Anpassung an globale Normen
Russland investiert – wie viele autoritäre Regime – eine Menge Ressourcen zu Zwecken der Eigenwerbung und der Aufpolierung des eigenen Images. Diesem Denkmuster folgend, bindet Putins Regime unterschiedliche Gruppen der Eliten von Managern, Bürokraten und Unternehmern ein, die mit globalen Praktiken von Gouvernmentalität in Verbindung stehen. Ungeachtet der derzeitigen Tendenz in Richtung Isolation und entgegen einer Ideologie der Autarkie ist das Regime in vielerlei Hinsicht mit der neoliberalen Wirtschaft der globalen Finanzströme, des Kulturkonsums sowie der Unterhaltungs- und Medienindustrie verbunden. Das legt die Frage nahe, wie der Kreml in einer Situation vorgeht, die eine Umorientierung von einer konfrontativen und revisionistischen Ideologie hin zu einer Praxis der Konnektivität und des Engagements verlangt, wo weitgehend postpolitische Instrumente der Regierungsführung und der Umsetzung großer internationaler Projekte zum Einsatz kommen.
Es gibt zumindest zwei Politikbereiche, in denen die russische Sportpolitik einer genauen internationalen Überprüfung ausgesetzt war und sie auf vielfältigen Druck aus dem Ausland reagieren musste, nämlich der Dopingskandal und das Problem der russischen Hooligans. In beiden Fällen war es die internationale Aufmerksamkeit, unter anderem durch eine ausgiebige Berichterstattung in den Medien, die die öffentliche Meinung beeinflusste und letztendlich einen Wechsel in der russischen Politik auslöste. Die beiden Fälle verleihen unserer Analyse eine wichtige Wendung, indem die globale Rolle der Medien als ein wirksames Element des Instrumentariums von Gouvernmentalität zu Tage tritt.
Gedopt und enthüllt
Der Dopingskandal, der 2015 ausbrach, förderte wichtige Aspekte der Verwundbarkeit Russlands auf dem globalen Sportmarkt und seine Sensibilität hinsichtlich der internationalen Sportwelt zutage. Die WADA hat eine Reihe von Berichten veröffentlicht, die den massenhaften und staatlich geförderten Einsatz von Doping im russischen Sport offenlegen (McLaren-Bericht 2016 und WADA-Bericht 2016). Die internationalen Medien haben Augenzeugenaussagen veröffentlicht, in denen das russische Sportministerium und der Inlandsgeheimdienst FSB beschuldigt werden, positive Dopingproben russischer Athleten zerstört zu haben (z. B. R. Ruiz und M. Schwirtz). Die anschließende Debatte ging weit über die Arena des Sports hinaus: »Wenn unabhängige Ermittler Zugang zum russischen System der öffentlichen Auftrage erhielten, zum militärisch-industriellen Komplex, zu den staatlichen Energieunternehmen oder den »gesellschaftlichen Bewegungen«, die Präsident Putin unterstützen, dann würden deren Ergebnisse nahezu jenen gleichen, die in den Berichten der Antidopingagentur aufgeführt sind« (Leonid Bershidsky).
Im November war der Internationale Leichtathletikverband IAAF der erste, der den Russischen Leichtathletikverband von einer Teilnahme an allen internationalen Wettbewerben unter der Ägide der IAAF ausschloss. Im Juli 2016 beschloss das Internationale Olympische Komitee, keine »Sportveranstaltungen oder Treffen in Russland zu organisieren oder unter seine Schirmherrschaft zu nehmen« und forderte alle Wintersportverbände auf »die Vorbereitungen für Großveranstaltungen in Russland, beispielsweise wie Weltmeisterschaften, Weltcups oder andere internationale Wettbewerbe, unter ihrer Verantwortung [einzustellen] und nach alternativen Ausrichtern zu suchen«. Im Verlauf nur weniger Monate wurden Russland eine Reihe hochrangiger internationaler Wettbewerbe wieder entzogen, nämlich des Internationalen Bob- und Skeletonverbandes, des Internationalen Biathlonverbandes, des Internationalen Schlittschuhverbandes und des Internationalen Skiverbandes. Darüber hinaus wurde Russland von den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro ausgeschlossen.
