Russlands Haltung im Syrienkonflikt
Von Anfang an nahm Russland im Syrienkonflikt eine klare Haltung ein, die es trotz aller Kritik aus dem Westen und der Region selbst bis heute beibehalten hat: die Kämpfe zwischen Regime und Opposition seien nur inner-syrisch zu lösen, nämlich durch ergebnisoffene Verhandlungen zwischen beiden Seiten, wobei der Rücktritt Assads keine Vorbedingung sein dürfe. Eine Einmischung externer Kräfte wird strikt abgelehnt, wobei sich dies nicht nur auf die Bewaffnung der Opposition oder eine militärische Intervention, sondern auch auf die Verhängung von Sanktionen oder die bloße Ausübung einseitigen diplomatischen Drucks auf die Führung in Damaskus bezieht. Dementsprechend blockierte Russland nicht nur Resolutionsentwürfe im UN-Sicherheitsrat, die Sanktionen vorgesehen hätten (Oktober 2011, Juli 2012), sondern auch solche, die lediglich die Gewaltanwendung durch das syrische Regime verurteilt hätten, ohne dass zugleich die Regimegegner ebenfalls verurteilt und zum Gewaltverzicht aufgerufen würden (Februar 2012).
Die Führung Russlands gibt vor, damit eine neutrale Haltung einzunehmen. Mehrmals betonten Präsident Putin, Außenminister Lawrow und Ministerpräsident Medwedew, dass ihr Land – im Gegensatz zu den westlichen Staaten oder den Golfmonarchien – nicht einseitig Partei ergreife. Das konkrete Verhalten Russlands konterkariert jedoch de facto den Anspruch auf Neutralität. Denn bis heute unterstützt Moskau das Regime Assads auf vielfältige Weise. Erstens stützt man auf internationaler Bühne die Legitimationsstrategie der syrischen Führung. Durch eine Darstellung der Opposition primär als einer Gruppe von »Fanatikern«, Islamisten oder Terroristen wird die Schuld am Gewaltausbruch implizit ihr zugewiesen. Zweitens liefert Moskau weiterhin Waffen an die syrische Regierung, darunter Luftabwehrsysteme (Buk-M2 [Nato-Code: »SA-17 Grizzly«] und Panzir-S1 [Nato-Code: »SA-22 Greyhound«]) und Helikopter. Russland verweist darauf, dass die Exporte nach internationalem Recht zulässig seien. Schließlich hat der UN-Sicherheitsrat – aufgrund russischer und chinesischer Weigerung – bislang kein Waffenembargo verhängen können. Als verlässlicher Exporteur – so die russische Rechtfertigung – sei Moskau daher verpflichtet, bestehende Verträge zu erfüllen. »Neue Lieferungen« seien aber suspendiert worden, erklärte Wjatscheslaw Dsirkaln vom Föderalen Dienst für Militärtechnische Zusammenarbeit im Juli 2012. Drittens hilft Moskau dem Regime Assad auch beim wirtschaftlichen Überleben. Nachdem der Druck syrischer Banknoten in Österreich durch EU-Sanktionen eingestellt wurde, sprang nach Angaben des syrischen Botschafters in Moskau die russische Staatsdruckerei »Gossnak« ein. Nach westlichen Presseberichten sollen zwischen Juli und September 2012 auf diesem Weg 240 Tonnen Banknoten nach Syrien gelangt sein. Die syrische Regierung benötigt die Gelder, um wichtige Importgüter zu kaufen, sowie zur Sicherung politischer Unterstützung im Inneren.
Wirtschaftliche und militärische Interessen: nur peripher von Bedeutung
Welche Interessen und Motive prägen die russische Syrienpolitik? Zu Beginn des Konflikts wurde viel über die materiellen Interessen Moskaus spekuliert: über die Rüstungsexporte und die Marinebasis Tartus. Der Verlauf des Konflikts zeigte aber, dass beide nur von nachgeordneter Bedeutung sind und bei weitem nicht ausreichen, die russische Haltung zu erklären.
Bei den Außenhandelspartnern Russlands liegt Syrien mit einem Umfang von 855 Mio. Euro im Jahr 2011 auf dem zu vernachlässigenden 35. Platz – hinter Tunesien (871 Mio. Euro), Marokko (1,4 Mrd. Euro), Israel (1,5 Mrd. Euro), Ägypten (1,9 Mrd. Euro), dem Iran (2,7 Mrd. Euro) und der Türkei (15,4 Mrd. Euro). Lediglich für die russische Rüstungsindustrie war Syrien in der Vergangenheit ein wichtiger Abnehmer. Die Sorge um Bestandswahrung und Zukunftsaussichten der Rüstungsverträge können Moskaus Haltung aber nicht erklären. Schließlich ist die Bedeutung Syriens für Russlands Rüstungsindustrie seit Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen gesunken. Hatte Damaskus nach Angaben des »Moscow Defense Brief« bei den identifizierbaren Lieferungen im Jahr 2011 noch einen Anteil von 8 %, so sank dieser 2012 auf 4 %. Bei den neu unterzeichneten Rüstungsverträgen im Jahr 2011 schrumpfte der Anteil Syriens noch drastischer – von 15 % im Jahr 2011 auf de facto 0 % 2012. Schließlich wurden neue Verträge 2012 entweder nicht abgeschlossen oder suspendiert. Ganz gleich, ob der Bürgerkrieg in Syrien anhält, ob Assad sich durchsetzt oder die Opposition gewinnt – für Russlands Rüstungsindustrie dürfte Syriens Waffenmarkt kurzfristig verloren sein. Gewinnt die Opposition, ist mit keinen neuen Großverträgen zu rechnen. Aber selbst wenn Moskau weiter liefern kann – weil sich Assad durchsetzt oder der Bürgerkrieg anhält –, wird sich die Frage nach der Zahlungsfähigkeit der syrischen Regierung stellen. Bereits in der Vergangenheit ist dies ein Streitpunkt im russisch-syrischen Waffenhandel gewesen. Drittens ist für Russlands militärisch-industriellen Komplex allgemein die Bedeutung des Exports gesunken. War der Export bis in die frühen 2000er Jahre für das Überleben dieser Branche entscheidend, stammten Ende 2012 nach Angaben Dmitrij Rogosins nurmehr 22 % der Einnahmen der Rüstungsindustrie aus dem Verkauf ins Ausland. 45 % machten Aufträge des russischen Verteidigungsministeriums und 33 % Verkäufe ziviler Produkte aus. Darauf, dass ökonomische Verluste durch ein Waffenembargo gegen Damaskus durchaus verkraftbar wären, verweist das libysche Beispiel. Im Februar 2011 hatte Moskau im UN-Sicherheitsrat einem Waffenembargo zugestimmt; die damals genannten Zahlen zu möglichen Verlusten – ca. 4 Mrd. US-Dollar – sind ähnlich hoch wie in Syrien. Zudem dürfte Russland einen solchen Verlust auch teilweise kompensieren können, indem es die für Syrien bestimmten Waffen an andere Abnehmer liefert, so der Militärexperte Ruslan Puchow.
Ebenso wenig wie ökonomische Motive können militärische Interessen die Haltung Moskaus im Syrienkonflikt erklären. Der Versorgungs- und Reparaturstützpunkt in Tartus stellt die einzige Marinebasis Russlands außerhalb des postsowjetischen Raums dar. Dieser wird benötigt, um Einsätze über einen längeren Zeitraum im Mittelmeer bzw. am Horn von Afrika durchführen zu können. Wird der im März 2013 von Verteidigungsminister Schojgu bekannt gegebene Plan, bis 2015 eine permanente Marinepräsenz im Mittelmeer aufzubauen, umgesetzt, dürfte Tartus dabei tatsächlich ein wichtiger Baustein sein. Es ist davon auszugehen, dass Moskau sich mit einer konzilianteren Haltung gegenüber der syrischen Opposition die Nutzungsrechte für Tartus auch über einen Machtwechsel hinaus hätte sichern können; aber selbst wenn dies nun in Frage stehen dürfte, sollte die strategische Bedeutung des Marinestützpunkts nicht überbewertet werden. In vielem dient Tartus eher der Großmachtdemonstration Russlands; zur Abwehr der realen sicherheitspolitischen Gefahren müssten vielmehr die Schwarzmeerflotte und die Kaspische Flotille gestärkt werden.
Eine Frage des Prinzips
Die eigentlichen Motive der russischen Syrienpolitik gehen über materielle Interessen hinaus. Sie betreffen grundlegende Fragen der internationalen Ordnung und regionalen Machtbalance, aber auch konkrete sicherheitspolitische Risiken für Russland selbst. Der »arabische Frühling« warf für die internationale Gemeinschaft erneut die Frage auf, wie mit dem Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Souveränität und Schutzverantwortung (»responsibility to protect« – »R2P«) umzugehen ist. War Moskau in Libyen noch bereit, der westlichen Interpretation entgegen zu kommen, so wirkte gerade die Erfahrung mit diesem Konflikt verhärtend auf die russische Position. Im Februar und März 2011 hatte Russlands Führung sowohl einem Waffenembargo zugestimmt, als auch der UN-Sicherheitsratsresolution 1973, die die Mitgliedstaaten ermächtigte, »alle notwendigen Maßnahmen« zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu ergreifen. Die breite Auslegung derselben durch die an der Militäroperation beteiligten westlichen Staaten wurde in Moskau jedoch sowohl als Verletzung der Resolution, als auch als Bestätigung einer zynischen westlichen Politik gesehen, die humanitäre Motive lediglich als Deckmantel für geopolitische und wirtschaftliche Interessenmaximierung einsetzt. In Bezug auf Syrien fürchtet Russland, dass der Sturz Assads auch der Schwächung des russischen Einflusses in der Region sowie der Destabilisierung des Iran dienen soll. Seit Libyen gilt daher als Mantra der russischen Außenpolitik: Eine Wiederholung dieses Szenarios darf nicht zugelassen werden!
Es wäre falsch, die Divergenzen zwischen Moskau und den westlichen Staaten im Syrienkonflikt als Wiederaufleben des »Kalten Krieges« oder gar als »Stellvertreterkrieg« zu bezeichnen, wie es in manchen reißerischen Presseberichten geschieht. Weder geht es um Ideologie, noch ist Assad eine Marionette Russlands. Vielmehr geht es um konträre Ansichten zur Ausgestaltung der internationalen Ordnung und den Anspruch Russlands, diese mitzubestimmen. Moskau lehnt die »R2P« nicht prinzipiell ab, will diese aber an enge Grenzen gebunden wissen, nämlich beschränkt auf den Schutz der Zivilbevölkerung und ohne das Ziel eines »Regime Change« von außen. Dahinter steht eine traditionelle Interpretation staatlicher Souveränität. Diese hat auch eine innenpolitische Begründung. Schließlich stellt eine Aufweichung des Nichteinmischungsgebots für die autoritäre Führung in Moskau auch aus Gründen des eigenen Machterhalts ein Gefahrenszenario dar.
Sorge vor islamistischer Proliferation
Neben Fragen der internationalen Ordnung bestimmt auch die Sorge vor negativen sicherheitspolitischen »Spillover-Effekten« die russische Syrienpolitik. Während der »arabische Frühling« im Westen oft mit den Revolutionen in Ostmitteleuropa Ende der 1980er Jahre in Verbindung gebracht wurde und dementsprechend Hoffnungen auf Demokratisierung weckte, waren russische Experten von Beginn an wesentlich skeptischer. In Moskaus Führung wurden die Demonstrationen und Aufstände fast unisono negativ konnotiert – als Beginn von Chaos, regionaler Instabilität sowie zunehmender Radikalisierung und Islamisierung. Dabei spielt sicherlich der autoritäre Charakter des russischen politischen Systems eine Rolle, dessen Führung gesellschaftliche Mobilisierung jenseits staatlicher Kontrolle als Gefahr betrachtet. Diese Erklärung allein stellt jedoch eine unzulässige Verengung dar und blendet die spezifischen historischen Erfahrungen und ethno-religiösen Bedingungen Russlands aus. Der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft ging in Russland und vielen postsowjetischen Staaten nicht mit Rechtstaatlichkeit und ökonomischer Prosperität einher, sondern mit ethno-territorialen, politischen und religiösen Konflikten. Die Hoffnung, dass Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien – Länder mit schwacher Zivilgesellschaft und großen ökonomischen Problemen – den Weg der ostmitteleuropäischen Transformationsländer beschreiten, wird von den meisten Experten und Politikern in Russland daher als naiv betrachtet. Vielmehr sei die Etablierung islamistischer Regime zu befürchten. Als Beleg dafür werden die Wahlergebnisse in Tunesien und Ägypten sowie die Einmischung Saudi-Arabiens und der Golfmonarchien in den syrischen Bürgerkrieg gesehen.
Für Moskau stellt diese Entwicklung auch sicherheitspolitisch ein Risiko dar. Es wird befürchtet, dass dadurch islamistische Kräfte im Nordkaukasus und Zentralasien Unterstützung erhalten könnten. Zwar ist unklar, welche Beziehungen zwischen islamistischen Kämpfern in Syrien und dem Nordkaukasus (insbesondere dem »Kaukasischen Emirat«) bestehen. Das »Volga Center for Regional and Ethno-Religious Studies« nannte im März 2013 die Zahl von ca. 200 russischsprachigen Salafisten, die in Syrien kämpften; die Verlässlichkeit dieser Daten lässt sich jedoch nicht überprüfen. Auf die fragile Ausgangssituation im Nordkaukasus verweist jedoch allein die hohe Zahl von 733 Menschen, die dort 2011 bei bewaffneten Auseinandersetzungen und Terroranschlägen getötet wurden. Daneben brachte der Syrienkonflikt auch einen ethnischen Konflikt – die Tscherkessenfrage – aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Nach der Vertreibung der Tscherkessen aus dem Nordkaukasus 1864 hatten sich Zehntausende im heutigen Syrien angesiedelt; da sie – wie viele Minderheiten – zu den Anhängern des Assad-Regimes gehören, fürchten sie die möglichen Konsequenzen nach dessen Sturz. Seit 2011 brachten Vertreter der tscherkessischen Diaspora daher die Forderung nach einem Rückkehrrecht in das heutige Russland vor. Von der Moskauer Führung wurde das bislang aber zurückhaltend bis ablehnend beschieden, um die ohnehin fragile ethnische und sozioökonomische Lage im Nordkaukasus nicht weiter zu destabilisieren. Vor dem Hintergrund der 2014 anstehenden Olympischen Spiele in Sotschi kann die Tscherkessenfrage aber neben der Gefahr islamistischer Terroranschläge erneut an Brisanz gewinnen.
Der Syrienkonflikt: Erfolg oder Misserfolg russischer Außenpolitik?
Wie erfolgreich – gemessen an den Interessen und Motiven – war Russlands Syrienpolitik bisher? Die Bilanz fällt gemischt aus. Einerseits konnte Moskau sein Schreckensszenario – ein »zweites Libyen«, einen weiteren Fall humanitärer Intervention – vermeiden. Auch ist Russland im Syrienkonflikt nicht marginalisiert worden, sondern konnte seinen Anspruch, von den übrigen Mächten als zentraler Akteur wahrgenommen zu werden, wahren. Allerdings zeigte sich deutlich, dass der Einfluss Moskaus primär auf seiner Verhinderungsmacht durch den permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat beruht; eine Gestaltungsmacht besitzt Russland nur begrenzt. Zwar rühmt sich Moskaus Führung, Assad dazu bewegt zu haben, Annans Friedensplan zuzustimmen und politische Reformen anzukündigen. Einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur vorgeschlagenen Konfliktlösung – z. B. durch eine erfolgreiche Vermittlungsaktion zwischen Regime und Opposition – konnte es aber nicht erreichen.
Dem stehen die Kosten der russischen Syrienpolitik gegenüber. Dazu gehören der Imageverlust in der arabischen Gesellschaft sowie die angespannten Beziehungen zu den meisten Regionalmächten. Während sich das Verhältnis zu Saudi-Arabien und Katar spürbar verschlechterte, gelang es Moskau aber mittels Dialog und Ausbau wirtschaftlicher Kooperation, den Schaden bei anderen Regionalmächten und -organisationen – wie der Türkei, der Arabischen Liga oder dem Golf Kooperationsrat – zu begrenzen (siehe den Artikel von Mark N. Katz ab S. 6). Prophylaktische Schadensbegrenzung versuchte Moskau auch gegenüber der syrischen Opposition zu betreiben. So traf sich Außenminister Lawrow mehrmals mit Vertretern der Regimegegner – allerdings vor allem mit der gemäßigten innersyrischen Opposition; die Kontakte zur Exilopposition sind angespannt. Hier hat die Glaubwürdigkeit Russlands am stärksten gelitten, vor allem, nachdem Moskau während des Massakers in Homs im Februar 2012 nicht einmal zu einer bloßen Verurteilung des Assad-Regimes bereit war. Im Fall eines Machtwechsels in Damaskus ist daher davon auszugehen, dass Russland materielle Verluste (z. B. die Nutzungsrechte für Tartus) und einen deutlichen Verlust an politischen Einfluss wird hinnehmen müssen. Aber auch wenn der Bürgerkrieg anhält, kann Russlands negatives Image bei den syrischen Rebellen zumindest für die im Land verbliebenen ca. 30.000 russischen Bürger zu einem ernsten Sicherheitsproblem werden.
Chancen für gemeinsame Konfliktlösung?
Welche Chancen ergeben sich vor dem Hintergrund der russischen Interessen und Motive für eine gemeinsame Konfliktlösung mit den westlichen Staaten? Wie Dmitrij Trenin vom »Carnegie Moscow Center« schreibt, existiert trotz aller Divergenzen eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen: weder Russland noch den USA oder den europäischen Staaten ist daran gelegen, dass der Bürgerkrieg in Syrien anhält und/oder sich dort ein islamistisches Regime etabliert und/oder Syrien zum Exporteur sicherheitspolitischer Risiken (Proliferation chemischer Waffen, Terrorismus etc.) entwickelt. Paradoxerweise kann diese gemeinsame Schnittmenge heute größer und für beide Seiten sichtbarer sein als zu Beginn des Konflikts: Erstens mag das Schwarz-Weiß-Denken beider Seiten einem realistischeren Bild – sowohl der Opposition als auch des Regimes – gewichen sein, was zu einer gewissen Annäherung beider Seiten führen könnte. Zweitens ist die Lösung der sicherheitspolitischen Probleme aufgrund der zunehmenden Gefahr von Spillover-Effekten noch dringlicher geworden. Der Giftgasangriff in Aleppo bestätigte dies noch einmal.
Damit eine gemeinsame Konfliktlösung gelingt, bedarf es aber Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Schließlich ist die zugrunde liegende Schnittmenge gemeinsamer Interessen primär ex negativo definiert; zwar dürfte es Russland und den westlichen Staaten leicht fallen, sich auf einige positive Zielsetzungen zu einigen, wie den Schutz der Minderheiten und der Religionsfreiheit. Entscheidend wird aber sein, ob beide Seiten bereit sind, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen und dabei eigene Bedingungen aufzugeben. Ein solcher Weg wäre, wie vom UN-Sondergesandten Brahimi vorgeschlagen, die Konkretisierung der Genfer Erklärung vom Juni 2012. Dazu müsste aber Moskau gewillt sein, einer Vorbedingung der syrischen Opposition zuzustimmen, nämlich dass Assad nicht Teil der Verhandlungen sein kann. Die westlichen Staaten wiederum sollten während eines solchen Verhandlungsprozesses auf eventuell konfliktverschärfende Schritte – wie die Bewaffnung der Rebellen – verzichten.
Sind beide Seiten dazu bereit? Einerseits gibt es durchaus positive Signale. So fanden im Dezember 2012 und Januar 2013 trilaterale Treffen zwischen Brahimi und den stellvertretenden Außenministern der USA und Russlands statt. Auch scheint in anderen Bereichen wieder Dynamik in die russisch-amerikanischen Beziehungen gekommen zu sein. Fortschritte bei zentralen Konfliktpunkten wie der Raketenabwehr könnten sich positiv auf Gespräche zu Syrien auswirken. Andererseits könnten beide weiterhin versucht sein, den »schwarzen Peter« der anderen Seite zuweisen. Seit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt ist Anti-Amerikanismus wieder fester Bestandteil innen- und außenpolitischer Propaganda geworden. Washington und den europäischen Staaten wiederum kam der Sündenbock Russland, auf den sich die geballte westliche und arabische Kritik in der Syrienfrage konzentrierte, manchmal vielleicht auch nicht unrecht; lenkt er doch von eigener Uneinigkeit und Interventionsmüdigkeit ab.
Aber selbst wenn Russland und die westlichen Staaten sich auf einen gemeinsamen Konfliktlösungsversuch einigen könnten, wäre damit nur ein erster Schritt getan. Ob sie die Beteiligung der innersyrischen Konfliktparteien sicherstellen könnten, wäre dann die nächste Frage.