Einleitung
Fußball ist ein wirtschaftlicher, kultureller und politischer Faktor, der in vielen Teilen der Welt erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Sport in Russland längst eine staatliche Angelegenheit ist. Fußball verspricht Prestige und internationale Anerkennung und zeugt, so er denn erfolgreich gespielt wird, von den finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten eines Landes. Daher investiert der russische Staat nicht nur Milliarden Euro in die Fußballweltmeisterschaft 2018, sondern finanziert auch mittel- und unmittelbar den Klubfußball der russischen »Premjer-Liga« und sponsert den internationalen Fußball.
Russlands Premjer-Liga und die sichtbare Hand des Staates
Das Bild vom gegenwärtigen Fußball in Russland ist recht widersprüchlich: Einerseits interessieren sich die Menschen in Russland nicht sonderlich dafür. Nur jeder Dritte verfolgt regelmäßig die heimische Liga, und noch im April 2018 gab mehr als die Hälfte der Befragten in einer Erhebung des »Lewada-Zentrums« an, die Weltmeisterschaft nicht oder nur in den Nachrichten verfolgen zu wollen. Immerhin jeder Zweite in Russland hat das WM-Eröffnungsspiel der »Sbornaja« gegen Saudi-Arabien geschaut, und nach dem Sieg gegen Ägypten (und der Qualifikation fürs Achtelfinale) ist inzwischen eine unerwartete Fußball-Euphorie im Land ausgebrochen. Russlands Nationalelf scheint doch nicht so schlecht zu sein, wie es der 70. Platz in der »FIFA-Coca-Cola-Weltrangliste« vermuten ließ.
Andererseits spielen die Klubs der russischen »Premjer-Liga« seit Jahren in der erweiterten europäischen Spitze mit – auch wenn die Siege von »ZSKA Moskau« und »Zenit St. Petersburg« im UEFA-Pokal bereits über ein Jahrzehnt zurückliegen. In der UEFA-Fünfjahreswertung, die den Erfolg der nationalen Verbände im europäischen Klubfußball misst, belegt Russland seit längerem den sechsten oder siebten Rang. Hinsichtlich der Einnahmen und des geschätzten Marktwerts der »Premjer-Liga« gehört der russische Fußball ebenfalls zu den Top-7 in Europa.
Verglichen mit den anderen großen Ligen Europas sticht die russische »Premjer-Liga« jedoch durch eine Besonderheit hervor: ihre Einnahmestruktur. Mehr als vier Fünftel des Etats russischer Erstligaklubs stammt von Sponsoren oder aus kommerziellen bzw. übrigen Einnahmen wie Spenden oder Darlehen. Erlöse aus der TV-Vermarktung und dem Ticketverkauf hingegen spielen kaum eine Rolle. Und obwohl Sponsoren und Investoren im gesamten europäischen Profifußball zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist Russlands Klubfußball in weit höherem Maße von ihnen abhängig als die übrigen großen Fußballligen Europas (siehe Tabelle 1, S. 5).
An dieser Stelle wird die Hand des russischen Staates sichtbar. Viele Klubs der »Premjer-Liga« werden direkt oder indirekt aus dem Staatshaushalt finanziert. »Oligarchen« spielen im russischen Klubfußball nur noch eine untergeordnete Rolle. Auch wenn es fast unmöglich ist, valide Daten über die Eigentümer- und Finanzstrukturen des russischen Fußballs zu erhalten (was im Übrigen auch für den westeuropäischen Fußball gilt), lässt sich grob folgendes Bild zeichnen: Von den 16 Erstligaklubs der Saison 2017/18 wurden sechs überwiegend aus dem Budget der jeweiligen russischen Regionalverwaltungen und fünf von staatseigenen bzw. mehrheitlich in staatlichem Besitz befindlichen Unternehmen finanziert. Lediglich fünf Vereine verdankten ihre Haupteinnahmen privaten Geldgebern (siehe Tabelle 2, S. 6/7).
Die Verflechtungen von Staat, Wirtschaft und Profifußball in Russland sollen an dieser Stelle nur beispielhaft anhand dreier Klubs der »Premjer-Liga« skizziert werden. Timm Beichelt hat diese in seinem Buch »Ersatzspielfelder« wesentlich ausführlicher dargestellt (siehe Lesetipps, S. 313–350).