Die russischen Reaktionen auf die Dopingenthüllungen bestanden in einer Kombination aus politisch konfrontativer Rhetorik und konstruktiverer Zusammenarbeit mit den internationalen Sportinstitutionen. Politisch erfolgten zahlreiche Erklärungen aus Russland, dass die WADA Meldonium verboten habe, weil es bei Athleten aus postsowjetischen Ländern höchst populär sei, und dass der ganze Skandal ein Sabotageakt sei, hinter dem jene stünden, die Russland übel wollten. Dieses Narrativ wurde vom russischen Außenminister Sergej Lawrow aufgegriffen, der anmerkte, er wäre nicht überrascht, wenn jemand die russische Diplomatie des Dopings beschuldigte und deshalb forderte, dass sie sich von einer Teilhabe an der Weltpolitik zurückzieht (s. RIA Nowosti). Das lag auf einer Linie mit Russlands Reaktion auf einen früheren Korruptionsskandal bei der FIFA, die in Russland weithin als eine US-amerikanische Verschwörung wahrgenommen wurde. So bezeichnete Sergej Poddubnyj, Vorsitzender des Sportausschusses der Staatsduma, die Dopingvorwürfe der WADA als »rein politischen Fall, der mit Sport nichts zu tun hat« (s. RSport). Die Artikulierung der eigenen Position als vorwiegend leitender Natur verleiht Offiziellen des russischen Staates das Privileg, Stellungnahmen oder politische Schritte, die als russlandfeindlich betrachtet werden, zu verdammen oder zur Seite zu wischen. Dmitrij Peskow, der Pressesprecher Putins, stellte die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen in Frage, indem er sie als »Verleumdung eines Überläufers« bezeichnete. Das war eine Anspielung an den ehemaligen Leiter des Moskauer Dopingtestlabors, der nach seiner Flucht ins Ausland gegen 15 russische Medaillengewinner bei den Winterspielen in Sotschi ausgesagt hatte. Dieser Stellungnahme folgten Meldungen von der Behinderung einer Inspektionsreise der britischen Antidopingagentur nach Moskau. Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, rief die WADA-Gremien zum Rücktritt auf. Viele Athleten wandten sich direkt an Putin mit der Bitte um Schutz.
Der Präsident Russlands nahm allerdings eine weitaus beschwichtigendere Haltung ein und lenkte die Frage in gouvernmentalitätsfreundlichere Kategorien, als er meinte: »wir sollten hier weder etwas politisieren, noch Verschwörungstheorien bemühen. Wir sollten systematisch und rechtzeitig auf Entscheidungen reagieren, die von internationalen Organisationen getroffen wurden…« (zit. nach Slon, 16.03.2016).
Schließlich räumte der russische Sportminister eine Verantwortung für die Dopingfälle ein, entschuldigte sich für die Verfehlungen und meinte: »Wir müssen verstehen, was schiefgelaufen ist und ein System schaffen, das unsere Spitzenathleten schützt« (zit. nach TV Doshd). Dmitrij Schljachtin, Chef des russischen Leichtathletikverbandes hat eine Untersuchung aller Anschuldigungen angeordnet, die in einem von der ARD produzierten Film erhoben wurden. Das war in der russischen administrativen Kultur der Regierungsführung, die sich westlichen Medien gegenüber traditionell misstrauisch, wenn nicht gar feindselig verhält, ein einmaliger Schritt.
Moskaus Reaktion auf den Dopingskandal befand sich im Großen und Ganzen im Einklang mit der Logik von Gouvernmentalität: Die russischen Sportbehörden haben das Problem anerkannt und verkündet, sich an internationale Standards zu halten. Letztendlich unterzeichnete Putin ein Gesetz, das die Strafen für Doping im Sport spezifiziert. Im März 2017 gestand Putin in einer Rede in Krasnojarsk, dem Austragungsort der Studentenweltspiele von 2019, öffentlich ein, dass das Antidopingsystem in Russland nicht funktioniert habe. Er rief dazu auf, die Untersuchungen der WADA ernst zu nehmen und alle zu bestrafen, die für schuldig befunden würden.
