Einleitung
Vor hundert Jahren, am 17. Juli 1918, wurde Nikolaus Romanow, als Nikolaus II. der letzte russische Kaiser, von den Bolschewiki ermordet. Einige gehen davon aus, dass nach der Abdankung von Nikolaus II. am 2. März 1917 (alten Stils; n. St.: 15. März) gemäß dem Thronfolgegesetz von 1797 dessen Sohn Aleksej allrussischer Kaiser wurde, auch wenn dieser wohl nichts davon wusste. Doch starben der fünfzigjährige Nikolaus und sein 14-jähriger Sohn gleichzeitig. Die rechtmäßige monarchische Macht hatte ein Ende gefunden, wenn nicht im Februar/März 1917, so spätestens durch die Morde im Juli 1918.
Die rechtmäßige, also sich auf das Recht, auf die Staatsgrundgesetze des Kaiserreichs Russland von 1906 gründende monarchische Macht war erloschen, doch keineswegs die Monarchie als solche. Die Alleinherrschaft in Russland wurde nun nicht in rechtmäßiger monarchischer Form, sondern durch die Bolschewiki in Gestalt einer Tyrannei (wenn wir uns an die Klassifizierung der Formen politischer Herrschaft bei Aristoteles erinnern) wiederhergestellt. Deren Herrschaft schuf nahezu umgehend ein Modell, das in Russland in unterschiedlichen Varianten bis heute reproduziert wird. Diese Herrschaft gründet auf dem völligen Missverhältnis der verfassungsmäßigen Form zur Realität.
Pseudorechtliche Tyrannei der Bolschewiki
In der Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) vom 10. Juli 1918 wurde der Allrussische Kongress der Räte der Arbeiter-, Bauern-, Rotarmisten- und Kosakendeputierten (ab 1936: der Volksdeputierten) zum Träger der höchsten staatlichen Macht erklärt. Er war kein ständiges Gremium und wurde vom Allrussischen Zentralen Exekutivkomitee (russ.: WZIK) der Räte der Arbeiter-, Bauern-, Rotarmisten- und Kosakendeputierten nicht seltener als zweimal im Jahr für eine relativ kurze Zeit einberufen. Die übrige Zeit arbeitete das WZIK des Rätekongresses ohne Kontrolle durch die Repräsentativorgane, was Möglichkeiten zum Machtmissbrauch eröffnete. Das WZIK verwandelte sich fast zu einem »kollektiven Monarchen«. In Wirklichkeit aber war auch das WZIK ein Marionettengremium der kommunistischen Parteispitze (der Spitze der Russischen – später: Allsowjetischen – Kommunistischen Partei der Bolschewiki, RKP(B) / WKP(B); seit 1951 der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, KPdSU). Bereits am 14. Juni 1918 befand das WZIK auf direkte Anweisung der Leitung der RKP(B) die Wahlen der Arbeiter- und Bauernräte, bei denen die Kandidaten der anderen sozialistischen Parteien (der menschewistischen Sozialdemokraten, der Volkssozialisten und der Sozialrevolutionäre) für ungültig und annullierte die Mandate aller Mitglieder und Anhänger dieser Parteien in den bestehenden Arbeiter- und Bauernräten. Ab dem 14. Juli war die Herrschaft in den von den Bolschewiki kontrollierten Gebieten endgültig keine »Sowjetmacht«, keine Macht der Räte mehr, auch wenn sie sich bis ganz zu ihrem Ende im Dezember 1991 so nannte. Stattdessen war es eine ausschließlich kommunistische (bolschewistische) Herrschaft, bei der die Räte aller Ebenen nur rechtliche Dekoration waren.
Die Kommunistische Partei der Bolschewiki – und vor allem deren einziges Machtorgan, das Politbüro, in dem auch alle für das Land bedeutsamen Entscheidungen getroffen wurden – waren in keiner der Verfassungen des »sowjetischen« Staates festgeschrieben (angefangen bei der Verfassung von 1918 bis hin zur letzten Verfassung der UdSSR von 1978 – die »führende Rolle der KPdSU« wurde erstmals im berühmten Artikel 6 der Verfassung von 1978 erwähnt, 60 Jahre nach der Machtergreifung durch die Bolschewiki). In keinem juristischen Dokument wurde aufgeführt, wie dieses Gremium (das Politbüro) gebildet wird. Die tatsächliche Macht des »Sowjetstaates« befand sich die gesamte Zeit außerhalb des Rechts und somit außerhalb jeglicher formalen Kontrolle.
Hierin unterschied sich die Herrschaft der Bolschewiki sogar von der uneingeschränkten Macht der absoluten Monarchie der Romanows, wie sie bis zum aufoktroyierten Oktobermanifest vom 17./30. Oktober 1905 bestand. Die absolute Macht des Kaisers war als solche in den 1832 von einer Gruppe Juristen unter Michail Speranskij kodifizierten und 1833 per Manifest von Kaiser Nikolaus I. eingeführten Staatsgrundgesetzen genau festgeschrieben. Die Artikel vier und fünf der Staatsgrundgesetze von 1833 legten fest: »Dem Allrussischen Kaiser gehört die oberste, uneingeschränkte und selbstherrschende Macht. Gott Selbst befiehlt, seiner Macht nicht nur aus Furcht, sondern auch aus Gewissenspflicht zu gehorchen. […] Die Person des Kaiserlichen Herrschers ist geheiligt und unverletzlich«. Aus dieser Definition wurde 1906 lediglich das Wort »uneingeschränkt« gestrichen – die Macht des Kaisers wurde jetzt durch die vom Volk gewählte Staatsduma sowie den zur Hälfte gewählten und zur Hälfte vom Kaiser ernannten Staatsrat eingeschränkt. All das wurde auch klar in den Staatsgrundgesetzen von 1906 festgeschrieben (Artikel 7 und 86).
Die staatliche Macht des Kaisers war zwar bis 1905 absolut und bis 1906/07 äußerst groß, doch war sie stets eine verfassungsmäßige. Die Macht der Bolschewiki/Kommunisten hingegen war von 1917 an bis ganz zum Ende eine nicht verfassungsmäßige, außerrechtliche. Hier liegt ein äußerst wichtiger Unterschied zwischen dem vorrevolutionären und dem revolutionären, kommunistischen Russland. Nachdem der Zar gestürzt und ermordet worden war, wurde Russland zu einer pseudorechtlichen Tyrannei. Was die Verfassung festlegte, stand in keinerlei Beziehung zur tatsächlichen Macht, und die tatsächliche Macht war in keiner Weise durch die Verfassung bezeichnet oder definiert. Das ist das wichtigste Knowhow der bolschewistischen Tyrannei.
Tradition der Alleinherrschaft
Wenn wir jedoch die Frage des Rechts auf die Macht verlassen und zum Wesen der Staatsmacht übergehen, so ist zwischen dem vorrevolutionären und dem kommunistischen Russland eine sehr große Ähnlichkeit zu erkennen. Die oberste tatsächliche Macht war stets – mit Ausnahme jener kurzen Momente des Übergangs von einem Herrscher zum anderen – in den Händen einer Person konzentriert und hing praktisch rundum vom Willen dieser Person ab. Selbst zu jenen Zeiten, als kirchliche und Volksvertretungen praktisch keine geringe Rolle bei der Ausübung der Macht spielten (Monarchie und die Ständeversammlung des Semskij Sobor, 1613–1688), wurde im Volksbewusstsein die oberste Macht mit der Person des Alleinherrschers assoziiert. Bojaren konnten schlecht sein und unterlagen dafür der Strafe – dem »Zorn des Zaren« –, der Zar selbst jedoch konnte nicht schlecht sein. Und wenn er es dennoch war, dann musste er durch einen neuen, »guten« ersetzt werden, den Gott für das Volk erlesen würde.
Niemand, selbst die Autoren der sowjetischen Lehrbücher für Staatsrecht nicht, hielt diese UdSSR tatsächlich für eine parlamentarische Republik. Alle wussten genau, dass es sich um eine absolute Monarchie handelte, und stets – außer in den kurzen Phasen des »Interregnum« – wusste jede Oma aus dem letzten Dorf ohne Zögern den Namen dieses »roten Zaren«. Das war Lenin von 1918 bis 1923, Stalin von 1924 bis 1953, Chruschtschow von 1955 bis 1964, Breschnew von 1964 bis 1982, Gorbatschow von 1985 bis 1991… Trozkij, Malenkow, Berija, Andropow oder Tschernenko zogen viel zu schnell vorüber, als dass ihre Namen fest mit der obersten Macht in Verbindung gebracht worden wären. Doch blieben ihre Namen lang genug hängen, um als »Herrscher auf Zeit« in Erinnerung zu bleiben.
Niemand konnte mit letzter Genauigkeit erklären, wie dieser oder jener zum tyrannischen Herrscher der UdSSR wurde. Es war bekannt, dass nach dem Tode Lenins und dem von Stalin in den höchsten Machtkreisen ein heftiger Kampf um die Macht tobte, das aber wiederum jenseits aller rechtlichen Normen. So kämpft ein zukünftiger Anführer einer kriminellen Vereinigung um die Macht. In einigen Fällen führte dieser Kampf zur Ermordung der Konkurrenten, in anderen zu einem Deal und zu einer relativ milden Verabschiedung von der Macht, wenn auch nicht vom Leben – wie etwa bei Chruschtschow 1964. Die Macht selbst wurde aber fast immer auf Lebenszeit ausgeübt und endete mit einem feierlichen Begräbnis des »roten Zaren« im Moskauer Mausoleum oder neben demselben.
So wurde im Moskauer Staate die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichende Tradition der Alleinherrschaft praktisch auch im aufgeklärten 19. und im blutigen 20. Jahrhundert nach Vorbild der Orda (der mongolisch-tatarischen »Goldenen Horde«), also nach orientalisch-despotischem Muster fortgeführt. Auch mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1990/91 wurde diese Tradition nicht unterbrochen. Boris Jelzin wurde zwar zum ersten Herrscher der gesamten russischen Geschichte, der demokratisch und nach korrektem verfassungsmäßigen Verfahren zum Inhaber eines höchsten Machtpostens gewählt wurde (12. Juni 1991), doch war das Amt des Präsidenten der RSFSR damals nicht das höchste in der UdSSR. Über die oberste Macht verfügte der Chef der KPdSU, Michail Gorbatschow, der gleichzeitig Präsident der UdSSR war und seine Macht im Frühjahr 1985, nach dem Tod von Generalsekretär Tschernenko, aufgrund des üblichen Deals innerhalb des Politbüros der KPdSU erhalten hatte; Gorbatschow regierte das Land im Übrigen ebenso wenig verfassungsgemäß wie seine Vorgänger. Die Versuche eines Übergangs von einer ungesetzlichen obersten Macht hin zu einer rechtmäßigen und legitimen endeten für Gorbatschow in einem völligen Misserfolg und führten dazu, dass er im Dezember 1991 jegliche staatliche Macht einbüßte. Auch Jelzins Griff nach der tatsächlich obersten Macht in Russland erfolgte außerhalb des Rechts – über die Abschaffung jenes Staates (der UdSSR), dessen Oberhaupt sein Gegenspieler Gorbatschow war.
Konstitutioneller Absolutismus der postkommunistischen Herrschaft
Die Geschichte der obersten Macht im postkommunistischen Russland stellt sich als schleunige Rückkehr zum zunächst konstitutionellen Absolutismus (1906 bis 1917) und der dann außerrechtlichen Tyrannei der »sowjetischen« Ära dar.
Denkmal des konstitutionellen Absolutismus ist die nach der »Zeit der Wirren« (1991–1993) am 12. Juni 1993 entstandene Verfassung der Russischen Föderation. In ihr sind die Machtbefugnisse des Präsidenten zwar äußerst umfangreich, jedoch nicht uneingeschränkt. Sie werden sowohl durch die obligatorischen allgemeinen Wahlen beschränkt, wie auch durch eine Reihe von Beschränkungen bei der Bildung der Machtinstitutionen. Boris Jelzin nahm 1996 (als er sich das einzige Mal entschloss, als amtierender Herrscher Russlands um die Macht zu kämpfen) Zuflucht zu erheblichen Wahlfälschungen, um an der Macht zu bleiben. Bei den Bürgern des Landes hinterließen die Wahlen das Gefühl, dass sie nicht gleich und nicht sauber waren, also den Raum der Verfassungsmäßigkeit verlassen hatten. Das war der erste Schritt vom konstitutionellen Absolutismus des Regimes hin zu einer absoluten nicht verfassungsmäßigen Herrschaft.
Die Jahre 1998 und 1999 vergingen mit der Suche nach einem »Nachfolger«. Genannt und wieder verworfen wurden die Namen Nikolaj Aksjonenko, Sergej Stepaschin und Sergej Kirijenko. Schließlich blieb Boris Jelzin aus einer Reihe von Gründen, die nichts mit Verfassungspolitik zu tun hatten, bei der Nominierung von Wladimir Putin. Er ernannte diesen zum Ministerpräsidenten und trat danach selbst zurück, wobei er diesmal den verfassungsmäßigen Prozess einer Neuwahl des Präsidenten einleitete. Doch nahezu jeder im Land verstand dieses Vorgehen als Willen des scheidenden Herrschers, die Macht ausgerechnet Putin zu übergeben. So wurde dieser im März 2000 zum Präsidenten Russlands gewählt.
Die achtzehnjährige Herrschaft Putins stellt einen immer weitergehendes Verlassen des Gesetzesrahmens und der Verfassung dar – und eine Korrektur der Verfassung selbst durch eine gesetzgebende Versammlung, die unter einer immer größeren Mange von Fälschungen gewählt wird. Praktisch seit den Wahlen von 2007 und 2008 können wir davon sprechen, dass die Phase des konstitutionellen Absolutismus nach altem russischen Muster abgeschlossen war. Und davon, dass ein Übergang zum »sowjetischen« außerrechtlichen Absolutismus, bei dem alle Mechanismen zur Bestimmung und Kontrolle der obersten Macht in eine vollkommene rechtliche Fiktion verwandelt wurden. Die Wahlen (Parlaments- wie Präsidentschaftswahlen), die Arbeit des Obersten und des Verfassungsgerichts, die Wahlen der Gouverneure und der Bürgermeister großer Städte gerieten zu einem Prozess, der ganz und gar von der obersten Macht Wladimir Putins und seiner Kanzlei (der Präsidialadministration) gesteuert wird, ganz wie zu Zeiten der UdSSR.
Unter diesen Umständen findet der reale Kampf um die Macht erneut außerhalb des Legitimen statt, wie es in der UdSSR jedes Mal nach dem Tod oder der Absetzung des Diktators der Fall war.
Wiederaufnahme der konstitutionellen Monarchie als Alternative zum außerrechtlichen Absolutismus
Es muss betont werden, dass die Gewöhnung an die absolute, nicht kontrollierte und außerkonstitutionelle Macht des obersten Herrschers in Russland tief verwurzelt ist. Das ist auch der Grund, warum dieses Prinzip sowohl nach dem Sturz der Monarchie der Romanows 1917, wie auch nach dem Zusammenbruch der totalitären kommunistischen Despotie 1990/91 praktisch schmerzlos, ja auf natürliche Weise wiederhergestellt wurde. Selbst die Alternative, die die Weiße Bewegung 1918–1922 bot, war keine Alternative von Demokratie gegenüber Diktatur, sondern eine der »richtigen« konstitutionellen nationalen Diktatur des Admiral Koltschak gegenüber der »falschen« Tyrannei Lenins. Es ist bezeichnend, dass die Mehrheit des Volkes in diesem Kampf die größere und vollkommen unrechtliche Diktatur der Bolschewiki unterstützte.
Was sollen nun im heutigen Russland jene politischen Bewegungen tun, die sich bemühen, das Land in einen modernen demokratischen Staat zu verwandeln und die Macht aus einem Instrument zur Verwaltung und Steuerung der Gesellschaft zu einem Werkzeug des Volkes zu machen? Gibt es angesichts dieser Vergangenheit und dieser Gegenwart die Chance für einen solchen Wandel?
Dass viele Länder der Welt die Erfahrung eines Übergangs von einem konstitutionellen Absolutismus und sogar von einer verfassungsfernen totalitären Despotie zu einer stabilen demokratischen Staatlichkeit gemacht haben, erlaubt es, auch für Russland eine bestätigende Antwort zu geben.
Wenn wir aber praktische Schritte unternehmen, sollten wir uns dieser Gewohnheit zum anomischen (rechtlosen) Absolutismus deutlich bewusst sein und diese Gewohnheit, die in Russland so stark ist, in vollem Umfang berücksichtigen.
Zunächst ist zu bedenken, dass die Macht in Russland ausnehmend personalistischer Natur ist. Es handelt sich nicht um eine Institution der obersten Macht, sondern um einen obersten Herrscher aus Fleisch und Blut. Es geht um eine Persönlichkeit mit allen ihren Besonderheiten, Vorzügen und Mängeln. Und eben als Persönlichkeit ist sie nicht abzulösen. Praktisch kein einziger Herrscher Russlands hat aus eigenem Willen Abschied von der Macht genommen (oder dann sogar noch für einen »zuverlässigen Nachfolger« gesorgt). Die Unabsetzbarkeit der obersten Macht entspricht der üblichen Haltung des Massenbewusstseins. Für eine Umwandlung in eine gewohnte demokratische Form, bei der eine personelle Rotation der Träger der obersten Macht als optimale Variante gilt, ist ein Zeitraum von zumindest mehreren Generationen erforderlich, und das in einem Umfeld demokratischer Prozesse. Im Absolutismus aber ist kein demokratischer Prozess möglich und also ein solcher Wandel höchst unwahrscheinlich.
