Die Geschichte der »Frauenfrage« in Russland
Russland wird oft als beispielhaft genannt, als ein Land, in dem der Staat bereits in den 1920er Jahren eine zielstrebige Gendermodernisierung vorgenommen hat: Frauen erhielten fast alle Rechte (politische, bürgerliche, soziale) und waren in beträchtlichem Maße von häuslichen Pflichten und der Betreuung der Kinder befreit. Jene Periode (bis zur Mitte der dreißiger Jahre) wird üblicherweise als Programm der »neuen Lebensweise« und der »neuen Frau« bezeichnet: Die Verfahren zur Eheschließung und -auflösung wurden erheblich vereinfacht, es wurden kostenlose staatliche Kindergärten und Krippen sowie preisgünstige öffentliche Kantinen für Mitarbeiter von Betrieben und Fabriken eingerichtet. Was der sowjetische Staat von einer Frau aber am meisten erwartete, war, dass sie arbeitete.
Im Laufe der Sowjetzeit wandelte sich die »Frauenfrage« allerdings mehrfach: Phasen sexueller und rechtlicher Liberalisierung wechselten abrupt mit einer Politik des staatlichen Paternalismus, mit Abtreibungsverbot und einer Kontrolle über die Sexualität der Frau; die Arbeitsrechte von Frauen wurden zum Teil beschnitten.
Teilhabe der Frauen in der Politik
In der gegenwärtigen Verfassung der Russischen Föderation heißt es: »Männer und Frauen verfügen über gleiche Rechte und Freiheiten sowie über gleiche Möglichkeiten, diese zu verwirklichen«. Auch wenn die Rechte und Freiheiten auf der Gesetzesebene tatsächlich gleich sind und das Gesetz in einzelnen Fällen sogar in erster Linie Frauen schützt, so sind die Möglichkeiten zur Verwirklichung längst noch nicht Realität.
In Russland gibt es in der Politik nicht eben wenige Frauen. In den Parlamenten der unterschiedlichen Ebenen sitzen zu 55 Prozent Frauen, in Gerichten und Staatsanwaltschaften sind es jeweils 68 Prozent, doch bei den höherrangigen Posten nimmt der Prozentsatz erheblich ab. In der Staatsduma haben Frauen nur 14 Prozent der Mandate, im Föderationsrat, dem Oberhaus, sind es nur 8 Prozent. Eine solche »gläserne Deckelung« besteht vielfach aufgrund von Vorurteilen und Stereotypen über Frauen in der Politik. Umfragen des Lewada-Zentrums zufolge sind 59 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen der Ansicht, dass das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation nicht von einer Frau bekleidet werden sollte.
Unter den Oberhäuptern der etwas über achtzig Föderationssubjekte gibt es nur drei Frauen (Stand: Oktober 2015). Gleichzeitig warb bei den Gouverneurswahlen in St. Petersburg einer der Kandidaten mit dem Slogan: »Gouverneur ist ein Männerjob«, was die bestehenden Genderstereotypen des politischen Regimes verdeutlicht. Die Anzahl der weiblichen Abgeordneten der Staatsduma nimmt mit jeder Wahlperiode zu, doch sind viele Frauen im Grunde keine Politikerinnen, sondern erfüllen dort lediglich eine »dekorative Funktion«, was oft in einer herablassenden oder gar spöttischen Haltung ihnen gegenüber Ausdruck findet, die bei männlichen Politikerkollegen und in der Bevölkerung verbreitet ist. Dabei ist zu erwähnen, dass die wenigen Frauen, die in Russland hohe politische Ämter bekleiden, oft eine offen frauenfeindliche Politik betreiben, indem sie Initiativen vorschlagen oder mittragen, die die Rechte und Freiheiten von Frauen beschneiden. So sind beispielsweise auf Initiative der Duma-Abgeordneten Jelena Misulina Abtreibungsbeschränkungen eingeführt worden; daneben wurde auch vorgeschlagen, dass Verhütungsmittel nur auf Rezept verkauft werden können, dass auf Scheidungen eine föderale Steuer eingeführt wird, und dass eine Ehe erst nach kirchlicher Trauung rechtskräftig wird.
Wirtschaftliche Aktivität und deren Einschränkungen
Was die Beteiligung von Frauen am Wirtschaftsleben anbelangt, ist die Situation fortschrittlicher: Laut einer Studie des internationalen Consulting-Unternehmens »Grant-Thornton International« beträgt der Anteil weiblicher Firmenvorsitzender in Russland 43 Prozent, was den weltweit höchsten Wert darstellt! Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Wert bei nur 14 Prozent. Allerdings gibt es auch gegenteilige Aussagen. So liegt nach Angaben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft »Deloitte Touche Tohmatsu« der Anteil weiblicher Vorstandsvorsitzender in Russland lediglich bei 5,7 Prozent. Gleichwohl befindet sich in Russland die Beteiligung von Frauen am Wirtschaftsleben über die vergangenen 70 Jahre hinweg auf recht hohem Niveau.
Die Gründe für diese wirtschaftliche Aktivität liegen in dem erwähnten Modernisierungsprojekt der Sowjetunion: In der UdSSR mussten alle arbeiten, und es gab sogar einen Artikel im Strafgesetzbuch gegen »Schmarotzertum«. Darüber hinaus besteht in Russland ein demographischer Überhang von 57 Prozent Frauen gegenüber 43 Prozent Männer, was zu einer hohen Anzahl berufstätiger Frauen führt. Für das hohe Beschäftigungsniveau gibt es allerdings auch eine negative Erklärung: In Russland ist die Scheidungsrate sehr hoch und somit auch die Zahl der Haushalte mit alleinerziehenden Müttern. Daher müssen viele Frauen sich und ihre Kinder allein ernähren.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise der 1990er Jahre hat die Vorstellungen des traditionellen Gendervertrags, bei dem der Mann der Ernährer ist und die Frau den Haushalt führt, endgültig zerstört. Als das alte Wirtschaftsmodell zusammenbrach, wurden staatliche Unternehmen zu Tausenden abgewickelt und viele Männer kamen mit dem Verlust ihrer Rolle als Ernährer und Familienoberhaupt nicht zurecht. Das führte zu einer erhöhten Sterblichkeit in der männlichen Bevölkerung wegen Alkoholismus, Selbstmord oder anderer Gründe. Frauen erwiesen sich als flexibler und waren in der Lage, sich an die geänderten Realitäten anzupassen: Zehntausende russischer Frauen, die noch vor kurzem angesehenen Berufen nachgingen , machten sich nun nach Polen und in die Türkei auf, um dort Waren einzukaufen, die sie dann auf Märkten in Russland weiterverkauften. Auch heute wird der größere Teil aller Kleinunternehmen in Russland von Frauen angeführt.
Andererseits schaffen die Strukturen und Regeln des Arbeitsmarktes in Russland eine Vielzahl von Beschränkungen für Frauen. In der Regel arbeiten in den gut bezahlten Branchen (Energiewirtschaft, Maschinenbau, Finanzwirtschaft, Ölförderung) vor allem Männer, und in den einkommensschwächeren Bereichen (Soziales, Bildung, Gesundheitswesen) eher Frauen.
Außerdem besteht in der Russischen Föderation weiterhin eine Liste körperlich schwerer Arbeiten und Arbeiten unter gesundheitsschädigenden oder gefährlichen Bedingungen, bei denen der Einsatz weiblicher Arbeitskräfte verboten ist. Es gibt über 400 solcher Berufe. So ist es Frauen zum Beispiel nicht erlaubt, als Busfahrerin oder Lokführerin zu arbeiten (nicht einmal als Hilfslokführerin). Frauen dürfen keine Traktoren, Lastwagen, Propellerschlitten oder Planierraupen fahren. In Russland kann es keine Bootsfrauen, Matrosinnen, Schiffsführerinnen, Taucherinnen, Schreinerinnen oder Installateurinnen geben. Die Schöpfer dieser Liste behaupten, dass sie aus Sorge um die Gesundheit der Frau erstellt wurde, die ja potentiell Mutter werden könnte. Aber sie nimmt jenen Frauen, die schon die gewünschte Anzahl Kinder haben oder kinderlos sind, die Möglichkeit, in diesen Berufen zu arbeiten. 2009 sorgte Anna Klewez, Absolventin einer juristischen Hochschule, für den ersten Präzedenzfall, als sie sich mit einer Beschwerde an das Oberste Gericht Russlands wandte, wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei der Einstellung. Sie hatte versucht, sich bei der U-Bahn als Hilfsfahrerin zu bewerben, jedoch mit Verweis auf die Liste eine Absage erhalten. Dabei gibt es in dem Verzeichnis Berufe, die seinerzeit durchaus erfolgreich von Frauen ausgeübt worden waren. Während des Krieges hat es professionelle Seefrauen, Monteurinnen, Chemikerinnen, Gießerinnen usw. gegeben. Heute sind all diese Berufe für Frauen verboten. Die Logik, mit der diese Liste erstellt wurde ist recht merkwürdig: Es gibt eine Reihe Berufe mit gesundheitlichen Risiken, in denen Frauen arbeiten. Zum Beispiel als Malerinnen, die jedoch ein geringeres Gehalt beziehen als Lokführer.
Das durchschnittliche Einkommen von Frauen liegt landesweit bei 65 Prozent von dem der Männer, wobei Frauen 58 Prozent derjenigen mit Hochschulabschluss stellen. Der Studie »Karrieremöglichkeiten für Frauen im Unternehmen« von »PriceWaterhouseCoopers« und dem »Managerverband« (»Assoziazija Menedscherow«) zufolge wurde in jedem dritten Unternehmen angegeben, dass Frauen bereit sind, für ein sehr viel geringeres Einkommen als das der Männer zu arbeiten, und dass sie sowohl ihre Arbeit als auch ihre Fähigkeiten als geringer einschätzen (pwc: Career Opportunities for Women in Business, März 2012; <http://www.pwc.ru/hr-consul ting/publications/assets/women_in_business_eng.pdf>)
Genderspezifische Einkommensunterschiede werden auch bei Stellenausschreibungen manifest: Bei den meisten Angeboten ist, wenn ausschließlich Männer gesucht werden, die angebotene Bezahlung erheblich höher als bei jenen, mit denen Frauen gesucht werden.
Darüber hinaus stehen auch Vorurteile der Chefs hinsichtlich der Karrierewünsche von Frauen dem beruflichen Aufstieg von Frauen im Wege, ebenso der Unwille, junge Frauen einzustellen, weil die sich möglicherweise bald zu einem Kind entscheiden könnten. Das ist zum Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass Frauen in Russland Anspruch auf anderthalb Jahre bezahlten Mutterschaftsurlaub haben, und den auf Wunsch um zusätzliche anderthalb Jahre unbezahlten Urlaub verlängern können, wobei der Arbeitgeber die Stelle für sie freihalten muss. Im Zuge der Wirtschaftskrise haben Arbeitgeber 2009 in großer Zahl schwangere Mitarbeiterinnen rechtswidrig entlassen. Frauen-NGOs haben in St. Petersburg 700 Fälle registriert, in denen Schwangere entlassen wurden und die Zahlungen der Bezüge an Mütter mit kleinen Kindern ausblieben. Das führte zu einer großen öffentlichen Kampagne der Frauenorganisationen mit der Forderung, die betroffenen Frauen wieder einzustellen. Bei einer großen Protestaktion gingen Hunderte Frauen auf die Straße und protestierten gegen die Missachtung ihrer Rechte.
Zwischen Karriere, Mann und der Rolle einer »echten Frau«
In Russland sind Frauen weiterhin weit von einer Balance zwischen Familie und Beruf entfernt. Der Haushalt sowie die Versorgung von Kindern und älteren Verwandten sind in den meisten Fällen reine »Frauensache«.
Nach Angaben des »Russischen Monitorings zur wirtschaftlichen Lage und zur Gesundheit der Bevölkerung« (1994–1998) verbringen Frauen in Russland rund 30,3 Stunden pro Woche mit Hausarbeit, bei Männern sind es 14 Stunden. Dabei liegt der zeitliche Beschäftigungsumfang von Beruf plus Hausarbeit bei Frauen im Schnitt um 25 Prozent höher als bei Männern.
Vor einiger Zeit ist im Internet ein aufschlussreicher Artikel zum Thema »Mann oder Job aufgeben?« veröffentlicht worden, in dem die Geschichte einer Frau diskutiert wird, die die Hauptlast der materiellen Versorgung ihrer Familie trug, und die für eine neue Arbeit in eine andere Stadt hätte ziehen müssen. Ihr Mann war kategorisch dagegen. Knapp die Mehrheit der weiblichen Internet-User unterstützte die Idee, sich für den Job zu entscheiden, während die männlichen Leser über eine solche Lösung empört waren. Dieser Fall macht deutlich, dass die Karriere einer Frau von Männern nicht als Wert an sich wahrgenommen wird: Sie ist nur als »zweite« Arbeit möglich, und wenn jemand seine Karriere zugunsten des Partners aufgibt, dann ist es die Frau.
Ein weiteres Problem, das auf Druck durch das patriarchale Bewusstsein zurückzuführen ist, sowie darauf, dass Frauen in Russland eine bestimmte Genderrolle aufgezwungen wird, besteht darin, dass Frauen eine Stigmatisierung als schlechte Hausfrau, schlechte Mutter oder schlechte Tochter droht. Aus diesem Grund sind es vor allem die familiären Rollen der Frau, durch die sie in der öffentlichen Meinung definiert und beurteilt wird.
Ein im Jahr 2000 im Auftrag der Weltbank erstellter Bericht zu Genderaspekten der Armut in Russland hat aufgezeigt, dass der Frauenanteil unter den armen Bevölkerungsschichten zunimmt. Diese Feminisierung der Armut betrifft vor allem zwei Bevölkerungsgruppen: Rentnerinnen und alleinerziehende Mütter. Wegen der erwähnten hohen Sterblichkeit bei Männern gibt es fast 120 Prozent mehr Frauen als Männer im Rentenalter. Und da in Russland das Rentenalter für Frauen bei 55 Jahren liegt und die Rente durchschnittlich umgerechnet rund 150 Euro beträgt (Kurs vom Oktober 2015), machen ältere Frauen einen erheblichen Anteil der von Armut betroffenen aus.
Es ist somit nicht verwunderlich, dass Frauen in Russland weiterhin eine schlecht bezahlte Bevölkerungsgruppe darstellen. Frauen machen auch einen beträchtlichen Anteil der sogenannten »neuen Armen« aus, also jener, die in Armut leben, obwohl sie eine Arbeit haben. Soziologen und Demographen beschreiben die Situation mit folgender Formel: »Männer in Russland verdienen mehr, werden aber eher krank und sterben früher«.
Die Gründe für diese Lage der Frauen liegen nicht nur in strukturellen Beschränkungen, die durch die derzeitige Gesetzgebung in Russland geschaffen werden, sondern auch im patriarchalen Bewusstsein und den Spezifika der russischen Genderordnung, die von Wissenschaftlern als »Neotraditionalismus« bezeichnet wird. Dieser kommt in einer strikten Polarisierung der Genderrollen, doppelten Standards und hartnäckigen Genderstereotypen, vor allem in für Frauen diskriminierender und erniedrigender Form zum Ausdruck. Die öffentliche Meinung in Russland neigt bei der Erklärung von Genderunterschieden zu einem starken Biologismus. Das ist auch der Grund, warum ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die Auffassung, dass Frauen eine aktive Rolle auf den höchsten Ebenen von Wirtschaft und Politik spielen sollten, nicht teilt. Die Auffassung, das sei »keine Frauensache« ist immer noch sehr verbreitet.
Der Neotraditionalismus kommt auch in den Bereichen Familie und Kultur durch die Besonderheiten zum Tragen, durch die sich Frauen in Russland von denen in Europa unterscheiden. Insbesondere sind Frauen in Russland in sehr viel größerem Maße auf Ehe und Mutterschaft ausgerichtet, als auf Karriere. Daher sind in Russland das Heiratsalter und das Alter bei der Geburt des ersten Kindes niedriger. In der Sprache und in den Vorstellungen existieren hartnäckige Euphemismen zur Bezeichnung von Frauen: »das schwache Geschlecht«, »das schöne Geschlecht«. Auf der Verhaltensebene wird von Frauen Bescheidenheit erwartet, eine untergeordnete Stellung, die Fähigkeit zuzuhören, ohne zu unterbrechen, und nicht die eigene Meinung zu sagen. Die überaus populäre Wendung »eine Frau sollte immer Frau bleiben« spiegelt die verbreiteten Erwartungen an das Äußere einer Frau wider, dass sie selbst als erfolgreiche Politikerin oder Geschäftsfrau auf ihr Äußeres zu achten habe, weiblich, schön und sexy sein soll.
