Putins Sternstunde

Am 18. März 2014 hat Wladimir Putin eine feierliche Rede zur Aufnahme der Krim in die Russische Föderation gehalten. Fast eine Stunde lang sprach der Präsident im prächtigen Georgssaal des Kremlpalastes über die gemeinsame Geschichte, kulturelle und sprachliche Verflochtenheit der Region mit Russland und über die »Wiederherstellung historischer Gerechtigkeit«. Die NATO und der Westen wurden wegen Rhetorik aus den Zeiten des Kalten Krieges sowie »rüdem, unverantwortlichem und unprofessionellem« Agieren in der Ukraine-Krise mit einem Trommelfeuer der Kritik überzogen (Protokoll der Ansprache des Präsidenten der Russischen Föderation vom 18. März 2014; <http://kremlin.ru/transcripts/20603>). Als »National-Verräter« und »fünfte Kolonne« wurden die innerrussischen Gegner der Kremlpolitik bezeichnet. Mehrmals unterbrach das Publikum die Siegesrede Putins mit Applaus. Unter den Duma-Abgeordneten, Senatoren, Ministern und Vertretern der politischen Elite Russlands herrschte Euphorie.

Die Blogger in Russland haben auf die Botschaft Putins ambivalent reagiert. Die meisten waren sich aber einig, dass dies die stärkste Rede Wladimir Putins seit dem Auftritt bei der Sicherheitskonferenz 2007 in München war. Im Folgenden sind einige Beiträge aus der russischen Blogosphäre zusammengefasst.

Wie geht man in das Lehrbuch für Geschichte ein?

»Daran ist nichts zu drehen und zu deuteln: es geschehen bei uns historische Ereignisse. Selbst wenn Sie aus irgendwelchen Gründen Putin nicht mögen sollten. Und wenn Sie die Angliederung der Krim für einen großen Fehler halten. Historische Ereignisse muss man nicht unbedingt mögen. Sie müssen auch nicht immer tadellos sein. Putin ist in die Lehrbücher für Geschichte eingegangen. Die Rede Putins, die man höchstwahrscheinlich die ›Krim-Rede‹ nennen wird, wird in diese Lehrbücher mit ganzen Absätzen eingehen. Auch wenn das Sammeln russischer Länder mit der Krim endet. Allerdings: man sollte nun nicht kleckern, sondern klotzen! Transnistrien sehnt sich [danach]. Abchasien und Südossetien träumen auch davon. Die Osseten sollen sich doch logischerweise vereinigen – sie sind ja definitiv ein geteiltes Volk.«

Anton Orech, Blog bei Echo Moskwy vom 18. März 2014 <http://www.echo.msk.ru/blog/oreh/1281952-echo/>

Man muss die Gelegenheit beim Schopf packen

»Was soll ich sagen, da stockt einem der Atem nach dieser Zeremonie im Kreml! Die Masken sind gefallen. Es ging ihnen nicht um Scheinaktion oder irgendwelche Vorteile. Alle im Raum mit eminentem Auftreten. Die historische Bedeutung haben sie wohl alle begriffen. […] Mich hat nur eine einzige Aussage Putins alarmiert: ›Glauben Sie jenen nicht, die beschreien, dass auch andere Regionen der Krim folgen werden‹. Ich denke, alarmiert hat dieser Satz auch die gegen die Ukraine rebellierenden Menschen in Donezk, Charkow, Lugansk, Odessa, Cherson und Nikolajew. Man muss, verehrter Wladimir Wladimirowitsch, das Eisen schmieden, solang es heiß ist. Mein Rat. Lasst uns diese Regionen in Russland aufnehmen!«

Eduard Limonow: Man muss das Eisen weiter schmieden, solang es heiß ist, 18. März 2014 <http://limonov-eduard.live journal.com/454195.html>

Reaktion von Oleg Kaschin

»Ich bin auf diejenigen Leuten ein wenig neidisch, die immer die Antwort parat haben, sie schämten sich und so weiter. Ich habe einen solches Körperteil leider nicht. Manchmal hilft das, manchmal stört es, jetzt verstehe ich es einfach nicht. Ein solcher Schritt in die Fantastik, und der Atem stockt einem vor diesen beiden Emotionen – vor Jubel und vor Schrecken. Das Russland, in dem wir bisher gelebt haben, gibt es nicht mehr. Eigentlich ist es ja kein großer Verlust«.

Oleg Kaschin bei Facebook vom 18. März 2014 <https://www.facebook.com/oleg.kashin/posts/10152340633403112>

Warum ich die ukrainische Staatsangehörigkeit beantrage

»Natürlich habe ich die gestrige Rede Putins angehört. Seine beste Rede. Wenn man hochmotiviert ist, etwas zu sagen, spricht man gut. Wenn man einer Frau seine Liebe gesteht, gelingt ein exzellenter Text. So war es auch gestern. Putin hat seine Sternstunde erlebt und natürlich eine viel stärkere und argumentativere Rede gehalten als je zuvor. Die Frage ist aber, was kommt danach? Diesen historischen Tag werden wir überleben, aber was kommt morgen? Russland bleibt wie zuvor ein Staat der totalen Korruption, den die ganze Welt als ein Land zweiter Wahl ansieht. Und die Ukraine bekommt eine Chance ein europäisches Land zu werden, und sei es nur zweiter Klasse und nicht erster Klasse wie Deutschland und Großbritannien.«

Stanislaw Belkowski bei snob.ru vom 19. März 2014 <http://www.snob.ru/profile/25718/blog/73864>

National-Verräter

»Na, haben Sie alle gestern zugehört? Haben Sie das wichtigste vernommen? Nein, das ging nicht um die Krim. Krim ist die Agenda von gestern. […] Der wichtigste Satz seiner ganzen Rede, ja nicht mal ein Satz, sondern zwei Wortgefüge, zwei äußerst wichtige Anker, die nun das Leben in unserem Land bestimmen werden, waren folgende sechs Wörter: ›gewisse fünfte Kolonne‹ und ›National-Verräter verschiedener Art‹.

Die National-Verräter… Wissen Sie, wen er damit meint? Uns alle. Wir sind nun alle National-Verräter, liebe Freunde. Das hat der Präsident unseres Landes gestern selbst von der Tribüne […] verkündet.

Da bin ich nun, Veteran zweier von meinem Land angezettelter Kriege, und in den Worten des Präsidenten dieses meines Landes ein National-Verräter. Alle diejenigen, die am Marsch [gemeint ist der Antikriegmarsch vom 15. März 2014 in Moskau; S.M.] teilgenommen haben. Alle, die aus eigenem Versäumnis immer noch bei unabhängigen Medien arbeiten. Oder bis vor kurzem gearbeitet haben, bis die geschlossen wurden. Alle, die keinen Krieg wollen. Alle, die keine Flut von Särgen ihrer Kinder wollen. Alle, die für freie Wahlen und Willensäußerung stehen. Alle, die gegen Korruption und die Gauner sind. Alle, die ganz banal für die Freiheit sind. All die sind National-Verräter. Das hat Putin gestern gesagt.

Der Führer hat seinen Dienern die Richtung vorgegeben. Der innenpolitische Kurs ist abgesteckt. Ich denke, bis zu den Repressionen, und ich meine Massenrepressionen, bleibt nicht sehr viel Zeit. Sie haben schlicht keine andere Wahl mehr. Vom dem Augenblick an, von dem der Vater der Völker von der Tribüne ›Volksfeinde‹ sagt, bleibt aus mehreren Varianten der zukünftigen Entwicklung nur eine, nämlich der Weg in die Lager. Das ist eine Einbahnstraße. Und dann alles nach dem Lehrbuch: Säuberungen, Pogrome, Krieg, dann Bürgerkrieg, und danach schon Zusammenbruch und Zerfall. Ich denke, unser Land wird am Arsch sein«.

Arkadij Babtschenko bei snob.ru vom 19. März 2014 <http://www.snob.ru/profile/27517/blog/73849>

Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin


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