»Russische Politik hat es verdient«
Russland begeht am 4. November den Tag der Volkseinheit. Das ist ein neuer alter Feiertag, der im zaristischen Russland als »Tag der Befreiung Moskaus von polnischen Okkupanten« bekannt war. Bolschewiki ersetzten ihn ihrerseits durch den Tag der Oktoberrevolution. Im Jahr 2005 erklärte die Staatsduma den 4. November in Anknüpfung an die vorrevolutionäre Tradition zum »Tag der Versöhnung und Einigung«. Dabei habe der Kreml, so Gennadij Gudkow in seinem Blog, die Absicht, einen »künstlichen Patriotentag« ins Leben zu rufen und zugleich durch die Abschaffung des alten sowjetischen Feiertages die Kommunisten und linken Kräfte zu schwächen. Die Rechtskonservativen, Nationalisten, Monarchisten, Kosaken und Rechtsradikalen griffen die Initiative enthusiastisch auf und veranstalten seitdem jährlich zu diesem Anlass sogenannte »Russische Märsche«. Das Bild der »Russischen Märsche« ist von rassistischen Parolen, wie etwa »Russland den Russen«, »Schluss damit, den Kaukasus durchzufüttern« und Nazi-Symbolen geprägt. In diesem Jahr fanden nationalistische Aufmärsche in den meisten russischen Großstädten statt, von Kaliningrad bis Wladiwostok. Gudkow behauptet, in der Bevölkerung sei die Nachfrage nach »wahren nationalen Ideen« sehr groß. Er warnt die Führungsschicht, dass der fehlende Dialog zwischen politischen Eliten und der Opposition nur zu einer weiteren Radikalisierung des Protests führen werde, was Russland schließlich in eine »nationale Katastrophe« führen könne.
»Bilanz des 4. November 2013« von Gennadij Gudkow, 5. November 2013 <http://gudkov-gennadij.livejournal.com/ 146674.html>
»Vom Tag der Volkseinheit zum Fest des Nationalismus«
Der Jurist und Menschenrechtler Igor Karnilow erörtert die Entwicklung des Tages der Volkseinheit zu einem Fest des Separatismus, Nationalismus und radikalen Chauvinismus: »Das ist ein Trend, mit der geistigen Klammer des Kreml, Bikern, orthodoxen Aktivisten und ›Sieg Heil‹-Jugendlichen«. Der Uljanowsker Blogger kritisiert dabei weniger die jungen Teilnehmer des Russischen Marsches, sondern in erster Linie ihre Eltern und den Staat wegen fehlender politischer Bildung. Gehirnwäsche hat starken Einfluss auf Teenager, die ohnehin naturgemäß nach der Angehörigkeit zu Gruppen von Gleichgesinnten streben. Ob kremlnahe Jugendorganisation wie »Naschi«, ob nationalistische Vereinigungen oder auch kriminelle Gruppierungen – alle haben ähnliche Spielregeln, bei denen sich die Jugendlichen leicht manipulieren lassen, nicht zuletzt wegen der oft fehlenden Einsichtsfähigkeit, ihrem Verhalten eine adäquate Bedeutung und Tragweite beimessen zu können.
»Also – auf die Befreiung des Kreml von den Eroberern!« von Igor Karnilow, 4. November 2013 <http://wapkin.livejour nal.com/1462371.html>
»Ich will, kann aber nicht«
»Nach wie vor unterstütze ich den Russischen Marsch als Idee und als Veranstaltung und bin grundsätzlich bereit, mit Informationen oder in anderer Weise zu helfen. In der aktuellen Lage kommt aber eine Beteiligung für mich nicht in Frage«, so Alexej Nawalnyj. Seit 2007 nahm der Regimekritiker jedes Mal an den Russischen Märschen teil, in diesem Jahr aber sagte er seine Teilnahme offiziell ab, rief aber gleichzeitig seine Anhänger zur Teilnahme auf. Seine Haltung erklärte er damit, er wolle den kremltreuen Propagandisten keine Gelegenheit bieten, ihn vor Jugendlichen mit Hitlergruß abzubilden. Er befürchte, der Kreml würde diese Materialen im Fernsehen zu Propagandazwecken ausnutzen. Zum Schluss rief Nawalnyj alle auf, zum Russischen Marsch zu gehen, mit Hinweisen und genauen Zeit- und Ortsangaben sowie Links zur Veranstaltung.
»Russkij Marsch« von Alexej Nawalnyj, 2. November 2013, <http://navalny.livejournal.com/877154.html>
»Nawalnyj ist nicht reif für die Politik«
Die Stellungnahme von Nawalnyj zum Russischen Marsch stieß auf scharfe Kritik des liberalen Lagers und löste heftige Debatten in der russischen Blogosphäre aus. Der Schriftsteller Boris Akunin, der zu den wichtigsten Anführern der Winterproteste 2011/12 zählt und Nawalnyj bisher bei seinen wichtigsten Projekten sowie seine Kandidatur bei den jüngsten Bürgermeisterwahlen in Moskau unterstützte, äußerte starke Bedenken hinsichtlich dessen politischer Zukunft: »Meiner Meinung nach ist die Teilnahme am Russischen Marsch ein Zeichen der Berufsunfähigkeit für einen Menschen, der einen Anspruch darauf erhebt, Anführer der demokratischen Opposition zu sein«.
»Zu Alexej Nawalnyj und dem Russischen Marsch« von Boris Akunin, 03. November 2013 <http://borisakunin.livejour nal.com/114194.html>
»Zur Überlegenheit russischer ›Europäer‹ gegenüber den Nicht-Europäern«
Jewgenij Gontmacher, stellvertretender Direktor des Institutes für moderne Entwicklung der Russischen Akademie der Wissenschaften, setzt sich mit der nationalistischen Ideologie Nawalnyjs und seinen Verbündeter auseinander. Der Ökonom diskutiert über einen Wedomosti-Artikel, in dem der Geschäftsführer der Stiftung für Korruptionsbekämpfung und die rechte Hand Nawalnyjs Wladimir Aschurkow, der bei politischen Debatten in der Regel im Schatten steht, nahezu eine neue Rassentheorie vorstellte. Gontmacher kritisiert Aschurkow für »billigen Populismus« und insbesondere für seine These, die russischen Europäer seien mit den nicht-europäischen Einwanderern nicht kompatibel. Die Argumentation von Aschurkow beruht dabei vor allem auf den vier folgenden Argumenten: nicht ausreichende Sprachkenntnisse bei Migranten, Ungleichstellung von Frauen in der Herkunftsgesellschaft, Weigerung der Anerkennung von Bildungssystem und Kultur sowie fehlende Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Gontmacher zufolge seien die Russen bei solchen Kriterien, etwa in Bezug auf Toleranz und Gleichberechtigung von Frauen, selbst weit von Europa entfernt.
»Zur Überlegenheit russischer ›Europäer‹ gegenüber den zugezogenen ›Nicht-Europäern‹ von Jewgenij Gontmacher«, 4. November 2013 <http://www.echo.msk.ru/blog/gontmaher/1191300-echo/>
Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin
(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache)