»Herr Peskow, morgen werden Sie bis in die Nacht hinein arbeiten. Merken Sie sich das bitte bei Ihren Plänen vor. 9 Uhr abends Moskauer Zeit.«, so kündigte Drew Sullivan, der Leiter des Internationalen Konsortiums für investigative Journalisten (ICIJ) am Vorabend die Veröffentlichung einer Teiluntersuchung aus den »PanamaPapers« an, in der Offshore-Geschäfte mehrerer Mitglieder der russischen Regierung und des Parlaments nachgewiesen werden. Eine Woche zuvor hatte Dmitrij Peskow, der Pressesprecher von Putin, vor einer bevorstehenden »Medienattacke« gegen Putin, dessen Familie und Kindheitsfreunde gewarnt. Am 3. April veröffentlichte die »Nowaja Gaseta« als russischer Partner des riesigen internationalen Journalisten-Teams eine Serie von Beiträgen über die Verbindungen mehrerer russischer Staatsbeamten zu Offshore-Konten in Panama. Auf der Liste steht auch der Cellist Sergej Roldugin, über dessen Offshore-Firma, laut der »Nowaja Gaseta«, ca. 2 Milliarden US-Dollar zirkuliert seien. Dabei war Roldugin bisher in der Presse nie als Großunternehmer aufgetaucht, sondern immer als enger Freund und Vertrauter von Wladimir Putin. Wie schon eine Woche zuvor wies Dmitrij Peskow, der wegen des Offshore-Kontos seiner Frau ebenfalls auf der Liste zu finden ist, auch jetzt sofort alle Anschuldigungen gegenüber russischen Politikern zurück und nannte das Ganze »Putin-Phobie«, hinter der unter anderem ehemalige Mitarbeiter des US-Außenministeriums und der CIA stünden. Im Gegensatz zu der detaillierten Berichterstattung über die Offshore-Geschichte des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko wurde der Vorwurf gegen Präsident Putin im russischen Staatsfernsehen nur beiläufig erwähnt und schnell relativiert.
Über die PanamaPapers und die Korruptionsvorwürfe gegen Putin diskutiert seit Tagen die russische Blogosphäre; zu Wort meldeten sich u. a. der Publizist Dmitrij Bawyrin, der Journalist Michail Sokolow, der Journalist Kirill Rogow, der Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj, die stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Jelena Panfilowa, die Politologin Jekaterina Schulman und der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew.
Peskow: Die »Putin-Phobie« hat ein neues Niveau erreicht
»Es gibt keinerlei qualifizierte Informationen über den Präsidenten. Allgemeine Überlegungen, Unterstellungen, Spekulationen usw., die keine Reaktion erfordern. Was den Großteil des Inhalts anbelangt, so betrifft uns das nicht, das hat mit dem Präsidenten nichts zu tun. […]
Wir kennen diese Journalisten-Community gut […]. Es gibt dort offenbar viele Journalisten, deren Hauptberuf wohl kaum Journalismus ist; viele Vertreter [der Community] sind ehemalige Mitarbeiter des US-Außenministeriums und der CIA und anderer Geheimdienste. Wir wissen, wer diese Organisation finanziert. Diese Informationen sind offen zugänglich und sprechen für sich selbst. Ich meine dabei vor allem die Befangenheit und die vorhersehbaren Methoden dieser Genossen. […]
Offensichtlich ist auch, dass draußen der Grad der »Putin-Phobie« ein derartiges Niveau erreicht hat, dass man praktisch über Russland, oder irgendeine Handlung Russlands, über Russlands Erfolge a priori nichts Gutes sagen kann. […]«
Auszüge aus der Presse-Konferenz von Dmitrij Peskow vom 4. April 2016 in Moskau <http://ria.ru/politics/2016 0404/1402137506.html>; <http://ria.ru/politics/20160404/1402131619.html>
Bawyrin: Krise verschont niemanden
»2007 hat der »Guardian« geschrieben, dass das persönliche Vermögen Putins auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt wird.
2016 haben 400 Journalisten von 100 Medien in 80 Ländern recherchiert und bei einem Freund Putins zweifelhafte Geschäfte in Höhe von 2 Milliarden Dollar gefunden.
Die Krise verschont niemanden.«
Dmitrij Bawyrin am 3. April 2016 auf Facebook <https://www.facebook.com/bavyrin/posts/1069728036420136>
Sokolow: Ist das etwa eine Sensation?
»Putins Panama.
Um 21 Uhr am 3. April wurde die Öffentlichkeit informiert, »unser Ein und alles« sei ein Dieb. Der Herrscher Ganz Russlands hat 2 Milliarden Dollar gestohlen. Ist das etwa eine Sensation?
Wahrscheinlich nur für diejenigen, die Putins Fernsehen schauen. Darüber hinaus scheint mir, dass die meisten von ihnen es durchgehen lassen würden, wenn Putin zusammen mit der Krim gar 20 Milliarden geklaut hätte. Die Welt könnte eine andere sein, bleibt aber erst mal wie sie ist.«
Michail Sokolow am 3. April 2016 auf Facebook <https://www.facebook.com/mikhail.sokolov.16/posts/1111864008859027>
Rogow: Reaktion der russischen Blogosphäre ist paradox
»Die Reaktion der russischen Blogger auf die Recherchen des Journalisten-Konsortiums finde ich merkwürdig. Die Blogger sind enttäuscht. Die Blogger schreiben: Putin hat 2 Milliarden geklaut – ei, was für eine Nachricht! Das ist so ein Syndrom hoch korrupter Länder. Die Menschen sind hier gleichzeitig überzeugt, dass 1) alle klauen und das im großen Stil; dass es 2) unmöglich ist, etwas zu beweisen; und daher muss man 3) nichts beweisen. Im Ergebnis wird die Grenze zwischen Verbrechen und »Nicht-Verbrechen« auf paradoxe Weise völlig verwischt. In solchen Ländern koexistieren auf paradoxe Weise die Überzeugung, dass alles total korrupt ist, und eine geringe Sensibilität der Gesellschaft gegenüber dem Problem der Korruption. So entsteht ein neues, eigenartiges Gleichgewicht, in dem ein hoch korruptes Regime lange Zeit an der Macht bleiben kann.
Die Recherchen des Konsortiums halte ich deshalb für äußerst wichtig, weil sie zeigen: man kann ermitteln und Spuren bis zu den Quellen verfolgen. Es gibt eine Grenze zwischen Verdacht und Verbrechen. Korruptionsbekämpfung bedeutet eine sorgfältige Untersuchung bestimmter Fälle und bestimmter Handlungen, und nicht eine Debatte nach dem Motto: »Putin ist der reichste Mann auf Erde, er hat ein Vermögen von 60 Milliarden«.
Kirill Rogow am 3. April 2016 auf Facebook <https://www.facebook.com/kirill.rogov.39/posts/1212875755396709>
Nawalnyj: Es geht nur um das Leck in EINEM Verwaltungsunternehmen
»[…] Das sind scheinbar so viele Namen, dass man sich die nicht merken kann? Ich weise noch mal darauf hin: es geht um das Leck in EINEM Registrierungsunternehmen. Und nur in Panama, nicht einmal in der beliebtesten der Offshore-Jurisdiktionen.
Wieviel andere Staatsbeamte oder deren Verwandte mögen ihre Gelder auf den Britischen Jungferninseln, in Belize, auf den Kaimaninseln, den Bermuda-Inseln, in Lichtenstein und Zypern verstecken? […]«
Alexej Nawalnyj am 4. April 2016 auf navalny.com <https://navalny.com/p/4803/>
Panfilowa: Alles Versteckte kommt irgendwann einmal ans Tageslicht
»Einige Anmerkungen zu den Panama-Papers:
Machen wir uns nichts vor, es geht nicht um uns. Es geht überhaupt um alle. Und so sehr die verehrten »Konspirologen« auch Alarm schlagen, es sei eine »Verschwörung, Verschwörung, Verschwörung«, dem ist aber nicht so. Die Papers kamen vollständig und sie enthalten eine vollwertige »Arche Noah« mit Nutzern aus mehr als einem halbes Hundert Jurisdiktionen. Ja, wir sind auch dabei. Unter anderen.Die enthüllten Informationen sind Informationen einer Firma aus einem Offshore-Gebiet. Offshore-Territorien gibt es weltweit allerdings mehr als ein Dutzend, und in jedem gibt es Hunderte solcher Firmen. Das heißt, der Welt wurde erst, sagen wir mal, eine Folge aus allen Staffeln von »Game of Thrones« gezeigt.Warum es hier um Korruption geht, und nicht bloß um Offshore-Gebiete. Einfach deshalb, weil die UN-Konvention gegen [grenzüberschreitende] organisierte Kriminalität und die Wäsche von Einkünften aus Straftaten von 2000 (Russland hat sie ebenfalls unterschrieben und ratifiziert) und entsprechende Bestimmungen der Behörde, die für ihre Umsetzung verantwortlich ist (FATF), unzweideutig festlegen, dass alle Bewegungen von Geldern »politisch exponierter Personen« (Politicaly Exposed Persons) und mit ihnen verbundener Personen (Eltern, Kinder, unabhängig vom Alter, Ehegatten, Omas, Opas, Geschwister und Geschäftspartner) auf Korruption hin überprüft werden sollen. Denn »politisch exponierte Personen« dürfen per se keine Geldflüsse aufweisen, die in ihrer offiziellen Erklärung für Einkommen und Eigentum nicht erfasst sind. Alles andere muss überprüft werden. Vorsicht: nicht sofort beschlagnahmt, sondern überprüft. Anscheinend ist das nirgendwo irgendwie der Fall gewesen. Regelungen für PEP [Politically Exposed Persons] sind hier zu finden: <http://www.fatf-gafi.org/documents/documents/peps-r12-r22.html>.Was kann man unserer Ansicht nach mit all dem kurzfristig machen: Zunächst die Abmachungen von Brisbane über die Schaffung öffentlicher Register über nutznießende Eigentümer von Offshore-Firmen (G20 High Level Principles on Beneficial Ownership Transparency) erfüllen. Russland hat es übrigens ebenfalls unterzeichnet. Das erste Register wird in Großbritannien eingeführt. Recht bald schon, übrigens. […]Das, wovon wir lange gesprochen haben, kommt langsam in Gang:
a) Im Falle der »Grand Corruption« ist es praktisch unmöglich, die eigentliche Korruptionshandlung zu fangen (man versteckt sich gut, arbeitet mit hochqualifizierten Rechtsanwälten zusammen usw.), aber das Geld (proceeds of illicit enrichment) hinterlässt auf dem Weg zu seinem legalen Besitz immer, immer, immer seine Spuren. Deswegen sollte der Kampf gegen die weltweite »Grand Corruption« ein gemeinsamer Kampf der Antikorruptions- und Antigeldwäsche-Institutionen sein. Anders geht es nicht.
b) Die Staaten können es nicht allein schaffen. Viele wollen es auch gar nicht und haben es auch nicht vor. Deswegen rücken zivile Institutionen ins Zentrum des Kampfes: investigative Journalisten, Investigationszentren für Geldwäsche und Korruption usw. Sie lernen die Zusammenarbeit im Laufe des Prozesses. […]
c) Offene Angaben und Globalisierung der Informationsströme zusammen mit dem erwähnten Wertewandel machen das unausweichlich, was ich in die Überschrift gesetzt habe. Ja, es geschieht nicht schnell. Ja, es ist schwierig. Ja, es ist mit großen Verlusten und Rückschritten verbunden. Aber (verzeihen Sie erneut, dass ich mich selbst zitiere): »es gibt keine historischen Präzedenzfälle endloser korrupter Regime«. […]
Jelena Panfilowa am 4. April 2016 auf Facebook <https://www.facebook.com/eapanfilova/posts/10208832113981309>
Schulman: Es geht nicht um Putin. Das ist der Anbruch einer neuen Epoche
»[…] Inwiefern die Beteiligung russischer Staatsbeamter an den Offshore-Methoden nachgewiesen ist, kann ich nicht beurteilen: Der Umfang der Materialien ist sehr groß; für die verantwortungsvolle Analyse muss man über entsprechende Qualifikation und Kompetenz verfügen. Was ich aber sehe, ist eine mehrjährige Arbeit eines großen vernetzten Kollektivs von Autoren aus einigen Dutzend Ländern. Es ist mehr als faszinierend. Gerade solchen horizontalen Netzstrukturen, nicht den vertikalen und unifizierten, gehört die Zukunft. Diese Untersuchung sollte man als Anbruch einer neuen Ära betrachten. Vor unseren Augen entstehen Werte, Institutionen und Praktiken jener Epoche, in der wir leben werden, ganz unabhängig davon, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Man muss schon sehr engstirnig sein, um diese Geschichte als Versuch zu verstehen, ›etwas Schlechtes über Putin zu sagen‹.«
Jekaterina Schulman am 4. April 2016 auf snob.ru <https://snob.ru/profile/30324/blog/106617>
Inozemzew: Putins Verteidigung
»[…] In den 1990er Jahren ging eine mächtige Privatisierungswelle durchs Land (eine ungerechte [Privatisierung], wie übrigens jegliche vom Staat organisierte Privatisierung, aber darum geht es hier nicht). Im Endeffekt konnten viele Unternehmer ein riesiges Eigentum legalisieren und damit beginnen ihre Unternehmen weiter zu entwickeln; einige wurden sehr erfolgreich. In den 2000er Jahren hat Putin die Spielregeln geändert, wodurch sich bald Bürokraten und Silowiki zielstrebig bereicherten. Heute können sie sich nicht mehr als arme Bürokraten darstellen, die einen alten »Wolga« [sowjetisch-russischer Mittelklassewagen; d. Red.] und einen Stellplatz in der alten Garage deklarieren, und dabei die grundlegenden Anstandsregeln einhalten müssen, die in Ländern entwickelt wurden, die mit der russischen politischen Tradition nichts zu tun haben. Eben das ist heute das Problem; genau das macht den Kern des sich vertiefenden Konflikts zwischen Russland und dem Westen aus. Im Kreml wollen die Beamten nicht so handeln, wie beispielweise der Ministerpräsident der Niederlande, der jeden seiner Schritte mit dem Parlament abstimmt und zur Arbeit mit dem Fahrrad fährt, sondern so, wie der Scheich von Dubai, der praktisch der Besitzer seines Emirats ist und eine Sammlung von »Rolls-Royce« und »Bentley« zusammengetragen hat. Bei uns regiert ja ein Tandem: Warum also könnte es nicht so sein wie das Tandem aus dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, dem Emir von Abu Dhabi, Chalifa bin Zayid Al Nahyan, mit einem offiziellen Vermögen von 15,4 Milliarden US-Dollar und dem Premierminister [der Emirate], dem Emir von Dubai, Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum, mit bescheidenen offiziellen 4,5 Milliarden US-Dollar? Mit dem Parlament hat man schon lange reinen Tisch gemacht – das stört niemanden mehr; mit der Legalisierung des angesammelten Vermögens jedoch läuft es bisher weniger rund. Ich denke aber, das russische Regime zu dem »europäischen Standard« zurückzubringen, wird niemals gelingen. Sie befinden sich schon seit langem außerhalb der europäischen Norm. Das heutige Problem liegt nun darin, dass man eine »andere Normalität« braucht, deren Umrisse allerdings noch nicht erkennbar sind.
Ganz ehrlich: Korruption in Russland zu bekämpfen ist sinnlos, denn die Korruptionäre bekommen ihre Einkünfte nicht für eine Verletzung der Gesetze, sondern wegen ihrer Befolgung. Deswegen sollten wir wohl weniger journalistische Enthüllungen beachten, sondern überlegen, ob sich nicht der »durch unermessliche Arbeit erworbene Reichtum« der Minister, Beamten und… des Präsidenten legalisieren lässt, damit diese »Volksdiener« zu seinem [des Reichtums] Schutz bessere Rechtsnormen und Institutionen einführen. […]«
Wladislaw Inosemzew am 4. April 2016 auf snob.ru <https://snob.ru/selected/entry/106595>
Ausgewählt und eingeleitet von Sergey Medvedev, Berlin
(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)