Küchengespräch 2.0
In der UdSSR mit ihren zahlreichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit entwickelte sich ein besonderes Phänomen – das Küchengespräch, bei dem Sowjetbürger ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen politischen Situation in der Privatheit ihrer eigenen Wohnung aussprechen konnten. Mit der wachsenden Einschränkung der Redefreiheit seit Anfang der 2000er Jahre galten das russische Internet (RuNet) und die russischen sozialen Netzwerke als Wiederaufnahme dieser Art von Dissidenz, als ein Küchengespräch 2.0. Deswegen auch gab es nach dem Arabischen Frühling viel Enthusiasmus für die emanzipatorische Kraft des Internets: »Twitter« und »Facebook« schienen ein perfektes Mittel zur Organisation von sozialen Bewegungen zu sein, die autoritäre Regierungen hinwegfegen können. So konnten sich auch im Laufe der Proteste gegen die Wahlfälschungen in Russland 2011 – 2012 viele ein »Russland ohne Putin«, aber mit »Facebook« vorstellen. Die Einschränkung der Internetfreiheit zeugt allerdings davon, dass im Kreml ein solches Szenario für möglich und für gefährlich gehalten wird, da die Proteste, die zwischen Dezember 2011 und Mai 2012 stattgefunden haben, meist durch Facebook-Gruppen organisiert wurden. Deswegen wird das russische Internet nach und nach einer strengeren Kontrolle und Überwachung unterzogen, die dem chinesischen Modell folgt. Bilder von gestürzten Diktatoren, deren Kontrolle über ihre Länder unerschütterlich schien, haben Schockwellen in den Kreml geschickt, wo nun offensichtlich war, dass das Internet mehr sein kann als nur ein Küchengespräch 2.0.
In den russischen Netzwerken leben aber – wie in allen Häusern – nicht nur Vertreter einer prowestlichen liberalen Elite. Im Vorfeld der Proteste gegen Wahlfälschungen in Russland war es im Dezember 2010 auf dem Moskauer Maneschnaja-Platz zu Krawallen gekommen, als Tausende von rassistischen Fußballfans gegen »nichtslawische Migranten« aus dem russischen Nordkaukasus protestierten. Diese Krawalle wurden ebenfalls über soziale Netzwerke organisiert. Das Zentrum »SOWA«, das ein Monitoring von Xenophobie betreibt, berichtet, dass soziale Netzwerke nicht nur einer Überwachung hinsichtlich »extremistischer Tätigkeit« unterworfen sind (Paragraph 282 des russischen Strafgesetzbuches [dieser wird von den Behörden in jeder möglichen (und unmöglichen) Auslegung als Instrument eingesetzt; Anm. d. Red.]), sondern auch von vielen ultranationalistischen Gruppen genutzt werden, die dort ihre »Jagd« auf homosexuelle Männer organisieren oder Videos von Prügelattacken auf Arbeitsmigranten posten.
Die Annektierung der Krim hat vieles geändert. Der Augenblick des geopolitischen Triumphs, symbolisiert durch das Motto »Die Krim ist unser« (»Krym nasch«), war ein Moment, der die neu entdeckte Macht Russlands verkörperte und wiederum mit dem Vorgehen von Präsident Putin in Verbindung gebracht wurde. Die Tatsache, dass es keiner der westlichen Nationen gelang, der Annexion entgegenzuwirken, erweckte einen neuen Stolz auf Russland als Supermacht. Die höchsten Zustimmungsraten für Putin in den letzten 18 Jahren entfallen auf die Zeit nach der Krim-Annexion. Die Werte erreichten nach Angaben des »Lewada-Zentrums« bis zu 86 Prozent. Soziale Netzwerke haben zahlreiche Antimaidan-Gruppen mit mehr als einer halben Million Mitgliedern hervorgebracht, die »ukrainische Faschisten« anprangerten und Meme wie »Poroschenko Schwein« und »Obama Affe« posten. Und plötzlich konnte man sich Russland mit Putin und »Vkontakte« vorstellen. Mit anderen Worten: Es ist klargeworden, dass soziale Medien nicht immer eine positive Kraft der Demokratisierung darstellen: Sie dienen neben den zivilgesellschaftlichen Funktionen auch als Instrument zur Überwachung, als Plattform für regierungsnahe Rhetorik, sowie als Raum für Mobbing und Hassrede.
