Die Regionalwahlen in Russland vom 14. September 2014: Verschärfte Regeln und verringerter Wettbewerb vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise

Von Alexander Kynev (Moskau)

Zusammenfassung
Im Laufe des letzten Jahres sind die Rahmenbedingungen der Regionalwahlen deutlich verändert worden. Die Veränderung der Wahlgesetzgebung und die politische Krise, die als Folge der Krim-Annexion einsetzte, erschwerten alternativen politischen Kräften den Zugang zu den Wahlen. Die Gesetzesänderungen führten faktisch zu einer »Entparteilichung« und einer Personalisierung der Wahlen. Der »einheitliche Wahltag«, an dem alle Regional- und Kommunalwahlen des Jahres 2014 stattfanden, war diesmal durch die große Zahl der Gouverneurswahlen geprägt: in 30 Regionen fanden Direktwahlen für den Posten des regionalen Oberhaupts statt. In zwei Drittel der Fälle war der Amtsinhaber zurückgetreten, um die Wahlen vorziehen zu können. In 14 Regionen wurden die regionalen Parlamente neu gewählt. Daneben gab es noch zahlreiche Kommunalwahlen. Bereits bei der Nominierung und Registrierung wurde deutlich, dass der politische Wettbewerb 2014 drastisch eingeschränkt war. Eine ganze Reihe populärer Kandidaten wurde nicht zur Wahl vorgelassen. Auch in der Phase des Wahlkampfes gab es Eingriffe der Administration zugunsten der Partei »Einiges Russland«. Für viele Experten waren diese Regionalwahlen die vororganisiertesten und uninteressantesten seit Jahren. Die tiefgehende Krise der alten Systemparteien geht mit dem aktiven Bestreben der Administration einher, das Entstehen und die Entwicklung neuer Parteien und Politiker zu behindern.

Veränderte Rahmenbedingungen für die Regionalwahlen 2014

Das letzte Jahr stand im Zeichen erheblicher Veränderungen der staatlichen Wahlpolitik, die wohl auf die Ergebnisse der Regional- und Kommunalwahlen vom 8. September 2013 zurückzuführen sind. Diese Veränderungen bestanden in erster Linie in einer drastischen Verschärfung der Vorschriften bei der Registrierung der Kandidaten und Parteilisten und in einer allgemeinen Reduzierung der Möglichkeiten zur institutionellen Beteiligung politischer Parteien am politischen Geschehen. Nach den Erfolgen einer Reihe neuer Kandidaten und politischer Parteien bei den Wahlen von 2013 und dem einsetzenden Abfluss von Vertretern der regionalen und lokalen Eliten aus den »alten Systemparteien«, also aus den in der Staatsduma vertretenen Parteien, erfolgte Ende 2013, Anfang 2014 die Verabschiedung einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die den institutionellen Einfluss neuer Parteien schwächen sollten. Hinzu kam die äußerst heftige politische Krise, die im März 2014 einsetzte, eine Folge der Krim-Annexion und der anschließenden Krise in der Ukraine. Die drastische Verstärkung des Einflusses der Silowiki, eine Verschlechterung der Wirtschaftslage und neue politische Risiken, die zu erwarten sind, haben die Unternehmen dazu genötigt, die Finanzierung vieler politischer Projekte stark zurückzufahren, eine abwartende, äußerst vorsichtige Haltung einzunehmen sowie Ressourcen zu sparen.

Änderungen in der Wahlgesetzgebung

Wichtigste Folgen der Gesetzesänderungen sind die faktische »Entparteilichung« und Personalisierung der Wahlen, vor allem in den Regionen mit starker Proteststimmung. Ein markantes Beispiel ist die Abschaffung des gemischten Wahlsystems bei den Wahlen zur Moskauer Stadtduma. Im Unterschied zu dem bis 2011 bestehenden System stellt – nach einer kurzen Phase begrenzter Liberalisierung 2012 bis 2013 – die neue Version des Parteien- und Wahlsystems eine Kombination aus einer Vielzahl registrierter Parteien (was eine Konzentration von Protestwählern bei einer oder mehreren alternativen Parteien erschwert) und der Abschaffung eines erheblichen Teils der institutionellen Plattformen dar, die Parteien Erfolge ermöglichen.

