Die Übersterblichkeit macht den wahren Opferzoll deutlich, den Corona in Russland fordert

Von Dmitry Kobak (Berens Lab, Universität Tübingen)

Zusammenfassung
Die Daten für 2020 zur Übersterblichkeit in Russland ergeben im Vergleich mit den offiziellen, täglich aktualisierten Zahlen ein viel düsteres Bild der Todeszahlen im Zusammenhang mit Covid-19. In Russland ist die Übersterblichkeit um den Faktor 6,5 höher als die offiziell gemeldeten und täglich aktualisierten Covid-19-Todesfallzahlen (Stand: 01. Januar 2021 ohne den Monat Dezember). Dieser Faktor ist der höchste unter allen Ländern, zu denen wir über Daten verfügen. Das bedeutet, dass die in Russland täglich gemeldeten Zahlen der Corona-Toten im Vergleich zu den unzuverlässigsten Indikatoren für die wahre epidemiologische Situation gehören.

Der Schein trügt

Laut den Dashboards, auf denen tagtäglich die Gesamtzahl der Corona-Fälle und -Toten in den verschiedenen Ländern aktualisiert wird, schien Russland sehr viel weniger schlimm betroffen zu sein als viele seiner europäischen Nachbarn und andere große Staaten. Als dieser Beitrag verfasst wurde (01. Januar 2021), hatte Russland 57.600 Todesfälle vermeldet (sämtliche Zahlen in diesem Beitrag sind gerundet), was 0,04 Prozent der Bevölkerung entspricht und einen sehr viel kleineren Anteil ausmacht als in vielen schwer getroffenen Ländern wie etwa Peru (0,12 Prozent), Spanien (0,11 Prozent), dem Vereinigten Königreich (0,11 Prozent) oder den USA (0,11 Prozent). Im Falle Russlands trügt allerdings der Schein.

Neben den täglich aktualisierten Zahlen der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus, die in allen internationalen Datenüberblicken enthalten sind, veröffentlicht Russland monatliche Berichte zur Bevölkerungsentwicklung, die auch die Sterbefälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion umfassen. Diese Monatsberichte erscheinen mit einer Verzögerung von einigen Wochen, so dass die letzte verfügbare Ausgabe nur den November 2020 abdeckte. Wenn wir die Berichte von April bis November 2020 zusammenfassen, ergeben sich 58.900 Todesfälle durch eine bestätigte Corona-Infektion und 12.000 Todesfälle durch eine vermutete Infektion, 11.300 Todesfälle unter Einfluss einer Corona-Infektion und 33.800 Personen mit einer Corona-Infektion, die aus damit nicht zusammenhängenden Gründen starben. Aufgrund dieser Zahlen ergeben sich 116.000 Todesfälle, die gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO als im Zusammenhang mit Covid-19 eingestuft werden müssten. Die WHO empfiehlt, alle Todesfälle »mit einer vermuteten oder bestätigten« Corona-Infektion zu zählen, »solange nicht eindeutig eine andere Todesursache vorliegt, die nicht auf eine Corona-Infektion zurückgeführt werden kann (z. B. eine Verletzung)«, (https://www.who.int/classifications/icd/Guidelines_Cause_of_Death_COVID-19.pdf). Gleichwohl betrug Ende Dezember die Zahl der von Russland gemeldeten Corona-Toten auf den Internationalen Datentafeln lediglich 40.500. Das bedeutet, dass die Zahl der Corona-Toten nach WHO-Definition in Wirklichkeit fast drei Mal so hoch war.

Russland ist selbstverständlich nicht das einzige Land, das mehrere unterschiedliche Zählweisen für Todesfälle im Zusammenhang mit Corona hat (https://www.significancemagazine.com/science/668-the-many-definitions-of-a-covid-19-death-toll). So hat das Vereinigte Königreich zum Zeitpunkt, als dieser Beitrag verfasst wurde, über die täglich aktualisierten Zahlen 74.100 Todesfälle gemeldet, während es 82.600 Tote Todesfälle »mit Covid-19 auf dem Totenschein« gab (https://coronavirus.data.gov.uk/details/deaths). Allerdings ist der Unterschied zwischen diesen Zahlen viel geringer als jener, den wir in Russland sehen.

Schlimmer noch: Die 116.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona könnten zur Abschätzung der Sterblichkeit durch diese Krankheit nicht besonders zuverlässig sein. Es ist wohl offensichtlich, dass die Zahl der bestätigten Infektionen sinnvollerweise nicht zwischen den Ländern verglichen werden kann, und auch nicht einmal über die Zeit hinweg, da sie stark von den verfügbaren Testkapazitäten und der jeweiligen und aktuellen Testpolitik abhängt. Das Gleiche gilt für die Sterbezahlen, wenn auch in geringerem Maße: Einige Todesfälle könnten aufgrund fehlender Tests oder auch aus anderen Gründen ohne Diagnose und Meldung geblieben sein. In der Wissenschaft bildet sich der Konsens heraus, dass die Todeszahlen in den verschiedenen Ländern am objektivsten mit Hilfe der Übersterblichkeit verglichen werden können.

Ein schlimmes Ergebnis

Übersterblichkeit bezeichnet hier – unabhängig von der Todesursache – die Zahl der Todesfälle, die den Durchschnitt der Sterbefälle vor der Pandemie übersteigt. In Russland werden in den erwähnten Monatsberichten, in denen die verschiedenen Arten der Sterbefälle im Zusammenhang mit Covid-19 registriert sind, auch die Sterbefälle mit sämtlichen Todesursachen gemeldet.

Bei der Aufarbeitung der Übersterblichkeit in Russland für die Monate April bis November 2020 (siehe hierzu näher den Kasten »Erläuterung zur Berechnung von Übersterblichkeit«) ergeben sich traurige 264.100 zusätzliche Todesfälle (Zuverlässigkeitsintervall 95 Prozent: [232.000, 296.200]), siehe Grafik 1 auf Seite 6. Die jährliche Zahl von Sterbefällen ist in Russland im vergangenen Jahrzehnt monoton zurückgegangen. Wir haben das durch eine lineare Projektion der Zahlen von 2015 bis 2019 in das Jahr 2020 hinein berücksichtigt und als Grundlage für unsere Berechnung der Übersterblichkeit genommen. Die prognostische Unsicherheit ergibt den Standardfehler. Auf anderem Wege ergibt die einfache Subtraktion der Todeszahlen von 2019 von denen des Jahres 2020 eine Übersterblichkeit von 242.600; eine Subtraktion des Durchschnittswertes für 2017–2019 ergibt 230.800 zusätzliche Sterbefälle im Jahr 2020. Wir verwenden hier 264.100 als zuverlässigste Punktschätzung der Übersterblichkeit, was bedeutet, dass diese unserer Schätzung nach sechseinhalb Mal so hoch wäre wie die 40.500 Todesfälle durch Covid-19, die im gleichen Zeitraum auf den internationalen Dashboards gemeldet wurden. Die geschätzte Übersterblichkeit für die Monate April bis November entspricht 0,18 Prozent der Bevölkerung Russlands.

Kann die Übersterblichkeit verwendet werden, um die wahre Sterblichkeit durch das Coronavirus abzuschätzen? Einige meinen Nein und argumentieren, dass die Lockdown-Maßnahmen, die Ende März in den meisten Regionen Russlands verhängt wurden, die Ausgangssterblichkeit verringert haben könnte, weil Todesursachen wie Gewalt oder Unfälle in geringerem Maße zum Tragen kommen; also könnte die tatsächliche Sterblichkeit durch Covid-19 höher als die Übersterblichkeit sein. Oder es ist so, dass die Ausgangssterblichkeit höher liegt, weil die Menschen durch den Lockdown an Bewegungsmangel leiden, weil sich wirtschaftliche Schwierigkeiten auswirken und weil mehr Menschen mit chronischen Krankheiten wegen aufgeschobener Routinebehandlungen starben. Demnach könnte die tatsächliche Corona-Sterblichkeit geringer als die Übersterblichkeit sein. Beide Szenarien erscheinen einleuchtend. Allerdings legen Vergleiche der Sterbezahlen in den Regionen Russlands eindringlich nahe, dass keiner dieser mit dem Lockdown verbundenen Faktoren eine Auswirkung auf die Übersterblichkeit hatte.

Alle Sterbezahlen, einschließlich der monatlich veröffentlichten, sind auch für jede der 85 (wenn man die international nicht anerkannten Regionen Krim und Sewastopol hinzurechnet) Regionen Russlands erhältlich. Mit Stand vom November 2020 hat es in jeder der Regionen eine Übersterblichkeit gegeben. Die monatlichen Daten lassen deutlich die Wellen der Epidemie erkennen, wie sie durch das Land zogen. Die Epidemie nahm in Moskau, St. Petersburg und dem Nordkaukasus (Dagestan und Tschetschenien) ihren Ausgang, wo im Mai 2020 die Gesamtsterblichkeit gegenüber dem geschätzten Wert aus dem Trend der Vorjahre um über 25 Prozent zunahm. Eine Reihe benachbarter Regionen, beispielsweise die Oblaste Twer, Kursk und Wladimir, verzeichneten dann im Juni 2020 einen ähnlichen Anstieg der Sterblichkeit. Darauf folgten im Juli 2020 Regionen im Ural (die Oblast Swerdlowsk, die Oblast Tscheljabinsk und die Republik Baschkortostan). Erst im Oktober 2020 erlebten Regionen in Sibirien (etwa die Oblaste Nowosibirsk und Kemerowo sowie die Region Altai) erstmals einen Anstieg der Sterblichkeit von über 25 Prozent. Im November 2020 folgten Regionen des Fernen Ostens (die Regionen Chabarowsk und Primorje).

Wie erwähnt sind Ende März 2020 in den meisten Regionen Russlands gleichzeitig Lockdown-Maßnahmen erlassen worden (https://meduza.io/feature/2020/03/30/v-kakih-regionah-rossii-vveden-rezhim-samoizolyatsii-spisok), die im April und Mai in Kraft waren. Das bedeutet, dass viele Regionen lange bevor die Epidemie sie erreichte, strenge Lockdown-Maßnahmen eingeführt hatten, die dann wieder aufgehoben wurden. In diesen Regionen gab es während des Lockdowns meist keine Auswirkungen auf die Gesamtsterblichkeit, die weder anstieg noch zurückging und wo die Übersterblichkeit sich um Null bewegte. In Baschkortostan beispielsweise lag die Übersterblichkeit über die erste Jahreshälfte, auch in den Lockdown-Monaten April und Mai, nahe null, bis sie im Juli plötzlich drastisch anstieg. Das deutet darauf hin, dass die Lockdown-Maßnahmen an sich – ohne den Ausbruch der Corona-Epidemie – keinen merklichen Einfluss auf die Sterblichkeit in Russland hatten.

Zur Feststellung, inwieweit es während der Epidemie nicht mit Covid-19 zusammenhängende Ursachen für eine Übersterblichkeit gibt, betrachten wir nun Moskau und St. Petersburg, zwei Regionen, in denen die gemeldeten Zahlen der Coronatoten am zuverlässigsten sein könnten. In beiden Fällen liegt die Übersterblichkeit in der Nähe der monatlich gemeldeten Gesamtsterblichkeit im Zusammenhang mit Covid-19 (siehe Grafik 2 auf Seite 7 und Tabelle 1 auf S. 8).

Das bedeutet, dass die Übersterblichkeit nahezu gänzlich durch Sterbefälle im Zusammenhang mit Covid-19 erklärt werden kann. Die Sterblichkeit durch andere, nicht mit Covid-19 zusammenhängende Todesursachen – etwa aufgrund fehlenden medizinischen Personals – könnte ebenfalls zugenommen haben. Allerdings zeigen die Daten aus den beiden Regionen, dass dies im Vergleich zu Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 nur einen geringeren Einfluss auf die Sterblichkeit hatte.

Wenn dies in Moskau und St. Petersburg der Fall ist, müsste es auch für andere Regionen gelten. Das lässt sich aber anhand der Daten nicht erkennen (siehe Grafik 2 auf S. 7 und Tabelle 1 auf S. 8). In den meisten anderen Regionen liegt die Übersterblichkeit erheblich über der Zahl der gemeldeten Coronatoten, sowohl bei den täglich aktualisierten Zahlen wie auch später in den monatlichen Berichten zu den Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19. Das Verhältnis zwischen Übersterblichkeit und den täglich gemeldeten Corona-Toten variiert stark über die verschiedenen Regionen hinweg. Mäßige Verhältniswerte im einstelligen Bereich ließen sich möglicherweise durch mangelnde Testkapazitäten erklären. In vielen Regionen liegt die Übersterblichkeit bei über dem Zwanzigfachen der täglich gemeldeten Zahlen. In Tschetschenien ist es der Faktor 30, in Tatarstan 70 und in Baschkortostan über 110. Hier muss die Erklärung lauten, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist und es dürfte auf Vertuschung und/oder mangelhafte Meldungen hinweisen. In der Tat wird in den Medien von überfüllten Krankenhäusern, vollen Leichenhallen und einer bewussten Fehldiagnostizierung von Covid-19 als Lungenentzündung berichtet. Es ist wohl kein Zufall, dass Tschetschenien, Tatarstan und Baschkortostan auch zu jenen Regionen gehören, zu denen es statistische Beweise gibt, dass Wahlergebnisse gefälscht werden.