Was bleibt also? Meiner Ansicht nach sollte man eben wegen des Ziels einer demokratisch und durch eine Verfassung beschränkten obersten Macht die Institution der konstitutionellen Monarchie in seiner jetzt üblichen europäischen Form wiederherstellen. Dabei sollte es nicht um die Wahl eines »starken Mannes« zum Monarchen gehen, was nichts an dem gegenwärtigen Modell einer rechtswidrigen Tyrannei ändern würde (außer deren formaler Verankerung in Gesetzen), sondern um die Wiedereinrichtung der »rechtmäßigen« Dynastie, die 1917 gestürzt und durch die Ermordung das Kaisers im Juli 1918 beseitigt wurde.
Eine solche Restitution einer Monarchie bietet eine Reihe Vorteile.
Zum einen könnte der notwendige Prozess abgeschlossen werden, mit dem man den von den Bolschewiki 1917 geschaffenen und praktisch bis zum heutigen Tage nicht auf gesetzlichem Wege überwundenen Unrechtsraum verlassen würde. Die Russische Föderation gilt auf rechtlicher Ebene als Nachfolgerin der UdSSR, und nicht des Russischen Reiches. Die UdSSR hat sich nie als Nachfolgerin des Russischen Reiches betrachtet, aber auch nie eine eigene gesetzliche Alternative geschaffen. Sie war all die rund siebzig Jahre ihres Bestehens praktisch eine kriminelle Vereinigung, die unrechtmäßig die Macht über Russland innehatte. Die Früchte dieser unrechtmäßigen Machtausübung – die schlimmsten – sind wohlbekannt. Demzufolge würde eine Wiederherstellung der historischen Dynastie der Romanows diesem rechtswidrigen Zustand der Macht ein Ende bereiten, insbesondere bei einer Verknüpfung mit übergangsrechtlichen Prinzipien wie Lustration, Wiederherstellung der Eigentumsrechte, verändertem Paradigma der historischen Erinnerung und Restitution der Rechte von vielen Millionen emigrierter Russen als Bürger Russlands.
Zweitens bewahrt die moderne konstitutionelle Monarchie, in der der Monarch herrscht, aber nicht regiert, die Person des obersten Herrschers als zeremonieller und – für Gläubige – geheiligter Führer, nimmt diesem aber jede politische Macht. Die reale Macht läge in den Händen des Volkes, das dem nationalen und den regionalen Parlamenten (es geht hier um die Russische Föderation) über ein System repräsentativer Demokratie die Macht überträgt. Das Parlament bestimmt die Exekutive. Dadurch würde die reale Macht in den Händen des Volkes und den tatsächlich vom Volk gebildeten Machtinstitutionen liegen, während die persönliche Macht in der Person des Monarchen ruht. Das würde es möglich machen, die personalistischen Orientierungen des Volkes von demokratischen Formen der Machtausübung zu trennen.
Drittens ist zu berücksichtigen, dass die Dynastie der Romanows heute nicht mehr existiert. Es leben zwar einige Dutzend Personen, die als deren Nachkommen anerkannt werden. Allerdings leben sie sämtlich in demokratischen Staaten; einige stehen in engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Herrscherhäusern in Europa. Es sind europäisch gebildete Menschen, die nun die Prinzipien westlicher Staatlichkeit gewohnt sind. Andererseits befinden sie sich gänzlich jenseits der miteinander kämpfenden Gruppierungen in Russland. Sollte ein Angehöriger der Romanow-Dynastie auf den russischen Thron berufen werden, würde das die Verbreitung nichtsowjetischer Prinzipien des politischen Lebens in der Gesellschaft Russlands erleichtern. Der Monarch könnte zudem zum informellen Mediator für neue und alte Gruppen werden, die um die oberste Macht kämpfen (hier wäre die spanische Monarchie ein gutes Vorbild).
Schließlich kann, viertens, der Übergang zur Monarchie nur ein demokratischer sein, gegründet auf den freien Willen der Bürger Russlands. Dieser Übergang wird die Grundlagen der Demokratie (die es heute praktisch nicht gibt) nicht zerstören, sondern ein notwendiges Schutzdach für deren allmähliche und – so ist zu hoffen – baldige Entstehung schaffen.
Die vor hundert Jahren durch die Bolschewiki vernichtete historische Monarchie könnte dem Aufbau einer demokratischen, europäischen Staatlichkeit dienen.
Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder
Das russischsprachige Original des vorliegenden Beitrags wurde am 12. Juli in der Zeitung Nesawisimaja Gaseta veröffentlicht und ist online verfügbar unter <http://www.ng.ru/ideas/2018-07-12/5_7264_king.html>.