Ultrakonservative Politikerinnen im russischen Parlament: Positionen, Funktionen und Gesetzesinitiativen

Von Ekaterina Basmanova (Moskau)

Zusammenfassung
Konservative Debatten im russischen Parlament werden seit einigen Jahren maßgeblich von Politikerinnen mitbestimmt. So war Irina Jarowaja die treibende Kraft für ein nach ihr benanntes Gesetzespaket, das schärfere Kontrollen von Internet und Telekommunikation sowie erweiterte Befugnisse von Polizei und Justiz vorsieht. Jelena Misulina erlangte Bekanntheit für ihre Gesetzesanträge zur sogenannten »SchwulenPropaganda«, zur Entkriminalisierung häuslicher Gewalt, für ein Verbot von Babyklappen oder schärfere Vorschriften für Schwangerschaftsabbrüche. Längst nicht alle diese Initiativen waren letztlich erfolgreich. Doch Politikerinnen scheinen radikal-konservative Positionen beziehen zu müssen, um im politischen Diskurs Gehör zu finden.

Einleitung

In Russland ist Konservatismus gegenwärtig die vorherrschende politische Richtung. Die Regierungspartei »Einiges Russland«, die in der Staatsduma über eine verfassungsändernde Mehrheit verfügt (343 von 450 Sitzen), nimmt insgesamt eine gemäßigt konservative Position ein, die der Unterstützung der Politik von Präsident Putin dienen soll, und den Akzent auf einen »starken Staat« sowie auf einen »Kurs der Stabilität, ohne Revolutionen und Erschütterungen« setzt. Angesichts der eingeschränkten Meinungsfreiheit und des Monopols des Kreml bei den massenwirksamen Medien wird Konservatismus zum vorherrschenden politischen Diskurs. Dabei beziehen nicht nur Mitglieder von »Einiges Russland« und Staatsbedienstete konservative Positionen, sondern auch Mitglieder anderer Parteien sowie selbst unabhängige Politiker. Da in die konservative Bewegung eine Vielzahl von Akteuren involviert ist, stellt sich der Konservativismus in Russland nicht mehr so einheitlich dar. Unterscheiden lassen sich unter anderem eine nationalistische, eine patriotische, eine (christlich) orthodoxe und eine liberale Strömung, sowie Mischformen davon. Gleichzeitig bedeutet das Vertreten einer radikalen Position – im Rahmen des durch den Staat sanktionierten Konservatismus – nicht selten, dass junge und/oder weniger bekannte Politiker von sich reden machen können, dass sie zu der von ihnen thematisierten Frage für mediales Aufsehen und Beachtung sorgen und ihr politisches Gewicht vergrößern können. Eine solche Taktik wird oft von Politikerinnen verfolgt – sie sind seit Sowjetzeiten im politischen System Russlands quantitativ stark unterrepräsentiert.

Dieser Beitrag untersucht die Positionen von russischen ultrakonservativen Politikerinnen am Beispiel der Parlamentarierinnen Irina Jarowaja und Jelena Misulina, die für ihre konservativen Ansichten und aufsehenerregenden Gesetzesinitiativen bekannt sind. Die Untersuchung radikaler oder ultrakonservativer Agenden erscheint angesichts des Gewichts, die die konservative Bewegung heute in Russland hat, von praktischer Bedeutung. Gleichzeitig ermöglicht ein Akzent auf die Genderaspekte des Problems eine komplexere Betrachtung des Themas und hält Antworten auf die Frage bereit, warum gerade Frauen sich genötigt sehen, innerhalb des staatlichen Konservatismus in Russland radikale Positionen zu vertreten, und was für eine Funktion sie damit im politischen System erfüllen.

Die politischen Biographien von Irina Jarowaja und Jelena Misulina

Irina Jarowaja ist seit Dezember 2007 Abgeordnete der Staatsduma. Sie verfügt über Berufserfahrung in den Sicherheitsstrukturen, genauer: bei der Staatsanwaltschaft (1988–1997). Ihre politische Karriere begann sie in der demokratischen Partei »Jabloko«, die seit ihrer Gründung eine liberale Agenda vertritt. Liberale Parteien sind allerdings traditionell wenig populär in Russland, und zwar aus einer Reihe von Gründen, unter anderem wegen des Misserfolgs der Wirtschaftsreformen, die liberale Politiker und Wirtschaftsexperten Anfang der 1990er Jahre in Russland betrieben hatten, und wegen des eingeschränkten Zugangs zu den führenden Medien für Parteien und Politiker, die nicht kremlfreundlich sind. Gegenwärtig ist »Jabloko« nicht in der Staatsduma vertreten. Für eine erfolgreiche politische Karriere musste Irina Jarowaja – angesichts der geringen Popularität von Jabloko – ihre Parteizugehörigkeit und ihre politischen Ansichten wechseln. Im Oktober 2007 trat sie in die Partei »Einiges Russland« ein, worauf sie im Dezember 2007 für diese Partei in die Staatsduma einzog. In der sechsten Staatsduma (Dezember 2011 bis Oktober 2016) hatte sie den wichtigen Posten der Vorsitzenden des Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung inne. In der siebten Staatsduma ist sie seit dem 5. Oktober 2016 Stellvertretende Vorsitzende.

Die politische Karriere von Jelena Misulina nahm eine ähnliche Entwicklung. Sie begann ihre politische Karriere ebenfalls bei Jabloko (1995–2001), anschließend war sie Mitglied einer anderen Partei liberaler Ausrichtung, der »Union rechter Kräfte« (2001–2003). Letztere verfügt derzeit ebenfalls über keine Mandate in der Staatsduma. 2007 wurde Jelena Misulina Mitglied der Partei »Gerechtes Russland«, die eine sozial ausgerichtete linkszentristische Position bezieht und gleichzeitig nicht in Opposition zum Kreml steht. Gleichwohl bezog Jelena Misulina als Duma-Abgeordnete für diese Partei dezidiert konservative Positionen, die eine Wahrung sogenannter »traditionellen Werte«, unter anderem jene der traditionellen Familie beinhalteten. So werden auf ihrer offiziellen Website (<http://www.elenamizulina.ru>) als Hauptthemen ihrer Agenda der Kampf gegen Pädophile, die Verankerung des orthodoxen Christentums in der Verfassung, das Verbot der kommerziellen Leihmutterschaft, eine Reduzierung der Abtreibungszahlen und ein Verbot von Babyklappen genannt.

Die Position als konservative Politikerin und Autorin aufsehenerregender Gesetzesinitiativen trugen Jelena Misulina Bekanntheit und eine aufsteigende Karriere ein: Im Dezember 2011 übernahm sie den Posten der Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder und seit September 2015 ist sie Senatorin, also Mitglied des Oberhauses des russischen Parlaments, des Föderationsrates der Föderalen Versammlung. Gleichzeitig sorgten ihre ultrakonservativen Positionen, die sich nicht in die allgemeine Ideologie fügten, für Kritik der Parteikollegen, was zum Teil der Grund war, warum sie die Partei auf eigenen Wunsch hin verließ. Allerdings ist sie als Senatorin in geringerem Maße, als sie es als Duma-Abgeordnete gewesen wäre, auf eine Unterstützung durch »gerechtes Russland« angewiesen, das zwar in der Staatsduma vertreten ist, aber über einen ungleich geringeren Einfluss verfügt als die Regierungspartei »Einiges Russland«. Daher kann man annehmen, dass Jelena Misulina als etablierte und wohlbekannte Politikerin sich mit der Absicht trägt, erneut die Partei zu wechseln und bei »Einiges Russland« Mitglied zu werden.

Analyse einiger Gesetzesinitiativen

Betrachtet man die Gesetzesinitiativen, die diese Politikerinnen vorgelegt haben, lassen sich die erfolgreichen Initiativen, die zu Gesetzen wurden, unterscheiden, wie auch die gescheiterten. Beispiel einer erfolgreichen Initiative ist vor allem das sogenannte »Jarowaja-Paket«, zu dem zwei Gesetzesentwürfe gehörten, die anschließend als Föderale Gesetze verabschiedet wurden. Die Gesetze zielten auf eine Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Justiz ab, auf eine verschärfte Kontrolle über Betreiber von Mobilfunknetzen, über Internet-Provider wie auch über Stellen, die Post– und Speditionsleistungen anbieten. Ebenso sollte der Zugriff des Staates auf den elektronischen Schriftverkehr und auf Aufzeichnungen von privaten Telefongesprächen gewährleistet, die Kontrolle über die missionarische Betätigung religiöser Organisationen verstärkt und die strafrechtlichen Konsequenzen für Taten im Zusammenhang mit Terrorismus verschärft werden. Für diese Gesetzesentwürfe gab es ein eine Reihe Initiatoren: Zum Einen Irina Jarowaja, die den größten Beitrag geleistet hatte, um die im Gesetzesentwurf manifestierten Ideen zu verbreiten, und die als größte Verfechterin dieser Initiativen vor den zahlreichen Opponenten auftrat. Das »Jarowaja-Paket«, das auf eine Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten der Bürger abzielte, stieß in der russischen Gesellschaft auf Kritik. So wurde auf dem Internetportal »Russische gesellschaftliche Initiative« eine Petition zur Abschaffung des »Jarowaja-Gesetzes« platziert (<https://www.roi.ru/28432/>), die in kurzer Zeit die für eine Berücksichtigung notwendige Anzahl von 100.000 Unterschriften versammelte. Dennoch haben diese Bemühungen der Bürger nicht zu einer Rücknahme der Gesetze geführt, die Teil des Kurses von Präsident und Regierung zur Verstärkung der Kontrolle der Bürger sowie deren gesellschaftlichen und privaten Lebens sind, was gewöhnlich mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet wird. Ungeachtet der »Anti-Popularität«, die Irina Jarowaja in der Folge durch ihre Gesetzesinitiative in der Zivilgesellschaft erlangte, wurden ihre Bemühungen auf Regierungsebene wahrgenommen und geschätzt, was für ihren Aufstieg zur Stellvertretenden Dumavorsitzenden in der anschließenden Wahlperiode sorgte.

Als Beispiel für gelungene Gesetzesinitiativen von Jelena Misulina, der anderen konservativen Parlamentarierin, wäre das Föderale Gesetz »Über den Schutz von Kindern vor Informationen, die ihrer Gesundheit und Entwicklung schaden« vom 29. 12. 2010 zu nennen, das insbesondere auf eine Bekämpfung der sogenannten »Schwulen-Propaganda« abzielte. Das Gleiche gilt für das Änderungsgesetz zum Paragraphen 116 des Strafgesetzbuches vom 7. Februar 2017, das als Gesetz zur Entkriminalisierung häuslicher Gewalt bekannt geworden ist und durch das Schläge gegen Familienangehörige von strafrechtlich relevanten Taten zu Ordnungswidrigkeiten umgewertet wurden. Für den Erfolg der ersten Gesetzesinitiative hatten insbesondere die homophoben Stimmungen in der russischen Gesellschaft gesorgt. Die zweite Gesetzesinitiative sorgte für große gesellschaftliche Diskussionen, da es das akute Problem häuslicher Gewalt betraf. Das Gesetz wurde ungeachtet der gesellschaftlichen Kritik verabschiedet, da zum einen Regierung und Gesetzgeber es als Mittel betrachteten, eine Gesetzeslücke zu beheben, die durch die frühere Entkriminalisierung von Gewalt gegen entferntere Verwandte entstanden war. Zum anderen fügte sich das Gesetz in den allgemeinen Kurs des Staates zur Förderung »traditioneller Familienwerte«, den Jelena Misulina vertritt. Dabei wird unter traditionellen Familienwerten eine vulgäre Form patriarchaler Familienordnung verstanden.

Allerdings fanden nicht alle Initiativen von Jelena Misulina die Unterstützung von Parlament und Regierung. So wurde der von ihr vorgelegte Gesetzentwurf zum Verbot von Babyklappen anfänglich von der Regierung unterstützt, dann aber zur Nachbesserung empfohlen. Die Notwendigkeit eines Verbotes von Babyklappen begründete Misulina damit, dass der Staat es nicht fördern dürfe, dass sich Mütter von ihren Kindern lossagen, dass die Gefahr bestehe, dass mit den hinterlassenen Kindern Handel betrieben wird, und dass deren Recht auf ihre Identität verletzt werde. Diese Initiative stieß jedoch in der Bevölkerung auf Widerstand: Die Mehrheit der Russen sprach sich gegen ein Verbot von Babyklappen, weil sie davon ausgehen, dass die Säuglinge andernfalls an Orten hinterlassen werden, die eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Auf Grund des Widerstands in der Gesellschaft änderte die Regierung ihre Haltung zu dem Gesetzentwurf von einer positiven hin zu einer kritischen. In der Folge legte eine Gruppe Dumaabgeordneter einen Entwurf vor, der die Entscheidung zu den Babyklappen den Regionen überließ. Für Babyklappen sprach sich auch eine andere konservative Politikerin aus, nämlich die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa, kdie darauf verwies, dass Babyklappen das Leben und die Gesundheit der Kinder bewahrten.

Auch die Bestrebungen von Jelena Misulina im Kampf gegen Abtreibungen sind bisher ohne Erfolg geblieben. Hier ist anzumerken, dass es nicht um ein Abtreibungsverbot in Russland geht – ein solcher Vorschlag wäre selbst für Misulina zu radikal, wenn man bedenkt, dass sich die Russen mehrheitlich gegen eine derartige Einmischung des Staates in das Privatleben wenden (s. Grafiken 11–14). Auf der Agenda von Jelena Misulina steht der Vorschlag, Abtreibungen aus dem System der Krankenversicherung herauszunehmen, den Verkauf von Präparaten zum künstlichen Schwangerschaftsabbruch im Einzelhandel zu verbieten und die Einführung des Verfahrens, dass vor einer Entscheidung zur Abtreibung ein Psychologe konsultiert und der Herzschlag des Ungeborenen sichtbar gemacht und abgehört wird. Misulina erklärt auf ihrer offiziellen Website: »rein menschlich würde es jeder bevorzugen, wenn es ein Phänomen wie Abtreibungen überhaupt nicht gäbe«. Die Politikerin beschreibt charakterisiert Abtreibungen nicht nur als ein soziales, rechtliches und moralisches Problem, sondern als etwas, das angesichts der demographischen Krise eine nationale Bedrohung darstellt. Diese drastische Rhetorik zur Abtreibungsfrage scheint nicht jener gemäßigten Position zu entsprechen, die Misulina in ihren Gesetzesinitiativen zu diesem Thema einnimmt. Doch selbst diese Position wird in Russland, wo Abtreibungen seit Sowjetzeiten legal sind, wo der Anteil alleinerziehender Mütter mit 30 Prozent hoch ist, ganz wie der Anteil der Väter, die sich Unterhaltszahlungen entziehen, wo der materielle Wohlstand der Bevölkerungsmehrheit gering ist, und wo 77 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter arbeiten, als radikal wahrgenommen.

Im Mai 2015 legte Jelena Misulina gemeinsam mit dem Abgeordneten von Einiges Russland, Sergej Popow, in der Staatsduma einen Gesetzentwurf vor, der Abtreibungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung herauslösen sollte. Seinerzeit wurde dieser Vorstoß allerdings nicht von der Regierung unterstützt. Gegen diese Herauslösung hatten sich insbesondere solch einflussreiche Politikerinnen wie die stellvertretende Ministerpräsidentin Olga Golodez und die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, gewandt. Auch wenn der Gesetzentwurf von Misulina nicht angenommen wurde, ist die Frage der Herauslösung von Abtreibungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von der politischen Agenda in Russland. Die Russische Orthodoxe Kirche und deren Oberhaupt Patriarch Kirill sprechen sich für eine solche Initiative aus, ebenso Anna Kusnezowa, eine der Orthodoxen Kirche nahestehende Politikerin und Kinderrechtsbeauftragte beim Präsidenten. Sie hatte dieses Amt im Jahr 2016 angetreten. Als Frau eines Priesters und Mutter von sechs Kindern war Anna Kusnezowa bereits vor ihrer Ernennung als Kämpferin gegen Abtreibungen bekannt. Der Umstand, dass sie zur Kinderrechtsbeauftragten ernannt wurde, wodurch sie eine Bühne zur Propagierung ihrer religiösen Ansichten zum weltlichen Leben und insbesondere der kirchlichen Haltung zu Abtreibungen erhielt, kann als Beleg dafür gelten, wie sehr der Regierungskurs Richtung »traditioneller Werte« verstärkt wurde, und dass die Absicht besteht die Haltung zu Abtreibungen und deren Herauslösung aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu ändern. Das Motiv der Regierung könnte hier darin bestehen, angesichts der ungünstigen wirtschaftlichen Situation im Land die Ausgaben des Krankenversicherungsfonds zu reduzieren und auch die demographische Lage zu verbessern. Es ist anzunehmen, dass eine Herauslösung der Abtreibungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung insbesondere erwerbslose Frauen und Frauen mit geringem Einkommen treffen würde, die kein Geld für eine Abtreibung haben. Dadurch würde die Regierung keine »hochwertigen« Steuerzahlerinnen verlieren (die würden bei Bedarf die Mittel aufbringen, um eine Abtreibung zu bezahlen) und sie würde wirtschaftlich ineffiziente Bevölkerungsgruppen mit »Reproduktionsarbeit« beschäftigen.

Die Funktion konservativer Politikerinnen

Aus dem Beispiel der Initiative zu Abtreibungen wird deutlich, dass es das Regime bei der Aufnahme einer »Frauenfrage« in die politische Agenda vorzieht, dass als Autoren und Apologeten konservativer Vorstöße eben Politikerinnen in Erscheinung treten. Das könnte aus Gründen politischer Korrektheit vorgenommen werden, wenn nämlich die Diskussion die Form »Frauen diskutieren Frauenfragen« annimmt. Darüber hinaus mag die Meinung von Politikerinnen zu den Themen Frauen, Familie, Kinder in den Augen der Bevölkerung gewichtiger erscheinen. Das gilt insbesondere für Frauen, die in der postsowjetischen Gesellschaft traditionell eine große Rolle bei der Sorge um Familie und Kinder spielen. Daher besteht eine der spezifischen Funktionen von Politikerinnen darin, politische Diskussionen zu initiieren und Gesetzentwürfen zu den Themen Frauen, Familie und Kinder vorzulegen.

Eine zweite Funktion erfüllen konservative Politikerinnen, wenn sie unpopuläre Gesetzesinitiativen umsetzen – sowohl zu Fragen von Kindern und Mutterschaft (Entkriminalisierung häuslicher Gewalt, Herauslösung von Abtreibungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung usw.), wie auch zu anderen, für das Regime wichtigen Themen wie etwa der Staatssicherheit (zu erkennen am Beispiel des »Jarowaja-Pakets«). Das mögliche Scheitern einer Gesetzesinitiative und die Möglichkeit, sich den Ruf eines radikalen Politikers einzuhandeln, das sind die Risiken, zu denen Politikerinnen genötigt werden, wenn sie Karriere machen wollen – bei der fehlenden Gender-Gleichheit und dem Umstand, dass Frauen in der öffentlichen Politik unterrepräsentiert sind, besondere Anstrengungen unternehmen müssen, um eine Karriere zu machen, die im Ergebnis jener von Männern entspräche.

Längst nicht alle Gesetzesentwürfe, die von Politikerinnen vorgelegt werden, werden auch vom Parlament angenommen. Die eine oder andere Initiative kann sich als verfrüht oder unpassend erweisen. Allerdings können auch gescheiterte Initiativen günstig für die Regierung sein, die dadurch die Gelegenheit erhält, in der Gesellschaft die Reaktionen zu drängenden politischen Fragen zu erkennen und zu verfolgen und gegebenenfalls eine Kurskorrektur vorzunehmen, indem die Frage auf bessere Zeiten vertagt wird. So erwies sich die 2015 angekündigte Initiative von Misulina zur Ausklammerung von Abtreibungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung als zu verfrüht: Die Gesellschaft hatte sie nicht sie nicht angenommen, weshalb auch das Parlament sie in der Folge nicht unterstützte. 2017 wurde die Frage angesichts der notwendigen Haushaltskürzungen erneut aufgeworfen.

Schließlich ist es die Funktion konservativer Politikerinnen, Sichtbarkeit und Repräsentation von Frauen im Parlament zu erhöhen. Hier ist es für den Kreml wichtig, dass im Parlament Frauen mit der »richtigen«, einer kremltreuen Agenda sitzen, weshalb die Karrieren genau solcher Frauen gefördert werden; auch wird ein Wechsel aus dem liberalen Lager in die Reihen der Konservativen begrüßt. Der »Konvertitenstatus« von Politikerinnen wie Jarowaja und Misulina könnte auch ein Grund sein, dass sie dann innerhalb der konservativen Bewegung radikale Positionen beziehen, um ihre besondere Verbundenheit mit konservativen Vorstellungen zu demonstrieren.

Schlussfolgerungen

Zu den Gründen, warum Politikerinnen radikale konservative Positionen beziehen, gehören genderbezogene Gründe im engeren Sinne (der Zwang, größere Anstrengungen zu unternehmen, um gleiche Ergebnisse wie Männer zu erreichen), wie auch Gründe allgemeiner Art, die auf die Mängel der Demokratie in Russland zurückzuführen sind, in der eine kremlnahe konservative Bewegung eine größere mediale und administrative Unterstützung erfährt, als andere politische Richtungen. Dementsprechend sind sowohl für Männer, als auch für Frauen innerhalb der konservativen Bewegung die Möglichkeiten für eine erfolgreiche politische Karriere größer.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

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