Rassistische Gewalt und neonazistische Bewegungen in Russland

Von Robert Kusche (Dresden)

Zusammenfassung
Trotz Repression durch staatliche Behörden hat sich in Russland eine rechtsextreme Bewegung etabliert. Sie erntet Zustimmung bei der Bevölkerung für ihre Parolen und kann sich so als vermeintlicher Vollstrecker des »Volkswillen« gerieren. Die Betroffenen und Hinterbliebene hingegen sind oftmals marginalisiert und ausgegrenzt.

Rechte Gewalt

Rassistische Gewalttaten, seien es Morde, Überfälle oder Rechtsterrorismus finden in Russland nach wie vor nahezu täglich statt. Dabei kommt es zu zahlreichen Angriffen auf der Straße gegen vermeintliche »Nichtrussen«. Die extreme Rechte geht dabei nach dem Schema vor, gesellschaftliche Konflikte zuzuspitzen und rassistisch aufzuladen. Nicht selten kommt es dadurch zu pogromartigen Szenen.

Die Spitze des Eisberges stellen die 542 rassistischen Morde sowie Tötungen von politischen Gegnern seit 2004 in Russland dar. Allein 19 Morde gehen auf das Konto extremer Nationalisten im Jahr 2012. Auch wenn die Zahlen seit dem Allzeithoch mit 116 Morden im Jahr 2008 rückläufig sind, belegen die Statistiken des unabhängigen Beobachtungszentrums SOWA ein hohes Niveau. Vergleichsweise gering hingegen ist die Anzahl der registrierten Körperverletzungen (2012: 178), da Betroffene häufig aus Angst vor Polizei und Behörden keine Anzeige erstatten. Darüber hinaus lassen sich Normalisierungseffekte in der Gesellschaft und den Medien zum Thema rechte Gewalt konstatieren.

Einstellungen und gesellschaftlicher Diskurs

Doch woher kommt diese »Abneigung« gegen alles, was nicht »echt russisch« ist? Das Phänomen rassistischer Gewalt ist nicht nur an den sogenannten gesellschaftlichen Rändern zu verorten. Auch in Russland basiert sie auf menschenverachtenden Einstellungen, die in weiten Teilen der Gesellschaft sowie bei Kirche und Staat fest verankert sind. Zwar betonte der russische Staatspräsident Putin Anfang des Jahres 2012, dass der Vielvölkerstaat dem russischen Staatsverständnis entspreche. Gleichzeitig hob er aber auch die besondere und privilegierte Rolle der »echten Russen« hervor. Ziel dieser Zuspitzung war die Beruhigung vor allem derjenigen nationalistischen Wählerschichten, die sich an den Anti-Putin-Protesten beteiligt hatten. Wenn rund 67 % der Bevölkerung der Parole »Immigranten nehmen den Russen die Arbeit weg« zustimmen (http://www.levada.ru/28-11-2012/natsionalnaya-politika-i-otnoshenie-k-migran tam), und 56 % der Parole »Russland den Russen« (http://www.levada.ru/14-12-2012/rossiyane-o-mezhnatsionalnoi-napryaz hennosti-natsionalisticheskikh-lozungakh-obstanovke-n), scheint das Putin mit seinem Vorstoß recht zu geben. Darüber hinaus befürworten 83 % die strikte »Deportation« von illegalen Einwanderern und 61 % eine deutliche Reduzierung der Immigration nach Russland (jeweils http://www.levada.ru/28-11-2012/natsionalnaya-politika-i-otnoshenie-k-migrantam). Latente Einstellungen der Ungleichwertigkeit gegenüber Gruppen von Menschen können für rechte Gewalttäter legitimatorisch wirken, insbesondere wenn gesellschaftliche Autoritäten sich nicht eindeutig gegen jene menschenverachtenden Ideologien positionieren.

Ideologie

Ausgehend von einem ethnisch exklusiven Staatsverständnis und nationalchauvinistischen Attitüden pflegt die extreme Rechte u. a. Vorstellungen einer antisemitischen Weltverschwörung, biologistischen Rassismus, die Einführung einer von inneren und äußeren Feinden befreiten Diktatur und Vernichtungsphantasien. Rechtsextreme Ideologien sind dabei unterschiedlich dehnbar. So existieren beispielsweise Interpretationsrahmen, um einen positiven Bezug zum deutschen Nationalsozialismus herzustellen. Aspekte des Heidentums sowie die Präventivschlagthese gegen den »jüdischen Bolschewismus« werden übernommen, um sich positiv auf den historischen Nationalsozialismus zu beziehen. Heutige Kernforderung der russischen extremen Rechten ist vor allem die Schaffung eines ethnisch gesäuberten Russlands [siehe auch den Artikel von Andreas Umland in dieser Ausgabe, S. 2–5].

Arenen und Aktionsspielräume der extremen Rechten

In der russischen Gesellschaft, in der Konflikte oft repressiv durch die Behörden und Herrschenden gelöst werden, liegt es für eine extreme Rechte nahe, Themen und Arenen zu finden, die den Staat weniger tangieren, um Repression zu vermeiden. Nach wie vor fehlt es der extremen Rechten an einer eigenständigen Partei in der Staatsduma. Trotz Wählerpotential scheiterte sie bisher an administrativen Hürden sowie internen Machtstreitigkeiten. Jüngst wurde der 2012 gegründeten Partei »Nowaja Sila« (Neue Macht) die Registrierung verwehrt. Dennoch konnte die extreme Rechte in der Vergangenheit mit der Unterstützung einzelner Abgeordnete rechnen.

Alle ernsthaften Versuche jedoch, aus dem vorpolitischen Raum heraus das Parlament zu erobern, sind bis heute gescheitert. Daher bleibt den Akteuren nur die außerparlamentarische Opposition, wobei Einzelne diesen Spielraum gut zu nutzen wissen, so dass die Wahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum gewährleistet bleibt. Das wichtigste und größte Ereignis ist der jährliche »Russische Marsch« mit ca. 5.500 Demonstranten in Moskau. 2012 fand er erstmals auf einer Innenstadtroute statt. Thematisch geht es vor allem gegen Migranten und für ein reines – sprich »weißes« – Russland. Hakenkreuzfahnen, Hitlergrüße und Gewalttaten im Umfeld des Aufmarsches gehören zu den normalen Begleiterscheinungen der Demonstration. Eine der Hauptparolen des Aufmarschs – »Stoppt die Unterstützung des Kaukasus« – wird von ca. 65 % der der Bevölkerung getragen. (http://www.levada.ru/14-12-2012/rossiyane-o-mezhnatsionalnoi-napryazhennosti-natsionalisticheskikh-lozungakh-obstanovke-n).

Die 2011 verbotene »Bewegung gegen Illegale Migration« (DPNI) hat in den 2000er Jahren die Strategie entwickelt, gesellschaftliche Konflikte aufzuheizen und zuzuspitzen. Das erfolgte erstmals 2006 in der karelischen Kleinstadt Kondopoga. Angereiste Mitglieder der Bewegung, Jugendliche und viele Bewohner der Stadt stellten ein Ultimatum von 24 Stunden: Alle zugezogenen Kaukasierer hätten Kondopoga binnen dieser Frist zu verlassen und der städtische Markt müsse wieder unter »russischer Kontrolle« gebracht werden. Die anschließenden Ausschreitungen konnten nur mit massiver Polizeipräsenz gestoppt werden. Seit 2006 kam es russlandweit zu mindestens 17 solcher Übergriffe, ebenso 2012 in den Regionen Kirow und Stawropol. Solche »inter-ethnischen« Konflikte werden von der extremen Rechten als Bühne für die Verbreitung ihrer Positionen genutzt.

Rechtsextrem motivierte Gewalt ist in Russland auch deshalb möglich, weil Organisationen wie die DPNI mit der »Kondopogastrategie« die Gelegenheiten sowie den Rahmen dafür schaffen, und weil neonazistische Organisationen in paramilitärischen Trainingslagern den Umgang mit Waffen schulen.