Krim 2.0
Die Unterstützung für die Annexion der Krim wurde in den russischen sozialen Netzwerken zunehmend mit Patriotismus verbunden. Seit Beginn der Ukraine-Krise sieht sich Russland auf internationaler Ebene mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, beispielsweise mit dem Ausschluss aus der G8 und mit Sanktionen des Westens. Es werden einige Tendenzen sichtbar: die Weigerung, Produkte aus Ländern zu konsumieren, die als Gegner Russlands wahrgenommen werden, die Herstellung »patriotischer« Waren und die Verhöhnung von »unpatriotischen« Verbrauchern. Der »patriotische« Konsum drückte sich nicht nur in den Essgewohnheiten aus, sondern auch in der Kleidung und der Wahl der Urlaubsziele. Ein besonderes Phänomen war eine Brandmarkung von Frauen, die mit einem »Feind« verheiratet oder befreundet sind, insbesondere nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die türkischen Streitkräfte im November 2015 und während der Fußballweltmeisterschaft 2018. Russische Frauen wurden dabei als »Ressource« betrachtet, die durch Ausländer »verbraucht« wurde, wodurch der Begriff Patriotismus in den sozialen Netzwerken geschlechtsspezifisch und sexualisiert eingesetzt wurde.
Die explosionsartige Entwicklung des »patriotischen« Konsums erfolgte nach der Wiedervereinigung der Krim. Neben der Neuinterpretation des Begriffs »watnik« (gepolsterte Jacke aus sowjetischer Zeit) ist das Image von Präsident Putin zu einer echten Marke geworden, auf die die Ausrichtung an der Außenpolitik des Kremls projiziert wird. Auf patriotischer Kleidung wird der Präsident in einer Militäruniform dargestellt, einer typischen russischen Pelzmütze oder bei einer Interaktion mit fleischfressenden Tieren. In anderen Fällen wird Putin mit weiteren stereotypen »männlichen« Attributen wie Waffen, Sportwagen, Sonnenbrillen im Terminator-Stil usw. versehen, die nicht nur seinen Alphamännchen-Status bekräftigen, sondern ihn auch mit westlichen Stilmitteln als männliche populäre Kultikone à la James Bond präsentieren. Manche patriotischen Kollektionen bieten T-Shirts mit Slogans wie »Krym nasch« (»Die Krim ist unser«), »Swoich ne brosajem« (»Wir lassen die Unseren nicht im Stich«), »Weschliwost goroda berjot« (»Höflichkeit bringt Städte ein« [eine Anspielung auf die »höflichen Leute« – russische Militärangehörige ohne Kennzeichnung –, die die Krim unter russische Kontrolle brachten; Anm. d. Red.]) und anderen Hinweisen auf den empfundenen russischen Sieg in der Ukraine-Krise. An diesen T-Shirts lässt sich deutlich die aufgeblasene Männlichkeit erkennen, die hauptsächlich durch militärische Uniformen und Verweise auf die Übernahme der Krim vermittelt wird.
Dies deutet darauf hin, dass Putin zu einer der Marken geworden ist, mit der Russland assoziiert werden soll. Einer der bekanntesten Putin-T-Shirt-Befürworter im Internet ist das Oberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, dessen Vorliebe für Putin-T-Shirts sogar auf HBO bei »Last Week Tonight« mit John Oliver bemerkt wurde. Ramsan Kadyrow postet gelegentlich Fotos von sich selbst, die ihn mit Putin-T-Shirts zeigen, und die durchschnittlich 20.000 Likes einbringen. Auf »Vkontakte« gibt es 347 öffentliche Seiten / Communities, die explizit Putin-T-Shirts verkaufen und durchschnittlich 3 – 5 000 Mitglieder haben. Die populärste öffentliche Gruppe bei »Vkontakte«, »Antimaidan« (http://vk.com/antimaydan), die sich auf die Ukraine-Krise bezog, verfügte bei mehr als 500 000 Abonnenten über mehrere T-Shirt-Optionen mit Putin und mit »höflichen Leuten«.
Dieses Putin-Branding war jedoch nicht der erste Ausdruck patriotischen Konsums. Das schwarz-orangefarbene St. Georgs-Band war wahrscheinlich eines der sichtbarsten Symbole des patriotischen Konsums im Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine und zwar nicht nur offline. Avatare auf »Vkontakte« am »Tag des Sieges« mit dem Band zu schmücken, war eine übliche Praxis, seit das Band von der vom Kreml installierten »Naschi«-Bewegung in diesem Kontext populär gemacht wurde. Mit der Ukraine-Krise wurde das St. Georgs-Band jedoch auch zum Symbol russischer Außenpolitik gemacht, besonders für »digitale« Russen und – mit entgegengesetzter Bedeutung – für viele Ukrainer.
Das ursprünglich Abfällige des Begriffs »watnik« wurde 2011 von dem Karikaturisten Anton Tschadski mit der Kinderserienfigur »SpongeBob Schwammkopf« geprägt, um sich über superpatriotische Russen lustig zu machen. Im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise wird dieser Begriff jedoch verwendet, um Putins politische Anhänger in der Ukraine zu bezeichnen, die eine Annexion der Krim unterstützen. Der bekannte russische Schriftsteller Zakhar Prilepin ermutigte den Modedesigner Jegor Sajzew dazu, eine Produktion von »Designer-Watniks« zu starten, um das Mem auf patriotische Weise neu zu interpretieren. Trotzdem ist der Begriff in seiner negativen Bedeutung in sozialen Netzwerken immer noch sehr beliebt: Eine »Vkontakte«-Suche nach »watnik« führt zu rund 1 000 000 Treffern, die nicht einmal ein abgeleitetes »wata« (»Watte«) enthalten. Ein Überblick über die Treffer zeigt, dass der Begriff trotz der Bemühungen von Prilepin eher negativ verwendet wird. In einer beliebten »LiveJournal«-Community, die Beispiele für extremen russischen Patriotismus aufweist und als »Pozreotism« bezeichnet wird, wird sogar ein »watnik« mit St. Georgs-Band als Avatar gezeigt. Da der (negative) »Watnik«-Diskurs in den sozialen Netzwerken nicht zum Schweigen gebracht werden konnte, musste er also ins Positive uminterpretiert werden.
Die Entwicklung der Außenpolitik in Bezug auf die Krise in der Ukraine war durch ein hohes Maß an Militarisierungsrhetorik gekennzeichnet. Zum einen ist dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die Krise in der Ukraine mit der Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg« verbunden wurde, an ein rein militärisches Ereignis. Zweitens wurde die Übernahme der Krim zwar durch »höfliche Leute« oder »kleine grüne Männchen«, aber letztlich immer noch von Soldaten durchgeführt (auch wenn dies ein relativ gewaltfreier Prozess war), und deren Leistung wurde in sozialen Netzwerken gewürdigt. Drittens wurde auch durch die Figur von Präsident Putin eine Hyper-Maskulinität vermittelt, die die russische Großmachtidentität verkörpern und durch ihre maskulinen Züge andere (feminisierte) internationale Akteure dominieren soll. Das Thema Geschlecht war auch bei der explosionsartigen Blüte von »patriotischer« Kleidung mit einer sehr eindeutigen militarisierten Bedeutung präsent: Es wurden oft Raketenwerfer, Panzer und andere militärische Utensilien dargestellt. Ein ironischer Aspekt dieser »patriotischen« Posts bestand darin, dass die meisten von ihnen nicht ohne bestimmte westliche Bilder und Meme auskommen konnten, d. h., viele »patriotische« Posts in sozialen Netzwerken verwendeten »westliche« Symbole und Narrative wie die Figuren des Terminator, des Paten oder Formel 1-Rennwagen.
