"Eastern Europe's New Conservatives. Varieties and Explanations from Poland to Russia"

Von Julia Glathe (Berlin)

Problemstellung der Konferenz

In Ost- und Ostmitteleuropa wurde der nach dem Ende der sozialistischen Ordnung scheinbar existierenden Konsens bezüglich Demokratisierung und Liberalisierung in den letzten Jahren infrage gestellt haben. Die »PiS« in Polen, »Fidesz« in Ungarn und »Einiges Russland« (»Jedinaja Rossija«) in Russland propagieren offen illiberale und autoritäre Ideen. Die bislang üblicherweise als »rechtspopulistisch«, »nationalistisch« und »autoritär« beschriebenen Tendenzen sind nicht ausreichend, um diese Phänomene zu erklären.

Das Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin bot mit der Konferenz »Eastern Europe’s New Conservatives« einen Raum für die Diskussion einer alternativen analytischen Perspektive bei der Untersuchung illiberalen Tendenzen in Mittel- und Osteuropa. Es ging darum, diese präziser fassen und in ihrer historischen Kontextgebundenheit erklären zu können.

Der Begriff Konservatismus, der in die Analyse eingeführt wird, dient dabei dem tiefergehenden Verständnis aktueller illiberaler Tendenzen, da er im Gegensatz zum Terminus »Populismus« die spezifischen Agenden, Inhalte und Konzepte zu erfassen vermag, die über einen komplexitätsreduzierenden und dramatisierenden populistischen Kommunikationsstil und ein propagiertes »Volk versus Eliten«–Schema hinausgehen.

Während der zweitägigen Konferenz erörterten die Referenten anhand von vielen Länderbeispielen die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten des neuen Konservatismus in den mittel- und osteuropäischen Gesellschaften, fragten nach den Bedingungen für deren Erfolg sowie nach der Bedeutung historischer Pfadabhängigkeiten und Transformationserfahrungen der postsozialistischen Gesellschaften.

Regionale Entwicklungen

Der erste Konferenztag begann mit zwei Vorträgen zu Russland, in denen aus jeweils unterschiedlicher Perspektive die Entwicklung einer illiberalen Ordnung in Russland rekonstruiert und zu erklären versucht wurde.

Andrei Yakovlev (Higher School of Economics, Moskau) analysierte das Zusammenspiel ökonomischer, sozialer und ideologischer Faktoren in den innenpolitischen Entwicklungen seit den 1990er Jahren. Dabei stellte er die ökonomischen Bedingungen als maßgeblich für die Herausbildung eines ideologischen Wandels innerhalb der politischen Elite Russland heraus. Darüber hinaus verwies er aber auch auf den gesellschaftlichen Rückhalt des Regimes, insbesondere mit Blick auf die Annexion der Krim, der nicht allein durch Staatspropaganda erklärt werden könne, und in dem er das Bedürfnis nach einer neuen nationalen Idee und Identität sieht (vgl. den Beitrag von Andrei Yakovlev in dieser Ausgabe, S. 7–12).

Katharina Bluhm (FU Berlin) zeichnete im Anschluss daran die Entstehungszusammenhänge des neuen Konservatismus durch eine Analyse ideologischer Schlüsselkonzepte nach. Dabei stellte sie diesen am Beispiel ausgewählter prominenter Akteure des neuen Konservatismus und ihrer Texte als Gegenideologie zur Postmoderne heraus. Die Kritik der neuen Konservativen an der Postmoderne fasste Bluhm dabei unter den Schlagworten Dehumanisierung, Desouveränisierung und Desozialisierung. Durch ihre Analyse der Ideengenese verdeutlichte sie, dass sich der neue Konservatismus keineswegs auf einen »Putinismus« reduzieren lasse (vgl. den Beitrag von Katharina Bluhm in dieser Ausgabe, S. 2–7).

Im anschließenden Panel wurden die Entwicklungen in Polen und Ungarn thematisiert. Krzystof Jasiecki (Polnische Akademie der Wissenschaften) charakterisierte die politische und sozio-ökonomische Agenda der polnischen Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) und die Methoden ihrer Implementierung seit Herbst 2015 als »konservative Modernisierung«. Als zentrales Ziel der Partei stellte er dabei die Zentralisierung und Konzentration der Exekutivgewalt heraus. Den Rückhalt dieser Politik führte er unter anderem auf eine Ausweitung von Sozialleistungen zurück.