Die Verschärfung der Registrierungsbedingungen und die drastische Reduzierung der Parteien, für die bei der Registrierung vergünstigte Regelungen gelten, bedeutet für viele oppositionelle Parteien einen Teufelskreis: Um an den Wahlen teilnehmen zu können, sind Vergünstigungen vonnöten, für diese ist aber eine erfolgreiche Teilnahme an Wahlen Voraussetzung.

Dadurch wirkt das neue System der Kandidatenregistrierung bei einem wachsenden Anteil der Abgeordneten, die nach Mehrheitswahlsystem gewählt werden, zu Ungunsten neuer politischer Parteien und selbstnominierter Kandidaten. Am günstigsten ist die Situation für regierungsfreundliche Kandidaten, die gewöhnlich über die größten finanziellen und organisatorischen Ressourcen verfügen. Selbst bei einer zurückgehenden allgemeinen Unterstützung für die Partei der Macht reicht diesen Kandidaten eine einfache, wenn auch territorial gleichmäßig verteilte Mehrheit. Bei allen Regionalwahlen der vergangenen Jahre haben die Kandidaten von »Einiges Russland« die absolute Mehrheit der Direktmandate gewonnen, in einer Reihe von Regionen sogar alle. In den für die Partei schwierigsten Regionen kann das Regime seine Kandidaten im Notfall in Form von Selbstnominierten ins Rennen schicken, wobei bei der Registrierung doppelte Standards eingesetzt werden. In der schlimmsten Variante, wenn das Gesetz mit äußerster Strenge angewendet wird, stehen in den betroffenen Wahlkreisen allein Kandidaten der »Systemparteien« zur Wahl.

Die Wahlen vom 14. September 2014 und ihre rechtlichen Besonderheiten

Einschließlich der Wahlen in den beiden annektierten, neuen Föderationssubjekten (Republik Krim und die Sewastopol) fanden am 14. September 6.024 unterschiedliche Wahlen und Referenden statt. Die wichtigsten Wahlen waren die direkten Gouverneurswahlen in 30 Regionen Russlands (in drei weiteren Regionen waren die Gouverneuren durch die Parlamenten zu wählen: in Kabardino-Balkarien, der Krim und Sewastopol) sowie 14 allgemeine Wahlen zu Regionalparlamenten (die Krim und Sewastopol eingeschlossen), drei Direktwahlen der Bürgermeister regionaler Hauptstädte und 20 allgemeine Parlamentswahlen in regionalen Hauptstädten (ohne Simferopol: 19). Die 21. regionale Hauptstadt, in der Wahlen stattfanden war Tscheljabinsk, wo anstelle der Stadtduma die sieben Stadtbezirksräte gewählt wurden, was nach Mehrheitswahlsystem erfolgte. In 13 dieser 21 regionalen Hauptstädte ist dann von den neuen Parlamenten aus ihren Reihen ein Stadtoberhaupt zu wählen und anschließend per Vertrag ein »City-Manager« einzustellen. In St. Petersburg fanden in großer Zahl Wahlen zu den Kommunalräten der Stadtteile statt (in 106 der 111 Kommunen der Stadt).

Eine Besonderheit der Wahlen von 2014 war die große Anzahl der Gouverneurswahlen, von denen ein beträchtlicher Teil vorgezogen war. Zählt man Kabardino-Balkarien hinzu, gab es 20 vorgezogene Gouverneurswahlen, wobei in dreizehn Regionen der alte Gouverneur geschäftsführend im Amt geblieben war und in sieben Regionen ein neuer Gouverneur als geschäftsführend eingesetzt worden war.