Als 2007 und 2010 im Zentrum von Moskau vergleichbare Ausschreitungen stattfanden und die extreme Rechte aufgrund der vielen Morde an Antifaschisten, Migranten, engagierten Anwälten und Journalisten in die internationalen Schlagzeilen kamen, reagierte der Staat mit massiven Organisationsverboten und Verhaftungen. Bereits seit 2002 sanktioniert das russische Strafgesetz Taten aus »politischen, ideologischen, rassischen, nationalen, religiösen oder gegen jegliche soziale Gruppe gerichtetem Hass oder Feindschaft« (StGB RF Art. 63 Abs. 1e). Die Antiextremismusgesetzgebung (Art. 282) erlaubt darüber hinaus die Verfolgung und das Verbot von »extremistischen« Organisation, findet allerdings ebenso gegen unliebsame Oppositionelle Anwendung.

Rechtsextreme Subkultur

Zusätzlich hat sich in Russland eine rechtsextreme Kameradschafts- und Subkulturszene etabliert, die bereit ist, ihre Ziele mit körperlicher Gewalt sowie militanten Aktionen auf der Straße zu realisieren. Sie stellen die Basis der neonazistischen Bewegung dar. Es handelt sich um kleine oftmals namenlose Gruppierungen, sie sind parteipolitisch ungebunden und der Zugang ist niedrigschwellig: Er erfolgt häufig über Konzerte, Fußball sowie andere Subkulturen. Gemeinsame Aktionen, Events sowie Symbole und Codes tragen zur Identitätsbildung bei. Das Repertoire reicht von Aufkleber- und Sprühaktionen im eigenen Viertel bis zu Straßengewalt. Rassismus und ein positiver Bezug zum Nationalsozialismus zählen zu den handlungsleitenden Motiven.

Musik ist eines der wichtigsten Vehikel, um die Ideologie und rechtextremes Lebensgefühl zu vermitteln und ist darüberhinaus ein durchaus profitabler Absatzmarkt. Zu den bekanntesten russischen Neonazibands gehören »Kolowrat«, »Antisystem« oder »Wotan Jugend«. Alle sind offen neonazistisch und beziehen sich positiv auf den Nationalsozialismus. »Kolowrat« besingt in ihren Liedern u. a. die »Helden« der Wlassow-Armee, die im 2. Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierte. Auch Kooperationen zwischen deutschen und russischen Bands haben sich etabliert. So spielten die deutschen Liedermacher Jan Peter und Fygien beim Moskauer Festival »Preis der Freiheit« am 8. Februar 2013. Beide Liedermacher sind feste Größen des deutschen Neonazismus und treten regelmäßig auf Veranstaltungen der NPD auf. Jan Peter, nebenbei Gitarrist der deutschen Rechtsrock-Band »Sleipnir«, werden Kontakte zum neonazistischen Musiknetzwerk »Blood and Honour« und militanten Gruppierungen nachgesagt. Mit der russischen Band »Russkij Stjag«(Russisches Banner) nahm er das Lied »Frei-Sozial-National« auf. Solche Kooperationen zeigen, dass russische Neonazis längst international anschlussfähig und vernetzt sind. Als ideologische Klammer für internationale Kooperation dient das »Ethnopluralismuskonzept«, wonach die »weißen Völker Europas« nebeneinander existieren, sich jedoch nicht »rassisch durchmischen«, und der positive Bezug auf Aspekte des Heidentums.

Wie manifest die Ideologie verankert ist, zeigt sich insbesondere an den extrem rechten Banden, die inzwischen als »Todesschwadrone« Angst und Schrecken verbreiten. Besonders berüchtigt war die sogenannte Wojewodin-Borowikow-Zelle, die für mindestens vier Morde verantwortlich gemacht wird. Bei der Festnahme wurde Borowikow durch Polizisten erschossen, seitdem gilt er als Held und Märtyrer des nationalistischen Widerstands in Russland.

Auch 2012 wurden Haftstrafen gegen Neonazis verhängt: So wurden 10 Mitglieder der »Autonomen terroristischen Kampf-Organisation« (ABTO) wegen einer Serie von Brand- sowie Bombenanschlägen zu 8 bis 10 Jahren Haft verurteilt. In Moskau wurden Mitglieder der Gang von Jan Ljutik (eigtl. Jemeljan Nikolajew) wegen der Beteiligung an mehreren »ethnisch motivierten« Angriffen auf Migranten zu 8 bis 19 Jahren Gefängnis verurteilt.

Im Falle langjähriger Haftstrafen können sich die Täter der Solidarität ihrer Kameraden in Form von Spendenaktionen, Informationen sowie Solidaritätsbekundungen gewiss sein. Die Internetseite »geroivoli« veröffentlicht die Namen und die Geschichten zu Inhaftierten, Verstorbenen sowie vermeintlichen Verrätern. Die Wahrnehmung, durch einen als illegitim empfunden Staat politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein, gehört mittlerweile zum kollektiven Identitätsmuster der extremen Rechten. Dies schafft Anknüpfungspunkte zur Oppositionsbewegung, die sich oft nicht ausreichend von Neonazis abgrenzt. So sprachen auch hochrangige Neonazis im Dezember 2011 auf Protestkundgebungen vor mehreren tausend Demonstranten. Der bekannte Neonazi Wladimir Tor nutzte die öffentliche Auftrittsmöglichkeit, um seine Solidarität für »nationale« politische Gefangene kund zu tun.

Nach den Protesten im Winter 2011/12

Die Teilnahme am Protest der demokratischen Opposition gegen Putin und die damit verbundene Unterstützung pro-westlicher Ideen hat eine Spaltung des rechten Lagers in Gang gesetzt. Die unerfüllte Hoffnung auf eine eigene Partei führt bei vielen Neonazis zur Präferenz »direkter Aktionen« gegen Minderheiten. Handlungsdruck sieht dabei der Staat meist nur dann, wenn sein Macht- oder Gewaltmonopol in Frage gestellt wird. Daher ist der Zugang zum Parlament blockiert und es erfolgen Organisationsverbote. Unbestritten existierten mit der Extremismusgesetzgebung und dem Strafrecht mächtige Instrumente gegen die extreme Rechte. Aufgrund der hohen Ideologisierung der Täter, der Anschlussfähigkeit in der Gesellschaft, der mangelnden politischen Alternativen und dem Unwillen, Änderungen im Ursachenbereich herbeizuführen sind diese nur bedingt wirksam.

Lesetipps / Bibliographie

  • Golova, Tatiana; Kusche, Robert; Weinmann, Ute: Hate Crime in Russia. Monitoring and Support for Victims of Racist Violence. With the assistance of: Anzhelika Avdeeva, Sebastian Friedrich, Sabine Seyb. Berlin, Berlin: Reach­Out – Victim Counselling and Education against Right-wing Extremism, Racism and Anti-Semitism, a project by ARIBA e.V. Oktober 2010 (= http://www.stiftung-evz.de/w/files/publikationen/hc-ru-vollversion-en-freigaberea chout-3-.pdf, 4. Mai 2011), 82 S.
  • Beichelt, Timm; Minkenberg, Michael: Rechtsradikalismus in Osteuropa: Bilanz einer Debatte, in: Osteuropa, 52.2002, Nr. 8, S. 1056–1062.
  • Laryš, Martin und Mareš, Miroslav: Right-Wing Extremist Violence in the Russian Federation. In: Europe-Asia Studies, 63.2011, Nr. 1, S. 129–154.
  • Varga, Mihai: How Political Opportunities Strengthen the Far Right: Understanding the Rise in Far-Right Militancy in Russia, in: Europe-Asia Studies, 60.2009, Nr. 4, S. 561–579.
  • Verkhovsky, Alexander [Verchovskij, Aleksandr]: The Ultra-Right in Russia 2012, September 2012 (= FES International Policy Analysis http://library.fes.de/pdf-files/id-moe/09348.pdf, 4.10.2012), 8 S.
  • Worger, Peter: A mad crowd. Skinhead youth and the rise of nationalism in post-communist Russia, in: Communist and Post-Communist Studies, 45.2012, Nr. 3–4, S. 269–278.
  • Zuev, Denis: The Russian March: Investigating the Symbolic Dimension of Political Performance in Modern Russia, in: Europe-Asia Studies, 65.2013, Nr. 1, S. 102–126.
  • Zahlen zu rassistischer Gewalt finden sich unter http://www.sova-center.ru/en/database/

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