Am 6. April 2014 fanden in Nowosibirsk, der drittgrößten Stadt Russlands vorgezogene Bürgermeisterwahlen statt. Der Oppositionskandidat Anatolij Lokot – ein Abgeordneter der Staatsduma von der Kommunistischen Partei – gewann mit 43,75 %; Wladimir Snatkow, der Kandidat der Regierungspartei »Einiges Russland«, bekam trotz administrativer Ressourcen nur 39,57 % und wurde Zweiter. Weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Im Jahr 2009 hatte die Wahlbeteiligung bei rund 50 % gelegen. Den Angaben der Zentralen Wahlkommission zufolge verlief der Urnengang ohne wesentliche Verstöße. Die unabhängigen Wahlbobachter von »Golos« gaben an, dass die Wahlen »grundsätzlich rechtmäßig« durchgeführt wurden und »einzelne verfahrenstechnische Unregelmäßigkeiten die Willensäußerung der Wähler nicht beeinflussten« (<http://www.golosinfo.org/ru/articles/511>). Die Wahl wurde vor allem durch die Einigung auf einen gemeinsamen Oppositionskandidaten bestimmt und als Sieg gegen die Putin-Partei eingeschätzt. Neun Tage vor der Abstimmung, am 28. März 2014 hatten fünf Kandidaten, darunter Ilja Ponomarjow, einer der Führer der Protestbewegung von 2011/2012 für faire Wahlen, ihre Teilnahme abgesagt und ihre Wähler aufgerufen, für den führenden Kandidaten Lokot ihre Stimmen abzugeben. Politologen und Blogger diskutieren die Niederlage von »Einiges Russland«, der »Partei der Macht« und loben das Erfolgsrezept der Opposition.
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Nowosibirsk ist erobert
»Sieg! Wir haben es geschafft! Ich gratuliere von ganzem Herzen Anatolij Lokot zum Sieg bei der Bürgermeisterwahl in Nowosibirsk! Ich gratuliere allen, die an dieser Wahlkampagne beteiligt waren, die ihre Stimmten abgegeben, die uns einfach moralisch unterstützt haben!
Wir haben geschafft, was niemand glauben konnte. […] Zunächst wollte man uns nicht glauben und verlachte die Idee eines gemeinsamen Oppositionskandidaten. Man sagte, dass wir uns bald zestreiten würden und wieder nichts daraus werde. Dann, als wir uns zusammengeschlossen hatten, versuchten nicht nur Rivalen, sondern auch Verbündete uns zu entzweien. Kremltreue Medien und Politologen diskreditierten auf vielfältige Art die Idee der Vereinigung und sagten, dass unsere Koalition bereits vor dem Start zerbrochen sei. Dann begann die schwarze PR….
Die Opposition wurde nicht in die Medien gelassen, es wurden keine Werbeflächen gegeben, Wahlhelfer wurden angegriffen, Briefkasten von [unseren] Zeitungen gesäubert, Wahlplakate abgerissen, Materialen geklaut. Gleichzeitig setzte die Macht enorme administrative Ressourcen zur Unterstützung von Snatkow ein. Den Fernseh-Ratings zufolge überholte er Putin und Sobjanin. Die ganze Stadt ist immer noch mit seinen Plakatwänden vollgehängt. Überall standen seine Agitatoren, alle kommunalen Behörden wurden mit seinen Plakaten gepflastert. […] Das hat aber dem Kandidaten von »Einiges Russland« nicht geholfen […]«
Ilja Ponomarjow im »Livejournal«, 7. April 2014 <http://ilya-ponomarev.livejournal.com/633975.html>
Warum ist der Sieg in Nowosibirsk wichtig?
»Die Moskauer Medien zeigen leider kein besonderes Interesse an den gestrigen Bürgermeisterwahlen in Nowosibirsk oder ihren Ergebnissen. Zu Unrecht. Es hat sich eine sehr wichtige Geschichte abgespielt: Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres verliert »Einiges Russland« in einer der größten Städte Russland Bürgermeisterwahlen. Im September geschah es in Jekaterinburg, der viertgrößten Stadt des Landes, und nun in Nowosibirsk. Und das ganz zu schweigen davon, dass es Sobjanin bei der Bürgermeisterwahl in Moskau erst durch irgendwelche 30.000 Stimmen gelungen war, den zweiten Wahlgang zu vermeiden.
Das Fazit ist ganz einfach: Wie auch immer die Haltung der Wähler zu Putin persönlich sein mag, ist das politische Monopol einer Partei heftig erschüttert. Die Menschen wollen kein Einparteisystem, sondern Wettbewerb und eine Absetzbarkeit der Regierung. Die Großstädte des Landes beweisen dies immer wieder.«
Wladimir Milow im Blog von »Echo Moskwy«, 7. April 2014 <http://www.echo.msk.ru/blog/milov/1295164-echo/>
Fazit von Jewgenij Mintschenko
»Die Wahlen fanden vor dem Hintergrund eines inneren Elitenkonfliktes statt, der wirtschaftliche Gründe hatte und durch persönliche Gegensätze zwischen dem Gouverneur Wassilij Jurtschenko und dem Bevollmächtigten des Präsidenten Wiktor Tolokanskij verschärft wurde […] Die Lehren für Kandidaten der »Partei der Macht« lauten: 1. keine Elitenspaltung zulassen; 2. mehrere Kandidaten ›lenken‹; 3. einen aktiven Wahlkampf führen; 4. an einer Zufuhr der eigenen Wähler an dem Wahltag arbeiten. Die Lehren für die Opposition: 1. Elitenspaltung ausnutzen; 2. Koalitionen bilden. Das wichtigste Ergebnis der Wahlen lautet: In Russland gibt es doch politische Konkurrenz. Wenn auch irgendwo Vertreter der Systemopposition Wahlen gewinnen, hat das aber keine negative Auswirkungen auf die Beständigkeit des Systems, eher im Gegenteil.«
Jewgenij Mintschenko in Facebook vom 7. April 2014 <http://besttoday.ru/read/6518.html>
Vereinte Opposition gegen »Einiges Russland«
»Die Wahlergebnisse in Nowosibirsk sind die beste Illustration meiner alten These: wenn nicht Parteilisten, sondern konkrete Personen gewählt werden, kann die Opposition nur durch eine Vereinigung gewinnen. Ein beliebiger Kandidat der Regierung bekommt unter den bei uns herrschenden Bedingungen automatisch mindestens 30–40 %. Unter allen Umständen. Ganz gleich, wie er ist. Schlicht durch die administrativen Ressourcen. Deswegen würde die Opposition, wenn sie in mehreren Kolonnen aufmarschiert, die verbliebenen Stimmen zersplittern und hätte unweigerlich das Nachsehen. Ein gemeinsamer Kandidat aber wird fast automatisch zu einem realen Anwärter auf den ersten Platz. Tendenziell würden alle, die gegen das Regime sind oder sich – ganz gleich aus welchen Gründen – mit dem Status quo nicht zufrieden geben können, für diesen stimmen […]«
Walerij Fedotov im »Livejournal«, 7. April 2014 <http://v-fedotov.livejournal.com/289158.html>
Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst.
Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin