Postsowjetische De-facto-Regime

Von Andreas Heinemann-Grüder (Bonn International Centre for Conversion, Bonn)

Zusammenfassung
Weltweit gibt es circa 25 De-facto-Regime, fünf davon im postsowjetischen Raum: Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Bergkarabach und den russisch kontrollierten Donbas. De-facto-Regime resultieren aus einer Pattsituation. Das »Mutterland« ist dabei nicht mehr in der Lage, die Souveränität über die Bevölkerung und das Territorium des De-facto-Regimes auszuüben, während ein Patron das Überleben sichert und es faktisch, bisweilen auch de jure, anerkennt. Die Gewalt schwelt über längere Phasen mit geringer Intensität, periodisch flammt sie wieder auf, um die Eskalationsbereitschaft des Gegners zu testen. Jenseits der Bewahrung des Status quo wird von der internationalen Gemeinschaft kaum in Konfliktregelung investiert. Ein Modus vivendi mit humanitären Erleichterungen scheint dann die einzig realistische Option.

Einleitung

Weltweit gibt es circa 25 De-facto-Regime, fünf davon im postsowjetischen Raum: Abchasien, Südossetien, Transnistrien, Nagornyj Karabach (Bergkarabach) und den russisch kontrollierten Donbas. Die Angst vor Zwangsassimilation stand am Anfang aller postsowjetischen De-facto-Regime. Mit dem Zerfall der Sowjetunion fiel der Schutz von Autonomien durch die Zentralmacht weg, Föderalismus oder Autonomie wollten die nationalistisch aufgeheizten Nachfolgestaaten nicht gewähren. Eine Reihe früherer Sowjetrepubliken erlangten ihre Unabhängigkeit mit tiefen inneren Spaltungen – Ressentiments, die von russischen Nationalisten, Sowjetnostalgikern sowie lautstarken Ethnonationalisten geschürt wurden. Die Legitimation der De-facto-Regime speist sich aus ihren Gewalterfahrungen.

De-facto-Regime resultieren aus einer Pattsituation. Das »Mutterland« ist dabei nicht mehr in der Lage, die Souveränität über die Bevölkerung und das Territorium des De-facto-Regimes auszuüben, während ein Patron das Überleben sichert und es faktisch, bisweilen auch de jure, anerkennt. Rechtlich hat das Konzept des De-facto-Regimes seinen Ursprung in der Teilung Deutschlands: Auf die fruchtlose Hallstein-Doktrin der Nicht-Anerkennung der DDR folgte ab 1969 die Anerkennung der DDR als de facto Regime.

De-facto-Regime sind so lange resistent gegen Revision, wie die Machtbalance, die zum Patt führte, Bestand hat. Die Gewalt schwelt über längere Phasen mit geringer Intensität, periodisch flammt sie wieder auf, um die Eskalationsbereitschaft des Gegners zu testen. Russland fungiert als Patron der De-facto-Regime, im Falle Nagornyj Karabachs ist es Armenien und seit dem 10. November 2020 nun auch Russland. Mit Ausnahme von Transnistrien hat keiner der geschlossenen Waffenstillstände dauerhaft gehalten. In allen De-facto-Regimen hat Russland einem Waffenstillstand unter der Bedingung zugestimmt, dass es eigene Truppen stationieren und internationale Truppen fernhalten kann. Russland schreckt vor Revisionskriegen ab, behindert aber zugleich transformative Regelungen.

Russland sichert den Bestand von De-facto-Regimen durch eigene Truppen sowie politische und wirtschaftliche Unterstützung; es macht die De-facto-Regime mittels Subventionen, Medienpolitik, Beteiligungen an Schlüsselindustrien, durch die Vergabe russischer Pässe und durch »Kuratoren« von sich abhängig. Die internationale Gemeinschaft erkennt zwar formal den Rechtsanspruch der »Mutterstaaten« (Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Republik Moldau) an, hat diese jedoch nie darin unterstützt, die abtrünnigen Gebiete zurück zu erobern.

Ein »Mutterstaat« kann sich mit dem De-facto-Regime arrangieren, indem Verkehrsverbindungen aufrechterhalten, humanitäre Erleichterungen und Zugänge gewährt, Renten gezahlt, Abschlüsse anerkannt und grenzüberschreitende Kontakte gepflegt werden. Die entgegengesetzte Strategie besteht darin, den Preis der Separation zu erhöhen, Kommunikations- und Verkehrsverbindungen zu kappen, Sanktionen zu verhängen und eine militärische Rückeroberung vorzubereiten. Aserbaidschan, die Ukraine und Georgien haben überwiegend für Abstrafung optiert, während die Republik Moldau eher auf einen Modus vivendi setzt.

Transnistrien

In der Republik Moldau gewann seit der Perestroika eine an Rumänien orientierte Nationalbewegung an Zuspruch, die unter den russischsprachigen Bewohnern, den Gagausen und weiteren Minderheiten, Befürchtungen vor einer Rumänisierung hervorrief. Teile der nationalistischen »Frontul Popular« forderten die Ausweisung zugewanderter Russen. Die transnistrische Führung organisierte so schon 1990 eine Volksabstimmung, bei der über 90 Prozent der Wähler für eine Loslösung von der Republik Moldau stimmten. Nach dem gescheiterten August-Putsch von 1991 rief Transnistrien die Unabhängigkeit aus.

Anfang März 1992 begann die Republik Moldau eine Militäroffensive zur Rückeroberung Transnistriens. Auf moldauischer Seite kämpften rumänische Freiwillige, während Transnistrien Unterstützung von russischen und ukrainischen Kombattanten und Kosaken erhielt. Die Kämpfe endeten am 25. Juli 1992 mit einem Waffenstillstand, dessen Einhaltung durch eine aus russischen, moldauischen und transnistrischen Soldaten bestehende »Friedenstruppe« seither überwacht wird. 2003 stellte Dmitri Kosak, seinerzeit Vizechef des russischen Präsidialamtes, ein Memorandum vor, das Transnistrien die Hälfte der Parlamentssitze zuschrieb – eine Sperrminorität (https://regnum.ru/news/polit/458547.html). Zudem sollte sich die Republik Moldau zu Neutralität verpflichten. Der Plan scheiterte, die Grundidee wurde jedoch von russischer Seite später auch für den Donbass vorgeschlagen.

Transnistrien ist ein stabiles De-facto-Regime, weil russische Truppen seinen Bestand schützen, die Regierung in Tiraspol finanzielle Hilfen aus Russland erhält und beide Seiten sich mit dem Status quo arrangiert haben. Transnistrien hat einen eigenen Regierungsapparat aufgebaut, verfügt über eine Armee und eine eigene Währung und stellt Pässe aus. Trotz der Spannungen mit der Regierung in der Republik Moldau treffen sich moldauische und transnistrische Vertreter regelmäßig. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden sind vergleichsweise unkompliziert.

Alle größeren politischen Parteien in Transnistrien unterstützen die Unabhängigkeit Transnistriens oder einen Beitritt zu Russland. Am 18. März 2014 stellte die Regierung Transnistriens einen Beitrittsantrag zur Russischen Föderation und am 17. April 2014 wandte sich der Oberste Rat von Transnistrien an Putin, die Unabhängigkeit Transnistriens anzuerkennen und einem Beitritt zu Russland zuzustimmen. Transnistrien wollte dem Beispiel der Krim folgen. Allerdings hätte Russland damit seinen Einfluss auf die pro-russische Partei der Sozialisten in der Republik Moldau selbst verwirkt, die aus den Parlamentswahlen 2014 als Sieger hervorging (auch bei der Präsidentschaftswahl 2016 siegte der pro-russische Kandidat, Igor Dodon, von der Partei der Sozialisten).

Seit 2001 ist Transnistrien Mitglied der Gemeinschaft nicht anerkannter Staaten, zu der auch Abchasien, Südossetien und Nagornyj Karabach (Eigenbezeichnung der Armenier: Arzach) gehören. Transnistrien wird allerdings von keinem Staat diplomatisch anerkannt.

Seit November 2005 gibt es eine Grenzkontrollmission der EU an der moldauisch-ukrainischen Grenze, um den Schmuggel von Waffen-, Menschen- und Drogen zu unterbinden. Transnistrien profitiert seit 2016 vom »Deep and Comprehensive Free Trade Agreement« zwischen Moldova und der EU. Die Ukraine verweigert seit der Krim-Annexion den Nachschub für russisches Militär in Transnistrien über eigene Häfen. Die ursprünglich fünfseitigen Verhandlungen (Republik Moldau, Transnistrien und die drei Mediatoren (Russland, Ukraine und die OSZE) wurden im Herbst 2005 um die EU und die USA als Beobachter erweitert. Das »fünf-plus-zwei«-Format stagniert freilich seit der Ukrainekrise.

Abchasien

In Abchasien bestimmte die Sezession von Georgien seit 1991 die Politik. Der im Mai 1991 gewählte Präsident Georgiens, Zwiad Gamsachurdia, erklärte: »Georgien den Georgiern«. Viele Abchasen befürchteten eine Wiederkehr stalinistischer Unterdrückung. Am 14. August 1992 rückten georgische Truppen in Abchasien ein. Gegen die Vertreibung von Abchasen bildeten sich Milizen und diese vertrieben im Oktober 1992 die georgischen Einheiten, wobei sie ihrerseits schwere Kriegsverbrechen begingen. Russland versorgte die bedrängten Abchasen und ortsansässigen Russen über eine Luftbrücke. Am 27. Juli 1993 wurde unter russischer Vermittlung ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt.

Abchasien verfügt seit 1993 über unabhängige staatliche Strukturen. Zudem ist es multiethnisch: Der Anteil der Abchasen lag 2011 bei 50,8 Prozent, der der Georgier bei 19,3 Prozent. Armenier machen in der Bevölkerung 17,4 Prozent aus, gefolgt von Russen (9,2 Prozent) und weiteren Minderheiten. Nach der letzten sowjetischen Volkszählung von 1989 hatte der Anteil der namensgebenden Abchasen nur bei 17,8 Prozent gelegen. Die Sezession hatte so zum Ziel, den Anteil von ethnischen Georgiern zu verringern. Infolge der Gewalt flohen rund 250.000 Menschen, darunter etwa 200.000 ethnische Georgier.

Seit 1994 sorgten 1.500 (ab 2008 2.500) russische Soldaten für die Einhaltung des Waffenstillstandes. Die Einhaltung des Abkommens wurde durch die United Nations Observer Mission in Georgia (UNOMIG) überwacht. Wiederholt wurde unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen über eine Beendigung des Konflikts verhandelt, Abchasien beharrte indes stets auf seiner staatlichen Unabhängigkeit.

Die Regierung Georgiens unter Michail Saakaschwili 2004 bis 2013 beabsichtigte, Abchasien nach dem Modell Adschariens wieder einzugliedern. Ihr Plan sah vertrauensbildende Maßnahmen, eine Demilitarisierung unter internationaler Aufsicht und eine Autonomie für Abchasien und Südossetien vor. Abchasien wies dies zurück, auch Russland lehnte eine Wiedervereinigung ab. Im August 2008 versuchten georgische Militärs daraufhin, Südossetien unter Kontrolle zu bringen. Russland griff zugunsten Südossetiens ein. Am 12. August 2008 wurde die georgische Armee von abchasischen und russischen Truppen besiegt.

Infolge der Niederlage sowohl in Südossetien als auch in Abchasien verlor Georgien die Kontrolle über die abtrünnigen Gebiete vollständig. Ethnische Georgier fühlen sich in Abchasien diskriminiert, wiederholt kam es zu Sabotageakten, die meisten haben sich indes mit dem Status quo arrangiert. In Abchasien gibt es eine vielfältige, russisch geprägte Medien- und Presselandschaft. Laut Freedom House (2012) galt es als teilweise frei, zahlreiche Parteien werben um die Gunst der Wähler. Die Präsidentschaftswahlen von 2019 wurden durch das Oberste Gericht annulliert. Die Neuwahlen im März 2020 führten zum Rücktritt des amtierenden Präsidenten Raul Khajimba, der durch Aslan Bschania ersetzt wurde.

Seit 2008 haben Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Syrien die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannt. 2014 unterzeichnete Russland ein Kooperationsabkommen, das Finanzhilfen aus Moskau (drei Viertel des abchasischen Haushaltes) und die Einrichtung gemeinsamer Streitkräfte umfasst. Eine Vereinbarung von 2016 erlaubt die Errichtung einer russischen Militärbasis. Etwa 90 Prozent der Bewohner Abchasiens haben mittlerweile russische Pässe erworben.

Die Währung Abchasiens ist der russische Rubel, daneben gibt es seit 2008 noch die Währung Apsar. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert aufgrund von Misswirtschaft und Korruption. Abchasien ist auf Importe aus Russland angewiesen, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige sind zudem Touristen aus Russland. In den letzten zehn Jahren entwickelte sich Abchasien zu einem Eldorado für Bitcoin-Farmen, die zwar 2018 verboten wurden, bis in die Gegenwart jedoch weiter Rechner importieren.

Südossetien/ Alania

Südossetien (ossetische Bezeichnung »Alania« seit der Umbenennung 2017) ist völkerrechtlich Teil Georgiens, aber de facto unabhängig. Bei der letzten sowjetischen Volkszählung von 1989 waren etwa zwei Drittel der Bevölkerung ethnische Osseten, 29 Prozent Georgier sowie andere Minderheiten. Offizielle Sprachen sind Ossetisch und Russisch, georgisch wird von der georgisch-stämmigen Bevölkerung gesprochen, von den Osseten meist jedoch nicht beherrscht.

Im August 1989 beschloss die Georgische Unionsrepublik, die Umsiedlung ethnischer Georgier in von Minderheiten bewohnte Gebiete zu fördern. Diese Minderheiten fühlten sich jedoch bedroht. Am 10. November 1989 beschloss der Oberste Sowjet des Autonomen Gebiets Südossetien die Gründung einer »Südossetischen Autonomen Sowjetrepublik«, am 20. November 1990 erklärte sich Südossetien schließlich als »Demokratische Sowjetrepublik« für unabhängig. In einem Referendum sprachen sich 1992 über 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit von Georgien und den Anschluss an das zu Russland gehörende Nordossetien aus. Georgische Milizen marschierten daraufhin in Südossetien ein, während Russland Truppen entsandte, um die Südosseten zu unterstützen. Etwa 100.000 Osseten flohen aus Georgien und Südossetien nach Russland, 20.000 Georgier aus Südossetien nach Georgien.

Am 24. Juni 1992 beschlossen Russlands Präsident Jelzin und Georgiens Präsident Schewardnadse ein Waffenstillstandsabkommen und die Aufstellung einer 1500 Soldaten umfassenden Friedenstruppe aus Russen, Osseten und Georgiern. Da es immer wieder zu Schusswechseln zwischen georgischen und südossetischen Verbänden kam, verständigten sich Georgien und Südossetien am 11. Juli 2004 unter Moskauer Vermittlung erneut auf einen Waffenstillstand und die Entmilitarisierung der Region. Georgien sollte bis auf 500 »Friedenssoldaten« alle Einheiten abziehen, während Südossetien abchasische und russische Truppen ausweisen sollte.

Am 12. November 2006 wurden in Südossetien Präsidentschaftswahlen und ein Referendum über die Unabhängigkeit durchgeführt, bei dem angeblich 99 Prozent ihre Zustimmung zur Unabhängigkeit gaben. Ethnischen Georgiern war die Teilnahme an der Wahl allerdings verwehrt. EU, Europarat, OSZE, USA und NATO verurteilten das Referendum, Russland bezeichnete es hingegen als Ausdruck des freien Willens. Russische Politiker argumentierten, dass wenn die internationale Gemeinschaft die Unabhängigkeit des Kosovos akzeptiere, gleiche Maßstäbe für Abchasien und Südossetien gelten müssten.

