Roskomnadsor: Aufsicht oder Zensur?

Seit einem Jahr häufen sich die Meldungen über Zensur im Internet durch »Roskomnadsor«. Die 2008 gegründete Behörde ist für die Aufsicht der Medien, Datenschutz, Lizenzierung sowie die Überwachung des Internets hinsichtlich der Verbreitung illegaler Filme, Musik und gefährdender Informationen zuständig. Nach einer Reihe von Gesetzesänderungen wurde »Roskomnadsor« auch die Funktion übertragen, Medien auf extremistische Inhalte zu prüfen. Der Begriff »Extremismus« wird in Russland allerdings oft sehr frei interpretiert, so dass nicht nur terroristische und rechtsextreme Organisationen, sondern auch einfache Nutzer in sozialen Netzwerken, beispielsweise nach einem Beitrag über unangemeldete Kundgebungen, mit einer Abmahnung bis hin zu einer Vorladung vor Gericht rechnen müssen. Im Kontext der Massenproteste auf dem Maidan wurden die Befugnisse der Aufsichtsbehörde noch erweitert, so dass Internetseiten gemäß einer Verordnung von Roskomnadsor auch ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden können. Am 1. Februar 2014, als die Gesetzesänderung in Kraft trat, wurden vier kritische Blogs gesperrt, darunter die Seite von »Memorial« über Menschenrechtsverletzungen, »grani.ru« und die Blogs der Oppositionspolitiker Garri Kasparow und Alexej Nawalnyj. Seitdem wurden viele, auch staatliche Medien mit Mahnungen und unerwarteten Blockierungen durch Roskomnadsor konfrontiert. Blogger berichten über den Alltag und eklatante Fälle von Zensur im Internet, unter anderem Alexej Nawalnyj über flächendeckende Sperrungen im Zusammenhang mit der Kundgebung für Föderalisierung in Nowosibirsk; das Portal »Prawoslawije i Mir« (Orthodoxie und Welt) berichtet über das Verbot einer Veröffentlichung von Informationen zum Selbstmord von Krebskranken; der Journalist Wasilij Romanow schreibt zum Verbot der Publikation der Karikaturen von Charlie Hebdo; die Journalistin Elena Michailowina berichtet über die Tätigkeit von Roskomnadsor im Jahr 2014 und Viktor Mutschnik, der Chefredakteur des regionalen Fernsehsenders TV-2 über die Schließung des Tomsker Senders.

Alexej Nawalnyj: Roskomnadsor blockiert jegliche Erwähnung der Kundgebung in Nowosibirsk zur Föderalisierung Russlands

»Die Geschichte mit diesem ›Marsch für die Föderalisierung Sibiriens‹, der da in Nowosibirsk stattfindet, ist einfach umwerfend.

Es ist sogar unklar, worauf man verweisen soll, um jenen, die nicht im Bilde sind (und das sind fast alle) zu erklären, was dieser Marsch ist. Aufgrund einer lokalen Veranstaltung lokaler Aktivisten hat Roskomnadsor eine ausgewachsene Hysterie veranstaltet und 14 (!!!) Verwarnungen an Medien ausgesprochen, dass das Einstellen von Informationen über den Marsch unzulässig sei. […]

Ein Interview mit Artjom Loskutow, dem Organisator des Marsches, ist auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft von dem Internetportal ›Slon‹ entfernt worden. Das Interview war absolut normal, vielen Sachen muss man einfach zustimmen. […]

Wenn man sich diesen Irrsinn anschaut, könnte man denken, dass in Sibirien geradezu ein Marsch für eine Loslösung [von Russland] stattfindet. Aber nichts dergleichen: Im Land mit dem Namen ›Russische Föderation‹ veranstalten einige Gestalten einen Marsch für Föderalisierung. Dafür, dass mehr Geld und Zuständigkeiten in der Region verbleiben […]«

Alexej Nawalnyj auf <navalny.com>, 02.08.2014 <https://navalny.com/p/3709/>

Romanow: »Roskomnadsor betreibt nicht einfach nur Zensur, es betreibt Schwachsinn«

»Es ist an der Zeit, sich zu dem Titelblatt von Charlie Hebdo zu erklären.