Achmat Grosnyj
Gleich sechs russische Erstligaklubs werden direkt und in wesentlichem Umfang aus dem Haushalt der Regionalverwaltungen unterstützt – vor allem Vereine in peripheren Regionen mit verhältnismäßig geringen Budgets. Unter ihnen nimmt »Achmat Grosnyj« eine Sonderstellung ein. Der Klub ist zwar personell wie finanziell eng mit den Machthabern in Tschetschenien verbunden, offiziell aber wird »Achmat Grosnyj« nicht mit öffentlichen Geldern finanziert, sondern durch mehrere private Unternehmen. In Medienberichten wird allerdings immer wieder auf die »Achmat-Kadyrow-Stiftung« als primäre Finanzierungsquelle verwiesen, die 2004 auf staatliche Anordnung gegründet wurde und eng mit der Familie des Oberhaupts der Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, verbunden ist. Kadyrow hält als Ehrenpräsident bei »Achmat Grosnyj« auch die Fäden in der Hand, obwohl offiziell der tschetschenische Parlamentsvorsitzende Magomed Daudow als Klubpräsident fungiert. Wie wichtig die Fußballbühne für Kadyrow ist, bezeugt auch ein merkwürdiges Freundschaftsspiel aus dem Jahr 2011. Damals spielte eine tschetschenische Auswahl – in der Ramsan Kadyrow neben Lothar Matthäus auflief – in Grosnyj gegen ein Allstar-Team brasilianischer Weltmeister. Und zur WM 2018 hat die Nationalelf von Ägypten ihr Quartier in Grosnyj bezogen, obwohl sie weit entfernt in Jekaterinburg, St. Petersburg und Wolgograd spielt.
Zenit St. Petersburg
Andere Klubs der russischen »Premjer-Liga« werden von finanzkräftigen Staatsunternehmen unterstützt, insbesondere Mannschaften aus Moskau und St. Petersburg. Unter den Geldgebern des russischen Klubfußballs aber ragt ein Konzern heraus: »Gazprom«. Das weltweit größte Erdgasunternehmen – dessen Aktien sich zur Hälfte in Besitz des russischen Staates befinden – ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zu einem der Großsponsoren im russischen und internationalen Fußball avanciert. Ende 2005 übernahm »Gazprom« »Zenit St. Petersburg« und machte den bis dahin wenig erfolgreichen Klub an der Newa zum finanzkräftigen Aushängeschild des russischen Fußballs. Vier Meisterschaften, zwei Pokalsiege und der Sieg im UEFA-Pokal 2008 stehen seitdem zu Buche. Ursprünglich sollte Gazprom auch das für die WM errichtete Krestowskij-Stadion in St. Petersburg finanzieren, das nach zehnjähriger Bauzeit 2017 eröffnet wurde. Letztlich übernahmen jedoch die Kämmerer der Stadt die Kosten in Höhe von offiziell 42,8 – 48 Mrd. Rubel (ca. 700 – 800 Mio. Euro) für den Bau der Arena, die seitdem »Zenit St. Petersburg« als Spielstätte dient. International sponsert Gazprom u. a. »Schalke 04« sowie »Roter Stern Belgrad« und ist Partner der UEFA Champions League, des Fußballweltverbands FIFA und der Fußball-WM 2018.
FK Krasnodar
Ein drittes Finanzierungsmodell im russischen Klubfußball ist das Sponsoring durch private Konzerne, d. h. in der Regel durch persönlich engagierte, vermögende Investoren wie etwa Leonid Fedun (Vizepräsident von »Lukoil«) »bei Spartak Moskau« oder den Milliardär und Senator der Republik Dagestan, Suleiman Kerimow, der bis 2016 den Verein »Anschi Machatschkala« mit erheblichen Summen ausstattete. Sehr erfolgreich funktioniert dieses Modell beim »FK Krasnodar«. Eigentümer und Gründer des Klubs aus dem Süden Russlands ist der Unternehmer Sergej Galizkij, der als Firmengründer der Einzelhandelskette »Magnit« zum Milliardär aufstieg. Seit 2014 spielt der »FK Krasnodar« regelmäßig in der »UEFA Europa League« und zieht mit durchschnittlich 25.000 Zuschauern verhältnismäßig viele Fans ins Stadion. Allerdings ist unklar, wie sich die jüngsten Veränderungen in der Eigentümerstruktur von »Magnit« auf den »FK Krasnodar« auswirken werden. Im Februar 2018 hatte die staatliche »VTB Group« 29 % der Magnit-Aktien von Galizkij erworben, der mit einem Aktienpaket von 3 % nur noch Minderheitsaktionär seiner früheren Firma ist. Inzwischen verkaufte die »VTB Group« ihrerseits 12 % der Magnit-Aktien an die »Marathon Group«, deren Präsident Aleksandr Winokurow der Schwiegersohn des russischen Außenministers Sergej Lawrow ist.
Wenn ein Staat sich direkt oder indirekt in erheblichem Umfang im Profi- bzw. Zuschauersport engagiert, liegt eine altbekannte Erklärung besonders nahe: panem et circenses – Brot und Spiele. Auf den russischen Kontext übertragen bedeutet dies, dass Fußball zu einem Instrument des autoritären Regimes wird, um Staat und Gesellschaft zur Sicherung politischer Macht enger zu verflechten. Konkret lassen sich mehre Motivationen für die staatliche bzw. quasi-staatliche Finanzierung des russischen Klubfußballs annehmen:
Regionalverwaltungen investieren Haushaltsgelder in den Profifußball, um einerseits die eigene Autorität innerhalb der Region zu stärken und andererseits den Status des jeweiligen Föderationssubjektes im Wettbewerb der russischen Regionen zu verbessern. In einigen Fällen, so zumindest Beobachter des russischen Fußballs, sollen die Investitionen der Verwaltungen auch zur privaten Aneignung öffentlicher Gelder dienen. Für den Fall des tschetschenischen Klubs »Achmat Grosnyj« verweist Timm Beichelt noch auf einen weiteren Aspekt: In einer von Gewalt und islamistischen Terror geprägten Region wie Tschetschenien symbolisiert der Fußball Normalität, Zivilisierung und die Hinwendung zu einem unideologischen Islam (siehe Lesetipps, S. 316).Die finanzielle Unterstützung von Fußballklubs durch Staatsunternehmen lässt sich teilweise auf sowjetische Traditionen zurückführen – z. B. das Sponsoring durch Militär- und Rüstungskonzerne beim früheren Armeeklub »ZSKA Moskau« oder durch die Russischen Eisenbahnen bei »Lokomotive Moskau«. Staatliche Banken (»Dynamo Moskau«) und Energiekonzerne (»Zenit St. Petersburg«) hingegen sind neue Player in der Fußballfinanzierung. Nach innen dient das Sponsoring der Verzahnung von strategisch bedeutsamen Staatsunternehmen mit traditionsreichen bzw. populären Klubs. Nach außen demonstrieren finanzstarke russische Klubs die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Nation in den prestigeträchtigen internationalen Wettbewerben der UEFA. Und Gazprom als Staatsunternehmen verankert Russland fest in den globalen Fußballstrukturen.Beim Engagement privater Unternehmen steht oft Eitelkeit und persönliches Prestige milliardenschwerer Geschäftsmänner im Vordergrund. Doch dies allein ist keine hinreichende Erklärung für die kostspielige Finanzierung von Fußballklubs durch »Oligarchen«. Sie werden durch die Finanzierung von Fußballklubs, aber auch von sportlichen Mega-Events und der Sportinfrastruktur in eine Art öffentlich-private Partnerschaft einbezogen, die einerseits vermögende Unternehmer in gewissem Maße vor staatlicher Willkür schützt und andererseits den Machtstrukturen des Staates die Loyalität der wirtschaftlichen Elite sichert.
Die Fußball-WM als Modernisierungsversprechen
Mit der Ausrichtung der Fußball-WM 2018 krönt Russland sein staatliches Engagement im Fußball. Außenpolitisch verspricht das weltweit wichtigste sportliche Mega-Event im besten Falle internationales Prestige und Statusgewinn für das Gastgeberland (siehe dazu ausführlich den Beitrag von Richard Arnold in dieser Ausgabe, S. 9–12). Innenpolitisch hingegen zielt die Ausrichtung der Fußball-WM – wie oben beschrieben – auf eine engere Verflechtung von Staat und Gesellschaft zur Sicherung der politischen Macht und auf eine Modernisierung der regionalen Infrastruktur ab.
Für diese Ziele hat die russische Regierung einen WM-Finanzplan in Höhe von 9,7 Milliarden Euro aufgestellt – mehr als zwei Drittel davon werden aus dem zentralen oder den regionalen Haushalten bestritten. Flughäfen, Straßen und der ÖPNV sind mit Hilfe dieser Mittel ausgebaut, Fußballstadien errichtet oder renoviert und die Zahl der Hotelbetten gesteigert worden (siehe Tabelle 3, S. 7). Tatsächlich dürften die aufgelaufenen Kosten für die WM allerdings noch um einiges höher ausfallen. Denn in dieser Rechnung fehlt beispielsweise die Modernisierung der landesweiten Bahnverbindungen. Vor allem aber sind jene Kosten noch gar nicht kalkuliert, die aufgrund überdimensionierter Infrastrukturprojekte in Zukunft entstehen dürften.
Grundsätzlich ist die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur ein sinnvolles und zumeist auch nachhaltiges Vorhaben. Wenn dafür jedoch Sportgroßereignisse als Hebel genutzt werden, profitieren nur wenige Städte oder Regionen von Geldern aus dem Zentralhaushalt – im Falle der Fußball-WM elf Städte im europäischen Teil Russlands (nur Jekaterinburg liegt wenige Kilometer östlich des Urals). Die Achillesferse des Modernisierungsversprechens von Sportgroßereignissen sind jedoch Hotels und Stadien. Allzu oft konnten sie nach Weltmeisterschaften (Südafrika 2010, Brasilien 2014) oder Olympischen Spielen (Athen 2004, Peking 2008, Rio de Janeiro 2016) nicht nachhaltig weitergenutzt werden.
Bei der Bewerbung um die Ausrichtung der WM hat Russland mehr als 100.000 Hotelzimmer versprochen, von denen fast 19.000 noch nicht existierten bzw. renoviert werden mussten – vor allem außerhalb von Moskau, St. Petersburg und Sotschi. Dafür wurden mittels privater Investitionen (Kreditgeber war jedoch häufig die staatliche »VTB-Bank«) 62 Hotels in den elf Spielorten errichtet bzw. modernisiert. Dieser Ausbau von Hotelbetten orientiert sich jedoch nicht vorrangig am langfristigen Bedarf der Städte und Regionen, sondern an den Erfordernissen der einen Monat andauernden Fußball-WM. Wie die neuen Hotelkapazitäten nach der WM genutzt werden sollen, ist bisher unklar. Eine vage Hoffnung liegt auf zusätzlichen Touristen.
Die Fußball-WM findet in zwölf Stadien statt, von denen neun Arenen neu errichtet und drei umgebaut wurden. Sie haben eine Kapazität von 35.000 bis 48.000 Zuschauern, lediglich das Krestowskij-Stadion in St. Petersburg (67.000) und das Luschniki-Stadion in Moskau (80.000) weisen deutlich mehr Sitzplätze auf. In der Regel sehen die Nachnutzungskonzepte für die WM-Stadien vor, dass die jeweilige örtliche Fußballmannschaft dort spielten wird und Großveranstaltungen in den Arenen stattfinden sollen. In Jekaterinburg und Saransk soll die Stadionkapazität auf 25.000 bzw. 30.000 Zuschauer zurückgebaut werden. Angesichts der gegenwärtigen Zuschauerzahlen in der »Premjer-Liga« (siehe Tabelle 2, S. 6/7) ist jedoch offensichtlich, dass die meisten WM-Stadien für den Ligabetrieb völlig überdimensioniert sind. In sechs der WM-Städte wurde in der Saison 2017/18 nicht einmal Erstligafußball gespielt.
Fazit
In Russland (aber nicht nur dort) ist das Sportliche politisch. Seit zwei Jahrzehnten werden Fußball und Macht dort durch eine zentrale Figur verbunden: Witalij Mutko, den aufgrund des Skandals um systematisches Staatsdoping inzwischen berühmt-berüchtigten Fußballfunktionär und stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten. Zunächst knüpfte er im St. Petersburg der 1990er Jahren die Bande zwischen Stadtverwaltung, »Zenit« und »Gazprom«. Seit dem Aufstieg Wladimir Putins zum Präsidenten verknüpft er auf nationaler Ebene die Machtstrukturen im Fußball und in der Politik – als Präsident der »Premjer-Liga« bzw. des »Russischen Fußballbundes« sowie als Senator und langjähriger Minister für Sport.
Diese Verzahnung von Fußball und Macht sowie die staatliche bzw. quasi-staatliche finanzielle Unterstützung des russischen Klubfußballs zeigen, dass das Engagement des russischen Staates im Fußball nicht auf das Sportgroßereignis der WM beschränkt ist. Dennoch könnte die Fußball-WM zum Scheideweg des Staatsfußballs in Russland werden: Hält die Fußball-Euphorie an und führen die Investitionen in die WM auch zu einer nachhaltigen sportlichen Leistungssteigerung im russischen Fußball, dürfte das Projekt Staatsfußball fortgesetzt werden. Andernfalls könnte die auch in Russland vorhandene Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs das staatliche Engagement unter stärkeren Rechtfertigungsdruck setzen.