Jochen Roose und Paweł Karolewski (Universität Wrocław) unternahmen anschließend einen Vergleich der Wählerschaft der polnischen PiS und der ungarischen Partei »Fidesz« anhand der Daten des »European Social Survey« um zu einer Erklärung der Popularität der Parteien beizutragen. Während sich keine starken Unterschiede bezüglich des sozio-ökonomischen Hintergrunds herausstellten, variierte zum Teil die Identifikation mit Werten und Einstellungen. Beide Parteien wiesen insbesondere in den ländlichen Regionen hohe Zustimmungswerte auf. Die Identifikation mit der polnischen PiS war zudem vor allem bei denjenigen hoch, die sich selbst als religiös einordnen. Für die Identifikation mit der ungarischen Fidesz spielte dies eine vergleichsweise geringere Rolle.

Im dritten Teil des Konferenztages präsentierten James Dawson und Sean Hanley (University College London) ihre vergleichende Analyse zu Tschechien und Bulgarien. Sie argumentierten, dass sich illiberale Trends in Mittel- und Osteuropa nicht überall offensichtlich zeigten und sich mit liberalen und proeuropäischen Einstellungen vermischten. Vor allem in der Periode nach dem EU-Beitritt seien im Kontext politischer Krisen zunehmend liberale mit illiberalen Normen kombiniert worden, was insbesondere durch ein ethnisch exklusives Staatsverständnis begünstigt worden sei. Martin Mendelski (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) unternahm anschließend den Versuch, den unterschiedlichen Erfolgsgrad der kapitalistischen Systemtransformation in Mittel- und Osteuropa durch eine mehr oder weniger starke »strukturelle Zersplitterung« zu erklären.

Der erste Konferenztag endete mit zwei Präsentationen zu Südosteuropa. Dušan Spasojević (Universität Belgrad) ging der ideologischen Transformation der regierenden »Serbischen Fortschrittspartei« (SNS) von ihren radikalen nationalistischen Wurzeln hin zu ihrer gegenwärtigen proeuropäischen und konservativen Orientierung nach. Er verdeutlichte, dass trotz der proeuropäischen Position der Partei mit ihrer Regierung zugleich ein Abfall demokratischer Standards zu verzeichnen gewesen sei.

Urban Vehovar (Universität Primorska, Koper, Slowenien) reflektierte zum Abschluss des Tages über einen »unreflektierten Konservatismus« in der slowenischen Gesellschaft, die durch eine starke Neigung zum Autoritarismus und Egalitarismus gekennzeichnet sei. Konservatismus in Slowenien sei Vehovar zufolge kein elaboriertes Denksystem, sondern eher eine Folge der späten und spezifischen Modernisierung der slowenischen Gesellschaft. Dabei bezog er sich vor allem auf eine starke räumliche Fragmentierung, einen geringen Urbanisierungsgrad sowie auf ein Vertrauen in lokale Strukturen im Gegensatz zu einem starken Misstrauen gegenüber den nationalen Eliten.

Ideen und Akteure

Zu Beginn des zweiten Tages stand die Rolle von Ideen innerhalb illiberaler Ordnungen und ihre Entstehung im Vordergrund. Paul Robinson (University of Ottawa) argumentierte, dass man nicht von einem einheitlichen Konstrukt namens Konservatismus ausgehen könne. Ausgehend davon diskutierte er am Beispiel Russlands das Spannungsverhältnis universalistischer Ideen und partikularistischer Weltsicht, beginnend mit der Zeit der frühen Slawophilen bis zur Gegenwart.

Ewa Dąbrowska (University of Amsterdam) ging in dem darauffolgenden Vortrag auf die Rolle von Think Tanks in Russland und Polen bei der Herbeiführung eines paradigmatischen Policy-Wechsels seit der Weltwirtschaftskrise von einem ökonomischen Liberalismus hin zu einem »ökonomischen Patriotismus bzw. Nationalismus« ein. In ihrer Schlussfolgerung relativierte sie jedoch den tatsächlichen Einfluss konservativer Ideen hinsichtlich einer systematischen Implementierung in der aktuellen Wirtschaftspolitik. Die Idee eines ökonomischen Patriotismus sei zu allgemein gehalten, als dass sie bestimmte Maßnahmen zur ökonomischen Entwicklung bereitstellen könnte. Stattdessen würde durch die Regierungen punktuell zu »patriotischen« Maßnahmen gegriffen, um eine Souveränität der nationalen Ökonomie vorzutäuschen und so ihre Legitimität zu steigern.

Mihai Varga (FU Berlin) legte am Beispiel des ungarischen Fidesz-nahen Think Tank »Századvég« und von Gyula Tellér, Viktor Orbáns wichtigstem Berater, die ideellen Grundlagen illiberaler Tendenzen in Ungarn dar. Dabei stellt er Viktor Orbáns Wahlsieg 2010 und sein Versprechen von einem neuen Gesellschaftsvertrag, der auf populistischem Paternalismus, nationaler Souveränität und ökonomischem Nationalismus beruht, in den Kontext einer internationalen Debatte über eine Krise der Moderne, der Rolle des Staats und der gegenwärtigen repräsentativen Demokratie der westlichen Welt. Interessanter Weise – so Varga – fuße Viktor Orbáns antimoderne Ideologie vielmehr auf »westlichen« Referenzen als auf »östlichen« Wurzeln.

Im zweiten Teil des Konferenztages standen religiöse Akteure und ihre Strategien im Fokus. Tobias Köllner (Universität Magdeburg) präsentierte die Ergebnisse seiner Feldforschung in verschiedenen Regionen Russlands seit 2013. Er zeigte anhand verschiedener Beispiele den Einfluss orthodoxer Aktivisten und Geistlicher der Orthodoxen Kirche auf lokale Politikgestaltung auf, die teilweise auch föderal gesetzte Agenden unterlaufe.

Dario Čepo (Universität Zagreb) referierte über die Verbindung von Religion und aktueller Politik in Kroatien am Beispiel der erfolgreichen Mobilisierung für ein landesweites Referendum über eine konstitutionelle Verankerung der Ehe als Verbindung zwischen (ausschließlich) Mann und Frau durch die Bürgerinitiative »U ime obitelji« (»Im Namen der Familie«).

Zorica Mršević (Universität Belgrad) diskutierte schließlich die Einschränkung liberaler Rechte, insbesondere mit Blick auf die Rechte (z. B. das Versammlungsrecht) der LGBT-Bewegung in Serbien. Dabei verwies sie auf ein konservatives Verständnis der Menschenrechte als Mehrheitsrechte, wodurch Protest von Minderheiten als Provokation und illegitim herabgesetzt würde.

Im dritten Teil des Konferenztages führte Tina Gažovičová (CVEK Bratislava) in den Mainstream-Diskurs über die angebliche »Flüchtlingskrise« in der Slowakei ein und interpretierte diesen aus dem Konzept des neuen Konservatismus heraus. Sie zeigte dabei auf, dass trotz der äußerst geringen Anzahl an Flüchtlingen in der Slowakei das Narrativ von einer Krise im politischen Diskurs und Handeln Bedeutung gewinnen konnte.

Den letzten Vortrag der Konferenz bildete Sonja Schiffers (FU Berlin) Ausführungen über den möglichen Einfluss illiberaler Kräfte Russlands auf Georgien. Sie argumentierte, dass Konservatismus in Georgien zwar kein neues Phänomen sei, aber durch externe Akteure aus Russland an Wirkungsmacht gewinnen.

Fazit

Die Konferenz zeigte, dass es möglich ist, den Aufschwung konservativer Bewegungen in den postsozialistischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas als spezifische Reaktion auf einen als oktroyiert perzipierten Liberalismus des Westens in ihrer historischen Kontextgebundenheit zu verstehen. Die verschiedenen Beiträge haben die neue konservative Vorstellung von gesellschaftlichem Wandel als eine Herausforderung des status quo beschrieben, die jedoch nicht darauf aus ist, einfach zu einem bestimmten Punkt der Vergangenheit zurückzukehren, sondern dass es eher darum geht sich umzudrehen, um einen anderen Weg einzuschlagen.

Dabei greifen die jeweiligen Bewegungen auf unterschiedliche Traditionslinien zurück, die teils im eigenen Land, teils auch außerhalb verortet sind, um die Notwendigkeit einer starken, durchsetzungsfähigen Exekutivmacht zu rechtfertigen. Der neue Konservatismus wurde innerhalb der verschiedenen Beiträge als Bewegung dargestellt, die für die Bewahrung bestehender Hierarchien und gegen die Ausweitung von Rechten für Minderheiten eintritt. Insbesondere im Fall der LGBT-Bewegung hat sich massiver Widerstand seitens konservativer Bewegungen gegen die Ausweitung von Rechten (Recht auf Eheschließung etc.) formiert. Warum ausgerechnet diese Bewegung ein so zentraler Angriffspunkt der Konservativen ist, konnte jedoch nur in Ansätzen durch die Referenten erklärt werden.

Weitgehend offen blieb in den Vorträgen und Diskussionen die Frage, welche Effekte neue konservativer Ideen auf spezifische Politikbereiche haben, zum Beispiel ihre Wirkung auf Sozialpolitik im Allgemeinen und Migrationspolitik im Besonderen. In der Schlussrunde wurde schließlich auch die Frage nach der Notwendigkeit thematisiert, einen Vergleichs der neuen konservativen Bewegungen innerhalb postsozialistischer Gesellschaften und den Gesellschaften Westeuropas und den USA zu unternehmen. Der Wahlsieg Donald Trumps, der Brexit in Großbritannien sowie der Aufschwung der »Alternative für Deutschland« signalisierten ja, dass auch in westlichen Gesellschaften aktuell starke illiberalen Tendenzen erkennbar sind.

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