Hier stellt sich die logische Frage, ob Online-Geschwätz tatsächlich in Offline-Aktionen umgesetzt wird. Zwar ist es schwierig, die »Konversionsraten« der Online-Manöver für patriotischen Konsum zu ermitteln – die Anzeichen für gestiegene Käufe russischer Waren wie etwa des Lada könnten auch auf die Abwertung des Rubel und nicht auf die patriotische Leidenschaft zurückzuführen sein. Ebenso schwer ist einzuschätzen, wie viele Personen, die angaben, dass sie nicht mehr in die Türkei fahren (#не еду в Турцию – »ich fahre nicht in die Türkei«), ihre Reisen tatsächlich aufgrund von außenpolitischen Überlegungen abgesagt haben. Ob es sich dabei um Slacktivism [etwa »Wohlfühl-Maßnahmen« zur Unterstützung einer sozialen Sache mit dem Effekt, sich allein schon durch die bloße Beteiligung einer Bewegung besser zu fühlen – Anm. d. Red.] handelt oder die Menschen nicht bereit sind, ihr »iPhone« zugunsten eines russischen »Yotaphones« aufzugeben, bleibt immerhin unklar.
Gleichzeitig fällt es der digitalen Generation schwerer, der Regierung die Marke Putin abzukaufen. Unter ihnen hat Putins Rating möglicherweise nicht den höchsten Vorrang, vor allem angesichts der im Vergleich zur Protestwelle von 2011 und 2012 deutlich jüngeren Teilnehmer an den aktuellen Protesten. Putin selbst scheint von diesem Rückgang seiner Beliebtheit unter Jugendlichen beunruhigt zu sein und führt es auf den Umstand zurück, dass die Jugendlichen sich nicht an den »Bürgerkrieg der 1990er Jahre« erinnern. In der Tat war die Gegenüberstellung der Zeit der Schwierigkeiten in den 1990er Jahren mit den relativ fetten 2000er Jahren zwar nicht die einzige, aber eine der wichtigsten Strategien der Identitätsbildung, die von der russischen Regierung eingesetzt wurden.
Käse 2.0
Ausländische Lebensmittel zu sanktionieren, um bestimmte politische Entscheidungen zu unterstützen, ist keine neue Strategie. Die Russen waren bereits mit den »chirurgischen Angriffen« mit Hilfe spezifischer Nahrungsmittelsanktionen des ehemaligen Leiters der Gesundheitsaufsicht, Gennadij Onischtschenko, vertraut, die offiziell aus Gründen des Gesundheitsschutzes verhängt wurden, aber fast immer als Antwort auf politische Entscheidungen der betroffenen Länder folgten. Diese Verbote aus »Gründen des Gesundheitsschutzes« hatten Onischtschenko in sozialen Netzwerken den Titel »Ochrenischtschenko« eingebracht, grob übersetzt ein »durchgeknallter Sack«. Dieses Mal wurde die politische Zielsetzung der Nahrungsmittelsanktionen jedoch nicht durch »niedrige Hygienestandards« in den Herkunftsländern verschleiert.
Eine der wichtigsten »patriotischen« Konsumboykottstrategien wurde von der russischen Regierung vorgelegt, nachdem im Sommer 2014 – nach dem Abschuss der malaiischen Boeing auf dem Flug MH 17 über der Ostukraine – der Großteil der EU-Sanktionen gegen Russland verhängt worden war. Die russische Regierung verbannte europäische Agrarerzeugnisse von den russischen Märkten, um den gemeinsamen Markt der EU zu beeinträchtigen. Eine Reihe von Bloggern drückte ihre Empörung darüber aus, dass die sanktionierten Produkte zerstört und nicht an die Armen verschenkt wurden. Sie reichten sogar eine Petition auf der Petitionsplattform »change.org« ein, um die Vernichtung von Nahrungsmitteln zu stoppen. Die Vernichtung von Nahrungsmitteln war für oppositionelle Blogger auch mit der Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg« verbunden: Der Journalist Slawa Rabinowitsch war empört, dass Präsident Putin, der selbst aus Leningrad stammt, dessen Bewohner zwischen 1941 und 1944 die Blockade mit Hunger und einer Million Toten durchlitten hatten, Lebensmittel vernichten lässt.
Irgendwie schien der Traum von ausländischem Käse den gesamten Sanktionsdiskurs zu überwältigen. Wenn Blogger über Sanktionen diskutierten, kam es vor allem auf die Verfügbarkeit von ausländischem Käse an. Der Politikwissenschaftler Sergey Medvedev hat sogar die Verfügbarkeit von »Käsekultur« in Verbindung mit der politischen Stabilität im jeweiligen Staat gebracht. Er erinnert zudem an Sorokins »Der Tag des Opritschniks«, einen dystopischen Roman, in dem alle ausländischen Lebensmittel verboten wurden und die Bürger nur aus 2 Produkttypen wählen durften, wobei nur eine Sorte Käse angeboten wird.
