Ein Fiasko der Soziologie
Alexej Roschtschin, Experte bei der Stiftung »Zentrum für politische Technologien«, räumt ein, dass die Wahlsoziologie in Russland in eine Krise geraten ist. Keinem der namhaften Meinungsforschungsinstitute ist es gelungen, eine annähernd brauchbare Prognose zu den Ergebnissen der Bürgermeisterwahl in Moskau zu erstellen. Die Diskrepanz zwischen den Prognosen von Lewada-Zentrum, FOM, WZIOM und Comcon sei so signifikant gewesen, dass die Öffentlichkeit den Soziologen wegen ungenauer Zahlen Befangenheit vorwerfe. Während nach Schätzung von WZIOM mit 48 % der Wahlbeteiligung zu rechnen gewesen sei, nahmen an den Bürgermeisterwahlen tatsächlich nur noch 33 % der Moskauer teil. Das lege Systemprobleme bei der Erstellung von Prognosen bloß und mache es notwendig, die verwendeten Methoden künftig zu überdenken.
»Warum sich die Soziologen geirrt haben« von Alexej Roschtschin, 11. September 2013, https://www.facebook.com/alexey.roshchin/posts/570157676390108
Nichts Neues in der Soziologie
Denis Wolkow, Soziologe beim Lewada-Zentrum, antwortet auf die Kritik an seiner Zunft und erklärt die »Blamage« der Meinungsumfrageinstitute bei den Wahlumfragen durch das Zusammentreffen und die Wechselwirkungen von mehreren Faktoren. Er weist darauf hin, dass dieses Instrument per se keine absoluten Zahlen liefern könne, weil ihm eine gewisse Fehlerquote, in gewissem Sinne eine Relativität immanent sei. »Der Sinn [und Zweck der Wahlumfragen] besteht nicht darin, eine Ziffer zu liefern, sondern die aktuellen Prozesse zu verstehen«, so Wolkow. Die genauen Zahlen seien nur durch Exit-Polls feststellbar. Der Soziologe kritisiert dabei den Wahlkampfstab Nawalnyjs für die Instrumentalisierung »eigener soziologischer Untersuchungen« während der Wahlkampagne. Die genaue Analyse werde aber erst im Rahmen einer Tagung von Soziologen der Umfrageinstitute zu den vergangenen Regionalwahlen veröffentlicht, die demnächst in Moskau stattfinden soll.
»Keine Entschuldigungen :)« von Denis Wolkow, 11. September 2013, http://echo.msk.ru/blog/denisvolkov/1155088-echo/
»Putins ist unabwählbar«
Der Oppositionelle und ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow behauptet, ein Machtwechsel durch Wahlen sei im System Putin nicht möglich. Die Staatsmacht bestimme nach wie vor aus der aktuellen politischen Situation heraus die Spielregeln sowie das Niveau von Fairness und Transparenz bei den Wahlen. Die Moskauer Wahlen waren vergleichsweise fair. Die anderen Regionalwahlen verliefen nach altbekannten Mustern mit dem Einsatz administrativer Ressourcen, einer Ablehnung der Registrierungsanträge oppositioneller Kandidaten und Parteien, mit Wahlverstößen und Fälschungen bei den Stimmenauszählungen. Der ganze Wahlprozess stand jedoch in allen Regionen unter Kontrolle und selbst in Moskau wäre das gesamte »Tschurowsche Arsenal« im Notfall eingesetzt worden [Tschurow ist der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission; d. Red.].
»Putins Regime lässt sich durch Wahlen nicht ablösen« von Garri Kasparow, 16. September 2013, http://echo.msk.ru/blog/kasparov_garry/1158328-echo/
Legitimierung des Nationalismus in Russland
Die vergangenen Wahlen haben Signalcharakter für das politische System Russlands und die Opposition. Es hat sich endgültig ein Protest gegen das System herausgebildet. Als zweites Ergebnis wird die Legalisierung des »antikonstitutionellen und undemokratischen Procedere der Wahlen« im Ganzen und des »kommunalen Filters« im Besonderen genannt. Das Hauptergebnis der Moskauer Wahlen sei jedoch Legitimierung von Nationalismus, meint der Journalist der »Nowaja Gaseta« Arkadij Babtschenko. Die liberale Wählerschaft habe Alexej Nawalnyj zu ihrem alternativlosen Oppositionsführer bestimmt und die Augen vor seiner Beteiligung am »Russischen Marsch« und seiner nationalistischen Rhetorik verschlossen.
»Bilanz der Wahlen« von Arkadij Babtschenko, 17. September 2013 http://starshinazapasa.livejournal.com/681778.html
Putin vs. Oppositionelle auf dem Waldai
Prominente Politiker aus der außersystemischen Opposition – Gennadij Gudkow, Wladimir Ryschkow, Ksenija Sobtschak, Ilja Ponomarjow, Jewgenij Rojsman – haben am Waldai-Forum teilgenommen. Das sei ein Triumph des Präsidenten über die Regimekritiker, schreibt der Schriftsteller und Politiker Eduard Limonow. Der Vorsitzende der nicht registrierten Partei »Anderes Russland« behauptet, Putin nutze auf dem Waldai die Anführer der Bolotnaja-Opposition, die schon lange mit der Macht kooperieren sollten, als Kriegsbeute. Die zur Schau gestellte »Courage« Putins richte sich in erster Linie an die ausländischen Gäste und Journalisten, um die eigene Stärke erneut zu bekräftigen. Die »echte« Opposition werde Putin nie zum Dialog einladen.
»Putin hat sich köstlich amüsiert – auf fremde Kosten« von Eduard Limonow, 24. September 2013, http://limonov-eduard.livejournal.com/375820.html
Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin
(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache)