Ukrainischer Traum
Arkadij Babtschenko, russischer Militärjournalist, hat zwei Wochen im Protestlager im Zentrum von Kiew verbracht. Der Kreml-Kritiker erörtert den Ursprung des aktuellen Protests, die Ziele und Forderungen der Ukrainer und vergleicht dabei die Entwicklungen des Euromaidan mit der Bolotnaja-Bewegung 2011 und 2012 in Moskau: »Der jetzige Maidan ähnelt überhaupt nicht dem von vor neun Jahren. Damals war das eine rein politische Geschichte. Alles war organisiert, es gab einen Anführer, es gab Berater, unter anderem externe, es gab Geld und politische Spiele. Hier jetzt kam alles von unten. Vom Boden. Das ist ein prinzipieller Unterschied, Es ist keine Geschichte von Politik, sondern von Freiheit. Von der Wahl des Entwicklungsvektors des Landes.«
Die meisten Ukrainer seien weniger aufgrund der Nicht-Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zur Östlichen Partnerschaft mit der EU auf die Straße gegangen, sondern wegen allgemeiner Unzufriedenheit mit der Politik Janukowytschs, den Missständen im Lande und der allgegenwärtigen Korruption. Die Unzufriedenheit der Ukrainer sei seit Jahren gewachsen, habe nun eine kritische Masse erreicht und sei schließlich explodiert. »Wir haben einfach die Nase voll« laute das Motto des Euromaidan.
Diese Form des Protests hätte laut Babtschenko in Russland keine Aussichten:
»Für einen Maidan braucht man eine Gesellschaft. Und gerade die fehlt in unserem atomisierten Land, das kaum ein Land ist, eher ein Territorium, das von Menschen besiedelt ist, die dieselbe Sprache sprechen, aber darüber hinaus durch nichts miteinander vereint sind.«
»Nachdenken über den Maidan« von Arkadij Babtschenko, 26. Dezember 2013 <http://www.echo.msk.ru/blog/ababchenko/1225971-echo/>
Zum ukrainischen Freiheitsgeist und russischen Gehorsam
Die Wirtschaftsexpertin Tatjana Sucharewa ist, wie viele andere Liberale aus der russischen Blogosphäre, von den Erfolgen der Ukrainer auf dem Euromaidan fasziniert und befasst sich mit der Frage, warum so ähnliche Nationen wie die Russen und die Ukrainer, unterschiedliche Chancen im Straßenprotest gegen den Unrechtsstaat haben. Beide Völker verfügten über gemeinsame Wurzeln, haben eine Geschichte, eine Religion und ähnliche Sprachen. Nach der Wahlfälschung 2004 und der Abkehr von dem Integrationsprojekt mit der Europäischen Union 2013 hätten es ukrainische Bürger durch Massendemonstrationen vermocht, die Politik im Lande direkt zu beeinflussen. Die Russen aber ließen dem Staat jede Übertretung durchgehen: »Die russische Duldsamkeit ist längst schon lexikonreif. In Russland erdulden alle alles: Die Frauen erdulden die unverhohlene Einstellung zu ihnen als dem ›zweitrangigen Geschlecht‹, die Schläge und Beleidigungen der Männer, die Verhöhnungen in den Geburtshäusern und Beratungsstellen, die Diskriminierungen am Arbeitsplatz. Die Unternehmer dulden die Einführung neuer und Erhöhung bestehender Steuern. Die Arbeitnehmer dulden die erbärmlichen Löhne, die dann auch noch verzögert ausgezahlt werden. Und wir alle dulden die Willkür der Bürokraten, Richter und Polizisten.«
»Über russische Duldsamkeit oder: warum Russland nicht die Ukraine ist« von Tatjana Sucharewa, 20. Januar 2014 <http://www.echo.msk.ru/blog/t_suhareva/1241544-echo/>
Ukrainisches Exempel der Furchtlosigkeit