»Konservative Wende« und mögliche Hilfsinstrumente für Frauen
In den vergangenen fünf Jahren sind in der staatlichen Genderpolitik konservative Tendenzen auszumachen. Homophobie und feindliche Haltungen gegenüber ungewöhnlichen Gender-Erscheinungen nehmen zu. 2013 sind zwei Dokumente verabschiedet worden: die »Strategie der Familienpolitik bis 2015« und die »Strategie der Demographie-Politik bis 2025«. In beiden Dokumenten liegt der Akzent auf den demographischen Pflichten der Frau und der Normativität der »traditionellen russischen Familie«, unter der eine registrierte heterosexuelle Ehe mit anschließender Geburt von mindestens zwei Kindern verstanden wird.
In jüngster Zeit wurden Gesetzesänderungen vorgenommen, die das Recht der Frau auf Abtreibung erheblich einschränken. Dies geschah auf intensiven Druck der Russischen Orthodoxen Kirche, die eine strikte pro life-Haltung einnimmt. Gleichzeitig fehlen in Russland eigene Gesetze zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Ahndung von häuslicher Gewalt.
Der Druck der patriarchalen Werte führt zu einem hohen Gewaltniveau gegen Frauen. Nach Angaben russischer NGOs werden in der Russischen Föderation täglich 36.000 Frauen von ihren Männern oder Lebensgefährten geschlagen.
Die wenigen existierenden Frauen-NGOs leiden unter mangelnder Finanzierung, und in den letzten zwei Jahren unter einer Vielzahl von Überprüfungen aufgrund des Gesetzes über »ausländische Agenten«. Diesem Gesetz zufolge müssen sich nichtkommerzielle Organisationen, die eine Finanzierung aus dem Ausland erhalten und politisch tätig sind (was sehr breit ausgelegt wird und beispielsweise auch Genderaufklärung und Kritik an der staatlichen Bevölkerungspolitik einschließt), als »ausländischer Agent« registrieren lassen.
Der Einsatz für Frauen- und LGBT-Rechte wird dadurch zunehmend als prowestlich und den russischen Werten fremd wahrgenommen. Dieser Druck ist besonders heftig im Nordkaukasus zu spüren, wo ein Großteil der Frauenorganisationen durch Überprüfungen und Drohungen von Seiten lokaler Behörden praktisch gelähmt ist. Die Lage der Frauen dort mutet immer mittelalterlicher an, da in dieser Region Kinderehen, Beschneidung von Frauen und »Ehrenmorde« immer populärer werden.
Letztlich werden die konservativen Tendenzen, die auf politischer und ideologischer Ebene zu beobachten sind, aber längst nicht immer vom realen Leben gestützt. Frauen fordern mittlerweile immer aktiver die Wahrung ihrer Rechte. Eine neue Generation Frauen schiebt Heirat und Kinder immer häufiger hinaus und widmet der Karriere mehr Zeit. Frauen der Mittelschicht nehmen immer öfter die Dienste von Kinderfrauen, Babysittern und Hilfskräften für den Haushalt, die Kinderbetreuung und Pflege von älteren Verwandten in Anspruch. Die Veränderungen haben auch das Verhalten von Männern beeinflusst. In der jüngeren Generation sind auch immer mehr junge Männer Anhänger egalitärer Werte und Prinzipien. In den Großstädten gibt es Männer, die sich als »verantwortungsbewusste« oder »neue« Väter bezeichnen; sie sind bei der Kinderbetreuung aktiv und gehen in Elternzeit. Daher lässt sich behaupten, dass es eine Rückkehr zum Traditionalismus nicht geben wird!
Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder