Immer noch auf der Suche: Die OVKS als gemeinsamer politischer und militärischer Rahmen

Von Stephen Aris (Zürich)

Zusammenfassung
Während sich die Aufmerksamkeit meist auf Russlands Einsatz militärischer Instrumente zu außenpolitischen Zwecken konzentriert, wie sie in der Ukraine und Syrien erfolgten, bleibt Moskaus Flaggschiff politisch-militärischer Allianzen, die »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit« (OVKS), unterhalb des Radarschirms. Die Organisation stellt für den Kreml ein Schlüsselinstrument dar, um in seiner Umgebung eine regionale politische und militärische Geschlossenheit aufzubauen. Allerdings sind in den letzten Jahren klare Beschränkungen ihrer Funktionalität deutlich geworden. Da die Aufmerksamkeit Moskaus anderweitig konzentriert ist, erscheint es unwahrscheinlich, dass die OVKS in der näheren Zukunft beträchtliche Fortschritte machen wird.

Militärische Instrumente im postsowjetischen Raum

Verbreitet sind Besorgnis über Russlands militärische Stärke und Absichten auf der Agenda westlicher Politiker und Analytiker wieder ganz nach oben gerückt, insbesondere in Bezug auf Russlands »hybride Kriegsführung« in der Ukraine und die Bombardierungen in Syrien. Das wachsende Unbehagen über die militärischen Aktivitäten Russlands sind in eskalierenden Spannungen und Gebaren zwischen Russland und den NATO-Staaten manifest geworden, unter anderem in der Verlagerung von aufeinander ausgerichteter militärischer Hardware und Truppen, in Russlands Rückzug aus einem atomaren Sicherheitsabkommen in diesem Jahr und in Befürchtungen vor einer direkten militärischen Konfrontation in Syrien. Vor diesem Hintergrund zeichnen viele Kommentatoren explizit – und öfter noch implizit – ein Bild, in dem der Kreml effizient das Militär als eines der Mittel seines außenpolitischen Instrumentariums einsetzt. So wurde festgehalten, dass Russland den diplomatischen Kontext um Syrien zu seinen Gunsten verändert und die östlichen NATO-Mitglieder erfolgreich beunruhigt habe.

Während all der hoch angesiedelten diplomatischen Auseinandersetzungen um Syrien und die Ukraine ist der Einsatz militärischer Mittel zu außenpolitischen Zwecken im Süden Russlands weitgehend außer Acht geraten. Im Kontrast zu der konfliktgeladenen Dynamik, die in der Politik gegenüber dem Westen vorherrscht, hat Russland seit Langem politische und militärische Kooperation als zentrales Element eingesetzt, um seine herausragende Rolle in dieser Region zu konsolidieren, die der Kreml verschiedentlich als »nahes Ausland« oder »Zone besonderer Verantwortung« bezeichnet hat. Während zunehmend die Einschätzung besteht, dass Russland seiner Außenpolitik gegenüber dem Westen effizient eine militärische Dimension einsetzt, zeigt die Entwicklung des Flaggschiffs unter den politischen und militärischen Allianzen, die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS), dass die Fähigkeit des Kreml, das Militärische zu einem effizienten Aufbau der Region einzusetzen, begrenzt sein könnte.

Moskau hofft, dass die OVKS als Struktur fungiert, die eine kollektive politische Einheit ihrer Mitglieder verankert. Dabei wäre Russlands Rolle die des wichtigsten militärischen Gönners der anderen Mitglieder, was den Vorrang des Kreml als Sicherheitsgaranten für diese Staaten und den – großgeschrieben – post-Sowjetischen Raum sicherstellen soll. Die OVKS ist mittlerweile gut etabliert und dient diesen Zwecken in einem gewissen Maße erfolgreich. Allerdings haben die ausbleibenden Fortschritte bei der Aufgabe, der OVKS eine belastbare Rolle für sich selbst und in der Sicherheitslandschaft der Region zu sichern, viele Beobachter fragen lassen, wie es um ihren Nutzen und letztendlich um ihre langfristige Existenz bestellt ist. Ende Oktober fühlte sich Nikolaj Bordjusha, der Generalsekretär der OVKS und langjährige Kreml-Insider, veranlasst, mit einem Brief einem Artikel auf »versiya.ru« zu widersprechen, in dem argumentiert worden war, dass die Organisation bald nicht mehr existieren könnte. Dass Bordjusha sich genötigt fühlte, der Analyse des Kommentators umgehend entgegenzutreten, ist bezeichnend für die Kluft zwischen der von den OVKS-Offiziellen behaupteten immer stärker wachsenden Rolle und ihrer Bedeutung für die Sicherheit in der Region einerseits, und der wiederholt gestellten Frage der Analytiker und Kommentatoren, wozu genau die OVKS denn eigentlich da sei, andererseits. Während diese Frage seit dem Entstehen der OVKS permanent präsent ist, könnte deren Schärfe sehr wohl zunehmen, da es klar zu sein scheint, dass die Aufmerksamkeit – und noch wichtiger: die Finanzen – Moskaus bald anderen politischen und militärischen Prioritäten gewidmet werden könnten, etwa den anhaltenden Kosten für die Bombenangriffe in Syrien oder grandiosen Ideen wie der einer Wiedererrichtung von Militäbasen fern von Russland. Darüber hinaus haben die jüngsten Ereignisse unter den Mitgliedern der OVKS nachhaltige politische Differenzen und divergierende Zentren der Aufmerksamkeit deutlich werden lassen – und Alternativen zur OVKS.

Zu viel Dominanz?

Beständiges Merkmal der OVKS als Struktur zur multilateralen politischen und militärischen Zusammenarbeit besteht in der überwältigenden Vormachtstellung Russlands gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten. Moskaus Position als Gravitätszentrum ist sowohl Bindemittel, wie auch Quelle von Inkohärenz. Für alle anderen Mitgliedsstaaten ist deren jeweiliges Verhältnis zu Russland der Schlüssel zu ihrer Beteiligung an der OVKS, während Zusammenarbeit untereinander mit großem Abstand nur zweitrangig ist (und in einigen Fällen schlichtweg nicht stattfindet). Die wohl wichtigste Dimension der Organisation ist die Möglichkeit für Mitgliederstaaten, von Russland Waffen und militärische Ausrüstungen weit unter Marktwert zu kaufen. Da Russland der wichtigste Rüstungslieferant für sämtliche anderen Mitgliedsstaaten ist, stellen diese Austauschbeziehungen das Rückgrat dieser multilateralen Struktur dar. Das Ergebnis gleicht dem, was Netzwerkkartographen eine sternförmige Topologie nennen würden, bei der die einzigen tatsächlich bedeutsamen Beziehungen innerhalb der OVKS in der Verbindung zwischen Russland und den jeweils anderen Mitgliedsstaaten bestehen. Wenn auch in den Augen des Kreml die Herstellung seiner Vormachtstellung für den Wert der OVKS unabdingbar ist, wünscht man dort auch, dass die Organisation wenigstens einen gewissen Beitrag zur Bewältigung der Sicherheitsaufgaben leistet, indem die OVKS eine Art Sicherheitsgemeinschaft bildet und indem sie vom Rest der Welt als legitim und maßgeblich anerkannt wird. Auf dem Weg zu den beiden letztgenannten Zielen scheint das Ausmaß der russischen Vormachtstellung eine Barriere darzustellen. In den seltenen Fällen, in denen sich die OVKS von ihrer Russland-Zentriertheit wegbewegt, wird die grundlegende politische Verfasstheit der Organisation disfunktional. Das lässt sich an dem mangelnden Management bei der lang diskutierten Ernennung eines neuen Generalsekretärs der OVKS erkennen. Ende 2015 wurde verkündet, dass der langjährige Kreml-Insider Nikolaj Bordjusha abelöst werde, Berichten zufolge durch einen Kandidaten aus Armenien. Auf dem jährlichen Gipfeltreffen der OVKS im Oktober 2016 jedoch wurde die Entscheidung hierüber zum zweiten Mal verschoben. Es gab Andeutungen, dass dies aufgrund fehlenden Übereinkommens darüber erfolgt sei, welcher Mitgliedsstaat denn nun das neue Oberhaupt stellen soll. Jetzt ist geplant, dass die Entscheidung bis Ende 2016 getroffen wird. Diese Geschichte lässt sich als Anzeichen für fehlenden inneren Zusammenhalt deuten, was anscheinend nur durch einen Vertreter Russlands als Generalsekretär überwunden werden kann. Während der Kreml über seine Rolle als einigendes Element der OVKS glücklich sein könnte, wirft die Überlegung, inwieweit das wirklich der Fall ist, Fragen zum allgemeineren Nutzen der Organisation auf.

Kollektive Verteidigung ohne Übereinkommen?

Abgesehen von der russischen Vormachtstellung bestehen klare Differenzen zwischen den politischen Positionen der OVKS-Mitgliedsstaaten. Die drängendsten und grundlegendsten gibt es zwischen Armenien und Aserbaidschan im anhaltenden und jüngst wieder aufgeflammten Konflikt um Nagornyj Karabach. Wie der erneute offene Ausbruch des Konfliktes im April illustriert, handelt es sich um einen Streit, in dem es jederzeit zum offenen Konflikt kommen kann. In diesem Kontext hat es Diskussionen um die Verpflichtungen gegeben, die die Unterzeichnerstaaten der OVKS-Charta hinsichtlich einer »kollektiven Verteidigung« eingegangen sind, und ob diese in irgendeiner Weise den oft erwähnten NATO-Garantien nach Artikel 5 gleichzusetzen sind. Die OVKS-Charta enthält zweifellos Passagen, die auf eine Vorstellung von »kollektiver Verteidigung« hindeuten, doch sind die Formulierungen bestenfalls uneindeutig. Während Eriwan aktiv für die Idee einer kollektiven Beistandsverpflichtung der OVKS eintritt, die im Fall eines aserbaidschanischen Angriffs auf Nagornyj Karabach zur Anwendung käme, hält sich Russland als wichtigster militärischer Sponsor aller OVKS-Aktivitäten von dieser Frage fern und unterstützt niemals offen eine derartige Interpretation. Das liegt zum Teil deshalb nahe, weil einige Mitgliedsstaaten der OVKS in dieser Frage implizit und bisweilen explizit auf der Seite Aserbaidschans stehen. Kasachstan hat versucht zu betonen, dass diese Frage außerhalb der Reichweite der Verpflichtungen aus der OVKS-Charta liege, da der Territorialstreit um Nagornyj Karabach nie beigelegt worden sei und es kein allgemeines Einvernehmen über dessen »Besitzer« gibt. Ungeachtet der möglichen Interpretationen bezüglich der Formulierungen der OVKS-Charta, ist es in der Praxis schwierig sich vorzustellen wie die zentralasiatischen Republiken entweder politische Unterstützung oder militärisches Personal und Ressourcen für eine OVKS-Operation im Südkaukasus zur Verfügung stellen könnten. In gewissem Sinne ist es da für die OVKS-Bürokratie in Moskau politisch pragmatisch auszuweichen und die Nagornyj Karabach-Frage zu umschiffen. Als Folge bringt das jedoch wiederum die Frage nach dem Nutzen und dem Zweck der Organisation auf den Tisch. Wenn diese nicht in der Lage ist, die Frage der »kollektiven Verteidigung« zu klären, muss die aktiv militärische Komponente der OVKS ganz allgemein in Zweifel stehen. Vor dem Hintergrund der Tatenlosigkeit der OVKS während der Unruhen im kirgisischen Osch (2010) fragen einige Analytiker, ob es überhaupt Situationen oder Szenarien geben könne, bei denen ein militärischer Einsatz der OVKS von allen Mitgliedsstaaten politisch unterstützt würde.

Neue, alternative militärische Verbindungen?

Diese Zweifel an der Lebens- und Einsatzfähigkeit der OVKS als kollektiver militärischer Akteur werden auch im Zusammenhang mit der Möglichkeit deutlich, dass militante Kräfte aus Nordafghanistan nach Zentralasien übergreifen könnten. Neben der Betonung, dass man gegen Szenarien »farbiger Revolutionen« vorgehen werde (das ist im vergangenen Jahrzehnt das Thema der meisten gemeinsamen Militärübungen der OVKS gewesen), sind die aus Afghanistan drohenden Gefahren Ausgangspunkt für viele Diskussionen in Russland und in der OVKS gewesen. Im vergangenen Jahr haben sich diese Befürchtungen wegen der intensivierten Kämpfe in den benachbarten Regionen Afghanistans weiter verstärkt. Die Stadt Kundus in der Nähe der tadschikischen Grenze ist im vergangenen Jahr zwei Mal an Milizen der Taliban gefallen und ihnen wieder genommen worden. Während Russland daran interessiert ist, in allen zentralasiatischen Nachbarstaaten Afghanistans die Grenzsicherheit zu unterstützen, ist nur Tadschikistan Mitglied der OVKS, in dem sich sowohl russische Truppen, als auch eine Militärbasis befinden – unter der Ägide der OVKS. Anfang Herbst statteten der Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrates sowie OVKS-Chef Bordjusha Tadschikistan einen Besuch ab, um über die Auswirkungen der sich zuspitzenden Situation in Nordafghanistan Gespräche zu führen. In der Tat sind in den letzten Jahren eine Reihe von Militärmanövern der OVKS in Tadschikistan abgehalten worden, in denen Reaktionen auf ein mögliches Eindringen militanter Gruppen aus Afghanistan eingeübt wurden.

Dennoch bleiben Zweifel, ob die OVKS auf eine solche Situation gemeinsam reagieren würde. Es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass Armenien oder Belarus bereit wären, Truppen in eine Region zu entsenden, die für sie weit entfernt liegt; gleichzeitig ist überhaupt nicht sicher, dass Tadschikistans bereit ist, Truppen anderer zentralasiatischer Staaten auf sein Territorium zu lassen. Letztendlich dürfte es dann auf die Haltung Russlands und das Verhältnis zum Regime Rahmon ankommen. In diesem Fall wäre es durchaus möglich und machbar, dass der russische Sicherheitsapparat einfach das multilaterale Zubehör der OVKS beiseite lässt und auf einen dezidiert unilateralen Ansatz setzt. Darüber hinaus scheinen die Zweifel an der Zuverlässigkeit der OVKS als kollektiver militärischer Akteur sich daraus zu ergeben, dass das Rahmon-Regime sich nicht mit der OVKS allein als militärische Absicherung im Notfall zufriedengibt. Das Land hat kürzlich begonnen, neue militärische und Sicherheitsbeziehungen mit China auszuloten. Ein solches Engagement war bereits innerhalb des Formats der »Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit« (SOZ) und deren Manövern für »Friedenseinsätze« deutlich erkennbar gewesen. Das Verhältnis von OVKS und SOZ ist nur schwer zu erfassen und mehrdeutig. Die Sicherheitsbeziehungen zwischen China und Tadschikistan sind jetzt allerdings über die SOZ hinaus- und in Formate hineingewachsen, an denen Russland nicht beteiligt ist. Im Spätsommer wurde eine gemeinsame Erklärung von China, Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan herausgegeben, in der der Beginn eines »Vierseitigen Kooperations- und Koordinationsmechanismus« angekündigt wurde. Diese von China vorangetriebene Initiative zielt darauf ab, die Aktivitäten der Militärführungen der vier Staaten mit dem gemeinsamen Ziel des Kampfes gegen Terrorismus und Extremismus zu koordinieren. Unter diesem Schirm haben China und Tadschikistan im Oktober ein gemeinsames bilaterales Manöver in der tadschikischen autonomen Provinz Berg-Badachschan abgehalten. Die Reaktion einiger Kommentatoren in Moskau fiel nicht gerade positiv aus, wobei sie in diesen Entwicklungen die Verletzung einer informellen Abmachung sahen, der zufolge China militärische Fragen in Zentralasien Russland und der OVKS überlässt. Darüber hinaus sollte Tadschikistan sich nicht an gemeinsamen Militärübungen außerhalb des Bereichs der OVKS beteiligen. Letztendlich aber ergibt sich aus Chinas zunehmender Bedeutung für Russland bei allen möglichen anderen Fragen, dass Russland darauf bedacht sein wird, dieses Thema nicht zu einem Problemfeld in seinen Beziehungen zu China zu machen. Daher werden der Kreml und die OVKS sich – trotz Moskaus Unbehagen – an die Existenz alternativer chinesischer Militär- und Sicherheitsinitiativen in Zentralasien gewöhnen müssen. Dieser Trend könnte sehr wohl durch die jüngsten Terroranschläge auf die chinesische Botschaft im kirgisischen Bischkek verstärkt werden. Auch wenn die genauen Details, wer denn diesen Anschlag in wessen Namen verübt hat, noch nicht bestätigt sind, so scheint er von einem internationalen Extremisten-Netzwerk ausgeführt worden zu sein, das in Verbindung zur »Ost-Turkestan Islambewegung« (ETIM) steht und Syrien, die Türkei, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan durchzieht. Das hat zu Spekulationen geführt, dass dieses Ereignis von chinesischer Seite her eine aktivere Sicherheitspolitik gegenüber Zentralasien auslösen könnte. Und damit auch, dass der OVKS auf ihrem »Kernmarkt« Zentralasien Konkurrenz erwachsen könnte.

Politisches Kapital auf der internationalen Bühne?

Während der Nutzen, die Zuverlässigkeit und die Wirksamkeit der OVKS als kollektiver Sicherheitsakteur stets als begrenzt eingeschätzt wurde, ist verbreitet registriert worden, dass die Organisation für Moskau eine weitere wichtige Funktion hat, nämlich internationale politische Symbolkraft und Anerkennung. Eine der vorrangigen Funktionen der OVKS ist es, sich als die wichtigste regionale, multilaterale Sicherheitsstruktur im postsowjetischen Raum zu präsentieren und als solche außerhalb der Region anerkannt zu werden; und dadurch die Anerkennung der NATO, der EU und anderer regionaler Organisationen als wahrlich gleichberechtigte Organisation zu gewinnen. Allerdings ist eine solche Anerkennung aus dem Westen nicht erfolgt, da letzterer die OVKS weitgehend ignoriert und sogar deren Legitimität in Frage gestellt hat, mit dem Argument, durch seine russlandzentrierte Natur sei sie kaum mehr als ein Instrument zur Sicherung von Moskaus herausragender geopolitischer Stellung gegenüber der von Moskau beanspruchten »Zone besonderer Verantwortung«. Die Enttäuschung über den ausbleibenden Gegenzug einer Anerkennung hat der belorussische Präsident Aljaksandr Lukaschenka beim diesjährigen OVKS-Gipfel offen ausgesprochen. Er meinte, statt an die Welt eine Bitte um Anerkennung zu richten, sollte die OVKS in einer Art und Weise handeln, die die Welt zur Anerkennung zwingen werde. Diese Äußerung sollte nicht als Drohung verstanden, sondern vielmehr im Kontext weiterer Kommentare Lukaschenkas gesehen werden. Er meinte, der OVKS-Gipfel sei Zeitverschwendung, weil die Diskussionen dort zu keinen spürbaren Übereinkommen zwischen den Mitgliedern führten.

Vor dem negativen Hintergrund hinsichtlich des Status der OVKS hat es aus der Sicht Moskaus jedoch eine positive Entwicklung gegeben, nämlich in Form einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats über die Zusammenarbeit der UNO mit der OVKS, der GUS und der SOZ. Bei diesem Treffen wandte sich der Generalsekretär der OVKS, Bordjusha, an den Sicherheitsrat und umriss die Tätigkeit der OVKS (die Oberhäupter der GUS und der SOZ taten es ihm gleich). Der Vertreter von Belarus bei den Vereinten Nationen sprach im Namen der Mitglieder der OVKS (Belarus hat gegenwärtig den Vorsitz der OVKS). Das Ereignis wurde vom Außenministerium Russlands als Signal für die wachsende Rolle der OVKS in der Welt begrüßt.

Der russische Redner bei der Sitzung des Sicherheitsrates merkte an, dass der Mangel an Informationen über die Region zu Fehlinterpretationen der OVKS geführt hätten. Er fügte dann hinzu, einige der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates »haben Versuche unternommen, diese Organisationen künstlich zu marginalisieren, weil sie in ihnen geopolitische Konkurrenten sahen«. Der Vertreter der Ukraine, die 2017 ein nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist, legte eine ganz andere Interpretation vor, indem er sagte, die OVKS würde »so tun, als gäbe es keine anhaltende Aggression gegen die Ukraine, keine Besetzung der Krim, keine de facto-Besetzung von Abchasien und Südossetien und keine Kriegsverbrechen gegen das ukrainische und das georgische Volk«. Diese Stimmungen wurden von dem Sprecher der USA aufgegriffen. Wie diese widerstreitenden Stimmen nahelegen, sind die Aussichten auf eine offene politische Anerkennung der OVKS als vorrangiger und legitimer kollektiver Sicherheitsakteur im postsowjetischen Raum nicht nähergerückt.

Gleichzeitig ist die OVKS an unterschiedlichen gemeinsamen Aktivitäten mit der UNO beteiligt, etwa dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) und dem UN-Regionalzentrum für Präventive Diplomatie in Zentralasien (UNRCCA). Dabei betreibt die OVKS ihre Anerkennung als eine durch die UNO autorisierte Struktur für Friedensmissionen bei Sicherheitsoperationen mit UN-Mandat. Während es kaum absehbar ist, dass die westlichen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrates einen solchen Status unterstützen würden, macht die OVKS hier anscheinend bei ihren Beziehungen zur UN-Bürokratie gewisse Fortschritte. Zu diesem Zweck wird Moskau wohl weiterhin zumindest einige Ressourcen in die Stärkung der politischen Symbolkraft der OVKS investieren, ganz gleich, wie es um die Fortschritte bei deren Funktion als aktive Sicherheitsgarantin steht.

Schlussfolgerungen

Im Unterschied zu vielen Darstellungen aus jüngster Zeit, in denen der Kreml meisterlich seine militärische Karte spielte, um politische Ziele in Osteuropa und dem Nahen und Mittleren Osten zu verwirklichen, deutet die Entwicklung der OVKS darauf hin, dass es bestimmte Grenzen für Moskaus Fähigkeit gibt, militärische Koordination als Grundlage für eine Integration im postsowjetischen Raum zu nutzen. Die OVKS ist sicher nicht ohne Gewinn für Moskau, da sie Russlands als Kernstück eines Netzes militärischer Beziehungen – meist im Kontext von Waffenkäufen – positioniert. Moskau unterstützt auch die Funktion der OVKS als multilateraler politischer und militärischer Akteur, indem es bei der Bildung kollektiver Streitkräfte die Führung übernimmt und regelmäßige Militärmanöver abhält. Allerdings gibt es gewisse Beschränkungen hinsichtlich der Einigkeit der OVKS, da zwischen den Mitgliedern Differenzen bestehen und sie Zweifel an der Verlässlichkeit und der Effizienz der Organisation beim Umgang mit Fragen haben, die von den Mitgliedsstaaten als vorrangige Bedrohung ihrer Sicherheit wahrgenommen werden. Wenn Moskau die OVKS als multilaterale politische und militärische Struktur konsolidieren und weiterentwickeln will, wäre es genötigt, den finanziellen, diplomatischen und politischen Einsatz zu erhöhen. Es zeichnet sich allerdings ab, dass sich die Aufmerksamkeit des Kreml zunehmend auf Geschehnisse und Ziele außerhalb der OVKS richtet, und dass Moskau sich daher damit zufrieden gibt, dass die OVKS lediglich in ihrer derzeitigen begrenzten Form weiterbesteht.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Lesetipps / Bibliographie

  • Kucera, Joshua: The Bug Pit. Military and security in Eurasia; <http://www.eurasianet.org/voices/thebugpit>.
  • Aris, Stephen: Collective Security Treaty Organisation, in: James Sperling (Hg.): Handbook on Governance and Security, Cheltenham/ Northampton, MA: Edward Elgar Publishing 2014

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