Die Dopingaffäre erzeugt eine offensichtliche Kontroverse: Einerseits erkannte Putin in mancher Situation die Anschuldigungen gegen russische Athleten als zutreffend an. In anderen Situationen jedoch bestritten seine engsten Verbündeten die Korrektheit der einschlägigen Informationen, die den Medien zugespielt wurden. Durch den seltenen Riss im hegemonialen Diskurs (mit Anhängern einer auf Verschwörungstheorien gegründeten Erklärung des Dopingskandals auf der einen Seite und Putins eher vorsichtiger und »technischer« Haltung auf der anderen) geriet die ganze Geschichte zu einem jener seltenen Fälle, in denen der russische Staat unmittelbar auf Enthüllungen reagieren musste, die in den Medien breit und intensiv (unter anderem durch Fernsehdokumentationen) behandelt wurden und die Glaubwürdigkeit Russlands als Ausrichter zukünftiger Großveranstaltungen in Frage stellten. Der Kreml musste sich also an der Kommunikation beteiligen und konnte es sich nicht leisten, etwas zu ignorieren, was sonst als feindliches Vorgehen gegenüber Russland abgetan worden wäre.
Die Dopingsaga illustriert nicht nur die hybride Natur des russischen Modells von Gouvernmentalität im Sport, sondern auch die Relevanz ihre Symbolebene: Der Umstand, dass russische Champions und Medaillengewinner öffentlich als Leute dargestellt wurden, die die Olympischen Regeln und die Ethik des Sports verletzt haben, ruiniert die gesamte Mythologie der Spiele in Sotschi als Höhepunkt der Großartigkeit Russlands und dessen Attraktivität durch Soft Power. In diesem Sinne wurde das Regime Putin Opfer der von Russland betriebenen Politisierung des Sports, wie auch des Umstandes, dass der Sport mit seinem konsequent hochrangigen Symbolcharakter als Spielwiese nationaler Konsolidierung erhoben worden war. Putin Mythologie erscheint nun, ohne eine triumphale Geschichte von Olympia in Sotschi und dem dahinterstehenden biopolitischen Kult vom gesunden Körper, dysfunktional. Das erklärt auch warum der Mainstreamdiskurs so empfindlich gegenüber den Doping-Enthüllungen ist: Letztere bringen nicht nur den russischen Staat in eine unbequeme Abwehrposition, sondern bedeuten auch die Dekonstruktion eines wichtigen Elements von Putins Symbolwelt, indem das triumphale Narrativ von Sotschi zu einer Geschichte von Verfehlungen, Manipulationen und Korruption gerät.
Russische Fußballfans: Hooligans oder Putins Fußvolk?
Fans sind ein untrennbares Element der globalen Sichtbarkeit eines jeden Sports, und zwar sowohl als Beteiligte, wie auch als Konsumenten von Großveranstaltungen. Darüber hinaus sorgen im Falle Russlands Fußballfans für einen konservativen, patriotischen Diskurs, der von einer paramilitärischen Praxis flankiert wird. Gleichzeitig finden sich Fußballfans allerdings auch in der Rolle wieder, Objekte staatlicher Regulierung zu sein.
Die heftigen Zusammenstöße von russischen und britischen Fans in Marseille während der Europameisterschaft 2016 und die Reaktionen russischer Offizieller hierauf schufen einen weiteren besonderen Kontext zur Projektion von Gouvernmentalität. Im Juni 2016 hatten 150–300 russische Fußballanhänger einen blutigen Straßenkampf mit ihren englischen Kontrahenten provoziert. Es gab 35 Verletzte und einen Toten. Drei Russen wurden in Frankreich zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Der russische Fußballverband wurde zu einer Geldstrafe von 150.000 verurteilt und gewarnt, dass im Falle weiterer Zwischenfälle dieser Art die Mannschaft Russlands disqualifiziert werden würde.
Dem Staatsanwalt von Marseille, Brice Robin, zufolge, wie auch nach Einschätzung anderer Experten waren die russischen Hooligans Profis, trainierte Kampfsportler. Die Dokumentation »Russia’s Hooligan Army« von Alex Stockley, die die BBC Mitte Februar 2017 zeigte, untersucht die russischen Fanclubs, wobei festgestellt wurde, dass deren Gruppenidentität eindeutig konservativ, brutal und »geistig gesund« sei. Fußballfans seien in Russland heute keine Säufer oder passive Beobachter, meinen die Protagonisten des Dokumentarfilms; es seien gut trainierte junge Männer, die eine gesunde Lebensweise pflegten und kampfbereit seien. »Wir lernen jetzt zu kämpfen, das ist ein normaler Trend, das ist gesunde russische Männlichkeit«, meinte einer von ihnen (s. i. d. Lesetipps Stockley, min. 17:19–21). »In den 25 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist eine neue Generation russischer Bürger herangewachsen, und unter denen, die im Flugzeug nach Marseille saßen, gab es Kampfsport-Champions. Die Briten kämpften gegen eine wohltrainierte Maschine, von der sie wie von einer Lawine weggewischt wurden«, ergänzt Alexandr Schprygin, seinerzeit Chef der »Allrussischen Vereinigung der Fußballfans« in dem Film von Stockley (min. 21:17–33).
Gewalt ist ein wichtiger Teil der Philosophie der Subkultur der Fans, gepaart mit Xenophobie und kulturellem Chauvinismus, was als Verteidigung moralischer Werte verstanden wird. Daher waren die Zwischenfälle in Marseille nicht nur eine Aktion, um »schiere« Macht zu demonstrieren. Im Gegenteil: Die Russen fassten es als etwas auf, mit dem sie den betrunkenen britischen Hooligan-Mob »disziplinieren« würden; sie sahen sich als jene Kraft, die diesen Mob »zur Vernunft bringen« kann. Wassilij (auch bekannt als Wassja (der) Killer), ehemaliger Anführer eines Fanclubs von »Spartak« Moskau, meint in einem Beitrag auf »Russia Today«: »die ganze Sache war ein totales Versagen der Organisatoren und der französischen Polizei. Es ist Quatsch, den russischen Fans die Schuld zu geben. Tut mir leid, das zu sagen, aber es waren 50.000 vom angelsächsischen Pöbel in der Stadt. Die benahmen sich, als wären sie die Kings. Das kann man doch nicht hinnehmen, ein anderes Land zu beleidigen, dessen Hymne und das Staatsoberhaupt. Es ist inakzeptabel, sich wie die Schweine zu benehmen«. »Der heutige Zustand der englischen Hooligans ist der gleiche wie der eurer westlichen Kultur und Zivilisation. Ich meine, die steckt tief in der Tonne«, meint er in Stockleys Film (min. 15:30–40).
Daher kann das Hooliganwesen im Fußball auch als Teil einer zivilisatorischen Trennung zwischen Russland und dessen kulturellen Gegenüber Europa aufgefasst werden. Dmitrij Derunez erkennt in seinem Blog in dem Regisseur einen Briten, der gegenüber der Welt verkünden kann: »Russen sind anders, sie sind fürchterlich, wild und nicht in der Lage, eine so heilige Veranstaltung wie die Weltmeisterschaft im Fußball auszurichten, den wir in England erfunden haben«. Wassja »der Killer« pflichtet dem im erwähnten Interview auf RT bei: »Unsere sogenannten westlichen Partner brauchen das. Die fächern eine Doping-Hysterie an, dann Spekulationen über Marseille, wobei sie sagen, dass KGB-Agenten arme britische ältere Herren und Damen zusammengetreten haben. Das ist eine Kette von Sachen, die sich gegen Russland richten«.
Igor Lebedew, Abgeordneter des russischen Parlaments und Sohn von Wladimir Schirinowskij, gibt eine ähnliche Meinung kund: »Das sind keine Hooligans, das sind Leute, die mit Herz und Seele ihre Mannschaft unterstützen. Ich denke, dass Frankreich und seine Polizei besser auf eine Veranstaltung dieser Art vorbereitet sein müssen«.
Wladimir Markin, seinerzeit Sprecher des Strafermittlungskomitees Russlands, schlug 2016 auf Twitter den gleichen Ton an: »Ein normaler Mann, so wie er sein soll, sorgt bei ihnen für Verwunderung. Die sind es gewohnt, auf Schwulenparaden ›Männer‹ zu sehen«.
Diese Narrative stehen eindeutig in Verbindung zum konservativen Diskurs des Kreml, der auf Vorstellungen von »Blut und Familie« basiert, wie wir 2015 und 2017 in unseren gemeinsamen Arbeiten ausgeführt haben. Zudem stehen sie in Beziehung zur hegemonialen Männlichkeit, die Putin in den 2000er Jahren selbst eingesetzt hat. »Für uns ist es am wichtigsten, nah bei unserer Gruppe, unseren Familien zu sein und sie nicht zu verraten«, erklärt ein Mitglied eines Fanclubs in dem BBC-Film (Min. 43:50–54). In diesem Kontext wird heute erneut das Modell des Soldaten, des Kämpfers sichtbar, das in den 1990er Jahren vorübergehend aus dem hegemonialen Diskurs verschwunden war. »Für Stalin!« rufen Fußballfans, wenn sie bei Kampfduellen in einem Wald bei Rostow auf gegnerische Fans einschlagen (s. den Beitrag von R. Arnold in dieser Ausgabe der Russland-Analysen, S. 7–10). Hierdurch bekommt die Hooliganschlacht in Marseille eine politische Komponente: Sie war »von militärischen Spezialkäften aus Fußball-Hooligans [arrangiert worden,] die Wladimir Wladimirowitsch Putin zur Eroberung Europas entsandt hatte«, so die Interpretation der Beteiligten, wie sie in der BBC-Dokumentation angeführt wird (Min. 15:47–51).
Die starke Akzentuierung von Identitätsfragen im Milieu der Fußballfans hinderte allerdings den Staat nicht daran, Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts der bevorstehenden Weltmeisterschaft und der negativen Publicity, die Russland sich durch die Ereignisse in Marseille eingehandelt hatte, reagierte die russische Regierung mit der Ablösung von Alexandr Schprygin als Chef der »Allrussischen Vereinigung der Fußballfans« und dem Ausschluss der Organisation aus dem Russischen Fußballverband. Darüber hinaus wurden im Mai 2016 Gesetzesbestimmungen verabschiedet, die verhindern sollen, dass höchst aggressive Fans in die Austragungsstätten gelangen. Diese Maßnahmen wurden im Februar 2017 durch die Einführung eines Fanpasses unterfüttert, einem Dokument, das für einen Besuch der Austragungsstätten der WM 2018 obligatorisch ist. Alle Verstöße gegen die Verhaltensvorschriften werden in einer allgemeinen Datenbank der Fanpassinhaber festgehalten und zusammengeführt. Gleichzeitig soll ein Fanpass ausländische Besucher von der Visumspflicht in Russland befreien.
Witalij Mutko zufolge, dem Präsidenten des Russischen Fußballverbandes und früheren Sportminister, ist Russland das erste Land, das derartige Maßnahmen für die Sicherheit im Fußball einführt (Vilf 2017). Das Beschriebene ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie polizeiliche Regulierungs- und Kontrollmaßnahmen einen Teil der Mechanismen von Gouvernmentalität darstellen können, wenn Großereignisse ausgerichtet werden sollen. Aus exzeptioneller Perspektive kann der Fanpass hier nicht allein als ein weiterer Schritt einer omnipräsenten Kontrollpolitik verstanden werden, sondern vielmehr als ein Instrument zur legalisierenden Inklusion in oder zum Ausschluss aus der Gemeinschaft der Sportfans. Es liegt auf der Hand, dass der Praxis, bei der eine Beteiligung an sozial höchst attraktiven und kulturell stark sichtbaren öffentlichen Veranstaltungen beantragt werden muss (auch mit der Aussicht, möglicherweise abgelehnt zu werden), auch auf nichtsportliche Großereignisse ausgedehnt werden könnte.
Schlussfolgerungen
Russlands Einbindung in die globale Industrie der sportlichen Großveranstaltungen stellt sich widersprüchlich dar. Einerseits hat Russland für die Olympischen Spiele in Sotschi Abermilliarden Dollar ausgegeben, um seinen Weltklasse-Status unter Beweis zu stellen. Es hat letztendlich der Welt gegenüber als ein Land präsentiert, das in der Lage ist, Massenveranstaltungen für ein globales Publikum auszurichten. Andererseits wurde aber gleichzeitig deutlich, dass Russland ein Ort ist, an dem Zwangsräumungen und die Ausbeutung von Arbeitsmigranten stattfinden. Und es hat sich als Nation mit der tiefverwurzelten Tradition gezeigt, Realität künstlich zu schönen.
Das Putin-Regime wird zurecht als autoritär und isolationistisch betrachtet. Das wurde bei den wirtschaftlichen Sanktionen und Gegensanktionen, der Reaktion Russlands auf den Ausschluss aus der Gruppe der G8 und der Stagnation in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit großen Staaten des Westens deutlich. Gleichzeitig ist Russland gleichwohl Teil der globalisierten Welt, was die Suche nach Verbindungs- und Öffnungspunkten zum internationalen institutionellen und wirtschaftlichen Milieu umso vordringlicher macht. Weltverbände im Sport stellen eine Gruppe relativ loyaler Partner Russlands dar. Sie sind von instrumenteller Bedeutung für den Kreml, wenn dieser eine Isolierung vermeiden und ein wichtiger Referenzpunkt bei Infrastrukturprojekten und in der Unterhaltungsindustrie bleiben will. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise in den Beziehungen Russlands zu wichtigen euroatlantischen Institutionen und transnationalen Akteuren (globale NGOs und internationale Stiftungen), scheinen Sportorganisationen eine besondere Gruppe globaler Partner Russlands zu sein. Die russische Regierung betrachtet die FIFA, die UEFA, das IOC und andere globale oder internationale Sportverbände als wichtige Elemente des globalen Engagements Russlands, was nach Interaktion und Kommunikation verlangt. Das erklärt Putins ablehnende Haltung gegenüber verschwörungstheoretischen Interpretationen beim Thema Doping, und ebenso sein – wenn auch nur partielles – Anerkennen von Schuld.
Dieser »Ausschluss bei gleichzeitiger Inklusion«, eine Kombination aus Offenheit für ein Engagement in der internationalen Industrie für Großveranstaltungen und aus Selbstdistanzierung vom Westen, schafft Herausforderungen aber auch Anreize. Einerseits werden in Moskau Großveranstaltungen als eine Möglichkeit zur Legitimierung von Putins Regime wahrgenommen, indem »Markenwerbung« für die Nation betrieben wird, ohne dass an der Regierungsführung wesentliche Änderungen vorgenommen würden. Andererseits ist Russland aufgrund der erhöhten Sichtbarkeit einer stärkeren internationalen Überprüfung ausgesetzt und wird zum Objekt und Adressaten von Forderungen seitens eines Teils der internationalen Gemeinschaft. Die russische Regierung reagiert hierauf mit Strafmaßnahmen, die von den Weltorganisationen des Sports aufs Höchste begrüßt werden. Gleichzeitig wird im Lande selbst der Weg zu einem noch stärker zentralisierten und autokratischen Verwaltungssystem bereitet.
Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder