offene Region«-Projekt den Bürgern des Landes neue Instrumente an die Hand geben, die Entwicklung des Staates zu beeinflussen. Beobachter sind jedoch skeptisch. In Russland ist, wie es Georgij Bovt formuliert, »Open Government nicht dazu bestimmt, den Dialog zwischen Regierung und Bevölkerung zu fördern. Es sieht einen Dialog zwischen einer begrenzten Anzahl von Experten und der Regierung vor […] Letztendlich ist »Open Government« eine zweite Gesellschaftskammer. Es kann ein funktionierendes Parlament, oder – was am wichtigsten wäre – ein funktionierendes Justizwesen (was wir beides eindeutig nicht haben…) nicht ersetzen. Es kann höchstens einzelne technokratische Veränderungen bei verschiedenen bürokratischen Verfahren bewirken« (http://valdaiclub.com/aut hors/22202.html).

Schlussfolgerungen

In einer sich globalisierenden Welt, in der die transnationale Mobilität des Kapitals dramatisch zugenommen hat und durch eine noch nie dagewesenen Verfügbarkeit von Informationen über die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen innerhalb eines jeden Landes begleitet wird, sind Regierungen, die eine starke Wirtschaft wollen, dazu gezwungen, Disziplin zu üben und die Regierungsführung zu verbessern. Thomas Friedman von der New York Times erzählt die Geschichte von der elektronischen Herde der Investoren, die souveräne Nationen in eine »Goldene Zwangsjacke« stecken:

»Wenn Ihr Land die Regeln des freien Marktes in der globalen Wirtschaft von heute […] anerkennt und beschließt, sich daran zu halten, dann legt es das an, was ich die Goldene Zwangsjacke nenne. […] Diejenigen Länder, die die Goldene Zwangsjacke angezogen haben und anbehalten, werden von der Herde mit Investitionskapital belohnt. Die Länder, die sie nicht anlegen, werden von der Herde diszipliniert, nämlich dadurch, dass die Herde entweder das Land meidet oder ihr Geld aus dem Land abzieht. Letztendlich reagiert sie [die Herde] stets auf gute Regierungsführung und gutes Management in der Wirtschaft.«6

Friedmann macht als Schlüsselproblem der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands die Kluft zwischen den Erwartungen der global agierenden Investoren und der praktizierten Regierungsführung in Russland aus. Der von der Regierung beteuerte Wunsch, technologische Innovation und das Wirtschaftswachstum zu fördern bedeutet, dass der Staat Anreize und Garantien für Investoren bieten muss. Für Unternehmer und Investitionen stellt sich der Staat in Russland ist in seiner gegenwärtigen Form jedoch als ineffizient, von Korruption zerfressen, ohne Verantwortlichkeit und allgemein als unberechenbar dar. Die Fähigkeit des Staates, sich glaubhaft für die Achtung von Eigentumsrechten einzusetzen und stabile Rahmenbedingungen bei der Regulierung unternehmerischer Tätigkeit im Lande zu gewährleisten, wird von vielen als problematisch eingeschätzt.

Eine Aneignung und Förderung der neuen Kommunikationstechnologien zur Verbesserung von Regierungsführung und Transparenz könnte sehr wohl ein geeignetes Mittel sein, mit dem das Land sein Einstehen für gute Unternehmenspraktiken und ein gutes wirtschaftlichen Umfeld signalisiert. Vor gut einer Generation kamen die südostasiatischen Regime zu dem Schluss, eine Stärkung unabhängiger Zentralbanken könnte ein glaubwürdiges Signal sein, dass diesen Ländern langfristige direkte Auslandsinvestitionen anvertraut werden können. Eine Betonung auf Kommunikationstechnologien wäre für heutige undemokratische Regime ein zwar weniger direkter, aber relativ effektiver und moderner Weg, eine ähnliche Botschaft zu senden.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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