Das Fernsehen berichtete von der kremlnahen Bewegung »Chrjuschi« (Schweinchen), als deren Aktivisten in T-Shirts mit der Aufschrift »Iss Russisches« in Moskauer Supermärkte zogen und »sanktionierte« Produkte mit einem Aufkleber markierten, auf denen ein wütender Bär amerikanische und EU-Flaggen zerriss. Diese Kampagne wurde im staatlichen Fernsehen, in den Printmedien und sozialen Netzwerken umfassend kommentiert. Die Frage, was eine amerikanische Flagge mit Schweizer Käse zu tun haben könnte – letzterer ist ein nicht sanktioniertes Produkt, da die Schweiz kein EU-Mitglied ist – scheint den Aktivisten entgangen zu sein. Nutzer von »Vkontakte« und insbesondere Mitglieder der »Antimaidan«-Gruppe fassten die Sanktionen wohl eher als persönliche Aktion auf. Die öffentlich zugängliche Gruppe zeigte eine Reihe von Fotos von verschiedenen Einrichtungen in Russland, wo eine »Einreise mit Obamas verboten« ist, oder sogar »Steckt euch die Sanktionen in euren Europo« gefordert wurde. Sehnsucht nach Mascarpone oder Mozzarella wurde meistens als Verrat an den außenpolitischen Ambitionen der Großmacht Russland angesehen und heftig kritisiert.
Russland 2.0
Der patriotische (Nicht-)Konsum ist in Russland während und nach der Ukraine-Krise explosionsartig gestiegen. Er könnte als Indikator dafür gesehen werden, dass ein »Gefühl der Zugehörigkeit zu einer großen Nation«, dessen Verlust am stärksten nach dem Zerfall der Sowjetunion beklagt wurde, wiederhergestellt wird. Durch das Bekenntnis ihrer Unterstützung für die Außenpolitik des Staates bedienen russische Nutzer sozialer Netzwerke nicht nur ihr psychologisches Bedürfnis nach einer positiven Identität innerhalb der Gruppe, sondern weisen auch sich selbst im politischen System Russlands einen Platz zu.
Das Phänomen des »patriotischen« Konsums ist in Russland im Vergleich zu den Vereinigten Staaten relativ neu. In den USA sind Staatssymbole, z. B. Flaggen, routinemäßig in Wohnhäusern zu sehen und ist das allgemeine Niveau von »patriotischer Religiosität« ziemlich hoch. In Russland aber ist patriotische Religiosität eher mit der Außenpolitik verbunden, die in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert wird. Bemerkenswert ist zudem, dass sich der patriotische Konsum nicht wie in den USA auf staatliche Symbole konzentriert: Er orientiert sich fast ausschließlich an außenpolitischen Entscheidungen eines einzelnen Mannes, der auch im Fokus der Bemühungen zur Schaffung eines Branding steht. Darüber hinaus ist nicht nur die Persönlichkeit von Präsident Putin zum Symbol der Wiedergeburt einer großen Machtidentität geworden.
Was das »digitale« Russland anbetrifft, beschäftigt sich der Kreml in der ersten Linie mit der Frage, wie das Überleben des Regimes gesichert werden kann. Diese Logik motiviert sowohl die doppelte, nämlich externe als auch die interne Strategie zur digitalen Sicherheit oder, wie Alexandra Yatsyk es kurz formuliert, »im Ausland hacken und zu Hause verbieten«. Die Versuche der russischen Regierung, den Cyber-Raum zu kontrollieren, sind nicht ganz so erfolgreich. Staatliche Überwachungskapazitäten sind weit weniger beeindruckend, wie die jüngsten Bemühungen, ein Verbot des Messengerdienstes »Telegram« durchzusetzen, gezeigt haben. Die derzeitigen Versuche der russischen Regierung, das RuNet vom globalen Internet unabhängig zu machen, sind besonders besorgniserregend, denn ohne die »Server in Kalifornien« könnten die Geräte in Moskau schnell abgeschaltet werden – damit sich auf »Vkontakte« niemand ein Russland ohne Putin vorstellen möge.