»Wahrheitsministerium«
Zur Umstrukturierung der staatlichen Auslandsmedien

»Kein Witz«

Am 9. Dezember 2013 hat Wladimir Putins die Fusion der Nachrichtenagentur »RIA Novosti« und des Radiosenders »Stimme Russlands« verkündet. Auf deren Grundlage soll nunmehr eine Informationsagentur »Rossija Sewodnja« (Russland heute) entstehen. Der neue Auslandsrundfunk soll künftig über Politik und Gesellschaft Russlands berichten und weltweit für ein positives Image sorgen. Zum Chef der neuen Medienholding wurde Fernsehmoderator Dmitrij Kiseljow ernannt, der für aggressive Äußerungen gegenüber Homosexuellen und für seine radikale antiwestliche Agitation bekannt ist. Diese Nachricht überraschte die russische Öffentlichkeit und Blogosphäre. Als einer der Ersten kommentierte Alexej Nawalnyj in seinem Blog die Gründung der neuen staatlichen Medienholding: »Staatspropaganda muss ihr wahres Gesicht haben und Kiseljow passt da ideal […]«

»Prächtige Nachrichten« von Alexej Nawalnyj, 9. Dezember 2013; <http://navalny.livejournal.com/888734.html>.

Das Ziel ist unerreichbar

Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitschrift »Russkij Reportjor« Dmitrij Sokolow-Mitritsch bezweifelt den Erfolg einer neuen Kampagne zur Imageverbesserung Russlands im Ausland. In der PR-Arbeit spiele die »Wahrheit über das Produkt« eine entscheidende Rolle. Klassische Werbekampagnen würden auf diesen positiven »Wahrheiten« aufgebaut. In der russischen Wirtschaft sowie der Innen- und Außenpolitik ist diese notwendige Komponente nur schwerlich zu finden. Was sollen Journalisten von »Rossija segodnja« künftig nach außen verkaufen? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

»Zu Rossija Segodnja und der Wahrscheit des Produkts« von Dmitrij Sokolow-Mitritsch, 10. Dezember 2013; <http://smi trich.livejournal.com/1859344.html>.

Säuberungsaktionen im Mediensystem

»Zählte die Agentur RIA Novosti zu den oppositionellen Medien? Nein! Sie hatte bloß ein lebendiges Content. Ihre Journalisten waren lebendig. Ihre Projekte waren lebendig. Nun spielt es keinerlei Rolle, ob RIA Novosti gegen Putin Ränke schmiedete oder nicht. Es ist nun mal eine Zeit, in der das Lebendige zu liquidiert ist. Das System braucht geistige Stagnation, wie etwa Medinskij oder eben Kiseljow. Gefördert wird nur Totes, Geistloses, Stumpfes. ITAR-TASS ist in diesem Sinne ideal«, kommentierte Andrej Malgin die Auflösung der Nachrichtenagentur RIA Novosti. Der Schriftsteller und Blogger behauptet, dass Konstantin Ernst im Prozess der Umstrukturierung des Mediensystems als Nächster geopfert werde. Der langjährige Chefredakteur des Ersten Kanals fällt aus der aktuellen Medienlandschaft heraus. Der Erste Kanal ist kreativ, lebendig und produziert Sendungen auf einem sehr hohen Niveau. Konstantin Ernst passt trotz seiner Treue zum Regime nicht mehr zum Profil und ist damit ein Fremdkörper im System. Seine Entlassung kann allerdings erst nach den Winterspielen in Sotschi erfolgen, da Ernst für die Eröffnungs- und Schlussfeier verantwortlich ist.

»Tote und Lebendige« von Andrej Malgin, 10. Dezember 2013; <http://avmalgin.livejournal.com/4202246.html>

Droht dem Chef des »Ersten Kanals« die Entlassung?

Gerüchten zufolge muss Konstantin Ernst demnächst die Stelle des Chefredakteurs des Ersten Kanals räumen. Dieser war zwar wie alle anderen zentralen Kanäle servil und kooperierte gerne mit der Präsidialadministration. Die Unterhaltungssendungen hätten allerdings hohe Qualität und blieben in der Fernsehlandschaft Russlands in der Regel konkurrenzlos. Konstantin Ernst war fleißig, kreativ und zählte angesichts seiner erfolgreichen Projekte zu den besten Fernsehproduzenten Russlands. Zweifellos wird wieder ein konformer kremlnaher Journalist auf seine Stelle gesetzt. Es bleibt aber fraglich, ob der neue Chefredakteur in der Lage sein wird, das hohe Niveau des Ersten Kanals zu halten. Generell erlebt das Fernsehen in Russland momentan einen Niedergang und kehrt zum sowjetischen Modell zurück. Alle bedeutenden Fernsehsender gehören einem Besitzer, nämlich den Kowaltschuks, sprich Putin. So ist 23 Jahre nach der Perestroika »Gosteleradio« (Staatskomitee für Fernsehen und Rundfunk der UdSSR) wieder aufgebaut worden.

»Wo geht Ernst hin?« von Alexej Roschtschin, 15. Dezember 2013; <http://besttoday.ru/posts/9779.html>

Auflösung von RIA Novosti: objektive Gründe und subjektive Prozesse

Die Auflösung von RIA Novosti sei Teil eines Prozesses und kein »isolierter Einzelfall«, analysiert der Chef des renommierten Radiosenders »Echo Moskwy« Alexej Wenediktow in seinem Blog den Erlass von Präsident Putin »Über die Verbesserung der Effektivität der Tätigkeit der Staatsmedien«. Die Konsolidierung von staatlichen Medien im Rahmen einer größeren Medienholding habe objektive und subjektive Gründe.

Zwei große Nachrichtenagenturen, ITAR-TASS und RIA Novosti, mit ihren Auslandsbüros seien eine teure Angelegenheit. Wirtschaftlich gesehen wäre es sinnvoller, ihre Aufgaben zu aufzuteilen, nämlich entlang der Linie »Inland – Ausland«. Des Weiteren ist Putin mit dem Image Russlands unzufrieden und zugleich der festen Überzeugung, dass die Konzentrierung der Medienressourcen von »Stimme Russlands«, RIA und »Russia Today« ein mächtiges Instrument zur Meinungsbildung auf internationaler Ebene sein wird. Schließlich zerstörten soziale Netzwerke das Informationsmonopol der Nachrichtenagenturen und der Werbungsmarkt stagniere. In dieser Situation lässt die Fusion staatlicher Medien die Unterhaltskosten minimisieren.

Die subjektiven Gründe sind komplexer. Die ehemalige Chefin von RIA Novosti Swetlana Mironjuk war vom Staat relativ unabhängig und war bestrebt, unterschiedliche Meinungen zu politischen Sachverhalten zu beleuchten. Mironjuk hatte in der Präsidialadministration und unter den Funktionären, die die Medienpolitik betreuen, viele Feinde. Als letzter Grund gelte das »ukrainische Syndrom«. Präsident Putin sei durch die mediale Konfrontation im »Bruderland« und dem Versagen der russischen Berichterstattung über die Ereignisse dort verärgert; gerade deshalb sei Wladislaw Surkow mit dem »Ukraine-Projekt« betraut worden. Gerade rasche Entwicklung des Protests auf dem »Euromaidan« habe zur schnellen und radikalen Umstrukturierung staatlicher Medien in Russland geführt.

»RIA Nowosti« von Alexej Wenediktow, 13. Dezember 2013; <http://www.echo.msk.ru/blog/aav/1217305-echo/>

»Außenpropaganda hat keinen Zweck«

Wladimir Posner erzählt im Interview für fontanka.ru, warum die neue Medienholding »Rossija segodnja« kaum Aussichten hat. Der namhafte Journalist hat noch zu Sowjetzeiten bei der Presseagentur »Nowosti« (APN) gearbeitet, deren Aufgabe die »Verbreitung wahrer Informationen über die UdSSR im Ausland« war. Posner zu Folge kann außenpolitische Propaganda lediglich in Staaten ohne Massenmedien (denen die Bevölkerung vertraut) oder alternative Informationsquellen funktionieren und hat in entwickelten Ländern mit Pressefreiheit keinen Sinn. Die Wahrnehmung eines Landes im Ausland kann sich nicht verbessern, wenn es keine Veränderungen innerhalb des Landes gibt: »Das Image der Sowjetunion veränderte sich nach dem Amtsantritt Gorbatschows während Perestroika und Glasnost. Und das erfolgte nicht wegen guter Arbeit von APN und der Redaktionen für die USA und Großbritannien, sondern weil das Land selbst Veränderungen erfahren hat«.

»Wladimir Posner über die Zukunft der neuen Informationsagentur ›Rossija segodnja‹ von Posner Online«, 16. Dezember 2013; <http://pozneronline.ru/2013/12/6561/>

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin

(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache)


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