Zunächst die offizielle Position der Redaktion [abnews.ru].

Roskomnadsor hat von uns verlangt, das Foto des Titelblatts der letzten Nummer der Zeitschrift zu entfernen. Es verlangte das in mündlicher Form, mit dem Hinweis, dass wir andernfalls eine Verwarnung oder eine Vorladung vor Gericht erhalten würden. Die Behörde, so scheint es, bewertet die ›Karikaturen zum Propheten Mohammed und zu Jesus Christus‹ sowie Verweise auf solche Karikaturen als Verletzung des Extremismus-Gesetzes. Darüber hinaus sei es verboten, ›Materialien von Autoren zu veröffentlichen, die satirische Arbeit rechtfertigen‹, sowie ›positive Bewertungen dieser Materialien‹ abzugeben.Die Redaktion erkennt in diesem Bild nichts Gesetzeswidriges.Auf dem Titelblatt von Charlie Hebdo steht nirgends geschrieben, dass der Prophet dargestellt wird. Wie kann man verstehen, dass gerade er gemeint ist? Darauf wusste unser Gesprächspartner keine Antwort.Wir haben beschlossen, der Forderung von Roskomnadsor formal nachzukommen (schließlich sind wir gesetzestreue Bürger) und das Bild durch ein anderes auszutauschen, auf dem geschrieben steht: ›Wir können diese Illustration aufgrund der dringlichen Bitte von Roskomnadsor nicht zeigen‹. Ich bin der Ansicht, dass wir zum einen den ›Streisand-Effekt‹ nutzen und zum zweiten schützen wir unsere Internetseite vor einer Sperrung und lassen somit die Leserschaft nicht uninformiert.

Nun informell.

Roskomnadsor betreibt nicht einfach nur Zensur, es betreibt Schwachsinn. Wie kann ›Satirearbeit gerechtfertigt‹ werden? ›Malt mehr Bilder vom Propheten‹, das kann ich noch verstehen, das ist eine Rechtfertigung. Aber die Veröffentlichung eines Titelblattes? Unsinn.

Und überhaupt ist es mehr als kränkend, wenn selbst dann, wenn die gesamte Welt kondoliert, wenn dabei die Oberhäupter von Palästina und Israel gemeinsam schreiten (und übrigens auch Lawrow da irgendwo ging), Roskomnadsor da etwas verbietet. Herzlich willkommen in der Dritten Welt.«

Wasilij Romanow auf Echo Moskwy, 15.01.2015 <http://echo.msk.ru/blog/romanoff1987/1474444-echo/>

Prawoslawije i Mir: Zum Verbot der Publikationen über den Selbstmord von Krebskranken

»Das Internetportal ›Prawoslawije i Mir‹ hat im Zusammenhang mit der Nachricht über den Selbstmord von Krebskranken die zweite Verwarnung von Roskomnadsor erhalten.

[Zitat aus der E-Mail von Roskomnadsor:] ›[…] Wir weisen Sie darauf hin, dass die Informationen, die durch die Entscheidung von Roskomnadsor vom 25.02.2015 als verboten eingestuft wurden, nur zum Teil vom Seitenverzeichnis der Internetseite […] entfernt worden sind. Als verboten eingestuft wurden die Beschreibung von Selbstmordmethoden (Sprung aus der Höhe und Erhängen) sowie des Grundes für den Selbstmord, unter anderem: ‚Die Frau des Verstorbenen erklärte, dass ihr Mann wegen der Krebserkrankung unter ständigen Schmerzen litt und oft davon sprach, dass er von der Krankheit müde sei‘[…]‹. ›Die erste Verwarnung haben wir am 27. Februar dieses Jahres erhalten, worauf wir umgehend die Informationen darüber entfernt haben, auf welche Weise Selbstmord verübt wird. Zuvor hatte unser Projekt ‚Gegen Suizid!‘ ebenfalls Verwarnungen erhalten, obwohl alle Materialien der Internetseite auf den Kampf gegen Selbstmord ausgerichtet und von Krisenpsychologen geprüft waren‹, kommentierte Anna Danilowa, die Chefredakteurin des Internetportals ›Prawoslawije i Mir‹ die Situation.

