Das Ende des »Systems«?

Seit dem 16. September 2014 steht einer der reichsten Russen, Wladimir Jewtuschenkow, unter Hausarrest. Der Besitzer des Konzerns »AFK Sistema« war nach Ansicht des Strafermittlungskomitees Russlands (SKR) an Geldwäsche beteiligt. Der einflussreiche Unternehmerverband RSPP verurteilte das harte Vorgehen der Ermittler gegen den Milliardär und bat Präsidenten Putin, den Hausarrest aufzuheben. Die Bitte der Wirtschaftseliten stieß auf taube Ohren. Die Entschlossenheit, mit der die Justiz den Oligarchen verfolgt und gegen sein Unternehmen vorgeht, lässt vermuten, dass dies mit Zustimmung des Kreml geschieht. Kritiker unterstellen denn auch politische Motive.

»Ausschluss aus dem System«

Die Geschichte der Privatisierung von Baschneft reicht bis Anfang der 1990er Jahre zurück, als der Präsident von Baschkirien Murtasa Rachimow eine Anordnung von Jelzin zur Privatisierung im Erdölsektor ablehnte, bei der Eigentumsrechte von der Region an die Föderation zu übergeben waren. Das Unternehmen blieb weitere zehn Jahre im Besitz der Republik Baschkirien. Im Jahr 2002 wurde Baschneft privatisiert und in einem dubiosen Verfahren vom Sohn des baschkirischen Präsidenten, Ural Rachimow, übernommen. Moskau versuchte mehrmals erfolglos mit Hilfe von Rechnungshof, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden das Privatisierungsverfahren von Baschneft anzufechten. Doch alle Ermittlungen wurden schließlich wegen Verjährung eingestellt. Vor der Übernahme der Aktiva durch Wladimir Jewtuschenkow schien das Unternehmen 2009, u. a. nach Gutachten von internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, sauber zu sein. Erst fünf Jahre später soll das SKR neue Delikte bei der Privatisierung von Baschneft festgestellt haben und wirft nun Ural Rachimow rechtswidrige Aneignung von Aktien des Ölunternehmens und Wladimir Jewtuschenkow die Mitwirkung bei der Legalisierung der Aktiva vor. Der Wirtschaftsexperte Alexander Poljanskij verurteilt das Gerichtsverfahren gegen Jewtuschenkow und warnt vor einer neuerlichen Revision der Privatisierung in Russland: »Verwechseln die Ermittler etwa politische Bewertungen mit juristischen? Nachdem ihm [dem Strafermittlungskomitee] Bedingungen der ziemlich aufsehenerregenden Übernahme plötzlich eingefallen sind, die fünf Jahre zurückliegt, tritt es [das Strafermittlungskomitee] da nicht selbst als Instrument zur Umverteilung des Marktes auf? Wie viele alte Geschäfte wird es zukünftig noch in Zweifel ziehen?«.

Alexander Poljanskij im Blog bei Echo Moskwy, 27.09.2014 <http://echo.msk.ru/blog/alexpolyansky/1407786-echo/>

»Aus Willkür? Oder verdientermaßen?«

Kritiker werfen den Silowiki vor, dass sie hinter der Verfolgung von Jewtuschenkow zur Zerschlagung und weiteren Übernahme von Baschneft stehen. Der Ökonom Sergej Aleksaschenko zieht dabei Parallelen zum Fall Yukos und der Inhaftierung von Michail Chodorkowskij 2003 und weist auf die Skurrilität der Anschuldigungen gegen den Oligarchen hin: »Was Jewtuschenkow betrifft, oder genauer: ›Sistema‹, die ja die Aktien eigentlich gekauft hat, so ist allen klar, dass sie [Sistema] an Rachimov Junior (oder seinen Firmen) für diese Aktiva Geld gezahlt hat. Der Deal war also für Jewtuschenkows Firma nicht kostenlos. Auf jeden Fall müsste, wenn es um eine Kompensation an den Staat geht, für den Schaden der entstanden ist (der Erklärung des derzeitigen Präsidenten zufolge gibt es die einen solchen Schaden), dann müsste die Summe bei Rachimow Junior eingetrieben werden. […] Das heißt (falls nachgewiesen werden sollte, dass Rachimov Junior unentgeltlich (also umsonst) die Aktien von Baschneft zum Eigentum erhalten hat): Da die Baschneft-Aktien bereits fünf Jahre nicht im Besitz von Rachimow Junior, muss dieser das Geld zurückgeben. Er. Nicht Jewtuschenkow, der (genauer: »Sistema«, wo er das Kontrollpaket hat) anders als Golodowskij diese Aktiva gekauft hat. Für eine Summe, die bekannt ist. Und bei Personen, die bekannt sind. Genau deshalb ähnelt der Arrest von Jewtuschenkow der Verhaftung von Chodorkowskij. Im einen wie im anderen Fall haben die Autoren dieser Geschichte Interesse an den Aktien des Erdölunternehmens. Und keinesfalls an Gerechtigkeit und juristischer Sauberkeit«.

Sergej Aleksaschenko im Blog bei <livejournal.com>, 17.09.2014 <http://saleksashenko.livejournal.com/233601.html>

»Bruch des ›Sistema‹«

Der Fall Jewtuschenkow ist von unzähligen Entwicklungsszenarien und Gerüchten umringt, bei denen sich immer dieselbe Frage stellt: Wer könnte an der Übernahme von Baschneft ein Interesse haben? Die meisten Experten verweisen vor allem auf Igor Setschin, den Chef von Rosneft, und werfen ihm vor, das Untersuchungsverfahren gegen Jewtuschenkow initiiert zu haben. Der Politologe Georgij Bowt spricht aber auch von anderen Akteuren und Voraussetzungen, die zum Hausarrest des Oligarchen geführt haben könnten:

»Um den Fall herum gibt es eine Reihe von Versionen. Der Arrest erfolgte kurz vor der zweiten Zeichnung von Baschneft-Aktien, was für das Unternehmen eine Art Verteidigung vor räuberischer Übernahme hätte sein können, doch hierzu entwickelten die anderen verehrten Herren ihre eigenen Ansichten. Die Absicht zu einer solchen Übernahme bestätigen alle Akteure dieses Marktsektors, mit Ausnahme des Pressesprechers jener Struktur, auf die mit dem Finger gezeigt wird.

Und sollte etwa Wladimir Petrowitsch [Jewtuschenkow], der als nahezu gehorsamster der Oligarchen bekannt war, es missachtet haben, wenn man ihm ganz klar, in aller »Freundschaft« von oben gesteckt hätte: Lassen Sie es, das passt jetzt ganz schlecht, Sie verstehen schon… Er hätte es verstanden. Er hat sich ja auch bis zu einem gewissen Zeitpunkt abgesichert gefühlt. Denn wie Ex-Finanzminister Alexej Kudrin richtig bemerkte, ist die Übernahme von Baschneft seinerzeit auf allen Ebenen gutgeheißen worden. Die allerhöchste, so ist anzunehmen, eingeschlossen. Anders hätte es nach dem Fall Yukos auch nicht sein können, auch wenn 2009 Medwedew Präsident war.

Wenn das stimmt, wäre es der mysteriöseste Teil des versteckten Dramas […].

Ich neige eher zu der folgenden Version: Der Fall, wenn er nicht soweit Kreise dreht, dass er nicht mehr abzubremsen wäre, endet bestenfalls nicht einmal mit der Beschlagnahmung von ›Baschneft‹ als Ganzem, sondern mit der Übergabe der Lizenz für das Trebs-Titow-Vorkommen im Autonomen Bezirk der Nenzen.

Im Frühjahr hatte Baschneft in einem schwierigen Gerichtsverfahren diese Lizenz verteidigt. Baschneft-Polus, das Jointventure von Baschneft und Lukoil (Lukoil hat Sperrminorität), soll die Ausbeutung des Vorkommens übernehmen. Nun aber, angesichts der bekanntgewordenen fürchterlichen Umstände von Geldwäsche, die fünf oder sogar neun Jahre zurückliegt, könnte die Lizenz »sauberere Hände« übergeben werden. Stimmt diese Version, könnte im arteninternen Kampf der russischen Ölwelt Wagit Alekperows »Lukoil« als nächstes an der Reihe sein. […]

Fälle wie der Jewtuschenkow zeigen, dass es wegen der stagnierenden Konjunktur und natürlich der verschärften Konkurrenz um die knapper werden Finanzflüsse einen Kampf innerhalb der herrschenden Nomenklatura gibt.«

Georgij Bowt bei gazeta.ru, 22. 09. 2014, <http://www.gazeta.ru/comments/column/bovt/6229945.shtml>

»An die Unternehmer, und überhaupt«

Von einem Wechsel der Spielregeln zwischen dem Kreml und den Wirtschaftseliten spricht der Politiker Boris Nemzow in seinem Aufruf zur oppositionellen Friedensdemonstration. Nemzow zufolge können sich nun auch äußerst loyale Oligarchen in Russland kaum noch sicher fühlen: »Unternehmer haben üblicherweise viele Neider – sie sind reich, erfolgreich, können sich vieles leisten. In Russland ist es aber nicht so. Ich zum Beispiel habe Mitleid mit Unternehmern. Statt Freiheit und Unabhängigkeit [zu genießen], werden sie Sklaven ihres Kapitals und Eigentums, Geiseln ihrer Beziehungen zum Regime. Wie sie sich auch verhalten, loyal wie Jewtuschenkow oder nicht loyal wie Chodorkowskij, das Regime inhaftiert sie und plündert sie aus. […] Dass Loyalität keine Sicherheit mehr garantiert, ist nun für alle offensichtlich. Genau deswegen denken viele von ihnen immer öfter an Auswanderung und wollen nicht kämpfen.«

Boris Nemzow im Blog bei Echo Moskwy, 19. September 2014, <http://echo.msk.ru/blog/nemtsov_boris/1402594-echo/>

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin (Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)


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