Russland im Vergleich

Russland ist hinsichtlich einer Übersterblichkeit, die höher ist als die Zahl der täglich gemeldeten Corona-Toten, kein Einzelfall. Während der Pandemie haben Teams verschiedener Medien, etwa der Financial Times, des Economist und der New York Times, die Übersterblichkeit in vielen Übersterblichkeit festzustellen. Verwendet man deren jüngste Schätzungen, um das Verhältnis von Übersterblichkeit zu den täglich gemeldeten Corona-Toten zu ermitteln, ergeben sich Faktoren im Bereich von 0,9 bis 3,2 (siehe Grafik 3 auf Seite 9). Zu beachten ist hier, dass das Verhältnis kleiner als 1:1 sein sollte: Die Übersterblichkeit sollte geringer sein als die Sterbezahlen im Zusammenhang mit Covid-19, da letztere – den Richtlinien der WHO zufolge – auch Personen umfasst, die mit, aber nicht aufgrund einer Corona-Infektion gestorben sind. Der Faktor 6,5, den wir für Russland ermittelt haben, ist der höchste unter allen Ländern, zu denen wir über Daten verfügen. Das bedeutet, dass die in Russland täglich gemeldeten Zahlen der Corona-Toten im Vergleich zu den unzuverlässigsten Indikatoren für die wahre epidemiologische Situation gehören.

Übersterblichkeit ist ein Indikator, der mit Verzögerung in Erscheinung tritt, und zwar in verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Verzögerung. Wir können allerdings aus jedem Land den neuesten Bericht nehmen und die Zahlen mit dem jeweiligen Faktor multiplizieren, um wenigstens einigermaßen annähernd den Todeszoll abzuschätzen, den Covid-19 aktuell fordert (siehe Grafik 3 auf S. 9). Für Russland ergeben sich rund 380.000 Todesfälle (Stand: 01. Januar 2021), was 0,26 Prozent der Bevölkerung entspricht. Das ist weltweit die zweithöchste absolute Zahl der Todesfälle (übertroffen nur von den USA mit über 400.000 Toten) und relativ zur Bevölkerung einer der höchsten Werte, in einer Reihe mit Ländern wie Mexiko, Ecuador, Bolivien und Peru (mit Werten zwischen 0,25 und 0,28 Prozent) und weit vor allen Ländern Europas und Nordamerikas. Hier ist anzumerken, dass die lateinamerikanischen Länder eine sehr viel jüngere Bevölkerung haben als jene in Europa, Nordamerika und Russland, so dass eine gleiche relative Sterblichkeit in Peru und Russland auf eine erheblich höhere Prävalenz in Peru hinweisen könnte (https://github.com/mbevand/covid19-age-stratified-ifr). Dessen ungeachtet haben Offizielle in Russland stolz von einer »geringen« Covid-19-Sterblichkeit und einer anscheinend geringen Fallsterblichkeit gesprochen. Im Juni 2020 verkündete der Pressesprecher des russischen Präsidenten, dass die »niedrigen« Todeszahlen in Russland wohl auf die im Vergleich mit anderen Ländern bessere Gesundheitsversorgung zurückzuführen seien: »Haben Sie jemals an die Möglichkeit gedacht, dass das russische Gesundheitssystem effektiver sein könnte?«, fragte er gegenüber CNN. Diese rhetorische Frage könnte angesichts unserer Analyse kaum irreführender sein.

P.S.

Am 28. Dezember 2020, als dieser Beitrag noch in Arbeit war, räumten Offizielle in Russland plötzlich ohne jede weitere Erklärung ein, dass ein Großteil der in Russland von Januar bis November 2020 verzeichneten Übersterblichkeit (die nach ihren Angaben 229.700 betragen soll) auf Covid-19 »zurückzuführen« sei (https://www.theguardian.com/world/2020/dec/28/russia-admits-to-world-third-worst-covid-19-death-toll-underreported). Die offiziellen Daten blieben jedoch unverändert. Die Daten und der Code sind unter https://github.com/dkobak/excess-mortality verfügbar, zusammen mit Links zu den Datenquellen, zusätzlichen Grafiken und Animationen sowie regelmäßig aktualisierten Daten. Der Autor dankt Maksim Pschenitschnikow für die wertvolle Erörterung des Themas sowie Sergej Schpilkin, dass er die Daten für die Zeitreihenanalyse der täglich gemeldeten Todeszahlen zu Covid-19 zusammengestellt und zur Verfügung gestellt hat.

Anhang: Erläuterung zur Berechnung von Übersterblichkeit

Der Ausgangswert für die Ermittlung der Übersterblichkeit 2020 wurde durch folgende Schätzung berechnet. Auf der Grundlage der monatlichen Sterbezahlen von 2006 bis 2019 haben wir für jedes Jahr die durchschnittliche Sterbezahl ermittelt. Dieser Wert ist mit jedem Jahr monoton zurückgegangen, mit Ausnahme eines Spitzenwertes für das Jahr 2010, als es im Sommer eine Hitzewelle gegeben hatte (https://www.nature.com/news/russian-summer-tops-universal-heatwave-index-1.16250), und eines sprunghaften Anstiegs im Jahr 2015, nachdem die Krim in die offiziellen Statistiken in Russland aufgenommen wurde. Wir haben den linearen Trend an die Werte von 2015 bis 2019 angepasst und weiter hochgerechnet, um zusammen mit einer Standardabweichung für die Prognose (147.000 ± 2.000) einen Schätzwert für 2020 zu erhalten. Davon getrennt berechneten wir die monatlichen Abweichungen vom Durchschnitt und nahmen einen Mittelwert für den gesamten Zeitraum 2006–2019, um die saisonalen Schwankungen abschätzen zu können. Durch Ergänzung der durchschnittlichen monatlichen Sterbezahlen zur saisonalen Abweichung erhalten wir den Schätzwert für 2020. Diese Berechnung wurde sowohl für das gesamte Land wie auch jeweils für sämtliche Föderationssubjekte (Regionen) vorgenommen. Unser Verfahren ähnelt den Ansätzen der Financial Times, der New York Times und des Economist, die ebenfalls die linearen Trends der letzten Jahre berücksichtigen. Die festgestellte monatliche Sterblichkeit von Januar bis März 2020 (als Russland noch nicht von der Corona-Pandemie betroffen war) kommt den prognostizierten Schätzwerten sehr nahe, was unsere Methode für die Schätzung der Werte für 2020 zusätzlich stützt. Zu erwähnen ist, dass wir die Krim ungeachtet ihres umstrittenen Status mit in unsere Analyse aufgenommen haben, weil die offiziellen Statistiken in Russland auch die beiden Regionen auf der Halbinsel umfassen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Diese Analyse ist die Übersetzung des Artikels »Excess mortality reveals Covid’s true toll in Russia«, der am 03. Februar 2021 in Significance erschienen ist, eine Zeitschrift, die von der britischen Royal Statistical Society und der American Statistical Association herausgegeben wird. Die Übersetzung spiegelt den Stand des Textes vom 01. Januar 2021 wider. Für die Russland-Analysen hat Dmitry Kobak für die Grafiken 1 und 2 die Daten für Dezember 2020 ergänzt, so dass ein vollständiger Überblick über die Übersterblichkeit in Russland im Jahr 2020 vorliegt. Die Redaktion der Russland-Analysen bedankt sich bei Dmitry Kobak für die Aktualisierung und Bereitstellung der Rohdaten.

Die Redaktion der Russland-Analysen

Lesetipps / Bibliographie

  • Kontis, V.; J. E. Bennett, T. Rashid, T. et al.: Magnitude, demographics and dynamics of the effect of the first wave of the COVID-19 pandemic on all-cause mortality in 21 industrialized countries, in: Nature Medicine, 2020, Nr. 26, S. 1919–1928.
  • Beaney, T.; J. M. Clarke, V. Jain, A. K. Golestaneh, G. Lyons, D. Salman, A. Majeed: Excess mortality: the gold standard in measuring the impact of COVID-19 worldwide? in: Journal of the Royal Society of Medicine, 113.2020, Nr. 9, S. 329–334.
  • Leon, D. A.; V. M. Shkolnikov, L. Smeeth, P. Magnus, M. Pechholdová, C. I. Jarvis: COVID-19: A need for real-time monitoring of weekly excess deaths, in: The Lancet, 395.2020, Nr. 10234, E81.
  • Kobak, D.; S. Shpilkin, M. S. Pshenichnikov: Integer percentages as electoral falsification fingerprints, in: Annals of Applied Statistics, 10. 2016, Nr. 1, S. 54–73.
  • Kobak, D.; S. Shpilkin, M. Pshenichnikov: Statistical fingerprints of electoral fraud? In: Significance, 13. 2016, Nr. 4, S. 20–23.

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