Die OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine: Wunsch und Wirklichkeit

Von Yana Lysenko (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Einleitung

Der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine wird im politischen Diskurs Westeuropas eine entscheidende Funktion bei der Entschärfung des Konflikts in der Ostukraine zugesprochen. Doch wie wirksam die Mission (in der Folge SMM für Special Monitoring Mission genannt) tatsächlich ist, ist vor allem unter den beteiligten Konfliktparteien (de facto bestehend aus der Ukraine, Russland und den selbstproklamierten »Volksrepubliken«) umstritten. Da die Grundlagen und der Handlungsspielraum, der sich aus dem Mandat ergibt, kaum diskutiert werden, sollen diese im Folgenden skizziert werden. Nur so scheint eine realistische Einschätzung der Wirkungsmöglichkeiten der Mission möglich zu sein.

Die Arbeit der Mission und ihre Effizienz werden von den betroffenen Konfliktparteien unterschiedlich bewertet. Die ukrainische Seite stellt sich dabei vollständig hinter die Arbeit der SMM und gibt allein Russland und den Separatisten die Schuld daran, dass diese nicht die erhoffte Wirkung zeigt. Dem gegenüber wird die SMM von den selbsternannten »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk (»DNR« und »LNR«) als eine »blinde Mission« (https://dan-news.info/en/photos/donetsk-protests-against-smm-inaction-osce-your-blindness-is-someones-death/) bezeichnet, die unzählige Verletzungen der Minsker Abkommen durch die Ukraine vorsätzlich nicht bemerken will. Russland definiert sich selbst offiziell als nicht am Konflikt beteiligter Akteur. In der russischen Presse wird die SMM als »untätige und ohnmächtige« Mission charakterisiert, die sich nicht bemüht, die Spannungen im Donbas abzubauen, und stets unkritische Einschätzungen der Lage zugunsten der Ukraine abgibt.

Die Entsendung der SMM wurde ursprünglich als Reaktion auf Russlands verdeckte Invasion der Krim Anfang März 2014 durch die Ukraine angestoßen. Das Mandat wurde erst am 21. März 2014 für eine Sonderbeobachtermission der OSZE auf dem gesamten Gebiet der Ukraine (nach ukrainischer Lesart inklusive der Krim) erteilt. Russland lehnte aufgrund der inzwischen durch das Referendum vom 16. März 2014 und das folgende Beitrittsgesuch der Krim zur Russischen Föderation geschaffenen Tatsachen einen Zugang zu diesem Bereich ab, so dass das Mandat lediglich auf den Rest der Ukraine beschränkt blieb. Das Mandat bezieht sich also nicht explizit auf den Konflikt in der Ostukraine, der erst im April 2014 eskalierte. Der SMM-Einsatz in den nicht-regierungskontrollierten Gebieten der Ukraine wurde erst in den Minsker Abkommen (Minsk 1 am 5.9.2014, Minsk 2 am 12.2.2015) explizit festgeschrieben.

Rahmen des Mandates

Zu Beginn des Mandats zählte die OSZE-Mission 100 Beobachter, schon im Dezember 2014 war sie auf insgesamt 511 Mitarbeiter (davon 341 Beobachter) angewachsen. Aktuell ist die SMM mit 1.301 Mitarbeitern (davon 689 Beobachtern) die größte Mission in der Geschichte der OSZE. Die Beobachter der SMM sind laut Mandat grundsätzlich befugt, die folgenden Tätigkeiten auszuüben: Informationen über die Sicherheitslage zu sammeln und darüber zu berichten, die Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu unterstützen, Kontakt mit den örtlichen Behörden und einen Dialog mit der lokalen Zivilbevölkerung aufzunehmen, um »Spannungen abzubauen und eine Normalisierung der Lage zu fördern« (https://www.osce.org/files/f/documents/d/6/116747.pdf). Sie sind außerdem berechtigt, »über etwaige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Beobachtungsmission oder andere Behinderungen bei der Erfüllung ihres Mandats zu berichten« (https://www.osce.org/files/f/documents/d/6/116747.pdf).

Kennzeichnend für das Mandat ist, dass es weder konkrete Konfliktparteien, die zur Verantwortung gezogen werden könnten, noch das Wort »Konflikt« selbst beinhaltet. Die Separatisten und Russland kommen als Akteure nicht vor.

Die SMM ist als reine Beobachtermission geschaffen worden. Dies entspricht den Statuten aller OSZE-Missionen, die anders als etwa UN- oder EU-Missionen, grundsätzlich ohne exekutives Mandat, etwa zur Beweissicherung, geschaffen werden. Die Mission kann in der Konsequenz also nur ein Bild der beobachteten Verstöße gegen die Minsker Abkommen und gegen die Menschenrechte erfassen. Die Beobachter sind zu jeder Zeit auf die Kooperationsbereitschaft der Autoritäten vor Ort angewiesen und haben keine Möglichkeiten, den Zugang zu gewünschten Gebieten zu erzwingen, obwohl ihr dieser laut Mandat für die gesamte Ukraine (also auch für die nicht-regierungskontrollierten Gebiete) gewährt werden muss.

Schwachstellen der Mission

Aus den täglichen SMM-Berichten geht seit Beginn der Beobachtungen im Osten der Ukraine hervor, dass vor allem die Separatisten den OSZE-Beobachtern den Zugang zu bestimmten Gebieten verwehren (im Jahr 2021 waren sie für 91 Prozent der Zugangsbehinderungen (https://www.osce.org/files/f/documents/2/a/511327.pdf) verantwortlich). Als Vorwände wurden »Fürsorgemaßnahmen« gegenüber potenziellen Gefahren oder auch Anti-Corona-Maßnahmen genutzt.

Die SMM-Tagesberichte enthielten bis zum 29.10.2015 eine Richtungsangabe zur Schussrichtung schwerer Waffen (Outgoing/Incoming), was eine mutmaßliche Zuschreibung des Urhebers zuließ. Seit dem 30.10.2015 wird nur noch vermerkt, wann und wo ein Beschuss oder eine Explosion beobachtet wurde. Die verklausulierte Berichtssprache der OSZE erschwert für Nicht-Insider ein klares Verständnis ihrer Berichte erheblich. Obgleich also faktisch jeder beobachtete Bruch der Minsker Abkommen sowie weiteres Fehlverhalten benannt werden, ist dies dem unbedarften Leser praktisch nicht ersichtlich. Das ermöglicht Manipulationen bei der Auslegung von Informationen aus den OSZE-Berichten zur Untermauerung eigener Positionen.

Eine große Schwäche des Mandates ist die fehlende Benennung der heutigen Konfliktparteien im offiziellen Mandatstext, die dazu führt, dass weder die Separatisten noch russische Beteiligte direkt beim Namen genannt werden. Die Kommunikationspraxis der ukrainischen Regierung, eine Benennung der »Volksrepubliken« als Konfliktpartei auszuschließen, um ihnen die Legitimation zu entziehen, wirkt im Falle dieses OSZE-Mandates eher kontraproduktiv. So kann keine der Seiten im Konflikt zur Rechenschaft gezogen werden, da diese Konfliktparteien im Mandat wie auch in den Minsker Abkommen überhaupt nicht klar benannt werden (ausführlicher dazu die Analyse von Heiko Pleines in den Ukraine-Analysen 261 (https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/261/die-umsetzung-der-minsker-vereinbarungen-was-ist-moeglich/).

Somit ist das SMM-Mandat ein Kompromissergebnis – geschaffen für eine Konfliktlage, die den Kriegsausbruch in der Ostukraine zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal berücksichtigen konnte. Die SMM wirkt wie ein für die konkrete Aufgabe wenig taugliches Werkzeug, das dennoch weitergenutzt wird, da es besser ist als gar keines. Ein Kernproblem dabei liegt in der Struktur der OSZE, die für jede Entscheidung die Zustimmung aller ihrer 57 Teilnehmerstaaten benötigt. Aus der Sicht Russlands stellte die Zustimmung zur SMM im März 2014 ein großes Entgegenkommen dar. Nach dem Rückzug Russlands aus dem einzigen gemeinsamen Krisenkontrollgremium, dem militärischen Joint Centre for Control and Coordination (JCCC) (https://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-conflict-jccc-idUSKBN1EE1X2), im Dezember 2017 und in Anbetracht der aktuellen Konfliktlage zwischen der Ukraine und Russland wäre selbst das aktuelle OSZE-Mandat heute nicht mehr neu erreichbar.

Resümee

Ein auf den konkreten Konflikt zugeschnittenes OSZE-Mandat mit klarer Adressierung von Zielen und Beteiligten (wie z. B. das Mandat für die Mission in Moldau (https://www.osce.org/files/f/documents/6/0/41137.pdf)) könnte spürbare Erfolge erzielen, wobei hier wieder als Vorbedingung eine Zustimmung aller OSZE-Staaten gilt. Problematisch bleibt im Falle der Ostukraine, dass es sich hier de facto nicht um einen innerstaatlichen Konflikt handelt. Bei einem rein innerstaatlichen Konflikt zwischen der Ukraine und den Separatisten, die sich aber auch unabhängig von Russland positionieren würden, gäbe es zwar keine Garantie für den Erfolg einer OSZE-Mission, aber zumindest eine Zustimmung für ein Mandat wäre denkbar.

Im konkreten Falle müsste dieses Mandat robuster ausfallen. Aus dem Helsinki-Dokument der KSZE von 1992 (https://www.osce.org/files/f/documents/7/c/39530.pdf) folgt, dass eine Mission bei ihren Friedenssicherungsaktivitäten neben zivilen Mitarbeitern auch auf den Einsatz von militärischem Personal und die Entsendung von Streitkräften zurückgreifen könnte. Eine OSZE-Mission könnte mit der Überwachung und Aufrechterhaltung von Waffenstillständen, mit dem Monitoring des Truppenabzugs und mit der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung betraut werden, was auch die Ausübung von Polizeiaufgaben impliziert. Zumindest diese im Rahmen einer OSZE-Mission noch nie umgesetzten Möglichkeiten wären auch im Ostukraine-Konflikt notwendig, um eine effektive Einhaltung des Waffenstillstandes und eine tatsächliche Friedenssicherung zu gewährleisten und so wirkungsvoll zu agieren, wie es etwa robuste UN-Blauhelm-Missionen können.

Die Effizienz einer OSZE-Mission hängt somit vor allem von ihrem konkreten Mandat und vom Kooperationswillen aller betroffenen Akteure ab. Die strukturelle Schwäche der OSZE liegt in der grundsätzlichen Annahme eines »fairen Spiels« aller Teilnehmer ohne reale Sanktionsmöglichkeiten gegen einen Regelbrecher. Die SMM zeigt beispielhaft, dass eine OSZE-Mission ihren tatsächlichen Aufgaben nicht gerecht werden kann, sobald ein OSZE-Staat diese aktiv hintertreibt. Die Hoffnung der westlichen Vermittler im aktuellen Konflikt, die OSZE als »Schlüssel zum Frieden« in der Ostukraine zu nutzen, ist daher mehr als zweifelhaft.

Stand: 16. Februar 2022

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