Einheitsergebnis am Einheitswahltag oder Tricks der Wahlmanipulation und ihre Aufdeckung

Die Regionalwahlen nahmen auch in der Blogosphäre einen erheblichen Raum ein. Viele Autoren thematisierten die Vorfälle und Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung und der Durchführung der Wahlen:

Gouverneurswahlen in St. Petersburg

Eine äußerst schmutzige Wahlkampagne fand bei den Gouverneurswahlen in St. Petersburg statt. Die Spannung über den Wahlausgang verschwand bereits zwei Monate vor dem Wahltag nach der Ausschaltung der populären Oxana Dmitrijewa (»Gerechtes Russland«). Die regierungskritische Politikerin scheiterte am kommunalen Filter, als es ihr nicht gelang, der Wahlkommission die notwendigen 156 Unterschriften von Abgeordneten aus den Kreis- und Bezirksversammlungen vorzulegen. Seitdem galt der Sieg des amtierenden Bürgermeisters Georgij Poltawtschenko als gesichert. Gleichwohl wurde über massive Wahlmanipulation am Wahltag berichtet. Der Blogger mit dem Pseudonym idro verglich die Zahlen aus dem offiziellen Abschlussprotokoll des Wahllokals, das er als Wahlbeobachter nach der Stimmenzählung vor Ort bekommen hatte, mit den endgültigen Angaben des Wahlkomitees von St. Petersburg und stellte fest, dass sich die Stimmenzahl für Poltawtschenko sowie die Wahlbeteiligung verdoppelt haben: »[…] haben an den Wahlen insgesamt 601 Personen von 2.354 teilgenommen. Nach Angaben der offiziellen Internetseite der Wahlkommission haben aber allein 1.048 Menschen für G. S. Poltawtschenko gestimmt. Und 1.247 an den Wahlen teilgenommen. Nun stellt sich unweigerlich die Frage – woher kommen diese weiteren 646 Personen? Sollte etwa der klare Sieg (500 von 601 Stimmen) für die Legitimation des Gouverneurs nicht ausreichend gewesen sein? Man musste die Wahlbeteiligung hochkurbeln, aber wie nur… In den Nachbarwahllokalen wie auch in der Stadt ist die Situation analog.«

Idro bei »Livejournal«, 15.09.2014 <http://idro.livejournal.com/88318.html>

Attacken auf einen Wahlbeobachter

Die Arbeit der unabhängigen Wahlbeobachter in Russland ist nicht nur spannend, sondern auch lebensgefährlich. So wurde Andrej Skorochod, Mitglied einer Territorialen Wahlkommission von der Wahlbeobachterorganisation »Golos«, der in einem Wahllokal in Balaschicha, einem Vorort Moskaus, mehrere Stapel von gefälschten Stimmzetteln in einer Wahlurne entdeckt und Fotos des Wahlverstoßes auf Twitter veröffentlicht hatte, von zwei Unbekannten verprügelt und dabei schwer verletzt. Dies geschah vor Augen eines Polizisten, der zur Sicherheit des Urnengangs diesem Wahllokal zugeteilt war und trotzdem nicht einschritt, obwohl er nach eigenen Angaben alles gesehen hatte. Als Skorochod mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, stellten Ärzte bei ihm nicht nur einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung fest, sondern auch einen alkoholisierten Zustand, was im Falle eines Gerichtsverfahrens all seine Äußerungen nichtig machen würden. Der Projekt-Koordinator von »Golos«, Roman Udot, empört sich in seinem Blog bei Echo Moskwy über die Zusammenarbeit der Wahlkommission in dem Wahllokal und der Wahlkommission des Moskauer Gebietes sowie der Polizei und anscheinend auch der Ärzte, die am Einheitswahltag alle treu dem Rundbefehl von oben folgten, die Registrierung von Wahlverstößen zu verhindern: »Der Leser unseres [schlechten] Krimis könnte nun aufschreien: Das ist doch eine organisierte kriminelle Vereinigung zur rechtswidrigen Eroberung und Erhaltung der Macht! In der Tat, damit Stapel von Stimmzetteln in die Wahlurne gelangen, muss die Wahlkommission eines Wahllokals sie nicht nur jemanden ausgehändigt haben, sondern auch das Registerbuch mit einer gewissen Zahl gefälschter Wählerunterschriften versehen haben. Damit alles glatt geht, muss die Wahlkommission des Moskauer Gebietes alle Warnmeldungen ignorieren und die Öffentlichkeit ablenken. Die Polizei muss ihren Beitrag leisten: Den »Stopfern«, die die Stimmzettel eingeworfen haben, die Möglichkeit geben, zu gehen, die Stapel selbst nicht bemerken und sogar die Schlägerei in der Territorialen Wahlkommission ignorieren. Und dann müssen noch Ärzte und die Staatsanwaltschaft den neuen Mitgliedern der Stadtversammlung Balaschicha mit allen Mitteln helfen, zu ›gewählten‹ [Stadträten] zu werden.«

