Fünf Jahre Krimkrise – Auswirkungen auf die russische Innenpolitik

Von Stefan Meister (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin / Heinrich Böll Stiftung, Tiflis)

Die Annexion der Krim hatte nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis Russlands zur EU (Russland wurde vom strategischen Partner zum Gegner), zu den USA (Russland wurde von der vernachlässigbaren Macht zum Feindbild Nummer zwei, nach China) sowie zur Ukraine (dort kam es zum Nation Building in scharfer Abgrenzung zu Russland), sondern wirkte sich auch auf die russische Innenpolitik aus. Nachdem die Annexion der Krim Wladimir Putin aus der mit seiner Entscheidung zur Wiederwahl zum Präsidenten 2012 bestehenden Legitimationskrise herausgeholfen hatte, erfolgte im Nachgang eine Mobilisierung der russischen Bevölkerung gegen innere und äußere Feinde, die teilweise an stalinistische Rhetorik erinnerte. Diese Polarisierung der Gesellschaft und das damit verbundene politische Klima haben dazu beigetragen, dass 1,7 Millionen vor allem junge und gut ausgebildete Russen ihr Land seit 2012 verlassen haben. Damit einher gingen eine Stigmatisierung und Marginalisierung jeglicher Opposition, wachsende Repressionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen sowie eine grundlegende Veränderung der russischen Außenpolitik.

Präsident Putin hat den Erfolg auf der Krim und die Heroisierung seiner Person so interpretiert, dass er freie Hand bei ambitionierten außenpolitischen Projekten hat. Diese neue Außenpolitik im Donbas, in Syrien und zunehmend in Libyen und im Schwarzen Meer sowie der Cyber- und Informationskrieg können als risikofreudig, aggressiv und rücksichtslos gegenüber den Befindlichkeiten des Westens charakterisiert werden. Die Militarisierung der russischen Außenpolitik wirkt über eine Versicherheitlichung auch auf die russische Innenpolitik. Das bedeutet Budgetverschiebungen zugunsten von Militär und Geheimdiensten sowie wachsender Einfluss des sicherheitspolitischen Denkens auf politische Entscheidungen – ohne Korrektive.

Inszenierung als Kriegsherr und historische Figur

Während sich Putin in seinen beiden ersten Amtszeiten vor allem auf die innere Stabilisierung und Konsolidierung Russlands konzentriert hat, stand seine dritte Präsidentschaft im Zeichen eines neuen geopolitischen Spiels. Die Annexion der Krim hat das Volk um Putin herum versammelt, ihm außenpolitischen Spielraum gegeben und dann den Präsidenten vom Volk abgekoppelt. Mit der Rentenreform und dem Nachlassen des Krim-Effekts sind die Zustimmungsraten für den Präsidenten und die Partei der Macht »Einiges Russland« zurückgegangen. Die Bevölkerung zeigte ihren Unmut über den andauernden Wohlstandsverlust bei den letzten Regionalwahlen und bei Demonstrationen gegen die neue Internetgesetzgebung. Erstmals wird der Unmut der Bevölkerung auch in den Umfrageergebnissen deutlich: 55 Prozent der Russen äußerten im Dezember 2018 bei einer Umfrage des Lewada-Zentrums die Ansicht, Putin sei schuld an der Misere. Den Präsidenten jedoch scheint das alles nicht zu berühren. Er inszenierte sich bei seinem Jubiläumsauftritt zu fünf Jahren Annexion der Krim weiter als Kriegsherr und historische Figur. Er ist ja verantwortlich für die Außenpolitik, seine jungen Technokraten für die Innenpolitik.

Großes Theater, das vor allem kostet

Wladislaw Surkow hat in einem zynischen Artikel in der »Nesawisimaja Gaseta« Mitte Februar 2019 (mal wieder) behauptet, die Russen seien anders als alle anderen Völker, nicht Umfragen verstünden das Volk, sondern nur Putin. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. Für viele Russen zählt, was sie am Ende des Monats in der Tasche haben, und Putin versteht sein Volk nicht mehr. Die Euphorie im Zuge der Krim-Annexion hat die russische Führung offenbar nicht nur von den strukturellen Defiziten ihrer Politik abgelenkt, sondern sie auch in dem Glauben bestärkt, alles manipulieren zu können. Jetzt wo der Rauch verschwindet, wird deutlich, dass die Annexion der Krim ein großes Theater war, das vor allem kostet. Es hat keine großen Auslandsinvestitionen (nicht mal chinesische) auf der Krim gegeben, da internationale Firmen die westlichen und vor allem die US-Sanktionen fürchten. Die Krim ist unter den fünf wichtigsten Nehmerregionen, die auf föderale Zahlungen aus Moskau angewiesen sind. Laut Journalist Jewgenij Karasjuk wird Russland zwischen 2014 und 2020 eine Trillion Rubel (13,6 Billiarden Euro) über Zuschüsse, Subventionen und ein föderales Programm in die Krim investiert haben. Die Krimbrücke über die Meerenge von Kertsch und die zu ihr führenden 250 Kilometer Autobahn kosten zusammen 450 Milliarden Rubel (gut 6 Milliarden Euro), mehr als das Jahresbudget einiger russischer Regionen.

Die Post-Krim-Realität

Während große Teile der russischen Bevölkerung im Zusammenhang mit andauernden Einkommensverlusten bereits in der post-Krim-Realität angekommen sind (laut Meinungsforschungsinstitut FOM sahen 2014 noch 67 Prozent der befragten Russen einen eindeutigen Nutzen in der »Angliederung« der Krim, 2019 waren es nur noch 39 Prozent – siehe auch die Umfrage auf S. 15), scheint die russische Führung diese Realität weiterhin ignorieren zu wollen. Weder glaubt sie, bei der Rentenreform oder bei der Internetgesetzgebung Kompromisse machen zu müssen, noch ist sie bereit, ein Entgegenkommen im Krieg im Donbas zu zeigen. Der Westen ist schwach und Russland ist stark. Diese Wahrnehmungsstörung des Kremls führt inzwischen in der Bevölkerung zu der Diskussion, ob Putin überhaupt noch alle Entwicklungen im Land kontrolliere und wer die innenpolitischen Probleme lösen solle, wenn der Präsident sich nur für außenpolitische Fragen verantwortlich fühle. Damit ist die Annexion der Krim nicht nur ein entscheidender Baustein für die grundlegende Entfremdung zwischen Russland und der EU, sondern wirft die zentrale Frage auf, wie stabil und handlungsfähig das System Putin eigentlich noch ist.

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