Juri Gagarin

Von Matthias Schwartz (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin)

Juri Gagarin

Am Morgen des 12. April 1961 um 9.07 Uhr Moskauer Zeit startete der 27-jährige Jagdflieger und Oberleutnant der Luftwaffe Juri Gagarin (1934–1968) im Raumschiff Wostok als erster Mensch in den Weltraum. Nach 108 Minuten landete er wohlbehalten in der Nähe von Saratow. Nach diesem Triumph feierte Parteichef Nikita Chruschtschow ihn als »Kolumbus unserer Tage«.

Die Sowjetunion versprach sich von diesem »Beginn einer kosmischen Ära« nicht nur einen globalen Prestigegewinn im »Space Race« gegenüber dem nordamerikanischen Konkurrenten. Zum Höhepunkt des Kalten Krieges – im August desselben Jahres folgten der Bau der Berliner Mauer und ein Jahr später die Kubakrise – dienten Gagarin und der zweite Kosmonaut, German Titow, als Symbolfiguren, die die russischen Worte Mir (dt. Frieden) und Drushba (dt. Freundschaft) bis in den letzten Winkel der Welt verbreiteten.

Auch innenpolitisch verkörperte Gagarin wenige Jahre nach dem Ende der Stalinzeit mit seinem bald zur Ikone gewordenen Lächeln das Versprechen auf einen gesellschaftspolitischen Neuanfang, der mehr Freiheit und Wohlstand für alle verhieß.

Doch dieses utopische Zukunftsversprechen verblasste bald. Chruschtschow wurde 1964 gestürzt, verstärkte kulturpolitische Repressionen folgten, und die Amerikaner landeten 1969 auf dem Mond. Als Gagarin am 27. März 1968 im Alter von nur 34 Jahren bei einem Übungsflug mit einem Jagdflugzeug tödlich verunglückte, wurde aus dem utopischen Himmelssohn schon bald eine nostalgische Erinnerungsfigur.

Symbol für eine vergangene Aufbruchszeit

Unser Gagarin wurde zum Symbol für eine vergangene Aufbruchszeit, die unter Breshnew in Filmen, populären Liedern und auf Briefmarken stark verklärt wurde. In der Kinderliteratur oder im Schulunterricht diente der erste Kosmonaut als ein omnipräsentes Jugendidol, auf das sich jede und jeder einen eigenen Reim machen konnte.

Später nahm sein Bild vermehrt nationale und religiöse Züge an und machte ihn zu einer überzeitlichen, Russlands Größe und Schicksal symbolisierenden, Erlöserfigur.

Gagarin ist jedoch nicht nur ein Produkt der staatlichen Propaganda. Er war gleichzeitig auch eine Projektionsfigur für jede Art von eskapistischen Wunschträumen. Der Mensch, der aus seiner Wohnung in den Weltraum flog, wie eine bekannte Installation des Künstlers Ilja Kabakow heißt, stand auch in der dissidenten Subkultur für den Ausbruch aus der dogmatischen Enge des irdischen Alltags.

Globale Popikone

Selbst das Science-Fiction-Genre in der Sowjetunion profitierte noch von seinem Image und konnte auf fremden Planeten und in fernen Jahrhunderten all jene gesellschaftlichen Wunschträume und totalitären Angstphantasien literarische Wirklichkeit werden lassen, die in der »realistischen« Prosa jener Jahre undenkbar waren.

So ist aus Gagarin heute eine beliebig adaptierbare globale Popikone geworden, deren utopisch-exotischer Charme als nationaler Kulturheros gegen die Verwerfungen globaler Marktwirtschaft, als Patron von Partyveranstaltungen im Kampf gegen die Klimaerwärmung genauso wie als tragischer Papiersoldat des kommunistischen Gesellschaftsprojekts (siehe den gleichnamigen Film von Aleksej German jun.) in Stellung gebracht werden kann.

Stand: 12.04.2016

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