Roman Udot im Blog bei Echo Moskwy, 19.09.2014 <http://echo.msk.ru/blog/roman_udot/1402970-echo/>

»Einwürfe«

Die Regionalwahlen am 14. September 2014 haben gezeigt, dass die sogenannten »wbrossy«, also der Einwurf mehrerer gefälschter Stimmzettel in die Wahlurne, sowie die künstliche Erhöhung der Wahlbeteiligung immer noch beliebte Manipulationsmethoden sind. Diese erfolgen in der Regel in den letzten Stunden vor der Schließung des Wahllokals und werden von den Leitern der Wahlkommissionen dort gesteuert. Der Blogger Alexander Kirejew fasste die offiziellen Angaben einzelner Wahlkommissionen in St. Petersburg und Moskau zusammen und analysiert die Auffälligkeiten bei der Wahlbeteiligung in den beiden Metropolen Russlands. Kirejew stellt fest, dass die Wahlbeteiligung in St. Petersburg in den letzten zwei Stunden, von 18 bis 20 Uhr äußerst hoch war und im Durchschnitt ca. 43 % betrug. In einzelnen territorialen Wahlkommissionen lag die Abendstimmabgabe bei über 60 % der gesamten Wahlbeteiligung.

Alexander Kirejew im Livejournal-Blog, 15.09.2014, <https://kireev.livejournal.com/1069976.html>

Vorgezogene Stimmabgabe

Einen relativ neuen Trick der russischen Macht stellt die Nötigung der Wähler zur vorgezogenen Stimmabgabe dar. Diese Praxis lässt viele Lücken zur Wahlmanipulation und Fälschung von Stimmzetteln. Extrem hoch waren Zahlen der vorgezogenen Stimmabgabe bei den jüngsten Gouverneurswahlen in der »nördlichen Hauptstadt«. »In St. Petersburg haben 350.000 Personen, also 9 % der Gesamtwählerzahl, vorgezogen abgestimmt. In Moskau waren es zum Vergleich 20.000 Personen, also weniger als 0,5 %. Wenn man die vorgezogenen Wahl zur Hauptwahl macht, verstoßt es gegen 27 von 84 Paragraphen des Gesetzes über die allgemeinen Garantien der Wahlrechte,« klagt die Politikerin Oxana Dmitrijewa in dem Beitrag »Fantastische Wahlfälschung in Petersburg« in ihrem Blog bei Echo Moskwy. »Nun zu dem, wie die vorgezogene Wahl organisiert wurde. Wähler wurden nach Anordnung aus den staatlichen Verwaltungen und öffentlichen Einrichtungen mit Bussen und unter Zwang in die Wahllokale gebracht, was eine Straftat darstellt. […] In Wirklichkeit konnten 5 % Wähler auf diese Weise zur vorgezogenen Stimmabgabe gebracht werden, die restlichen 4 % sind einfach direkte Wahlfälschung. Zu diesen Stimmen gibt es sogar keine realen Listen von Wählern, die vorgezogen abgestimmt haben«.

Oxana Dmitrijewa im Blog bei Echo Moskwy, 19.09.2014 <http://echo.msk.ru/blog/dmitrieva/1402740-echo/>

Der kommunale Filter

Zum Einsatz einer neuen Methode zur »vorzeitigen Ausschaltung« der Oppositionskandidaten, nämlich des »kommunalen Filters«, äußert Alexej Nawalnyj scharfe Kritik. Der unter Hausarrest stehende Politiker war selbst vor den Moskauer Bürgermeisterwahlen 2013 mit dieser Hürde konfrontiert gewesen und nur nach der plötzlichen Einmischung und Unterstützung durch seinen Rivalen Sergej Sobjanin zu den Wahlen zugelassen worden. Nawalnyj besteht darauf, dass es beinahe unmöglich war, rechtmäßig zur Registrierung als Kandidat für die Moskauer Stadtsduma ca. 5.000 Unterschriften von Wählern aus dem jeweiligen Wahlkreis zu sammeln. Selbst nach der Abgabe von Unterschriften können Kandidaten der Willkür der Wahlkommission ausgesetzt sein. Die Behörde hat die Befugnis, die Unterschriften der Regierungsgegner für ungültig zu erklären oder auch bei gefälschten Unterschriften für die »Kandidaten der Macht« beide Augen zu zu drücken. Diese Manipulation ist schwer nachzuweisen. Ein gewisses Indiz, dass der kommunale Filter zugunsten der Macht instrumentalisiert wird, stellt ein Vergleich mit der Zahl der anschließend tatsächlich abgegebenen Stimmen dar: »Vergleichen wir einfach eine Durchschnittsbarriere von 5.000 Unterschriften und die reale Stimmenzahl bei den Wahlen. Wir schauen und erinnern uns, dass es deutlich schwieriger ist, eine regulär abgefasste Unterstützerunterschrift für einen Kandidaten zu bekommen als eine Stimme bei der Wahl. Betrachten wir zunächst unsere »Exklusiv-Parteien«. Bei »Jabloko« gibt es nur 10 von 44 Kandidaten, die mehr Stimmen bekommen haben als jene Barriere, die für die Unabhängigen errichtet wurde. Bei »Gerechtes Russland« sind es 10 von 45. Mit der LDPR ist alles klar. Bei denen hat nur ein Kandidat, der die Unterstützung von Sobjanin hatte, mehr als die Barriere bekommen, nämlich der Baumagnat Balakin, der mit der LDPR überhaupt nichts zu tun hat. Die »Bürgerplattform« stellen wir in einer gesonderten Tabelle dar. Ihre Kandidaten mussten Unterschriften sammeln, auch wenn sie formal keine selbstnomminierten Kandidaten waren. Drei von fünf haben mehr Stimmen als »gesammelte Unterschriften« bekommen. Die KPRF ist die einzige Partei der »System-Opposition«, die einen gewissen Anspruch auf vergünstigte Registrierung von Kandidaten hat. 35 von 45 Kandidaten haben mehr als 5.000 Stimmen bekommen. Nun zur Hauptsache: Schauen wir uns die Liste der »Selbstnominierten« an. Jede in dieser Liste hat formal eine gigantische Leistung vollbracht, [Unterschriften]Sammler rekrutiert und 5.000 Unterschriften bei den Wählern in seinem Wahlkreis gesammelt. Nur 13 Personen von 41 bekamen [bei den Wahlen] mehr als 5.000 Stimmen. Was ist mit den anderen passiert? Sowas gibt es doch nicht: 5.000 Unterschriften zu sammeln und 1.000 Stimmen bei der Wahl zu bekommen. Und das ist der Beweis, dass sowohl Sobjanin, als auch unser »Kroate Gorbunow«, als auch andere für Wahlen zuständige Beamte der Stadtverwaltung waschechte Straftaten begehen. Sie fälschen Unterschriften für die Scheinkandidaten und registrieren sie dann aufgrund dieser gefälschten Unterschriften.«

Alexej Nawalnyj im Blog navalny.com, 16.09.2014 <https://navalny.com/p/3817/>

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)


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