Moskau, St. Petersburg, Tatarstan, Sibirien: Neue Protestwelle in Russland

Von Sergey Medvedev (Berlin)

Sie lügen, ohne rot zu werden

Boris Wischnewskij, Mitglied der Petersburger Gesetzgebenden Versammlung (»Jabloko«), St. Petersburg

»Der Sender »Rossija 1« berichtete am 19. März in der Sendung »Westi«, dass »einige Hunderte Petersburger auf das Marsfeld zu einer Kundgebung zur Verteidigung der Stadt gekommen sind«. Soviel über die größte Kundgebung in Petersburg seit anderthalb Jahrzenten (mehr gab es nur am 1. März 2015; da war aber der Anlass ein ganz anderer – der Mord an Boris Nemzow).

Selbst nach Polizeiangaben waren es am 18. März auf dem Marsfeld 3.500 Demonstranten, in Wirklichkeit mindestens doppelt so viele. Eine enorme Menge engagierter, kluger, aktiver Menschen, die ihre Stadt lieben.

Sie kamen, um ihr Selbstwertgefühl zu verteidigen, das von Bürokraten mit Füßen getreten wurde. Bürokraten, die auf die Meinung der Bürger völlig pfeifen und verächtlich verkündet haben, dass »die Frage der Übergabe der Issakskathedrale an die [Orthodoxe] Kirche gelöst ist« und diejenigen, die dagegen sind, »Provokateure« und »Randerscheinungen« seien.

Sie genehmigen die Errichtung von Hochhäusern in der Nähe des einmaligen Observatoriums Pulkowo. Sie unterstützen die Vernichtung der Öffentlichen Bibliothek [Russische Nationalbibliothek] und der Europäischen Universität.

Sie erteilen Genehmigungen zur Zerstörung von historischen Gebäuden und zur Bebauung von Grünflächen. Empörte Petersburger gingen zur Kundgebung. Es waren so viele, dass das Regime Angst bekam und wie üblich das Kommando ausgaben, entweder die Kundgebung zu verschweigen oder über die Teilnehmerzahl zu lügen.

Der einst in der »nördlichen Hauptstadt« angesehene »Fünfte Kanal« berichtete, als ob es überhaupt keine Kundgebung gab (die in St. Petersburg zweifellos die Nachricht des Tages war). »Der Erste Kanal« hat auch laut geschwiegen. […]«

Boris Wischnewskij am 21. März 2017 bei »Echo Moskwy«, <http://echo.msk.ru/blog/boris_vis/1948392-echo/>

Protest gegen »Platon 2.0«

Arsenij Wesenin, Journalist (St. Petersburg)

»In 80 Regionen Russlands beginnen Lkw-Fahrer heute einen Streik. Sie wollen daran erinnern, dass sie für Platon nicht bezahlt haben, nicht zahlen und nicht zahlen werden; dass sie mit dem derzeitigen Regime in Russland nicht zufrieden sind. Der Protest der Lkw-Fahrer ist längst politisch geworden; glauben Sie bitte nicht den Märchen, dass die Jungs mit Putin und Co. zufrieden sind.

Heute sind in Petersburg 50 Lkws stehengeblieben. Demnächst werden weitere 300 erwartet. Die Fahrer wollen zeigen, dass die Probleme der Lkw-Fahrer auch die Probleme des ganzen Landes sind, dass Regale leer bleiben und auf den Baustellen die Arbeit stillsteht. 300 Lkws sind keine große Zahl, die Logistikunternehmen sind aber überzeugt: Es werden schließlich alle stehen bleiben. »Wir können das gut erklären« – sagt einer der Lkw-Fahrer.

Nach gestrigen Aktionen zur Unterstützung Nawalnyjs fühlen sich die Jungs verpflichtet, ihr Bestes zu geben. Heute überlegen sie, wie man sich lauter Gehör verschaffen kann, ohne dabei hinter Gittern zu geraten. Am heutigen Morgen wurde bereits der Gewerkschaftsvorsitzende Andrej Baschutin festgenommen – ihm wurde plötzlich vorgeworfen, dass ihm der Führerschein entzogen wurde. Heute gibt es auch die Gerichtsverhandlung und einen möglichen Arrest von 15 Tagen. […]«

Arsenij Wesenin am 27. März bei »Echo Moskwy«, <http://echo.msk.ru/blog/vesnin_a/1951860-echo/>

Die Proteste in Kasan dauern an. Die Polizei nahm den Vorsitzenden der regionalen Parnas-Organisation Tatarstan fest

