Herausforderungen der Agrarpolitik in Russland

Der Agrar- und Nahrungsmittelsektor der Russischen Föderation hat ein sehr dynamisches Wachstum verzeichnet: Russland hat sich in weniger als 20 Jahren von einem Weizenimporteur zum größten Weizenexporteur der Welt entwickelt, und befindet sich heute am Wendepunkt von einem großen Fleischimporteur zum Nettoexporteur von Schweine- und Geflügelfleisch. Viele Faktoren haben zu diesen Entwicklungen beigetragen: So verfügt Russland mit mehr als 200 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche – in Deutschland sind es 17 Millionen Hektar –, die großflächig mit dem fruchtbaren Tschernosem-Boden bedeckt ist, über hervorragende natürliche Bedingungen. Das entspricht über 40 % der weltweiten Schwarzerde-Ressourcen.

Führende Politiker Russlands haben dem Agrar- und Ernährungssektor große Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl dessen Anteil am russischen BIP und den Erwerbstätigen mit 3,4 % bzw. 5,8 % (2019) stark begrenzt ist. Dies hat dazu geführt, dass anspruchsvolle langfristige Ziele für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln festgesetzt wurden, deren Erreichung mit finanzkräftigen Programmen forciert wurde. Inzwischen sind die Selbstversorgungsziele für viele Nahrungsmittel erreicht und die Nahrungsmittelimporte dementsprechend zurückgegangen. Jedoch ist das zusätzliche, bisher ungenutzte landwirtschaftliche Produktions- und Exportpotential noch immer groß. Und so haben sich die agrarpolitischen Ziele in Richtung des Agrarexports verschoben: Erstmals im Rahmen eines Präsidialerlasses von Präsident Wladimir Putin im Jahr 2018 angekündigt und von Premierminister Michail Mischustin 2020 erneut bekräftigt, strebt die russische Regierung eine Steigerung der russischen Agrarexporte von 25 Milliarden US-Dollar (2018) auf 45 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 an. Und schließlich haben neben dem guten geografischen Zugang zum Weltmarkt über die Häfen am Schwarzen Meer auch die Wechselkursentwicklungen Russlands Wettbewerbsvorteile auf den globalen Agrarmärkten gestärkt.

In diesem Kontext gibt die erste Analyse »Der aktuelle Zustand der russischen Landwirtschaft: Produktion, Betriebsstruktur, Handel, Politik und neue Herausforderungen« von Natalia Karlova, Olga Shik, Eugenia Serova und Renata Yanbykh einen Überblick über die wichtigsten Veränderungen im Agrarsektor der Russischen Föderation, die seit der Zeit der Sowjetunion beobachtet wurden. Hierbei stehen die Veränderungen der Agrarstruktur, im Handel und der Agrarpolitik im Mittelpunkt. Angesichts des starken Produktionswachstums und der Exportexpansion, die in den letzten Jahren zu beobachten waren, erörtert die Analyse die Herausforderungen und Lösungsansätze, um diese erfolgreichen Entwicklungen in einem nachhaltigen landwirtschaftlichen Wachstum zu verstetigen.

Die zweite Analyse »Förderung der Landwirtschaft in Russland aus politökonomischer Sicht« von Vasyl Kvartiuk und Thomas Herzfeld widmet sich der Frage, wie sich die starken regionalen Unterschiede in Höhe und Art der Agrarsubventionen erklären lassen. Agrarsubventionen in Russland sind mit 0,7 % des BIP substantiell höher als in der EU, die einen Wert von 0,4 % erreicht. In ihrer Analyse der regionalen Kofinanzierung der Subventionen der Zentralregierung zeigt sich, dass die regionale Kofinanzierung umso höher ist, je mehr Mitglieder des Regionalparlaments sich nebenberuflich im Agribusiness engagieren. Daneben weisen ihre Ergebnisse darauf hin, dass die Agrarsubventionen in Regionen mit einem verstärkten Parteienwettbewerb höher sind. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass Agrarsubventionen einen starken Einfluss auf das Wählerverhalten der armen ländlichen Bevölkerung haben.

Die Redaktion der Russland-Analysen in Zusammenarbeit mit dem IAMO


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