Ich erkenne das Gerichtsurteil nicht an
Alexej Nawalnyj, Politiker
»Das heutige »Gerichtsurteil«:
Medwedew bekam kein Schmiergeld von Usmanow.Schuwalow bekam kein Schmiergeld von Usmanow. Usmanow hat mit der Zensur beim Verlag »Kommersant« nichts zu tun. (lesen Sie mehr auf http://os.colta.ru/media/paper/details/32772/) Usmanow zahlt Steuern. […] Der Film »Nennen Sie ihn nicht Dimon« muss gelöscht werden.Die Untersuchung »Nennen Sie ihn nicht Dimon« muss gelöscht werden. Dazu kann ich nur zwei Worte sagen: NATÜRLICH NICHT.
Gehen Sie am 12. Juni, am Tag Russlands auf die Straße. Man muss dem Regime erklären, dass man nicht per Gerichtsurteil schwarz in weiß verkehren kann. Man kann nicht per Gerichtsurteil sagen »es gibt keine Korruption«, wenn wir mit eigenen Augen sehen, dass es sie gibt.
Liste der Städte mit Aktionen am 12. Juni.«
Alexej Nawalnyj am 31. Mai 2017 auf »navalny.com«; <https://navalny.com/p/5409/>.
Die andere Realität des »Anwalts« Nawalnyj
Alexander Christoforow, Journalist
»Im Prinzip lohnt es sich nicht darüber zu reden, ob nun Alexej Nawalnyj irgendeinen Beleg für seine Anschuldigungen vorgelegt hat. Mehr noch: Der Oppositionelle hat die Protagonisten des Films in seinem hitzigen rhetorischen Eifer mit Bezeichnungen wie »Gaunerbande«, »Diebesgesindel« und sonstigen im Strafgesetzbuch definierten Begriffen versehen.
Es ist offensichtlich: Hätte Nawalnyj für seine Aussagen auch nur einen einzigen unstrittigen, durch Dokumente bestätigten Beweis zur Hand, würde er unentwegt auf seinem »stahlbetonfesten Argument« beharren. Tatsächlich aber kommentiert er das ergangene Urteil damit, dass er »eine andere Realität sieht«. […]
Was Nawalnyj zweifelsohne erreicht hat, ist seine erneute Präsenz auf der Medienagenda, eine erneute Erwähnung seines Namens im Zusammenhang mit prominenten Vertretern aus Politik und Wirtschaft.
Nach dem Urteilsspruch machte Herr Nawalnyj im gleichen Stil weiter: »Pfeif auf die Entscheidung des Gerichts!« Von jemandem, der Berufserfahrung als Rechtsanwalt hat, würde man Worte wie »Wir werden gehen aufgrund unwiderlegbarer Beweise in Revision« erwarten. Wenig erbaulich sind auch die »erläuternden« Überschriften in der oppositionellen Presse à la »Warum sollte Usmaonow einen Anwalt brauchen, wo er doch einen Richter hat?«.
Eine gewisse Erfahrung lässt sich dem Herrn Nawalnyj nicht absprechen, nachdem er als Beklagter, als Zeuge und als Angeklagter in eine ganze Reihe Straf-, Ordnungswidrigkeits-, Zivil- und Wirtschaftsverfahren involviert war. In der Tat kann man jemanden mit einer Bewährungsstrafe von fünf Jahren wohl kaum als justizfern bezeichnen, auch wenn er wohl dieses Mal sogar seine Anhänger enttäuscht zu haben scheint.
Daher bleibt jetzt Nawalnyj nur der Versuch, seine Opponenten dadurch zu reizen, dass er sich weigert den Film aus dem Netz zu nehmen und dazu aufruft ihn weiterzuverbreiten. Selbstverständlich ohne jedes Nachdenken.«
Alexander Christoforow am 1. Juni 2017 auf »vz.ru«; <https://vz.ru/opinions/2017/6/1/872798.html>.
Zur Bedeutung der Videobotschaft Alischer Usmanows
Dmitrij Gluchowskij, Publizist (Moskau)
»Der schulmeisterhaft, abfällig und herablassend daherkommende Auftritt von Alischer Usmanow endete mit einem bösen und vulgären »Spucke auf dich!«. Der Stil ist eindeutig kein Zufall, und es lohnt daher eine Betrachtung, was er bedeuten könnte: Möglicherweise wurde dieser Stil einer kriminellen Prominenz gewählt, um die Unterschiede der Generations- und persönlichen Erfahrung zu unterstreichen.
Natürlich möchte ich nicht sagen, dass Herr Usmanow eine solche kriminelle Größe ist, doch seine Haltung gegenüber einem jungen, impertinenten, Grenzen missachtenden Typen vom Podest der Erfahrung aus den harten 1990er Jahren herab, das sind eindeutig Anzeichen für einen Generationenkonflikt. Was er durchgemacht und gesehen hat, das ist für Nawalnyj lediglich Teil seiner unreflektierten Kindheit, allerhöchstens seiner rebellionslosen Jugendjahre. Hier muss man verstehen, dass Usmanow sich keineswegs an Nawalnyj wendet, sondern an das so genannte reale Russland, nicht an das junge, raffinierte à la Nawalnyj, sondern an das ältere mit harter Lebenserfahrung, das wütend ist auf solche wie Nawalnyj. Jenem Russland, dem dieser Ton verständlich ist und in dessen Augen er Nawalnyj runtermacht, ganz so wie man in den Gefängnissen jemanden mit dem Ausdruck »Spucke auf dich« runtermacht, wie Zeugen berichten. […]
Eine andere Frage ist, wie so häufig bei uns, dass die Botschaft einen entgegengesetzten Effekt hatte. Was geschrieben wurde, in den sozialen Netzwerken unter Einsatz von Ressourcen kontrollierter Unternehmen und loyaler Journalisten verbreitet wurde, was mit allen Mitteln als PR eingesetzt wurde, das wurde zur echten Promo für Nawalnyj, und zwar in jenen Kreisen, die eben noch daran zweifeln wollten, dass es ihn wirklich noch gibt. Schließlich hatte das Regime bis in die jüngste Zeit hinein versucht, Nawalnyj zu ignorieren, ja nicht mal seinen Namen neben sich selbst zu nennen, weil ihn ja jede Berührung mit Leuten, die hohe Umfragewerte genießen, aus dem Status eines Paria herausführen würde. Usmanow hat das missachtet. Und hier lassen sich durchaus versteckte Motive vermuten. Denn im »Osten«, also auch in unseren »östlichen« Regionen ist das erste, was abergläubige Frauen bei einem neugeborenen Kind sagen, um es nicht zu beschreien, um die bösen Geister fernzuhalten und die guten herbeizurufen: »Spucke auf dich!«
Das heißt also, indem er auf einen jungen Politiker von russlandweitem Format, »spuckt« (auch, wenn der kein Baby mehr ist), dann lenkt Usmanow Aufmerksamkeit auf ihn, hilft ihm, prominenter zu werden, und er schickt eine versteckte Botschaft, in der er Kraft und Erfolg im gewählten Metier wünscht. Wenn man die konspirologische Version weiterverfolgt, kann man raten, wem das nützt und wer hinter Usmanow steht. Ich bin kein Anhänger der Konspirologie, weiß aber mit Bestimmtheit, dass bei uns höchst unerwartete Annahmen ihre Bestätigung finden.«
Dmitrij Gluchowskij am 1. Juni 2017 bei der »Nowaja Gaseta«; <https://www.novayagazeta.ru/articles/2017/06/02/72662-tochka-tfu>.
Bio-Usmanow gegen Plastik-Nawalnyj
Dmitrij Olschanskij, Journalist
«Es gibt natürliche Dinge auf der Welt – und welche aus Plastik
Gute, schlechte, ganz egal. […]
Der Politiker Nawalnyj ist aus Plastik. Hallo, ich werd’ euch zeigen, wie man an der Devisenbörse Forex spielt. Hallo, ich zeig’ euch zehn Methoden einer positiven Einstellung zum Leben. Hallo, ich bin ein ehrlicher Kerl und erzähl‘ euch was über Gauner.
Jede Geste, jedes Wort sind wie aus Lehrbüchern für Haustürgeschäfte, die man sich von irgendeinem speckigen Tisch in irgendeiner »Akademie für effizientes Unternehmertum« geliehen hat.
Lächeln, bitte!
Der Oligarch Usmanow aber ist natürlich. Auf seinem großen Gesicht finden alle sechs Staffeln des »Soprano Clans« Platz, das ganze schreckliche Leben. Das ist aber sein Leben, und kein fremdes Marketing.«
Dmitrij Olschanskij am 19. Mai 2017 auf »kp.ru«; <https://www.kp.ru/daily/26680/3703601/>.
Warum Oligarchen über ihre politische Zukunft nachdenken sollten
Konstantin Gaase, Journalist
»[…] wenn man sich den Clip von Alischer Usmanow anschaut, der auf der Liste der reichsten Russen an fünfter Stelle steht, kann man für diesen Menschen keine Sympathie empfinden. Es geht hier nicht um die Yacht, nicht ums Äußere, nicht um den Namen und schon gar nicht um die ferne sowjetische Vergangenheit. Es geht um die schichtenspezifische Verantwortung dieses Menschen dafür, wie unser Land heute aussieht.
Reicht das aber, um Usmanow einen Gauner zu nennen? Oder einen Korruptionär, der Bürokraten und Politikern Schmiergelder gegeben hat? Genau hier liegt das Problem bei der Causa »Usmanow gegen Nawalnyj«. Die Geschichte bricht aus dem Drehbuch aus, nach dem vor großen Wahlen billige Shows zum Anheizen der Bürger veranstaltet werden. Sie schickt uns ausgerechnet dorthin, wo man nicht vor der Zeit hingelangen möchte. Wenn Korruption, verdorbene Gesetze schon seit sehr langer Zeit die Norm sind, wenn eine legale, arglistige und pharsäische, Definition von Korruption in den Vorstellungen der Bürger darüber kursiert, was sie [die Korruption] tatsächlich darstellt, wie können wir dann in den Debatten von Usmanow und Nawalnyj darüber richten, wer recht hat und wer schuld ist? Das Ferngespräch zwischen dem Oligarchen und dem Politiker und Populisten braucht eine Messlatte, wenn wir Bewertungen vornehmen wollen, eine Messlatte, auf der es weder Oligarchen noch Populisten gibt. Da ein solches Maß fehlt, sorgt das Gespräch sofort für Unwohlsein. […]
Die Oligarchen hatten ihre große Vergangenheit. Am Anfang der Zeit hatten sie den Platz der größten Raubtiere des postsowjetischen Russland inne. Die Legierung aus vulgärem Nietzscheanismus, einem komsomol-korporatistischen Mischdialekt und einer [moralischen] Degenerierung im Alltag, die den Oligarchen sowohl die Ideologie, als auch die Ansichten, wie auch das Programm ersetzt hatte, erschien, von der Seite betrachtet, als Merkmal einer neuen Qualität der persönlichen Freiheit. Den Lesern der Wirtschaftspresse werden bis heute romantische Historiker jener Jahre geboten (»als ich zur Fabrik kam, lag die im Sterben«). Die Realität war von dem primitiv glamourösen Bild eines »die Kapitalisten retten die Arbeiter« weit entfernt, aber auch von den Horrorgeschichten über die blutigen Neunziger. Als das Petersburger Bürgermeisteramt die ersten Geschäfte in Devisen abwickelte, saß am einen Ende der Telefonleitung Wladimir Putin, heute der Präsident, und am anderen Ende Pjotr Awen, heute ein Oligarch, der seinerzeit als Minister für Außenwirtschaftsbeziehungen arbeitete. Die Beziehungen zwischen Staatsmacht und Kapital sind in Russland immer partnerschaftlich gewesen, nur hat sich die Rolle des Seniorpartners für das Kapital als zu schwer erwiesen.
Freie und reiche neue Russen, so sah das damals aus. Heute ist das ein Oxymoron. Reiche Russen sind unfrei. Es gibt unter ihnen jene, die unter Putin zu Millionären geworden sind. Es gibt jene, die dank Putin Milliardäre geblieben sind. Aber es gibt keinen einzigen, der gegen Putin Milliardär geworden oder wenigstens geblieben ist. […]
Daher erscheint der Antrieb, aus dem heraus Alischer Usmanow zwei Videobotschaften an den Oppositionellen aufgezeichnet hat, in jeder Hinsicht merkwürdig. Der Oligarch war gegen Nawalnyj vor Gericht gezogen (und hat, wie vorherzusehen, gewonnen), wozu brauchte er dann noch diese Clips? Die Version, dass der Kreml damit zu tun hat, fiel nahezu umgehend aus: Sowohl im Kreml, wie auch in der Regierung begegnete man Usmanows Initiative mit einigem Unverständnis. Auch die Version von der Internet-Abhängigkeit, die durchgeschlagen habe, ist nicht besonders überzeugend. Oligarchen haben keine Abhängigkeiten im allgemeinmenschlichen Sinne des Wortes; wovon sie tatsächlich abhängig ist in der Sprache der Likes und Shares nur schwer beschreibbar. Usmanow hat alles allein entschieden und alles allein gemacht. Und die Antwort auf die erste Frage, wozu er das getan hat, ergibt sich auf logische Weise aus dem, was er genau getan hat. Usmanow hat sich an die russische Gesellschaft gewandt. Für eine Antwort auf die zweite Frage, was ihn diese Gesellschaft angeht, muss man sich etwas quälen.
Wenn der Moment kommt, wenn der Kreml oder die Gesellschaft etwas von den Oligarchen wollen, gehen sie auf zwei unterschiedliche Arten vor. Auf ein Verlangen des Kreml antworten die Oligarchen gewöhnlich mit Einwilligung. Sie verlangen zwar etwas im Gegenzug, allerdings in einem ganz anderen Bereich als jenem, in dem die Staatsmacht etwas verlangte. Auf ein Verlangen der Gesellschaft aber reagieren die Oligarchen gar nicht – da verstecken sie sich hinter der Staatsmacht. Nach dem Unglück in der Zeche »Sewernaja« in Workuta, die dem Konzern »Sewerstal« von Alexej Mordaschow gehört, hat der Präsident nach Angaben etlicher Quellen den stellvertretenden Ministerpräsidenten Dworkowitsch persönlich aufgefordert, gemeinsam mit den Besitzern zu den Familien der Opfer zu fahren, weil die Oligarchen nicht in der Lage seien, mit den Leuten wie mit Menschen zu reden. Das gleiche gilt für die staatlich rekrutierten Oligarchen: Im Herbst 2009, als die Arbeiter von AwtoWAS Lärm schlagen wollten, fuhr nicht der Firmenchef, der Besitzer Sergej Tschemesow dort hin, um die Arbeiter umzustimmen, sondern der Erste stellvertretende Ministerpräsident Igor Schuwalow. Und zwar aus dem gleichen Grund.
Eine andere Situation ist es, wenn sich ein Oligarch an die Gesellschaft wendet, der Gesellschaft wohlgemerkt, und nicht an Nawalnyj; das erscheint als absolute Neuerung. Es ist zu spüren dass Usmanow uns nicht gefallen, sondern uns etwas sagen will. Er möchte zeigen, dass er, ein Mensch ist, der wahrhaftig lebt und sich nicht scheut über seinen Reichtum zu reden. Dieser Wunsch ist ein Signal, ein rotes Licht am Steuerpult des Kreml. Usmanow braucht die Staatsmacht auch weiterhin. Er hat aber, indem er sich direkt an die Gesellschaft wandte, gezeigt, dass ihm die Garantien, die ihm das Regime gibt, nicht mehr reichen.«
Konstantin Gaase am 1. Juni 2017 auf »rbc.ru«; <http://www.rbc.ru/opinions/politics/01/06/2017/592fc6bd9a79477b6fc9ecf8>.
Ausgewählt und eingeleitet von Sergey Medvedev, Berlin
(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)