Anfang August 2008 stationierte Georgien 12.000 Soldaten und 75 Panzer an der Grenze zu Südossetien, wo zu diesem Zeitpunkt etwa 1.000 russische Soldaten sowie circa 500 südossetische Milizangehörige stationiert waren. Am 08. August 2008 begannen georgische Truppen mit der Besetzung Südossetiens, mit schweren Gefechten zwischen der georgischen Armee und ossetischen Milizen sowie russischen Soldaten als Folge. Russische Boden- und Luftlandetruppen rückten in Südossetien ein und stoppten die georgische Offensive. Südossetien wird seither vollständig von russischen Truppen kontrolliert.

Am 26. August 2008 erklärte Russlands Präsident Medwedew, er erkenne die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an. Der südossetische Präsident Eduard Kokoity (2002 – 2006) strebte eine Vereinigung Süd- und Nordossetiens innerhalb Russlands an. Die Idee, die Südosseten 2014 über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen zu lassen, wurde allerdings nicht umgesetzt. Am 18. Februar 2015 unterzeichneten Russland und Südossetien stattdessen ein Freundschaftsabkommen sowie am 18. März 2015 ein Bündnis- und Integrationsabkommen, welches den Schutz der Grenzen durch Russland vorsieht. Eine Mehrheit von über 80 Prozent der ethnischen Südosseten wünscht angeblich einen Beitritt zur Russischen Föderation.

Südossetien verfügt über eine eigene Verfassung, Verwaltungsstrukturen und Militär. Es gibt mehrere größere Parteien, darunter die rechtskonservative Partei »Einheit«, die Kommunistische Partei Südossetiens und die linksliberale Volkspartei. Die Präsidentschaftswahlen sind weitgehend ergebnisoffen. Ähnlich wie in Transnistrien und in Abchasien bedeutet die Patronage durch Russland keine umfassende Kontrolle über die Selektion der politischen Elite.

Die Region leidet unter hoher Arbeitslosigkeit, während sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Lage durch russische Finanzhilfen gebessert hat. Südossetien ist bedeutsam für den Transithandel von Georgien nach Russland. Am Roki-Tunnel, der die Grenze zu Russland bildet, werden nur 3 Prozent Zoll erhoben, während sonst an der georgisch-russischen Grenze 25 Prozent Zoll zu entrichten sind. Die EU finanzierte zwischen 1998 und 2008 verschiedene Projekte zum Infrastrukturprojekte in Südossetien. Von August 2008 bis Mai 2010 sind nach Angaben der russischen Regierung mehr als 26 Milliarden Rubel (etwa 700 Millionen Euro) Finanzhilfe nach Südossetien geflossen.

Donbas »Volksrepubliken« (»DNR« und »LNR«)

Seit März 2014 stehen weite Teil der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk unter Kontrolle von irregulären bewaffneten Gruppen, russischen Militärs und pro-russischen Verwaltungen. Die politischen Präferenzen im Donbass sind maßgeblich durch den wirtschaftlichen Niedergang, die Macht von Wirtschaftsclans, das miserable Krisenmanagement und die Korruption und Vetternwirtschaft der Kiewer Regierung beflügelt worden. Während eines »konsultativen« Referendums im Jahre 1994 votierten fast 90 Prozent der Wähler dafür, Russisch als Amtssprache zu nutzen, die Ukraine zu föderalisieren und das Land enger an die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu binden. Die Präferenzen fanden jedoch keinen Widerhall.

In Reaktion auf die »Maidan«-Revolution und den Regierungswechsel organisierten sich im Donbass ab März 2014 Anhänger des Anti-Maidan und pro-russische Separatisten. Die separatistischen Republiken hielten am 11. Mai 2014 Referenden über die Eigenständigkeit (samostojatelnost) der Donezker (»DNR«) und Luhansker »Volksrepubliken« (»LNR«) ab, bei denen angeblich jeweils 89 und 96 Prozent für die Eigenständigkeit stimmten. Es blieb dabei unklar, ob damit Unabhängigkeit, Autonomie, Dezentralisierung, Föderalisierung oder eine Konföderation gemeint war.

Zweimal (2014 und 2018) fanden in der »DNR« Wahlen zum Parlament statt, es traten die Partei »Donezk Republik«, die Kommunistische Partei der »DNR«, die Partei »Freier Donbass« und die Partei »Neues Russland« an. Russland übt auf die Selektion des Führungspersonals maßgeblichen Einfluss aus. Die Regierung der »DNR« bildet indes keinen uniformen Block, seit 2014 fanden mehrfach Führungswechsel statt. Der »DNR«-Premierminister Sachartschenko und einige prominente pro-russische Feldkommandeure wurden ab 2015 ermordet. Eine mögliche Erklärung ist, dass sie für mangelnde Subordination von russischen Spezialkräften abgestraft wurden, eine andere verweist auf Ranküne.

Ab März 2017 verbot Präsident Poroschenko den Handel mit Gütern aus und in den russisch kontrollierten Donbass, die ukrainische Nationalbank untersagte zudem Finanztransfers. Insbesondere für Rentner ist der Bezug ihrer Pensionen nur möglich, wenn sie in der Ukraine registriert sind. Russland deckt so einen erheblichen Teil der Renten. Die »DNR« eröffnete im Oktober 2014 eine eigene Zentralbank und Steuerbehörden. Die Wirtschaft in der »DNR«, vor allem der Bergbau und die Schwerindustrie, liegen seit der Abtrennung darnieder, Löhne werden nur unregelmäßig gezahlt. In der »DNR« gelten der russische Rubel, die ukrainische Hrywnja, der Euro und US-Dollar als Währungen.

Nachdem Separatisten im März und April 2014 öffentliche Gebäude der Luhansker Region besetzten, erklärte der »Volksgouverneur« Walerij Bolotow am 12. Mai 2014 die Unabhängigkeit der »LNR«. Bei einem Referendum am 11. Mai 2014 hatten angeblich 96,2 Prozent der Wahlbeteiligten für »Eigenständigkeit« gestimmt. Am 24. Mai 2014 erklärten die »DNR« und »LNR«, eine Konföderation der »Volksrepubliken« unter dem Namen Neu-Russland zu bilden. Die Führung der »LNR« erklärte zudem am 12. Juni 2014, dass es mit Russland einen »Unionsstaat« bilden wolle. Der »Volkssowjet« der »LNR« nahm im Mai 2014 eine Verfassung an, und 2014 und erneut 2018 wurden allgemeine Wahlen – entgegen den Minsker Vereinbarungen – abgehalten. Die ersten Jahre zeichneten sich durch häufige Führungswechsel, Streit um Führungspositionen und die Minsker Vereinbarungen aus.

Nagornyj Karabach (armenische Bezeichnung: Arzach)

Ab 1988 eskalierte der armenisch-aserbaidschanische Konflikt, einschließlich Pogromen, Flucht und wechselseitiger Massenvertreibung. Im September 1991 erklärte Bergkarabach seine Unabhängigkeit. Seit 1994 werden Bergkarabach und sieben angrenzende Gebiete Aserbaidschans von Armeniern kontrolliert. In den Jahren 2014, 2016, sowie im Juli 2020 und ab September 2020 wurde der Waffenstillstand wiederholt massiv verletzt.

Nagornyj Karabach hat einen gewählten Präsidenten, ein Parlament, eine Verfassung und eine eigene Armee. Zwölf Parteien sind registriert, von denen meist fünf bis sechs im Parlament vertreten sind. »Diplomatische« Beziehungen unterhält es mit Abchasien, Transnistrien und Südossetien, während selbst Armenien es nicht anerkennt. Nagornyj Karabach hat ein eigenes Bankwesen und eine eigene Währung, gebräuchlich ist allerdings die armenische Währung Dram. Die Wirtschaft hat sich nach dem Krieg relativ schnell erholt, investiert wird in Telekommunikation, Goldminen, Juwelierwaren, Diamantenschliff und die Landwirtschaft. Externe Hilfe erhält Nagornyj Karabach neben Armenien vor allem von der Diaspora.

Die OSZE vermittelt seit 1992 zwischen den Konfliktparteien unter der Leitung von drei Ko-Vorsitzenden aus den USA, Russland und Frankreich. Grundlage sind die strittigen »Madrider Prinzipien« (https://www.aniarc.am/2016/04/11/madrid-principles-full-text/): Rückführung der sieben aserbaidschanischen Provinzen; ein Interim-Status für Bergkarabach; ein Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach; die künftige Regelung des Status; das Recht auf Rückkehr sowie Sicherheitsgarantien durch internationale Peacekeeper. Das Recht auf Rückkehr und der Rückzug der armenischen Truppen werden von den Armeniern abgelehnt, während Aserbaidschan keinen unabhängigen Status zugestehen will.

Resümee

Sofern weder eine Rückkehr zum »Mutterstaat« noch volle staatliche Unabhängigkeit erlangt werden kann, stabilisieren sich De-facto-Regime. Russland hat bisher kein De-facto-Regime integriert, selbst wenn Transnistrien, Abchasien, Südossetien und die Donbas-»Volksrepubliken« darauf hofften. Die annektierte Krim existierte nie als De-facto-Regime. De-facto-Regime sind zu einer Ressource des Machterhalts sowohl im »Mutterstaat« als auch im »Patronstaat« geworden. Sie dienen als Kristallisationspunkt für nationalistische Mobilisierung und liefern vortrefflich eine Ablenkung von eigener schlechter Regierungsführung. Eine Rückkehr zum Status quo ante vor der Separation ist in allen Fällen diplomatische Fiktion.

Eine Anerkennung staatlicher Unabhängigkeit würde für das »Mutterland« bedeuten, die Niederlage einzugestehen, und für den Patronstaat, seinen Einfluss zu verlieren. Der Versuch eines Rückeroberungskrieges um Nagornyj Karabach belegt indes, dass der Status quo von De-facto-Regimen mitnichten eingefroren ist, wenn nämlich ein Patron (konkret: Armenien) in Relation zum »Mutterstaat« (Aserbaidschan) militärisch geschwächt ist und dieser einen neuen Patron (Türkei) findet.

Jenseits der Bewahrung des Status quo wird von der internationalen Gemeinschaft kaum in Konfliktregelung investiert. Die OSZE, die EU oder die Vereinten Nationen beobachten, ob Waffenstillstände verletzt werden, freilich ohne Folgen für deren Missachtung. Diplomatische Bemühungen kreisen um den Status, den Abzug von Truppen und die Rückkehr von Flüchtlingen, wobei keine Seite zu Kompromissen bereit ist, die von der eigenen Wählerklientel als Verrat angesehen werden könnten. In der Hoffnung, den Konflikt »einfrieren« zu können, arrangieren sich »Mutterstaat«, Patronstaat und internationale Gemeinschaft mit dem Status quo. Ein Modus vivendi mit humanitären Erleichterungen scheint dann die einzig realistische Option.

Lesetipps / Bibliographie

  • Babayev, Azer; Bruno Schoch; Hans-Joachim Spanger (eds.): The Nagorno-Karabakh Deadlock, Frankfurt/Main 2020.
  • Fischer, Sabine (ed.): Not Frozen! The Unresolved Conflicts over Transnistria, Abkhazia, South Ossetia and Nagorno-Karabakh in Light of the Crisis over Ukraine. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 2016.
  • Caspersen, Nina: Unrecognized States, Cambridge 2011.De Waal, Thomas: Black Garden. Armenia and Azerbaijan through Peace and War, New York 2003.
  • Rogstad, Adrian: The Next Crimea? Getting Russia’s Transnistria Policy Right, in: Problems of Post-Communism 65, no. 1, 2018, S. 49–64.

Zum Weiterlesen


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