Gemäß den Gesetzesänderungen, die 2012 zur Wiedereinführung der direkten Gouverneurswahlen verabschiedet wurden, kann ein Gouverneur, wenn er auf eigenen Wunsch oder aufgrund eines Misstrauensvotums des Regionalparlaments vorzeitig sein Amt niedergelegt hat, nicht als Kandidat bei den aus obigen Gründen angesetzten Neuwahlen nominiert werden. Eine Ausnahme erfolgt nur dann, wenn der Gouverneur seinen Posten nicht weniger als ein Jahr innehatte und über die Zustimmung des Präsidenten Russlands zur Teilnahme an den Wahlen verfügt. Dadurch wird hier die Haltung des Präsidenten zu einem Schlüsselfaktor, wobei das Gesetz nicht beschreibt, wie diese Zustimmung des Präsidenten juristisch auszusehen hat. Als Ziele einer solchen Anzahl vorgezogener Gouverneurswahlen wurde offiziell das Bestreben genannt, die Legitimität der Regionalregierungen vor den Dumawahlen im Dezember 2016 zu stärken. Auch sollten die Gouverneurswahlen stattfinden, bevor die Dumawahlen mit Direktmandaten abgehalten werden (es wurde vermutet, dass ein Teil der Kandidaten die Gouverneurswahlen im Vorfeld der russischen Parlamentswahlen mit Blick auf eine Teilnahme dort zur Stärkung ihres Profils nutzen würden). Ebenso sollte vor den landesweiten Wahlen von 2016 das Risiko einer Destabilisierung der Situation in den Regionen verringert werden. Als Grund kann allerdings auch die konkrete soziale und wirtschaftliche Lage angenommen werden, nämlich die negativen Wirtschaftsdaten und -prognosen (unter anderem aufgrund der internationalen Sanktionen nach der Annexion der Krim). Daneben erscheint es wahrscheinlich, dass die Gouverneure bestrebt sind, ihre Amtszeit zu verlängern bevor die erwartete Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Lage eintritt. Gleichzeitig wollten sie wohl auch die formal hohen Umfragewerte aufgrund der massiven Medienkampagne und der Zustimmung der Bevölkerung zu den Entscheidungen über die Krim nutzen. Auch die derzeit herrschenden, für amtsführende Gouverneure günstigen Registrierungsbedingungen spielen wohl eine Rolle; die erlauben es den Gouverneuren, ihre Konkurrenten selbst zu bestimmen und sich bei Wahlen unliebsame Widersacher vom Halse zu halten.

Was die regionalen Parlamentswahlen betrifft, so ist in Folge des sogenannten Klischas-Gesetzes (Föderales Gesetz Nr. 303-FZ »Über Veränderungen in einzelnen Gesetzesakten der Russischen Föderation« vom 2. November 2013, benannt nach dem Abgeordneten des Föderationsrates Andrej Klischas) ein Rückgang von Wahlen nach Parteilisten zu beobachten: Moskau ist vollständig zum Mehrheitswahlsystem übergegangen (was offensichtlich auf die niedrigen Umfragewerte von »Einiges Russland« in der Stadt und die Furcht der Administration vor Wahlen nach Parteilisten zurückzuführen ist). In den Republiken Kabardino-Balkarien und Karatschajewo-Tscherkessien wurde ein reines Verhältniswahlsystem angewendet, in den Republiken Marij-El, Taterstan und Tywa, der Region Chabarowsk und dem Gebiet Brjansk wurden zu gleichen Teilen Listen- und Direktmandate beibehalten. Die gleiche Situation herrscht jetzt im Gebiet Tula, das von der Verhältniswahl zu einem gemischten System übergegangen ist, und im Gebiet Wolgograd, wo es vorher mehrheitlich Listenmandate gegeben hatte (der Anteil der Direktmandate wurde hier also erhöht). Im Autonomen Bezirk der Nenzen, der ebenfalls von einer reinen Verhältniswahl zu einem gemischten System übergegangen ist, gibt es nun mehrheitlich Listenmandate.

Nominierung und Registrierung: drastischer Rückgang des Wettbewerbs

Die Nominierungsphase hat frühere Annahmen bestätigt, dass die drastische Verschärfung der Vorschriften bei der Kandidatenregistrierung dazu führt, dass es weniger Kandidaten neuer Parteien (die überwiegend keine Vergünstigungen bei der Registrierung genießen) geben werde. Viele neue Parteien haben in jenen Regionen, in denen sie nicht auf Grund der Wahlen von 2012 oder 2013 Vergünstigungen erringen konnten, die Aufstellung von Kandidaten völlig eingestellt oder auf ein Minimum reduziert. Gleichzeitig sind neue Parteien bei Gouverneurswahlen vonnöten, bei denen meist keine Selbstnominierung zugelassen wird, und wo die sogenannten »Systemparteien« mit der Administration ausgehandelte Strategien bevorzugen und oft keine tatsächlich aussichtsreichen Kandidaten nominieren. Hier sind die neuen Parteien (genauer gesagt, die von den Behörden unabhängigen und nicht mit ihnen verbandelten Parteien), wo eine Kontrolle wegen ihrer großen Anzahl schwierig ist, für viele den Administrationen nicht genehme Gouverneurskandidaten das einzige Mittel, nominiert zu werden.

2013 hatten 53 der 54 teilnahmeberechtigten Parteien bei Parlamentswahlen in einer Regionen oder einer regionalen Hauptstadt Kandidatenlisten aufgestellt; 51 Parteien hatten Direktkandidaten nominiert. Somit hatte nur eine Partei (die »Partei der Tat«) diese Wahlen ignoriert (auch wenn sie bei einer Kommunalratswahl eine Liste aufgestellt hatte, die dann auch gewann). Dieses Mal haben von den 69 teilnahmeberechtigten Parteien nur 34 – darunter drei ausschließlich auf der Krim – wenigstens eine Liste bei den entsprechenden Wahlen nominiert. Bei diesen Wahlen sowie bei Gouverneurswahlen und Bürgermeisterwahlen in regionalen Hauptstädten haben nur 52 der 69 Parteien Direktkandidaten nominiert (darunter eine nur auf der Krim). 13 Parteien haben weder eine Liste noch einen Direktkandidaten nominiert (10 von ihnen hatten 2013 noch teilgenommen), zwei weiter Parteien (die »Russische Gärtnerpartei« und »Nationaler Kurs«) haben lediglich auf der Krim jeweils eine Liste nominiert. Die aktive Teilnahme liberaler Parteien (RPR-PARNAS, »Bürgerplattform«, »Jabloko«, »Allianz der Grünen und Sozialdemokraten«) ist drastisch zurückgegangen.

Sehr viel erheblicher als das Ausscheiden der Parteilisten war das Ausscheiden der Direktkandidaten: Zum Wahltag hatten es bei den regionalen Parlamentswahlen von den insgesamt 1.799 nominierten Kandidaten nur 1.209 auf den Stimmzettel geschafft, die Ausscheiderate betrug also 32,9 % (2013: 17,88 %; 2012: 11 %). Dabei betrug die Ausscheiderate unter selbstnominierten Kandidaten 62,5 % (2013: 58,5 %, 2012: 40 %). Von den 592 ausgeschiedenen Kandidaten hatten sich 310 selbst nominiert. Bei den Parlamentswahlen in regionalen Hauptstädten waren von 2.783 nominierten Kandidaten nur 2.030 auf dem Stimmzettel zu finden, 27,06 % waren also ausgeschieden. Unter den Selbstnominierten betrug die Quote 50,27 %.

Bei den Gouverneurswahlen hat es eine nahezu totale Säuberung gegeben. Dort waren ursprünglich 207 Kandidaten (6,9 pro Region) nominiert worden. Die Registrierung schafften allerdings nur 138, was im Schnitt 4,6 Kandidaten entspricht. 2013 waren im Schnitt 5 Kandidaten registriert worden. Zum Wahltag waren nur noch 137 Kandidaten übriggeblieben (der Kommunist Pawel Dorochin war im Gebiet Tjumen ausgeschieden) oder durchschnittlich 4,57 pro Region. Die Ausscheiderate betrug in der Phase zwischen Nominierung und Wahltag 33 %. Praktisch überall sind die stärksten Konkurrenten der amtierenden (oder geschäftsführenden) Gouverneure aus dem Rennen befördert worden; diese Wahlen verloren dadurch ihre Spannung und erinnerten praktisch eher an Referenden zur Bestätigung der Amtsvollmachten des Gouverneurs. Sogar zwei ehemalige Gouverneure sind nicht registriert worden (Alexander Ruzkoj im Gebiet Kursk und Alexander Tschernogorow in der Region Stawropol). In 46 Fällen erfolgte das Ausscheiden auf Antrag des Kandidaten oder, weil dieser nicht die Unterlagen zur Registrierung vorgelegt hat. Wichtigster Grund war hier, dass der »kommunale Filter« ohne Hilfe der Administration nicht zu überwinden war (für eine Registrierung waren Unterschriften von zwischen fünf und zehn Prozent der kommunalen Abgeordneten der Region erforderlich. 18 Kandidaten, die ihre Unterlagen eingereicht hatten, erhielten bei der Registrierung eine Absage. Besonders bemerkenswert ist, dass im Gebiet Nischnij Nowgorod der kommunistische Kandidat Wladimir Bulanow, Abgeordneter der Gesetzgebenden Versammlung des Gebietes, den »kommunalen Filter« nicht überwinden konnte (2011 hatte die KPRF dort 28,8 % geholt), und dies in St. Petersburg auch Oxana Dmitrijewa widerfuhr, einer Kandidatin von »Gerechtes Russland« sowie einer bekannten und populären Abgeordneten der Staatsduma, die dort zwei Mal das Petersburger Direktmandat errungen hatte (2011 hatte die Partei in der Stadt 23,7 % geholt). Gleichzeitig ist dieser Filter von wenig bekannten Kandidaten kaum populärer Parteien überwunden worden.

Bei den Gouverneurswahlen 2014 hätte die ursprüngliche Reihe potentieller Kandidaten in einem beträchtlichen Teil der Regionen durchaus für Wahlen mit echtem Wettbewerb sorgen können. Das Streben der Administration nach Kontrollerhalt im jeden Preis war jedoch stärker als der Wunsch nach Stärkung der realen Legitimität in der Gesellschaft. Praktisch überall, wo es Alternativen zu den derzeitigen Gouverneuren gab, die auf einen beträchtlichen Wählerzuspruch hoffen konnten, wurden diese Kandidaten unter verschiedenen Vorwänden von den Wahlen ausgeschlossen (in St. Petersburg, den Republiken Baschkortostan und Altai sowie den Gebieten Orenburg und Orjol). Die Wahlen 2014 waren nicht nur dadurch geprägt, dass die aktuellen Gouverneure ihren realen Konkurrenten in keiner Weise bei der Überwindung des »kommunalen Filters« behilflich waren. Es gab darüber hinaus auch Unregelmäßigkeiten, weil die Unterschriftensammlung für Opponenten behindert wurde.

Eine Besonderheit dieser Wahlen bestand darin, dass eine Reihe von Kandidaten mit offensichtlich guten Aussichten, nicht nur die Abgeordnetenunterschriften für die Registrierung zu sammeln, sondern auch beachtliche Wahlergebnisse zu erringen, von den Parteien, die sie nominiert hatten, zurückgezogen wurden (Sarbajew in Baschkortostan, Katasonow im Gebiet Orenburg, Mosjakin, Rybakow und Isakow im Gebiet Orjol, der ehemalige russische Energiewirtschaftsminister Kalushnyj in der Republik Altai). Dass diese Schritte plötzlich und ohne schlüssige Erklärung erfolgten, legt nahe, dass sie politisch bedingt und auf informellen Druck auf die jeweilige Parteiführung zurückzuführen sind.

Bemerkenswert ist auch, dass fast alle amtierenden/geschäftsführenden Gouverneure bei den Wahlen von »Einiges Russland« nominiert wurden. In zwei Regionen, in denen »Einiges Russland« keinen Kandidaten nominiert hatte (in den Gebieten Kirow und Orjol), traten die geschäftsführenden Gouverneure Belych und Potomskij als Selbstnominierter bzw. KPRF-Kandidat an. Es gab also nur dort keine Kandidaten von «Einiges Russland«, wo der aktuelle Gouverneur aus irgendeinem Grund nicht für diese Partei kandidierte. Hieraus ergibt sich die offensichtliche Gesetzmäßigkeit, dass »Einiges Russland« offiziell einen beliebigen geschäftsführenden Gouverneur unterstützt, unabhängig von dessen formaler Parteizugehörigkeit. Das unterstreicht deutlich die institutionelle Abhängigkeit der Partei von der Administration: Sie bestimmt in Wirklichkeit nicht die Personalpolitik und besetzt nicht die Reihen der Gouverneurskandidaten, sondern wickelt lediglich Entscheidungen ab, die de facto in der Präsidialadministration in Moskau getroffen werden.

Besonderheiten des Wahlkampfes

Die Wahlen von 2014 waren eine Fortsetzung der Entwicklung, die auf die Verlegung des Wahltages auf den zweiten Sonntag im September zurückzuführen ist. Durch die Verlegung fällt die Hauptphase der Wahlen (unter anderem die Wahlwerbung in den Medien, die 28 Tage vor dem Wahltag beginnt) in die Zeit der Sommerferien. Das hat, wie schon 2013, die Parteien und potentiellen Kandidaten dazu gebracht, den Wahlkampf möglichst früh zu beginnen, längst bevor die Wahlen offiziell angesetzt sind. Das war einerseits für jene Kandidaten wichtig, die in Regionen mit starkem Wettbewerb antreten (wo Anwärter sich in den Medien Vorteile verschaffen müssen), andererseits aber auch für weniger bekannte neue Kandidaten ohne Kampagnenerfahrung, die es sonst äußerst schwer hätten, bei Wählern, die Urlaub machen, ihren Bekanntheitsgrad und die Umfragewerte zu verbessern.

Überall sind Treffen der geschäftsführenden Gouverneure mit dem Präsidenten Russlands zu einem wichtigen Element der Wahlkämpfe des Regimes geworden, manchmal auch als Visiten der Präsidenten und/oder Regierungschefs in die jeweilige Region. Von April bis August hat sich Putin in 27 von 30 Regionen, in denen am 14. September Wahlen angesetzt waren, mit den amtierenden Gouverneuren getroffen. In den regionalen Medien sind diese Treffen als unbedingte Unterstützung des Präsidenten für den jeweiligen Gouverneur interpretiert worden. Damit sollte offensichtlich den Gouverneuren ein Teil der Zustimmungswerte des Staatsoberhaupts übertragen werden, besonders denjenigen Gouverneuren, die selbst Probleme mit den Umfragewerten hatten.

In vielen Regionen hat es außer der massenhaften mittelbaren Wahlwerbung keinerlei anderen Wahlkampf gegeben.

Die Reduzierung des politischen Wettbewerbs und der Umstand, dass eine Reihe populärer Kandidaten, die zu markanten und kreativen Wahlkämpfen fähig gewesen wären, nicht zugelassen wurden, ist wohl ein Grund dafür, dass 2014 in geringerem Maße die neuen Informationstechnologien zum Einsatz kamen und es weniger außergewöhnliche, prägnante Initiativen gab, als noch 2013. Stattdessen war eher ein Kopieren einzelner Schachzüge und sogar von Bildern aus dem Vorjahr zu beobachten, insbesondere die so genannten »Nawalnyj-Würfel«.

Eine weitere Besonderheit des Wahlkampfes war der Einfluss der Ukraine-Krise, der eher auf Internetseiten der Parteien und in Medienstatements von Parteivertretern zur grundsätzlichen Position der jeweiligen Partei bemerkbar war, denn bei plakativer Wahlwerbung; dort wurde dieses Thema hauptsächlich von der KPRF und von »Rodina« aufgegriffen. Die wichtigsten Themen waren allerdings lokaler oder allgemein sozialer Natur. Zur Ukraine-Krise standen vor allem die Themen Sanktionen und Stützung der einheimischen Landwirtschaft im Vordergrund. Eine der Regionen, in denen die Krise am stärksten aufgegriffen wurde die Region Stawropol.

Die Wahl wurde von mehreren Fällen geprägt, in denen Kandidaten mit offensichtlich guten Wahlaussichten sowie Politiker und Unternehmer, die beträchtlich auf den Verlauf und den Ausgang der Wahlen hätten Einfluss nehmen können, verfolgt wurden. Die merkwürdige Koinzidenz von Wahlkampf in einer Region und Eröffnung von Strafverfahren gegen Kandidaten, die oppositionelle Positionen vertreten und der Regierung zumindest kritisch gegenüberstehen, alarmieren und werfen erhebliche Fragen auf.

Ergebnisse: Weiterer Rückgang der Wahlbeteiligung und Krise der Systemparteien

Die Reduzierung echten Wettbewerbs ist einer der Gründe für das verringerte Wählerinteresse, das die Wahlbeteiligung zusätzlich (das für Wähler und Kandidaten unbequeme Wahldatum tat ihr übriges) und die Legitimität der gewählten Organe in der Gesellschaft allgemein zurückgehen ließ.

Der offensichtlich zu erwartende Rückgang der Wahlbeteiligung stimulierte von Anfang an den Wunsch der Behörden, durch Nötigung der Wähler zur vorfristigen Stimmabgabe oder zur Stimmabgabe mit mobilen Wahlurnen die Beteiligung zu erhöhen. Unregelmäßigkeiten bei der vorfristigen Stimmabgabe sind unter anderem in St. Petersburg, der Republik Altai und dem Gebiet Samara festgestellt worden. Auch mit Hilfe echter Lotterien (etwa in der Republik Komi), durch Verkaufsstände mit Schnäppchenpreisen und Unterhaltungsveranstaltungen in den Wahllokalen, durch Anruf- und SMS-Aktionen am Wahltag (wie etwa in Moskau) wurde versucht, die Wahlbeteiligung künstlich zu erhöhen.

Bemerkenswert sind auch die Versuche, Vertreter von NGOs bei der Arbeit zu behindern (so sind etwa in den Gebieten Tscheljabinsk und Samara sowie der Republik Baschkortostan alle Vertreter der Assoziation »Golos« und in den Gebieten Nishnij Nowgorod und im Moskauer Gebiet eine beträchtliche Zahl von ihnen rechtswidrig aus Wahllokalen geworfen worden); darüber hinaus gab es Signale direkter Fälschungen (s. Golos am 16. 09. 2014; <http://www.golosinfo.org/ru/articles/1010>).

Ungeachtet aller klaren Versuche, die Wahlbeteiligung maximal zu steigern und damit die formale Legitimität der Wahlen zu erhöhen, hat sich hier der negative Trend der Jahre 2012 und 2013 bei vergleichbaren Wahlen fortgesetzt (selbst wenn jene Wahlen aus der Analyse genommen werden, die mit Wahlen auf föderaler Ebene zusammenfielen). Relative Ausnahmen bilden Gebiete mit klarer elektoraler Anomalie (Baschkortostan, Kalmykien, das Gebiet Tjumen, wo die Wahlbeteiligung formal fast jene bei der letzten Direktwahl des Gouverneurs erreichte, und die Republik Komi, die seit 2011 zur Anomalie-Zone gehört).

Auch bei den regionalen Parlamentswahlen war nur in »Anomalie-Regionen« (Tatarstan, Tywa) sowie im Gebiet Brjansk eine gegenüber den letzten Wahlen erhöhte Wahlbeteiligung festzustellen. Besonders bemerkenswert war die Situation in Moskau, wo bei den Wahlen zur Stadtduma die Wahlbeteiligung auf ein Rekordtief von 21 % sank (zum Vergleich: 2009 hatte sie 35,63 % betragen und 34,8 % im Jahr 2005, obwohl sie damals erheblich »angekurbelt« worden war; bei den Bürgermeisterwahlen 2013 hatte die Wahlbeteiligung minimal verzerrte 32,1 % betragen).

Letztendlich hat bei 15 der 30 Gouverneurswahlen der Sieger über 80 % der Stimmen erhalten, was nicht als normales Ergebnis eine Wahl mit Wettbewerbscharakter gelten kann; der Spitzenwert waren die offiziell verkündeten 91,4 % für Nikolaj Merkuschkin im Gebiet Samara. In weiteren acht Regionen lag das Ergebnis zwischen 70 und 80 Prozent. Nur in sieben Regionen erhielten die Sieger unter 70 %, darunter in nur zweien unter 60 % (Republiken Altai und Sacha (Jakutien), wo es bei einer korrekteren Zählung womöglich zu einem zweiten Wahlgang gekommen wäre; am wahrscheinlichsten war ein solcher in der Republik Altai, wo viele Unregelmäßigkeiten gemeldet wurden und die Ergebnisse angefochten werden). Nimmt man alle dreißig Wahlen zusammen, haben insgesamt nur 18 der unterlegenen Kandidaten in ihrer Region über zehn Prozent der Stimmen erhalten.

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Für viele Experten waren diese Regionalwahlen die vororganisiertesten und uninteressantesten seit Jahren. Die tiefgehende Krise der alten Systemparteien geht mit dem aktiven Bestreben der Administration einher, das Entstehen und die Entwicklung neuer Parteien und Politiker zu behindern. Gleichzeitig ist ein erheblicher Teil der Eliten angesichts der deutlichen Militarisierung des politischen Regimes verschreckt und versucht politisches Engagement zu vermeiden, weil sie fürchten, als unpatriotisch beschuldigt und Repressalien ausgesetzt zu werden. Ein großer Teil der Eliten wartet ab, ohne die Entwicklungsperspektiven zu verstehen, und ist derzeit zu keinerlei entschiedenem Agieren bereit.

Als Folge der zurückgehenden Anwendung des Verhältniswahlrechts und einer Beibehaltung des 2014 eingeführten Registrierungssystems für Kandidaten lässt sich ein weiterer faktischer Zerfall des Parteiensystems und wiederum der Wunsch potentieller Kandidaten prognostizieren, die Systemparteien ausschließlich mit dem Ziel zu nutzen, bei einer Nominierung ohne reale ideologische Bindungen zu ihnen Vergünstigungen zu erlangen; früher hatten reale Parteiaktivisten sogar zu Zeiten der Kommerzialisierung .der Wahlen nach Parteilisten trotzdem noch einen Teil der Listenplätze und dann der Mandate erhalten. Ebenso ist zu erwarten, dass ideologisch motivierte Kandidaten aus den Wahlen verschwinden und diese durch ausschließlich informelle »kommerzielle« Listen ersetzt werden; durch die Kommerzialisierung gebe es für Kandidaten ohne Geld schlichtweg keine sicheren Listenplätze, und Parteien ohne Sponsoren können überhaupt nicht an Wahlen teilnehmen.

Wo noch Verhältniswahl oder ein gemischtes System besteht, ist wie schon 2013 eine lebhafte Migration von Kandidaten weg von den alten zu neuen Parteien festzustellen; sie scheinen sich dort aus verschiedenen Gründen unwohl zu fühlen, weil sie dort ihre Ambitionen nicht umsetzen können, ideologische und/oder persönliche Differenzen haben usw.

Die Reduzierung Anzahl der Parteien, die Vergünstigungen genießen, bewirkt unweigerlich eine Eindämmung der Tradition, dass Kandidaten vor den Wahlen die Partei wechseln: In erster Linie wechseln die Kandidaten zu den »privilegierten« Parteien. Somit führt die verringerte Anzahl dieser Parteien dazu, dass einerseits die derzeitige Position der Systemparteien gestärkt wird und andererseits unweigerlich eine ideologische Diffusion erfolgt, weil sich Kandidaten praktisch genötigt sehen, diese Parteien als »Vermittler« bei der Nominierung zu nutzen.

Bleibt die derzeitige Situation mit der Registrierung der Kandidaten unverändert, erscheint Folgendes wahrscheinlich:

Das Bestreben der Staatsmacht, die faktische Kontrolle über jene neuen Parteien herzustellen oder zu verstärken, die in einer Region Vergünstigungen genießen. Dadurch würde das System aus der zweiten Hälfte der 2000er Jahre wiederhergestellt: Der Staat kontrolliert die Parteien, die wiederum die Nominierung der Kandidaten kontrollieren. Der Unterschied zu den 2000ern bestünde lediglich in einer etwas größeren Zahl der Parteien und in einer Variierung nach Regionen. Die Registrierung von Kandidaten anderer Parteien dürfte angesichts der unerfüllbaren Gesetzesvorschriften und des Systems doppelter Standards bei ihrer Anwendung per »Handsteuerung« erfolgen.Parteien, die sich einer informellen Zusammenarbeit mit den Administrationen verweigern, laufen Gefahr, ihren juristischen Status zu verlieren oder anders beeinträchtigt zu werden.Die Liste der Parteien, für die bei der Registrierung vergünstigte Bedingungen gelten, dürfte noch kürzer werden.Der Staat wird wohl versuchen, die Registrierungsbestimmungen bei Gouverneurswahlen noch weiter zu verschärfen und das Schlupfloch, dass Gouverneurskandidaten von jeder registrierten Partei nominiert werden können, dadurch zu schließen, dass die Zahl der Parteien mit einem solchen Recht verringert wird (genau dies wird in einem unlängst erschienenen Bericht der kremlfreundlichen Stiftung »ISEPI«, dem Institut für sozio-ökonomische und politische Studien, angeregt). Das wäre der Versuch, unliebsamen Kandidaten generell das Recht auf Nominierung zu nehmen (sie wären genötigt, sich an die drastisch reduzierte Zahl von Parteien zu wenden, die die Administrationen unter Kontrolle zu halten suchen).

Übersetzung: Hartmut Schröder

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Analyse

Militärische Implikationen der Krim-Krise

Von Margarete Klein, Kristian Pester
Die Krim-Krise offenbart eine neue Qualität der russischen Außenpolitik. Rechtfertigte der Kreml den Einsatz seiner Soldaten im Georgienkrieg 2008 noch mit dem Angriff auf die GUS-Friedenstruppen, entsandte er die Streitkräfte diesmal vorsorglich zur Sicherung politischer Interessen in die von ihm beanspruchte Einflusszone. Die Aggressivität des russischen Militäreinsatzes steht dabei im Kontrast zur bisherigen Zurückhaltung der ukrainischen Seite. Zwar wurde die landesweite Mobilmachung verkündet; bislang versuchen die ukrainischen Soldaten aber nicht, sich gewaltsam aus den umstellten Kasernen zu befreien. Das wirft die Frage auf, in welchem Zustand sich die ukrainischen Streitkräfte befinden und welche Perspektiven sich daraus für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ergeben.
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