Berlin, 25.5.2013
Die russischen Behörden greifen die Freiheit der Wissenschaft an. Ins Visier geraten ist das unabhängige Levada-Zentrum für Meinungsforschung. Die Bezirksstaatsanwaltschaft Savelovskaja in Moskau hat das Institut am 15.5.2013 wegen Verstößen gegen das Gesetz über nichtkommerzielle Organisationen verwarnt. Das Levada-Zentrum erhalte »Finanzierung aus dem Ausland« und übe durch die Publikation seiner Untersuchungen eine »politische Tätigkeit« aus. Damit erfülle es die »Funktion eines ausländischen Agenten«. Wir verurteilen entschieden diesen Versuch der russischen Behörden, das Levada-Zentrum unter seinem Direktor Prof. Dr. Lev Gudkov als »ausländische Agenten« zu diffamieren.
Das Vorgehen läuft auf den Versuch hinaus, die Arbeit des Zentrums zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft diffamiert wissenschaftliche Kooperation und die Standards der Wissenschaftsgemeinde, zu der internationaler Austausch selbstverständlich gehört. Damit konterkariert sie Russlands Anspruch, gleichberechtigter Partner einer offenen weltweiten Forschung zu sein. In ihr gilt das Levada-Zentrum als eine Institution von hohem Rang. Wer ein detailliertes Bild über Gesellschaft, Politik und Öffentliche Meinung in Russland gewinnen will, ist auf die transparente Arbeit des Zentrums angewiesen. Bedroht ist nicht nur das Levada-Zentrum, sondern jede unabhängige empirische Sozialforschung in Russland. Das Vorgehen der Behörden ist ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft und die Meinungsfreiheit. Dies stellt eine Verletzung der russischen Verfassung und der Europäischen Konvention für Menschenrechte dar.
Der Angriff auf das Levada-Zentrum leitet eine neue Stufe in der Politik ein, jene Kräfte der russischen Zivilgesellschaft einzuschüchtern und zu zerstören, die der Staatsmacht nicht genehm sind. Seit März 2013 sind rund 600 NGOs staatsanwaltschaftlich überprüft worden. Ihre Stigmatisierung als »ausländische Agenten« ist eine Propaganda-Methode, deren Wurzeln im Stalinismus liegen und die der sowjetische Geheimdienst gegen Menschenrechtler und Dissidenten anwandte. Dies können und dürfen wir nicht akzeptieren.
Wir fordern die russischen Behörden auf, ihr verfassungswidriges und internationales Recht verletzendes Verhalten zu beenden und die Stigmatisierung des Levada-Zentrums als »ausländischer Agent« einzustellen.Wir fordern die Parlamentarische Versammlung des Europarats auf, eine Entschließung zu verabschieden, in der die staatsanwaltschaftlichen Massenüberprüfungen russischer nichtkommerzieller Organisationen und ihre Stigmatisierung als »ausländische Agenten« verurteilt werden. Wir fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, Angehörige der Medien und alle, denen die Freiheit der Wissenschaft, die Meinungsfreiheit und die Zivilgesellschaft wichtig sind, dazu auf, sich durch ihre Unterschrift unter diesen Aufruf mit dem Levada-Zentrum solidarisch zu zeigen.
Was tun? Verbreiten Sie den Solidaritätsaufruf (dt., engl., russ., franz., ital.) sowie das Material.
Unterschreiben Sie den Aufruf [https://www.change.org/de/Petitionen/keine-stigmatisierung-des-levada-zentrums-als-ausl%C3%A4ndi scher-agent] oder senden Sie Ihre Zustimmung an osteuropa@dgo-online.org
Senden Sie Solidaritätserklärungen an das Levada-Zentrum: gudkov@levada.ru und direct@levada.ru
Erstunterzeichner
Prof. Dr. Jörg Baberowski, Historiker, Humboldt Universität Berlin
Marie-Luise Beck, MdB, Sprecherin für Osteuropapolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Dr. Klaus Bednarz, Fernsehjournalist, Köln
Prof. Dr. Timm Beichelt, Politikwissenschaftler, Universität Viadrina Frankfurt
Prof. em. Dietrich Beyrau, Historiker, Universität Tübingen
Prof. Dr. Thomas Bremer, Religionswissenschaftler, Universität Münster
Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin
Prof. em. Wolfgang Eichwede, Gründungsdirektor der Forschungsstelle Osteuropa, Bremen
Prof. Dr. Maria Ferretti, Historikerin, Roma
Dr. Mischa Gabowitsch, Soziologe, Zeithistoriker, Einstein Forum, Potsdam
JProf Caroline von Gall, Juristin, Institut für Ostrecht, Universität Köln
Dr. Gerd Koenen, Historiker und Publizist Frankfurt/Main
Dr. Petr Kratochvíl, Direktor Institut für Internationale Beziehungen, Prag
Prof. Dr. Jan Kusber, Vorsitzender des Verbands der Osteuropahistoriker, Universität Mainz
Prof. Dr. Andreas Langenohl, Soziologe, Universität Gießen,
Prof. Dr. Sebastian Lentz, Geograph, Direktor des Leibniz Instituts für Länderkunde, Leipzig
Prof. Dr. Rainer Lindner, Historiker, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin
Markus Löning, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik, Berlin
Sonja Margolina, Publizistin, Berlin
Prof. Dr. Birgit Menzel, Slavistin, Universität Mainz-Germersheim
Dr. Grigorij Mesežnikov, Präsident des slowakischen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts IVO, Bratislava
Prof. em. Margareta Mommsen, Politikwissenschaftlerin, Feldafing
Prof. em. Dr. Hans Mommsen, Historiker, Feldafing
Dr. Stefan Meister, Politikwissenschaftler, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin
Prof. Dr. Sighard Neckel, Soziologe, Universität Frankfurt/Main
Prof. em. Dr. Claus Offe, Soziologe und Politikwissenschaftler, Berlin
Ruprecht Polenz, MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin
Prof. em. Dr. Ulrich K. Preuß, Jurist, Hertie School of Governance, Berlin
Katharina Raabe, Lektorin für osteuropäische Literaturen, Suhrkamp-Verlag, Berlin
Dirk Sager, Fernsehjournalist, Potsdam
Dr. Manfred Sapper, Chefredakteur Osteuropa, Berlin
Prof. em. Dr. Karl Schlögel, Historiker, Publizist, Berlin
Prof. Dr. Ulrich Schmid, Slavist, Kulturwissenschaftler, Universität St. Gallen
Dr. Andreas Schockenhoff, MdB, Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit
Prof. Dr. Hans-Henning Schröder, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Dr. Susanne Schüssler, Verlegerin, Wagenbach-Verlag Berlin
Prof. em. Dr. Dr. h.c. Dieter Senghaas, Friedensforscher, Bremen
Prof. Dr. Eva Senghaas, Sozialwissenschaftlerin, Bremen
Prof. Silvia von Steinsdorff, Politikwissenschaftlerin Humboldt Universität Berlin
Prof. em. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., Berlin
Prof. Dr. Stefan Troebst, Slavist, Zeithistoriker, Universität Leipzig
Prof. Klaus Wagenbach, Verleger, Wagenbach-Verlag, Berlin
Dr. Volker Weichsel, Redakteur Osteuropa, Berlin
Prof. Dr. Michael Zürn, Politikwissenschaftler, Direktor, Wissenschaftszentrum Berlin
Quellle: http://www.zeitschrift-osteuropa.de/support-levada/de