Die bekannte russische Schauspielerin Lija Achedschakowa war ständige Teilnehmerin bei den Massenprotesten gegen Wahlfälschungen 2011 und 2012 in Russland. Das war die Zeit, als Intelligenzija, Mittelschicht, Geschäftsleute und Studenten zum ersten Mal in ihrem Leben massenhaft auf die Straße gingen, um gegen das Regime Putin zu protestieren: »Zwei Jahre sind vergangen, wir sind erheblich weniger zahlreich, nur noch ein Bruchteil, und wir haben nichts gelernt. Wenn einige wenige Tausend auf die Straße gehen, dann kann man die sehr leicht in den Griff kriegen und derart bestrafen, dass die ganze Bevölkerung es aus Angst gefesselt ist. Ich schaue auf das, was in der Ukraine vor sich geht, wo in Kiew eine Million auf der Straße ist, und empfinde riesige Hochachtung für das ukrainische Volk. Ich bin schwarz vor Neid auf die Ukrainer. Es ist klar, dass die Europäische Union ihnen keinen Wohlstand entgegenbringt, doch wollen sie keine Schlinge um den Hals, keinen großen Bruder. Die Ukrainer haben uns eine Lehre in Bürgerengagement und Furchtlosigkeit erteilt.«
»Die Ukraine geben uns eine Lehrstunde der Furchtlosigkeit« von Lija Achedschakowa, 9. Dezember 2013 <http://www.snob.ru/profile/25949/blog/69075>
»Russland hat Ukraine 15 Milliarden Dollar auf Kosten der Amerikaner geschenkt«
»Der Plan des Westens zur Versklavung der Ukraine war recht simpel: a) die ukrainische Eliten bis in die Wurzeln kaufen, b) die Ukraine in ein totales Wirtschaftsloch führen, und c) die Ukraine als Kolonie unterwerfen«, schreibt der kremlnahe Internet-Propagandist Oleg Makarenko, besser bekannt als fritz_morgen. Der Top-Blogger erklärt in seinem Beitrag bei Echo Moskwy Verschwörungspläne der »europäisch-amerikanischen Kolonisatoren« sowie den Sinn und Zweck des Weihnachtsgeschenks von Präsident Putin an Janukowytsch in Höhe von 15 Milliarden Dollar. »Diese mickrige Summe« – gerade 3% der russischen Devisenreserven – habe ausgereicht, um die Ukraine vom Westen »in die richtige Richtung« umzulenken. Der Kreml habe dabei Gelder in ukrainische sogenannte souveräne Bonds investiert, die unter Schutz der britischen Justiz stehen und somit als sicher gelten könnten. Außerdem seien diese Gelder nach Angaben von Makarenko nicht dem Rettungsfonds entnommen, durch den Verkauf von US-Anleihen freigemacht worden
»Warum hat Russland der Ukraine 15 Milliarden Dollar geschenkt?« von Oleg Makarenko, 25. Dezember 2014, <http://www.echo.msk.ru/blog/fritz_morgen/1225195-echo/>
Die zwei Seiten der Barrikaden vom Euromaidan
Der bekannte Fotograf Ilja Warlamow berichtet über seine Erfahrungen nach Besuch von Euromaidan und Gesprächen mit den Demonstranten und Truppen der Sondereinheit »Berkut« in Kiew. Anhand von atemberaubenden Bildern und exklusiven Interviews stellt der Blogger den Alltag der zwei kämpfenden Seiten dar, das Versorgungs- und Sicherheitssystem des Protestlagers, Besonderheiten der Pressearbeit von Berkut, die Einstellung der Straßenkämpfer und Polizisten zu Janukowytsch und den Anführern der Opposition.
»Revolution in Kiev, Ukraine«, 27. Januar 2014 (Englisch), <http://zyalt.livejournal.com/984735.html>
»Kalte ukrainische Nacht«, 24. Januar 2014 (Russisch), <http://zyalt.livejournal.com/984246.html>
»The other side of Maidan«, 27. Januar 2014 (Englisch), <http://zyalt.livejournal.com/985632.html>
»Maidan in den Augen von Berkut«, 25. Januar (Russisch), <http://zyalt.livejournal.com/984379.html>
Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin
(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind, sofern nicht anders angegeben, in russischer Sprache)