Partei der Volksfreiheit (Parnas)

»In Kasan hat die Polizei den Leiter der regionalen Abteilung der »Partei der Volksfreiheit« (Parnas), Marsel Schamsutdinow, festgenommen. Er wurde aus der Dienststelle [der Polizei] freigelassen, nachdem ein Protokoll über das Organisieren einer nicht genehmigten Massenveranstaltung erstellt wurde. Schamsutdinow teilte mit, seine Festnahme sei im Zusammenhang mit der nicht angemeldeten Kundgebung der Kunden von Banken in Tatarstan am 4. März erfolgt, denen die Lizenz entzogen worden war. […]

Marsel Schamsutdinow vermutet, dass die Polizei ihn von der Mahnwache von Kunden der »Tatfondbank« und der »Intechbank«, die am 11. März stattfand, isolieren wollte. Nach seinen Aussagen haben die Veranstalter es nicht geschafft, die Aktion als Kundgebung zu registrieren.

»Die Unternehmen sterben, es gibt keine Mittel zur Auszahlung von Löhnen. Wir hatten keine Zeit für die Anmeldung der Kundgebung. Laut Gesetz braucht man zehn Tage, wir hatten aber nur sieben«, erzählte Schamsutdinow. »Die Veranstaltung wurde als Mahnwache beantragt, es wurden keine technischen Hilfsmittel erlaubt, und mich wollte man isolieren. Die Mahnwache war für Mittag geplant. Um 9:30 Uhr kommen drei Polizisten zu mir an den Stadtrand – ich war aber krankgeschrieben – und sind mit mir ins Krankenhaus gefahren und haben ein Protokoll erstellt, dass ich der Veranstalter einer nicht genehmigten Kundgebung gewesen war und ins Büro des Ministerpräsidenten einbrechen wollte. Es wurde ein Protokoll wegen Verstoß gegen Art. 20.2 Abs. 2 des Ordnungswidrigkeitengesetzbuches [OWiGB; russ.: »KoAP«] erstellt und ich wurde freigelassen. Die Mahnwache fand ohne mich statt. Während der Mahnwache wurde Alexandra Jumanowa, die Anführerin von betroffenen Anlegern bei den juristischen Personen [Banken], festgenommen. Sie wurde nach demselben Paragraphen abgewickelt. Am Montag ist die Gerichtsverhandlung.«

[…]

Warum protestieren die Anleger?

Am 3. März hat die Zentralbank der »Tatfondbank« und der »Intechbank« wegen Verletzung föderaler Gesetze, die die Tätigkeit von Banken regeln, sowie der Missachtung von Vorschriften der Zentralbank die Lizenz entzogen. Beide Banken hatten eine geringe Stammkapitalausstattung. Am nächsten Tag kamen 300 Bankkunden in einer Eilaktion zum Gebäude der Regierung Tatarstans, um die Rückzahlung der verlorenen Gelder zu fordern. Diese Kundgebung wurde zu einer der größten Protestaktionen in Tatarstan in den letzten Jahren. Der Vorsitzende der lokalen Abteilung von Parnas, Marcel Schamsutdinow, und Alexandra Jumanowa überreichten der Republikführung eine Petition, ein Ultimatum mit der Forderung, gegen den Beschluss der Zentralbank über den Entzug der Lizenzen von »Tatfondbank« und »Intechbank« Widerspruch einzulegen und den Bankkunden auf Kosten von Staatskorporationen und des Haushalts die verlorenen Gelder zu erstatten. Sollte dies nicht passieren, werde man, so versprachen es die Aktivisten, für den Rücktritt des Präsidenten Tatarstans, Rustam Minnachnow, kämpfen. Das Ultimatum hat Ildar Chalikow, der Ministerpräsident Tatarstans, persönlich entgegengenommen. Am 6. März organisierte Chalikow ein Treffen mit den Bankkunden und teilte dort mit, dass es kein Geld für Auszahlungen gibt und dass es sinnlos sein, den Entzug der Lizenzen anzufechten. Auf die Forderung Schamsutdinows nach juristischen Mitteln zur Hilfe für die Anleger erklärte die Regierung der Republik, sie werde es nicht zulassen, dass nicht genehmigte Protestaktionen durchgeführt werden, und riefen die Organisatoren der Proteste auf, sich nicht von »gewissen politischen Kräften« einspannen zu lassen. Danach kamen Zweihundert Menschen zu einer angemeldeten Mahnwache, der sich betrogene Immobilienanleger und Gegner der Müllverbrennungsanlage anschlossen. Die Aktivisten verkündeten, dass sie für den Rücktritt der Republikführung und ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Minnichanow kämpfen werden.«

Gastbeitrag der Partei »Parnas« bei »Echo Moskwy«, 12. März 2017, <http://echo.msk.ru/blog/rprparnas/1942850-echo/>

Sibirien versucht die Verbote der Kundgebungen zu umgehen

Jaroslaw Wlasow, Journalist bei Taiga.info (Nowosibirsk)

Die Protestaktionen gegen Korruption der hochrangigen Staatsbeamten Russlands werden am 26. März in mehreren sibirischen Städten stattfinden. In den meisten Fällen verweigern die Stadtverwaltungen den Menschen den Zugang sogar zu den »Hyde-Parks«, wo öffentliche Aktionen per Gesetz erlaubt sind. Die Antragsteller der Kundgebungen und Mahnwachen erstatteten Anzeigen, einige von ihnen wurden auf Polizeiwachen vorgeladen. […]

Tschita

Der Veranstalter Nikolai Markow hat eine Ankündigung über eine Mahnwache von 100 Personen auf dem Platz der Oktoberrevolution eingereicht, wo ein »Hyde Park« organisiert wird. Er teilte mit, dass die Polizei ein intensives Interesse für ihn entwickelt hat. Markow ist Student. Nach der Ankündigung luden ihn Mitarbeiter des »Zentrums E« [Zentrum für Extremismusbekämpfung; d. Red.] in einen »Dienstraum« seiner Universität zum Gespräch.

Die Polizisten beschuldigten Markow der »Verbreitung von Extremismus«. Markow teilte »Taiga.info« mit, dass die Polizei nach einem Gespräch am 24. März in einer Stelle des Innenministeriums kein Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrengt habe. Nach seinen Aussagen werde die Kundgebung stattfinden.

Tomsk

Die Stadtverwaltung hat die Aktion auf dem Platz mit dem Denkmal für die Helden des Vaterländischen Krieges 1812 an der Kreuzung Karl-Marx-Straße und Gasse des Jahres 1905 genehmigt. Die Mahnwache findet um 14 Uhr (10 Uhr Moskauer Zeit) statt.

Die städtischen Behörden hatten den Veranstaltern zunächst unter dem Vorwand eine Absage erteilt, dass alle Orte von den Aktivisten der »Nationalen Befreiungsbewegung« und der »Jungen Garde von Einiges Russland« belegt seien, hatten keine Alternativen vorgeschlagen, später aber ihre Meinung geändert. »Trotz der Genehmigung unserer Aktion werden wir die erste Absage der Stadtverwaltung vor Gericht anfechten«, erklärte die Koordinatorin des Tomsker Wahlstabs von Alexej Nawalnyj, Aljona Chletunowa.

Irkutsk

Die Behörden haben einer Mahnwache auf dem 50 Jahre Oktober-Platz die Genehmigung erteilt. Die Aktion beginnt um 14 Uhr (9 Uhr Moskauer Zeit) und ist auf 200 Menschen angelegt, erklärten die Veranstalter.

Die Stadtverwaltung genehmigte die Veranstaltung am Rand des Stadtzentrums. In der Veranstaltungsgruppe auf »Vkontakte« gibt es mehr als 1.200 Menschen, 600 Nutzer haben sich als »mögliche Teilnehmer« markiert. […]

Ulan-Ude

Die Stadtverwaltung hat keinen einzigen Antrag genehmigt. Am Tag der letztmöglichen Antragsabgabe wollte der Leiter der Verwaltung Organisation des Schutzes der Öffentlichen Ordnung der Republiksverwaltung des Innenministeriums [für Burjatien], Wilikton Sodnopow, mit jedem der Organisatoren sprechen.

»Wir haben mehr als drei Stunden bei der Polizei verbracht. Dort erklärten hochrangige Beamte, dass man uns bezahlt habe, dass das State Department der USA hinter uns stehe und [äußerten] noch jede Menge absurder Erklärungen und Drohungen. Das ganze Gespräch mit dem Innenministerium lief auf den Versuch heraus, uns zu überreden, das Veranstaltungsdatum zu verschieben«, schreiben die Veranstalter auf »VKontakte«. Die Antragsteller haben auf Rat von Gleichgesinnten aus Krasnojarsk beschlossen, die Absage der Stadtverwaltung vor Gericht anzufechten. […]«

Jaroslaw Wlasow, am 24. März bei »Taiga.info«, <http://tayga.info/133281>

»Schande!«. Im Gebiet Brjansk wurden Schüler wegen Aufruf zur Protestaktion auf die Wache gebracht

»Ein Schüler aus dem Gebiet Brjansk, der eine Gruppe zur Unterstützung von Nawalnyj erstellt und zur Kundgebung am 26. März aufgerufen hatte, wurde aus dem Unterricht geholt und direkt zur Polizei gebracht.

Danach führte die Schulleiterin ein Gespräch mit der Klasse und versuchte, die Schüler von einer Unterstützung des Klassenkameraden abzureden, und verbreitete propagandistischen Quatsch aus dem Fernsehen.

Lieber Unterstützer oder dessen Freunde, setzen Sie sich bitte mit dem föderalen Stab per E-mail in Verbbindung (2018@navalny.com) Wir werden Ihnen kostenlos juristische Hilfe gewähren und Ihre Peiniger ins http://blackbook.wiki [»Schwarzbuch«; ein Projekt von Alexej Nawalnyj, in dem Aktivisten eine Liste von korrupten Beamten, Polizisten, Richtern, Staatsanwälten führen; d. Red.] eintragen und sie nach dem Sieg »lustrieren«.

Na, was sind das für 84 % Unterstützung für Putin? Selbst vor Schülern haben sie Angst. Und solchen Lehrern gebührt nur Schmach und Schande!«

Team Nawalnyj 18. März 2017 bei »vk.com« (VKontakte), <https://vk.com/wall-55284725_262147>

Ich kann nicht mehr so weiterleben wie vorher

Katja, Schülerin (Moskau)

»Sobald bekannt wurde, dass eine Aktion auf der Twerskaja-Straße geplant ist, habe ich mit meinen Kumpels verstanden, dass es unsere Pflicht ist, da hinzugehen. Ich wollte rausgehen und meine Rechte geltend machen – und unserem Regime zeigen, dass wir nicht mehr zu Hause sitzen und das ertragen wollen, was da vor sich geht. Mein Gewissen würde es mir nicht erlauben, zu Hause zu bleiben. Ich weiß, dass es besser ist, auf die Straße zu gehen und die negativen Folgen zu tragen, als dass ich bleibe und meine legitime Meinung nicht äußere.

Ich wusste seit langem von der Willkür unseres Regimes; als ich aber die Untersuchung von Nawalnyj gesehen habe, wo unmittelbare Tatsachen dargelegt wurden – Drohnenbilder, Zeugenaussagen, die man nicht bestreiten kann – habe ich beschlossen, dass hier wahre Beweise vorliegen, inwieweit das System der staatlichen Verwaltung in unserem Land auseinanderfällt und wie stark die Korruption ist.

Als Boris Nemzow ermordert wurde – ich war damals 14 – ging ich zum ersten Mal auf die Straße, um an dem Gedenkmarsch teilzunehmen; dieser Tag hat mein ganzes Leben verändert. Ich bin allein ohne Eltern, ohne Freunde dorthin gegangen – damals hatte niemand meine Ansichten geteilt – und habe mich unter diesen unbekannten Leuten wie Zuhause gefühlt und habe verstanden, dass ich nicht mehr so weiter leben kann wie vorher. […]«

Katja aus Moskau am 27. März 2017 im Interview für »Meduza«, <https://meduza.io/feature/2017/03/27/mne-by-sovest-ne-pozvolila-ostatsya-doma>

Seien Sie wachsam. Sonst droht uns ein ukrainisches Szenario!

Wladimir Solowjow, Journalist (Moskau)

»[…] Die Demokratie zu verteidigen, ist sehr wichtig für mich. Worin besteht diese Verteidigung? U. a. in Gewaltenteilung. Es kann doch nicht sein, dass jemand sagt: »Ich sage Euch, was Ihr dürft. Ich pfeif drauf, ob man dafür eine Genehmigung braucht oder nicht. Ich sage, was man darf, deswegen: Geht raus auf die Straße.« Was heißt das? Schauen Sie: Dort, wo die Kundgebungen genehmigt waren, war es ruhig und sicher, keine Ausschreitungen. Dort (in einigen Städten), wo ein Versammlungsort vorgeschlagen worden war, wo sie [die Organisatoren] aber beschlossen, dass das egal sei, wo sie beschlossen, dass sie es selbst besser wissen und beharrten: »Wir entscheiden! Keine Gesetze, keine Regelungen – wir entscheiden, wo es sein soll«, da haben sie automatisch das Leben der Leute in Gefahr gebracht.

Gegen die Korruption muss man aber kämpfen. Und verantworten müssen sich alle, unabhängig von Dienstgrad, Position und Status. Reagieren muss man aber auf konkrete Vorwürfe im Rahmen der bestehenden Verfahren. Sonst – es haben ja alle gesehen, was in der Ukraine passiert war. Sie schrien, dass sie gegen Korruption kämpfen, bekamen aber ein rabiates korruptes Regime und ein Blutbad. Liebe Bürger, seien Sie wachsam! Kämpfen Sie gegen Korruption, unterscheiden Sie aber zwischen echten Kämpfern und bezahlten Provokateuren.«

Wladimir Solowjow am 27. März bei »Rossija 1«, <http://echo.msk.ru/blog/day_video/1951670-echo/>

Die Krim-Euphorie ist vorbei

Denis Wolkow, Lewada-Zentrum (Moskau)

»[…] Die neue Protestwelle ist möglich geworden, weil der »Krim-Effekt« sich seinem Ende nähert. Die Stimmung in der Gesellschaft ist nach vielen Indikatoren schlechter als sie es vor 2014 war. Das besagt die Entwicklung der Einstellungsindizes der Gesellschaft, ein integraler Wert, der vom Lewada-Zentrum ermittelt wird. Das ist stimmt, wenn es um die Einschätzungen der persönlichen Lage der Menschen, ihres Wohlstands und ihrer Zukunftsaussichten geht. Das Gesamtwerte des Regimes, wenn man nicht nur die stabil hohen Umfragewerte Putins berücksichtigt, sondern auch die zur Regierungsarbeit, sind heute um 20 % niedriger als Ende 2014. Der Grund ist nicht nur das Ende der Euphorie, sondern auch die Folgen der Wirtschaftskrise – selbst nach offiziellen Angaben leben die Menschen in Russland heute schlechter, als noch vor drei Jahren. Von Bedeutung sind dabei nicht nur der sinkende Wohlstand, sondern auch das »Sackgassengefühl«, die Unmöglichkeit von Veränderungen und das Fehlen von Lebensperspektiven. Das müssen insbesondere junge, gebildete Menschen hart erfahren, die mit Nawalnyj »nicht glauben wollen, dass Russland ein verlorenes Land ist«. Das Thema Korruption wird dabei eher als Symbol der Unzufriedenheit, der ungerechten Situation wahrgenommen, denn als soziales Übel, auf das man im Alltag stößt. Dieser Stimmungswandel in der Gesellschaft wird von den Experten übergangen, die ihre Aufmerksamkeit nur auf die hohen Umfragewerte des Präsidenten richten und andere Indikatoren außer Acht lassen.

Denis Wolkow am 27. März 2017 bei »RBK«; <http://www.rbc.ru/opinions/politics/27/03/2017/58d8db2f9a7947ba863b71ba>

Ausgewählt und eingeleitet von Sergey Medvedev, Berlin (Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)

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Analyse

Bauernproteste gegen Landraub und Korruption im Kubangebiet

Von Hans Schmidt
In Russland fand Ende August 2016 eine Protestaktion von Kleinbauern (der »Traktorenmarsch«) statt. Berichten der Zeitung »Kommersant« zufolge startete am 21. August in der Region Krasnodar eine Kolonne aus 17 Traktoren und 8 PKWs mit 50 Kleinbauern an Bord einen Protestmarsch Richtung Moskau. Auf diese Weise wollten die Beteiligten den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf ihre Probleme aufmerksam machen und eine Audienz bei ihm erreichen. Der Hauptgrund für die Unzufriedenheit der Teilnehmer der Protestaktion waren wiederholte Fälle von Landraub und Korruption bei den lokalen Behörden der Region. (…)
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Analyse

Russland in politikbezogenen Länderrankings. Demokratie, Rechtsstaat und Bürgerrechte im internationalen Vergleich

Von Heiko Pleines
Eine ganze Reihe von Länderrankings, erstellt von Freedom House, der Bertelsmann Stiftung und anderen Nichtregierungsorganisationen, versucht, die politische Situation in den Ländern der Welt regelmäßig einer numerischen Bewertung zu unterziehen. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie Russland in diesen Rankings abschneidet. Die Aussagekraft der Rankings ist allerdings aufgrund methodischer Probleme und insbesondere aufgrund der Subjektivität der erfassten Indikatoren eingeschränkt.
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