Die Verwarnung durch ›Rospotrebnadsor‹ [Föderaler Aufsichtsdienst für den Schutz der Verbraucherrechte und das Wohl des Menschen; d. Red.] betrifft die Nachricht vom 20.02.2015: ›In Moskau haben sich zwei Krebskranke umgebracht‹.

Die Arbeit von Rospotrebnadsor zur Selbstmordverhütung erfolgt im Rahmen der Umsetzung der Regierungsverordnung Nr. 1101 der Russischen Föderation vom 26.10.2012 ›Über das […] Einheitsregister für Domänen und Seitenverzeichnisse im Internet und für Websites im Internet, […] die Informationen enthalten, deren Verbreitung in der Russischen Föderation verboten ist.‹

Aufgrund von Hinweisschreiben an Rospotrebnadsor über die Einstellung ins Internet von Materialien, die verschiedene Selbstmordmethoden beschreiben, werden Beschlüsse über eine Sperrung der betreffenden Internetseiten getroffen, die Informationen über Selbstmordmethoden und / oder Aufrufe zum Selbstmord enthalten […].

Wir erinnern daran, dass es seit Anfang Februar 11 Selbstmorde von Krebskranken gegeben hat.

Das Gesundheitsamt der Hauptstadt hat nach der Selbstmordserie die Versorgung von Krebskranken mit Palliativmitteln geprüft.

Der stellvertretende Bürgermeister hat erklärt, dass Krebskranke nicht wegen der Schmerzen Selbstmord begingen.«

Prawoslawije i Mir, 19.03.2015; <http://www.pravmir.ru/portal-pravoslavie-i-mir-poluchil-vtoroe-preduprezhdenie-roskomnadzora/>

Jelena Michajlowina: 525 Seiten im Jahr 2014 wegen Extremismus blockiert

»Der Leiter von Roskomnadsor Alexander Sharow hat berichtet, wie viel Internetseiten seine Behörde im Jahr 2014 wegen Verbreitung von Aufrufen zu Massenunruhen, extremistischen Handlungen oder zur Beteiligung an nicht genehmigten Aktionen gesperrt hat. ›RIA Nowosti‹ zitiert seine Erklärung.

[…]

›Die Zusammenarbeit von Roskomnadsor und Generalstaatsanwaltschaft erlaubt es, die propagandistischen Maßnahmen der verschiedenen extremistischen Organisationen, die die physische Vernichtung von Menschen zum Ziel haben, auf Null zu reduzieren. Heute betrifft das vor allem islamische Terrororganisationen und ukrainische nationalistische Gruppierungen‹, lautete der Kommentar des Behördenchefs.

Darüber hinaus habe die Behörde Maßnahmen ergriffen, die den Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie, der Propagierung von Drogenkonsum und von Suizid blockieren, sagte der Leiter von Roskomnadsor.

Seit Ende 2013 werden in das Register der verbotenen Internetseiten auch Internetseiten aufgenommen, zu denen der Zugang aufgrund eines Gerichtsbeschlusses gesperrt wurde. In das Register sind derzeit über 8.500 Seiten aufgrund von über 4.000 Gerichtsbeschlüssen aufgenommen worden.«

Jelena Michailowina auf »The Village«, 20.04.2015 <http://www.the-village.ru/village/situation/situation/180515 -roskomnadzor>

Viktor Mutschnik: Über die Abschaltung des regionalen Fernsehsenders TV-2 in Tomsk

»Vor einem Jahr, am Abend des 19. April, verschwand das Signal von TV-2 aus dem Äther. ›Haben sie euch abgeschaltet?‹ fragten sofort einige beunruhigte Bekannte, die anriefen. ›Ach, nein‹, antwortete ich aufrichtig. ›Das ist nur ein Unfall. Sie haben versprochen, es wieder in Ordnung zu bringen.‹ Ich habe mich damals geirrt. Schließlich war es früher immer so gewesen, dass die Unannehmlichkeiten für uns von Roskomnadsor ausgingen und die Lizenz betrafen. Dass man einfach den Sender kappen würde, das hatten wir zuvor nicht erlebt. Druck haben wir seit Langem verspürt. Drohungen und Andeutungen hat es in letzter Zeit ständig gegeben. Die Atmosphäre wurde drückender. Besonders nach dem Maidan in der Ukraine und den taurischen [Krim-] Siegesglorien. Aber aus Gewohnheit stellten wir uns eine mögliche Vernichtung des Senders als langwieriges Vorgehen im juristischen Rahmen vor. Die Zeiten sind jedoch einfacher geworden.

[…]

Wer genau, auf welcher Ebene, die endgültige Entscheidung zu TV-2 getroffen hat, ist schwer zu sagen. Wohlinformierte Leute, die in den Dienstzimmern ein- und ausgehen, diejenigen, die uns zu helfen versuchten, zuckten ratlos mit den Schultern und meinten: ›Ihr werdet irgendwo auf ganz hoher Ebene um die Ecke gebracht‹.

Es wurde von Anzeigen und Denunziationen gesprochen, die aus Tomsk nach Moskau gingen. Jetzt ist dokumentarisch belegt, dass eine davon aus der Präsidialadministration an Roskomnadsor weitergeleitet wurde. Im letzten Jahr. Sie war, wie das in solchen Fällen üblich ist, von einem unbekannten Rentner unterschrieben. Man kann jedoch annehmen, dass es nicht nur anonyme Rentner sondern auch durchaus reale Amtsträger gab. In unserer Hacker-Epoche werden zukünftig noch viele interessante Dokumente auftauchen. Zweifellos.

Es brauchte über ein Jahr, um den Fernsehsender abzuschalten. Von April bis Februar. Man hätte uns natürlich schneller beseitigen können. Doch haben wir uns heftig gewehrt. Die Resonanz in den Medien auf die ungeheuerlichen Geschehnisse war groß. Kollegen aus ganz Russland und darüber hinaus haben viel über das Schicksal des kleinen Fernsehsenders in einer nicht allzu großen Stadt geschrieben und gesprochen. Auch die Stadt hat uns sehr geholfen. Seit Menschengedenken hat es nicht mehr derart massenhafte Protestaktionen gegeben, wie die Demonstrationen und Mahnwachen zur Unterstützung von TV-2. Und das ist viel wert.

Schließlich hat jeder Mensch mal Zweifel am Nutzen seiner Arbeit. Während dieses Jahres hat uns die Stadt das Gefühl gegeben, dass Tomsk den Fernsehsender gebraucht hat. Dass er von ganz unterschiedlichen Leuten mit ganz unterschiedlichen Ansichten gebraucht wurde.

[…]

Was ist das Ergebnis? Heute sind von TV-2 rund 20 Leute geblieben. Ungefähr hundert haben ihre Arbeit verloren. Viele haben, zum Glück, wieder etwas gefunden. Ich freue mich für sie. Aber das ist noch nicht allen gelungen. Besonders schwer ist es für Journalisten. Wer bei TV-2 gearbeitet hat, möchte nicht unbedingt in irgendeiner der anderen Medienorganisationen in Russland anfangen. Die Gewohnheiten, die Reputation…Schwierig, das alles.

Ich denke, es wurde erwartet, dass TV-2 nach der Abschaltung automatisch zugrunde gehen würde. Man kann ja im Internet, in einem schrumpfenden Markt, keine großen Sprünge machen. Man nahm an, wir würden langsam verkümmern.

Aber wir werden weiterarbeiten. Und dann kam da noch eine Förderung von der Stiftung ›Sreda‹. Das war wohl für diejenigen, die uns vernichten wollten, eine große Überraschung. Den hysterischen Reaktionen der ›Sonderkommandos‹ im Internet nach zu urteilen.

Also werden wir unser Publikum sammeln, die Website erneuern. Deren Einnahmen steigern. Und vor die Gerichte ziehen. Was auch immer das für Gerichte sein mögen. […]«

Viktor Mutschnik, 20. 04. 2015 <http://www.tv2.tomsk.ru/article/god-fidera>

Ausgewählt und zusammengefasst von Sergey Medvedev, Berlin(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)


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