Russland verabschiedet sich schrittweise vom Bologna-Prozess. Noch im März 2022 hatte das Ministerium für Bildung und Wissenschaft Russlands erklärt, dass ein Ausstieg aus dem Bologna-System nicht zur Debatte stünde. Spätestens im Mai wendete sich allerdings das Blatt. Kurz nach einem Interview vom Sekretär des Sicherheitsrats Nikolaj Patruschew erklärte Bildungsminister Falkow, dass der Bologna-Prozess nun »der Vergangenheit« angehöre.
Die Russland-Analysen dokumentieren einschlägige Aussagen seit Kriegsbeginn und mögliche Pläne für die Zukunft des russischen Hochschulsystems.
11.06.2022
RBK bat die Rektor:innen und Vertreter:innen der Universitäten, die es in die Top 20 des RAEX-Rankings der hundert besten Universitäten in Russland (https://raex-rr.com/education/universities/rating_of_universities_of_russia) geschafft haben und in das Hochschulentwicklungsprogramm »Priorität 2030« https://minobrnauki.gov.ru/%D0%BF%D1%80%D0%B8%D0%BE%D1%80%D0%B8%D1%82%D0%B5%D1%82.pdf) aufgenommen wurden, über die nationalen Alternativen zum Bologna-System, die Risiken einer Isolation des russischen Hochschulwesens und die mögliche Dauer der begonnenen Umstrukturierung nachzudenken. Die Russland-Analysen dokumentieren die Aussagen der Hochschulleitungen ausschnittsweise.
Frage 1: Was könnte das Bologna-System an den Universitäten ersetzen?
Rektor der Higher School of Economics (HSE) Nikita Anisimow
Es ist fraglich, ob einfach ohne Russland beschlossen werden kann, dass wir nicht mehr Teil des gesamteuropäischen Hochschulraums sind. Ich denke nicht. Es gibt jetzt einen Prozess der »Scheidung« vom gesamteuropäischen Raum, das russische Bildungswesens positioniert sich als unabhängige Einheit auf dem Markt der Bildungsdienstleistungen. Wir stehen jetzt im Wettbewerb mit europäischen, amerikanischen, chinesischen und anderen Märkten. Aber alle Regulatorien dieses Systems bleiben bestehen, und wir diskutieren jetzt über Änderungen in der Gesetzgebung im Bereich der Bildung, die zuvor aufgrund des Beitritts in den gesamteuropäischen Raum verabschiedet wurden. Derzeit sind 40 Millionen Menschen im Bildungswesen tätig. Diejenigen, die schon lange in diesem Bereich arbeiten, wissen, dass es nicht einfach ist, die Gesetze zu ändern.
Rektor der Staatlichen Universität St. Petersburg (SPbSU) Nikolaj Kropatschow auf der Sitzung der Rektorenvereinigung (https://vk.com/video-167915299_456240092)
Es kommt nicht auf die Dauer, sondern auf die Qualität an. […] Vielleicht ist es mancherorts notwendig, nicht vier, nicht fünf, nicht sieben, sondern elf Jahre zu unterrichten, wenn man die Studiengangs-Vertikale richtig aufbaut. Aber wir dürfen auch das Geld nicht vergessen. Fordern wir jetzt Geld für uns alle, und am Ende gewährleisten wir sowjetische Qualität? Oder brauchen wir einfach mehr Geld und eine längere Studienzeit? Natürlich sind es nicht nur und nicht so sehr die Rektor:innen, die [die Dauer des Studiums] festlegen sollten, sondern die Unternehmen und die staatlichen Behörden. Das sind unsere Kunden. Man sollte nicht davon ausgehen, dass ein Bachelor-Abschluss, von denen es zehn- oder hunderttausende gibt, ein Abschluss zweiter Klasse ist. Das ist nicht so.
Amtierender Rektor der Polytechnischen Universität Tomsk (TPU) Dmitrij Sednew
Derzeit muss gar nicht mehr diskutiert werden, ob es ein alternatives System geben wird. Das wird kommen. Die Änderungen sollten das Hochschulsystem flexibler machen. Eine starr geregelte Hochschulbildung entspricht nicht dem Zeitgeist und den Bedürfnissen der Gesellschaft.
Das Format »2+2+2« ist durchaus gerechtfertigt, wenn es einen ausreichend breit angelegten Bachelor-Abschluss gibt, auf den nach den ersten beiden Studienjahren die Wahl einer Spezialisierung folgt.
Anmerkung:
Das »2+2+2«-System wurde von Präsident Wladimir Putin vorgeschlagen. Es sieht vor, dass die ersten beiden Jahre des Studiums der Vermittlung allgemeiner Kenntnisse dienen und die Studierenden danach ein Profil wählen. In den folgenden zwei Jahren erwerben die Studierenden Kenntnisse in der gewählten Spezialisierung. In den letzten beiden Jahren, die dem Master-Abschluss entsprechen, sollen die Kenntnisse der Studierenden weiter vertieft werden. Der Master-Abschluss soll nicht das im Bachelor-Abschluss erworbene Wissen wiederholen.
Rektor der Uraler Föderalen Universität benannt nach dem ersten Präsidenten Russlands Boris N. Jelzin (UrFU) Wiktor Kokscharow
Die Diskussion auf der letzten Sitzung der Rektorenvereinigung drehte sich um einen reibungslosen Übergang bei der Veränderung des russischen Bildungssystems unter Berücksichtigung der nationalen Interessen und unter Rückgriff auf die Traditionen, die sich im Hochschulwesen etabliert haben. Ohne das Beste, das in den letzten Jahrzehnten aufgebaut wurde, zu verwerfen. Daher sollten verschiedene Systeme angeboten werden:
»2+2+2«, »4+1«, »5+1«, »5+2«, das traditionelle Fachstudium mit unterschiedlichen Studienzeiten.
Rektor der Nationalen Forschungsuniversität Nowosibirsk (NGU) Michail Fedoruk
Der nahtloseste Übergang vom bestehenden zum neuen Bildungsmodell ist in der Einführung des »2+2+2«-Systems (»4+2«) zu sehen. Es ist schwierig, sich zu diesem Thema zu äußern, da es noch keine Einzelheiten über die bevorstehenden Veränderungen gibt.
Erste Vizerektorin der Nationalen Forschungsuniversität (ITMO) Darja Koslowa
Die bewusste Ausgestaltung der eigenen beruflichen Laufbahn, die nicht erst an der Universität, sondern bereits in der Schule beginnt, könnte eines der Merkmale des neuen nationalen Bildungssystems sein. Oft wissen Schüler:innen, wenn sie an die Universität kommen, nicht genau, was sie am Ende ihres Studiums erreichen wollen. An der ITMO helfen wir den Studierenden mit Hilfe eines Systems zur Analyse des Studienprozesses zu verstehen, wie man einen Studienplan aufbaut, damit die Studierenden in vier Jahren zu dem werden, wovon sie als Schulabsolvent:innen geträumt haben.
Das russische System kann alle bewährten Praktiken übernehmen, die in der Zeit, in der wir dem Bologna-System beigetreten sind, entwickelt wurden. Es ist möglich, die Qualität der Ausbildung an den Hochschulen, insbesondere an den regionalen, zu verbessern, indem das Potenzial der führenden Universitäten genutzt, die Mobilität von Lehrkräften und Studierenden gefördert und die Anforderungen der Wirtschaftsunternehmen sorgfältig berücksichtigt werden.
Rektor der Moskauer Staatlichen Technischen Bauman-Universität Michail Gordin
Das Bologna-Modell nicht direkt zu kopieren, bedeutet keine vollständige Rückkehr zum sowjetischen System, denn in einigen Fällen entspricht die zweistufige Ausbildung mit Grund- und Hauptstudium den Interessen sowohl der Arbeitgeber als auch der Studierenden. Wir haben es in der Hand, ein System zu schaffen, das eine flexiblere Wahl und Zusammenstellung des Studiums ermöglicht. In vielen Fällen ist es wichtig, das Diplomstudium (»spezialitet«) wiederzubeleben. Es ist auch wichtig, die Liste der Qualifikationen für Hochschulabsolvent:innen zu erweitern und solche Qualifikationen zusammen mit dem Diplom zu vergeben.
Rektor der St. Petersburger Polytechnischen Universität (SPbPU) Andrej Rudskoj
Das Hochschulsystem sollte sich an den kulturellen und historischen Besonderheiten des Landes orientieren. Die sowjetische technische Ausbildung galt zurecht als die beste der Welt, als Resultat sind die Erforschung des Weltraums, die Erfolge in der Atomindustrie und die Nobelpreise zu nennen. Das Land braucht begabte und gut ausgebildete Ingenieure mit einer grundlegenden multidisziplinären Ausbildung, aber auch mit praktischen Fähigkeiten. An der SPbPU wird dies durch starke Verbindungen zu Partnern in der Industrie erleichtert.
Rektor der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation Stanislaw Prokofjew
Die Aufgabe der Hochschulen besteht heute darin, die Qualität der Bildung zu verbessern und den Studierenden die Möglichkeit zu geben, individuelle Karrierewege zu beschreiten. Wir glauben, dass die Entwicklung des »2+2+2«-Modells immer beliebter werden wird und die Flexibilität und Effektivität der Studiengänge erhöhen wird.
Gegenwärtig hat sich das zweistufige System des Bachelor- und Master-Studiums erfolgreich an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, der Studierenden und ihrer Eltern sowie an die Möglichkeiten und Perspektiven der Hochschulen in vielen Ausbildungsbereichen angepasst. Und das könnte in Russland fortgesetzt werden.
Frage 2: Was sind die Vor- und Nachteile des Bologna-Systems?
Positive Merkmale des Bologna-Systems:
- Die Möglichkeit, einen Bachelor-Abschluss mit einem verwandten Master-Abschluss zu kombinieren;
- Integration in den globalen Bildungsraum;
- Akademische Mobilität von Lehrkräften und Studierenden;
- Anstieg der Zahl der ausländischen Studierenden in Russland.
Zu den Nachteilen gehören:
- ein geringer Grad an Integration und Abstimmung mit den Bedürfnissen von Arbeitgebern;
- Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche bei Bachelor-Absolvent:innen;
- Abwanderung talentierter Fachkräfte ins Ausland.
Frage 3: Darf sich ein Master-Abschluss von einem Bachelor-Abschluss fachlich unterscheiden?
Dmitrij Sednew, amtierender Rektor der TPU
Ich glaube nicht, dass eine starre Bindung der Bachelor- und Masterstudiengänge an einen erweiterten Fachbereich gut ist. Es muss eine gewisse Flexibilität gegeben sein. Ich sehe kein Argument, warum ein Energietechniker nicht IT studieren kann, um später die Digitalisierung in der Energiebranche voranzutreiben. Und umgekehrt.
Wiktor Kokscharow, Rektor der Boris-Jelzin Universität UrFU
Das frühere System war eine gute Möglichkeit, einen zweiten Hochschulabschluss zu erwerben, auch in einem anderen Fachbereich. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass dies negative Folgen hat. Es kann schwierig sein, mit einem Grundstudium der Wirtschaftswissenschaften einen Master in Geschichte zu machen, oder als Historiker in den Wirtschaftswissenschaften usw. In der Regel erfüllen diese Masterstudierenden die entsprechenden Anforderungen nicht und sind gezwungen, ihr Studium nach dem ersten Jahr abzubrechen. Ich habe bereits vorgeschlagen, die Zulassung auf Masterstudiengänge im Bereich der Pädagogik zu beschränken, aber Ausnahmen könnten in Betracht gezogen werden.
NGU-Rektor Michail Fedoruk
Ich betrachte diese Änderung nicht als revolutionär. Viele Universitäten, darunter auch die NGU, haben auch ohne dieses Erfordernis recht strenge Zulassungsvoraussetzungen für Masterstudiengänge, die im Prinzip nicht ohne ein Studium im Bachelor mit einem vergleichbaren Profil erfüllt werden können. Diese neue Anforderung könnte die Zielgruppe der Masterstudiengänge mit einem kreativen bzw. künstlerischen Profil verändern, für die keine spezielle Ausbildung erforderlich ist.
Rektor der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation Stanislaw Prokofjew
Die fachliche Spezialisierung im Master kann als der richtige Ansatz bezeichnet werden. Absolvent:innen einer technischen Universität oder einer anderen Universität mit ähnlicher fachlicher Ausrichtung können in ein geisteswissenschaftliches Studienfach einsteigen und das erfolgreich meistern. Umgekehrt wird es für Absolvent:innen einer geistes- oder sozialwissenschaftlichen Universität aufgrund des fehlenden Basiswissens schwer fallen, wenn die Fachrichtung des Studiums drastisch gewechselt wird.
Frage 4: Ende des Bologna-Systems – Gefahr der Isolation für Russland?
Nikita Anisimow, Rektor der Higher School of Economics
Ich sehe keine großen Risiken für die HSE: Wir haben einen Immatrikulierungswettbewerb für ausländische Studierende, und wir sehen die Zahl der Bewerbungen. Insgesamt war das föderale Projekt »Bildungsexport« eine Herausforderung für das gesamte Bildungssystem. Die Zahl von 425.000 Ausländer:innen, die laut Projektzielen bis 2024 in Russland studieren sollen, ist eine sehr hoch angesetzte Zahl, auch ohne Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse. Die Förderung des russischen Hochschulwesens soll dazu führen, dass Studierende zum Studium nach Russland kommen und russische Studienabschlüsse im Ausland anerkannt werden. Ich sehe keine große Gefahr, dass die Bevölkerung des sechsmilliardsten Teils des Planeten davor zurückschreckt, ein Präsenz- oder Online-Studium in Russland zu absolvieren. Ja, wir müssen an den Universitäten dafür aktiv Werbung machen, aber die Universitäten haben auch Wettbewerbsvorteile. Es war damals wie heute schwierig, aber das System wird sich auf die neuen Bedingungen einstellen und die Aufgabe meistern.
Amtierender Rektor der TPU Dmitrij Sednew
Wie bisher werden unsere Diplome nur von den Ländern anerkannt, die an unseren Spezialist:innen (Absolvent:innen von Diplomstudiengängen mit Abschluss spezialist, Anm. d. Redaktion) interessiert sind. Aber das Bachelor- und Master-Modell sollte als eine der Möglichkeiten bei der Ausgestaltung der Studiengänge erhalten bleiben.
Wenn Länder kooperieren wollen, dann können alle technischen Nuancen der beiden Bildungsmodelle integriert werden. Dies wird durch bilaterale Abkommen geregelt. Die Zusammenarbeit mit der asiatischen Makroregion wird in den kommenden Jahren definitiv zunehmen.
Rektor der Boris-Jelzin-Universität UrFU Wiktor Kokscharow
Alle Neuerungen des Bologna-Systems auf allen Bildungsebenen, einschließlich bei den Diplomstudiengängen (mit Abschluss spezialist, Anm. der Redaktion), sollten beibehalten werden. Es sollte weiterhin ein Anhang für das internationale Diplom ausgestellt werden, der Informationen über das nationale Bildungssystem, die Messung des Umfangs der besuchten Module und Disziplinen in Studien-Credits usw. enthält.
Die Fortführung der Diplomstudiengänge (mit Abschluss spezialist, Anm. der Redaktion) seit dem Beitritt Russlands zum Bologna-Prozess hat Studierende aus dem Ausland nicht daran gehindert, an russischen Universitäten medizinische und andere gefragte Berufe zu erlernen und zu absolvieren. Und wenn wir die gute Qualität des russischen Bildungswesens beibehalten, werden wir auch den Bildungsexport in nicht-GUS-Ländern aufrechterhalten.
Michail Fedoruk, NGU-Rektor
Ein russisches Universitätsdiplom wurde bereits vor dem Übergang zum Bologna-System im Ausland anerkannt. Für russischsprachige Studierende gab es schon vor Einführung des Bologna-Systems die Möglichkeit, mit einer Spezialistenausbildung an einer ausländischen Universität zu studieren: Sie kamen mit einer überhöhten Stundenzahl, aber das war nie ein Grund, die Ausbildung nicht anzuerkennen.
Rektor der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation Stanislaw Prokofjew
Die gegenseitige Anerkennung von Diplomen war nicht direkt von den Anforderungen des Bologna-Systems abhängig. Die Anerkennung von in einem anderen Staat erworbenen Ausbildungen und/oder Qualifikationen in Russland erfolgt in Übereinstimmung mit internationalen Verträgen, die die Anerkennung und Gleichwertigkeit von Ausbildungen regeln. Auch die gegenseitige Anerkennung von Studiengängen und Abschlüssen hängt heute stark von der geopolitischen Lage und der Kooperationsbereitschaft der einzelnen Hochschulen ab.
Frage 5: Sollte die Einheitliche Staatliche Prüfung (Jedinyj Gosudarstwennyj Eksamen, abgekürzt JeGE, vergleichbar mit dem Zentralabitur, Anm. der Redaktion) abgeschafft werden?
Rektor der Higher School of Economics Nikita Anisimow
Es ist notwendig, die Wirksamkeit des JeGE und seine Vor- und Nachteile zu überprüfen.
Dmitry Sednew, amtierender Rektor der TPU
Beim JeGE geht es um Transparenz und gleiche Chancen für alle. Dank der JeGE haben alle Schüler:innen des Landes, unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrem Vermögen, die Möglichkeit, die Prüfung auf einer gemeinsamen Grundlage abzulegen und sich um die Zulassung zu allen Universitäten des Landes zu bewerben.
Michail Fedoruk, Rektor der Staatlichen Universität Nowosibirsk
Trotz aller Unzulänglichkeiten ist das JeGE ein zuverlässiges und bewährtes Instrument zur objektiven Bewertung der Kenntnisse, das Bewerber:innen die Tür zu allen Universitäten des Landes öffnen kann. Aber es ist auch richtig, die Wahl der Zulassungsmethoden den Hochschulen selbst zu überlassen.
Wiktor Kokscharow, Rektor der Boris-Jelzin-Universität UrFU
Ich denke, das JeGE sollte beibehalten werden. Prüfungen in Kernfächern für kreative Disziplinen und Diplomhauptfächer sind bereits eingeführt worden. Wir sollten prüfen, in welchen Bereichen und Fachgebieten solche Prüfungen eingeführt werden könnten.
Frage 6: Wie lange wird die Umstrukturierung dauern?
Dmitry Sednew, amtierender Rektor der TPU
Jetzt haben wir definitiv Zeit für eine ausgewogene Entscheidung darüber, »wie die Universitäten lehren werden«. Die Zulassungen für die Universitäten für das Jahr 2022 sind seit langem genehmigt, und auch für 2023 sind sie abgestimmt. Das bedeutet, dass es in diesem und im nächsten Jahr keine radikalen Änderungen geben wird. In dieser Zeit können wir nach Lösungen suchen und Vereinbarungen treffen.
Wiktor Kokscharow, Rektor der Boris-Jelzin-Universität UrFU
Der Übergang sollte fließend sein. Wir brauchen Diskussionen auf allen Ebenen unserer Gesellschaft, und wir müssen die Eltern und die Schülerschaft einbeziehen. Das Mehrebenensystem wurde in Russland seit 1992 schrittweise eingeführt, und 2003 trat Russland dem Bologna-Prozess bei. Die Übergangszeit dauerte somit damals mehr als zehn Jahre.
Rektor der NGU Michail Fedoruk
Für die weitere Entwicklung des russischen Bildungswesens ist es notwendig, sowohl die besten Traditionen des russischen und des sowjetischen Bildungssystems fortzuführen als auch die positiven Erfahrungen der letzten zehn Jahre zu berücksichtigen und in die Schaffung und Ausgestaltung des neuen Systems zu integrieren. Dieser Prozess wird voraussichtlich mindestens fünf Jahre dauern.
Rektor der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation Stanislaw Prokofjew
Mindestens zwei Jahre sollten für die Umgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, der Struktur, der Verfahren und der Bildungsinhalte eingeplant werden. Die Umstrukturierung des Bildungssystems erfordert eine inhaltliche Überarbeitung der Bildungsstandards, der föderalen Gesetzgebung im Bildungsbereich. Auf der Ebene der Hochschuleinrichtungen ist eine Änderung der lokalen Rechtsnormen, der Lehrpläne und Programme der Studiengänge sowie der Kommunikation mit den Arbeitgebern notwendig. Bevor wir uns jedoch mit der Transformation des russischen Bildungssystems befassen, müssen wir erst einmal festlegen, in welche Richtung wir uns bewegen und warum.
Quelle: RBK: Rektory weduschtschich wusow predloshili alternatiwu Bolonskoj sisteme, 11.06.2022, https://www.rbc.ru/society/11/06/2022/62a071e89a79477a3ad5df6f.
13.06.2022
Duma-Vorsitzender Wjatscheslaw Wolodin:
»Es liegt auf der Hand: Das westliche Bildungsmodell kann nicht blind kopiert werden. Das Richtige ist, auf den besten Praktiken von heute und aus der Sowjetzeit aufzubauen, um unser eigenes nationales, effektives Hochschulsystem zu schaffen.«
Quelle: Regnum: Wolodin sajawil o sosdanii nazionalnoj sistemy wysschego obrasowanija, 13.06.2022, https://regnum.ru/news/polit/3617365.html.
08.06.2022
Der Rektor der Nationalen Forschungsuniversität Higher School of Economics, Nikita Anisimow […] bezeichnete die Begriffe »Bologna-System« und »Bologna-Prozess« als Jargon und erinnerte daran, dass es doch Russland war, das der »Zone der europäischen Hochschulbildung« beigetreten sei. Anisimow verglich diese Zone mit der »Bildungs-Eurovision« und fragte seine Zuhörer:innen: »Wollen wir in dieser Zone bleiben?«
Anisimow beantwortete seine Frage selbst: »Der Beitritt der Russischen Föderation zum gesamteuropäischen Hochschulraum erforderte eine Verpflichtung zur Änderung der russischen Bildungsgesetzgebung. Diese Änderung hat stattgefunden, und Sie und ich müssen zustimmen, dass unsere Diskussion, die wir gerade beginnen, eigentlich eine Diskussion darüber ist, ob wir die Gesetzgebung erneut ändern.«
Quelle: Sawizkaja, Natalja: Rektory naswali Bolonskij prozess »schargonismom«, Nesawisimaja Gaseta, 08.06.2022, https://www.ng.ru/education/2022-06-08/8_8456_education.html.
08.06.2022
Die Einheitliche Staatliche Prüfung (Jedinyj Gosudarstwennyj Eksamen, JeGE, vergleichbar mit dem Zentralabitur, Anm. der Redaktion) wird während des Übergangs zum nationalen Bildungssystem beibehalten, erklärte Ansor Musajew, Leiter von Rosobrnadsor, der russischen Bildungsaufsichtsbehörde, gegenüber RIA Nowosti. Der Beamte stellte fest, dass das JeGE ein bestimmtes Niveau der Schulqualität aufzeigt und ein Mechanismus zur objektiven Überprüfung der Erreichung dieses Niveaus ist. Die JeGE erfülle wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Die JeGE sichere insbesondere den einheitlichen Bildungsraum der Russischen Föderation im Rahmen einer großen Vielfalt von Bildungsprogrammen, Lehrbüchern und Lehrmitteln.
Quelle: RIA Nowosti: JeGE sochranitsja pri perechode k nazionalnoj sisteme obrasowanija, 08.06.2022, https://ria.ru/20220608/ege-1794075086.html.
06.06.2022
Alle russischen Universitäten sind vom Bologna-Bildungssystem ausgeschlossen worden, erklärte der stellvertretende russische Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung Dmitrij Afanasjew. Ihm zufolge war einer der Gründe für diese Entscheidung, dass russische Rektor:innen und Leitende von Bildungseinrichtungen Russlands »Militäroperation« in der Ukraine unterstützten. Dmitrij Afanasjew ist der Ansicht, dass »das Bologna-System uns verlassen hat, und nicht andersherum«.
»Am 11. April gab die Bologna-Gruppe ihre Entscheidung bekannt, die Vertretung Russlands und der Republik Belarus in allen Strukturen des Bologna-Prozesses zu beenden. In Anbetracht der Tatsache, dass unsere Rektor:innen, die Leitungen der Bildungseinrichtungen, eine Petition der Russischen Rektorenvereinigung zur Unterstützung des Präsidenten im Zusammenhang mit der Spezialoperation unterzeichnet haben, sind praktisch alle Bildungseinrichtungen des Landes vom Bologna-Prozess ausgeschlossen«, sagte Dmitrij Afanasjew auf einer erweiterten Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Föderationsrates (zitiert von TASS).
Afanasjew zufolge ist Russland mit seinem Beitritt zum Bologna-Prozess im Jahr 2003 jedoch »keine internationalen Verpflichtungen eingegangen«, da der Beitritt zu dieser Erklärung nicht die Unterzeichnung von Abkommen beinhaltete.
Quelle: Kommersant: Minobrnauki: Wse rossijskie wusy iskljutscheny is Bolonskogo prozessa, 06.06.2022, https://www.kommersant.ru/doc/5392347.
31.05.2022
Das russische Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat den Universitäten empfohlen, von einer Zusammenarbeit im Rahmen des Erasmus+-Studierendenaustauschprogramms der Europäischen Union abzusehen, so der Pressedienst des Ministeriums gegenüber TASS. […] Das Ministerium wies darauf hin, dass die Verordnungen des Rates der EU vom 8. April 2022 ein Verbot der Bereitstellung finanzieller und nicht-finanzieller Unterstützung für russische staatliche oder staatlich kontrollierte Organisationen im Rahmen von EU-finanzierten Programmen vorsehen.
Quelle: TASS, Minobrnauki ne rekomenduet vusam RF westi sotrudnitschestwo w ramkach programmy Erasmus +, 31. 05.2022, https://tass.ru/obschestvo/14784105.
25.05.2022
In der Plenarsitzung der Staatsduma wies Boris Tschernyschow, stellvertretender Vorsitzender der Staatsduma, auf die Äußerungen von Walerij Falkow, Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung, zum Ausstieg aus dem Bologna-Prozesses hin. Der Abgeordnete betonte, dass im Falle eines entsprechenden Beschlusses die Änderungen der Gesetzgebung im Bereich der Bildung umgehend ausgearbeitet werden müssten, da der Beginn des neuen Schuljahres vor der Tür steht.
Wjatscheslaw Wolodin, Vorsitzender der Staatsduma, erklärte, dass die Abgeordneten dieses Thema bereits mit dem Minister erörtert hätten und systematische Anstrengungen in diese Richtung im Gange seien. »Soweit ich weiß, unterstützen alle Fraktionen den Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung, sie sind sich alle einig, dass wir aus dem Bologna-Prozess aussteigen müssen«, fügte er hinzu.
Die stellvertretende Vorsitzende der Staatsduma, Irina Jarowaja, erinnerte daran, dass das Thema auf Anweisung des Präsidenten der Staatsduma bereits 2019 auf dem Rat der Parlamentarier angesprochen wurde. Damals sei das zuständige Ministerium angewiesen worden, das Thema zu bearbeiten und Meinungen aus den Regionen einzuholen.
Quelle: Gosudarstwennaja Duma: Wjatscheslaw Wolodin predloshil w blishajschee wremja obsudit s Minobrnauki wopros wychoda Rossii is Bolonskoj sistemy, 25.05.2022, http://duma.gov.ru/news/54407.
24.05.2022
Die Ablehnung des Bologna-Prozesses durch Russland sollte schrittweise erfolgen, so der Föderale Dienst für die Aufsicht über Bildung und Wissenschaft (Rosobrnadsor). Außerdem sollten die Studierenden nicht darunter leiden. Der Austritt aus dem Bologna-Prozess hat keine Auswirkungen auf das JeGE (Einheitliche Staatliche Prüfung vergleichbar mit dem Zentralabitur, Anm. der Redaktion). Die Behörde wies darauf hin, dass dadurch die Rechte der Studienbewerber:innen eingeschränkt würden.
Quelle: Kommersant, 25.05.2022, https://t.me/kommersant/32532.
24.05.2022
»Der Bologna-Prozess sollte als Vergangenheit betrachtet werden. Die Zukunft gehört unserem eigenen, einzigartigen Bildungssystem, das auf den Interessen der nationalen Wirtschaft und den maximalen Möglichkeiten für alle Studierenden basieren sollte«, so Walerij Falkow, Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung der Russischen Föderation.
Quelle: Minobrnauki, 24.05.2022, https://t.me/minobrnaukiofficial/2696.
24.05.2022
Anmerkung der Russland-Analysen: Ausschnitte aus einem Interview mit dem Sekretär des Sicherheitsrates von Russland Nikolaj Patruschew in Argumenty i Fakty
Patruschew: Als erstes sollte man sich mit der Lehrerausbildung befassen. Es ist höchste Zeit, sich an die Gedanken von Uschinskij und Makarenko zu erinnern, die Lehrkräfte als diejenigen Personen sehen, die die Persönlichkeit der Schüler formen. Deren Berufung sollte nicht darin bestehen, Dienstleistungen zu erbringen, sondern aufzuklären, zu erziehen und zu fördern. Professionelle Universitäten sollten künftige Lehrer zu erstklassigen Fachkräften ausbilden und diese nicht wie am Fließband produzieren.
Lehrkräfte nehmen im Leben jedes Bürgers eine besondere Stellung ein. Die willkürliche Interpretation der Welt- und Landesgeschichte durch einzelne Lehrer ist daher inakzeptabel, denn sie untergräbt die Autorität unseres Landes und beeinflusst die Köpfe der Kinder auf der Grundlage falscher Fakten und Mythen. Die psychologische Manipulation junger Menschen, die Kluft zwischen den Generationen, die Verzerrung der historischen Wahrheit – all dies ist mit dem Beruf des Pädagogen unvereinbar.
AiF: Ich erinnere mich an den Bismarck zugeschriebenen Satz, dass Lehrer Schlachten gewinnen.
Patruschew: Meiner Meinung nach ist das sicherlich richtig. Dies gilt umso mehr im Zusammenhang mit dem hybriden Krieg, der derzeit gegen Russland geführt wird. Die Lehrer stehen in diesem Krieg an vorderster Front. Wir brauchen eine persönliche Verantwortung für die Leiter von Bildungseinrichtungen, deren Absolventen nie Bücher über das Heldentum des sowjetischen Volkes während des Großen Vaterländischen Krieges in der Hand hatten oder nur eine vage Vorstellung von den Taten derer haben, die für das Vaterland gekämpft haben.
Fragen der patriotischen Erziehung junger Menschen sollten nicht in den Wahlunterricht verbannt werden. All dies wird in der Berichterstattung über den Lehrbetrieb in schönen Worten beschrieben, allein das Ergebnis bleibt aus. In einigen Schulen, insbesondere in Privatschulen, gilt das Wort »Patriotismus« gar als veraltet.
AiF: Was schlagen Sie vor, um diese Situation zu ändern?
Patruschew: Die Autorität von Pädagogen, die ihrem Beruf treu sind und ihr Leben der Erziehung echter Patrioten widmen, sollte gestärkt werden. Die wichtigste Aufgabe ist heute die Wiederbelebung historischer Traditionen sowie der Schutz der traditionellen russischen geistigen und moralischen Werte. Um dieses Problem zu lösen, brauchen wir einen systematischen Ansatz für Erziehung und Bildung. Es besteht die dringende Notwendigkeit, ein staatliches Programm in diesem Bereich in allen Lebensphasen und bei der Entwicklung der Menschen zu Staatsbürgern durchzuführen. Es muss ein umfassendes Modell für diesen Prozess entwickelt werden.
Unsere Schüler und Lehrer werden derzeit aus dem westlichen Wissenschafts- und Lehrbetrieb verdrängt. Ich halte es für sinnvoll, den sogenannten Bologna-Prozess aufzugeben und zu den Erfahrungen aus dem besten nationalen Bildungsmodell der Welt zurückzukehren.
Außerdem müssen wir darüber nachdenken, den Umfang der staatlichen Aufträge für die Produktion von Literatur und Kunstwerken, Filmen und Fernsehprogrammen deutlich zu erhöhen, um die historische Erinnerung zu bewahren, den Stolz auf unser Land zu fördern und eine reife Zivilgesellschaft zu formen, die sich ihrer Verantwortung für ihre Entwicklung und ihren Wohlstand bewusst ist.
Nur dann werden wir in der Lage sein, den Bedrohungen und Herausforderungen, die vom kollektiven Westen ausgehen, erfolgreich zu begegnen, um das individuelle, gruppenspezifische und öffentliche Bewusstsein zu beeinflussen.
Quelle: »Prawda na naschej storone«. Nikolaj Patruschew – o srokach spezoperazii, 24.05.2022, https://aif.ru/politics/world/pravda_na_nashey_storone_nikolay_patrushev_o_srokah_specoperacii.
24.05.2022
Der Rektor der Moskauer Staatlichen Lomonosow-Universität, Wiktor Sadownitschij, ist nach wie vor ein Gegner des Bologna-Prozesses, wenn das Studium auf dem Bachelor- und Master-System basiert. Denn vor allem das fünfjährige Studium ermöglicht die Ausbildung von diplomierten Spezialist:innen (»spezialist«) mit Grundlagenwissen. Er äußerte diese Ansicht auf einer Konferenz über die Entwicklung einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen der Moskauer Staatlichen Universität und der Donezker Nationalen Universität.
»Als das Bologna-System eingeführt wurde, war ich entschieden dagegen, und ich bin ein Gegner des Bologna-Systems geblieben. […] Das fünfjährige System bildete Spezialisten mit fundamentalen Kenntnissen aus, die Hausarbeiten sind hier noch ernste Angelegenheiten, man konnte sich noch am Lehrstuhl bewähren und so weiter. Das Bachelorstudium schafft einerseits zusätzliche Möglichkeiten einen schnellen Abschluss zu machen und von dort aus seinen eigenen Weg zu gehen: »Es kommt, wie man so schön sagt, allein auf dich an. Aber unsere Mentalität ist ein bisschen anders, deshalb bin ich nicht dafür«, sagte Sadownitschij.
»Ich war viele Jahre lang Mitglied der Rektorenkonferenz der europäischen Universitäten (The Club of the Rectors of Europe – Anm. TASS), einer mächtigen Organisation, in den 1970er Jahren, als die Diskussion über das Bologna-System begann, trafen wir uns viel in Europa mit Rektoren europäischer Universitäten. Und alle Rektoren der europäischen Universitäten waren dagegen. Sie waren der Meinung, dass die nationalen Systeme und die fundamentale Bildung nicht beeinträchtigt werden sollten. Politiker und Finanzexperten sagten: Wir haben viele Studierende aus Algerien, aus Afrika, wir können ohnehin nicht herausfinden, was die wissen, lasst uns einen Bachelor machen, ein vereinfachtes System«, sagte der Rektor der Moskauer Staatlichen Universität.
Quelle: TASS: Rektor MGU ostajotsja protiwnikom Bolonskoj sistemy obrasowanija, 24.05.2022, https://n.tass.ru/obschestvo/14710151.
17.05.2022
Der stellvertretende Sprecher der Staatsduma, Pjor Tolstoj, hält es für notwendig, das Bologna-System in der Russischen Föderation aufzugeben. »Viele Experten und Kollegen sprechen von der Notwendigkeit, aus dem Bologna-System auszusteigen und zum traditionellen russischen Bildungssystem zurückzukehren«, sagte Tolstoj am Dienstag in einer Rede vor dem Föderationsrat.
Seiner Meinung nach ist die »militärische Spezialoperation« ein Grund dafür, »den Entwicklungspfad für die Gesellschaft neu zu denken«. Insbesondere, so Tolstoj, geht es um den Schutz der Familie, der Kultur und der Bildung der Kinder.
So weigern sich seiner Meinung nach heute immer mehr Kinder, die 10. und 11. Klasse zu besuchen, eben wegen der JeGE. »Ihre Eltern jedoch, die eine Ausbildung nach dem alten System erhalten haben, sehen, dass das Wissen ihrer Kinder sehr oberflächlich ist und Werte praktisch nicht vorhanden sind«. »Die Freiheit im Bereich der Bildung hat zu 11 Geschichtsbüchern geführt und den Schulleitern die Möglichkeit gegeben, z. B. die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges abzusagen. Die militärische Spezialoperation hat gezeigt, dass wir trotz der Siege an der Front eine ideologische Niederlage riskieren, indem wir eine ganze Generation unserer Bürger verlieren, die jetzt Studierende und Schüler sind«, sagte Tolstoj.
Quelle: TASS: Tolstoj stschitaet, schto Rossii neobchodimo otkasatsja ot Bolonskoj sistemy, 17.05.2022, https://n.tass.ru/obschestvo/14649511.
17.05.2022
Die Teilnahme russischer Universitäten am Bologna-Prozess, bei dem das Studium auf dem Bachelor-Master-System basiert, sollte rechtlich überprüft werden, so Olga Wasiljewa, Präsidentin der Russischen Akademie für Bildung (RAO).
Wasiljewa nannte die aktuellen Vorschläge zum Rückzug aus dem Bologna-System und zur Rückkehr zum fünfjährigen System, das diplomierte Spezialisten (»spezialisty«) ausbildet. Sie stellte fest, dass die Hochschulbildung in den europäischen Ländern durch den Bologna-Prozess elitärer geworden ist, obwohl sie früher für die meisten Studierenden zugänglich war.
»Dutzende von Jahren sind vergangen, aber es gibt auch heute noch viele Probleme. Ich bin davon überzeugt, dass es notwendig ist, eine rechtliche Bewertung der Teilnahme russischer Institutionen am Bologna-Prozess vorzunehmen und Mechanismen zur Erhöhung des Anteils von diplomierten Spezialisten in der Struktur der russischen Hochschulprogramme durchzusetzen«, sagte Wasiljewa auf der Konferenz »Bildungsrecht und Probleme bei dessen Umsetzung: Trends und Perspektiven«. So wird sie vom Pressedienst der RAO im sozialen Netzwerk VKontakte zitiert.
Gleichzeitig räumte Wasiljewa ein, dass in einigen Bereichen im Studium das Bachelor-Master-System durchaus möglich ist und dass es sich lohnt, auch an diejenigen zu denken, die bereits einen solchen Abschluss erworben haben.
»Man kann sagen, dass in einigen Bereichen der universitären Ausbildung das Bachelor-Master-System durchaus möglich ist. Aber kann man das auch von Ingenieuren, Anwälten, Ärzten usw. behaupten? Außerdem haben wir unsere »soft power«, den Bildungsexport, immer wirksam eingesetzt. Viele ausländische Studierende, die in unserem Land studieren, sind wahrscheinlich mit der Art der Abschlüsse zufrieden, die in den Ländern, in denen sie arbeiten wollen, akzeptiert werden. Deshalb könnte es ratsam sein, die Aufteilung in Bachelor- und Masterabschlüsse an Hochschulen wie der Russischen Universität für Völkerfreundschaft beizubehalten«, so Wasiljewa.
Quelle: TASS: Glawa RAO sajawila, schto nushno dat prawowuju ozenku utschastiju wusow w Bolonskom prozesse, 17.05.2022, https://n.tass.ru/obschestvo/14650993.
23.03.2022
Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat gegenüber RIA Novosti erklärt, dass ein Ausstieg Russlands aus dem Bologna-Bildungsprozess derzeit nicht zur Diskussion steht.
Quelle: RIA Nowosti, 23.03.2022, https://t.me/rian_ru/155204.
23.03.2022
Das russische Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung hat nicht vor, die Teilnahme am Bologna-Prozess zu beenden, möchte aber die Bachelor- und Masterstudiengänge an den Universitäten schrittweise kürzen.
»Derzeit steht im Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung der Ausstieg aus dem Bologna-Prozess nicht zur Debatte«, teilte das Ministerium am Mittwoch gegenüber Interfax mit.
Allerdings stellt das Ministerium fest, dass in der Russischen Föderation in letzter Zeit eine Tendenz zur Zunahme von Studiengängen mit dem Diplomabschluss zum Spezialisten (»spezialist«) zu beobachten ist, die ein fünf- bis sechsjähriges Studium an einer Universität einschließen, während das Bologna-System ein zweistufiges Studiensystem vorsieht: Bachelor- und Masterabschlüsse.
»Das russische Bildungssystem sieht neben den Bachelor- und Masterstudiengängen auch eine Spezialistenausbildung mit einer Regelstudienzeit von 5–6 Jahren vor. Die derzeitige Liste der Fachrichtungen und Ausbildungsbereiche in der Hochschulbildung enthält etwa 40 Prozent, die eine Spezialisten-Ausbildung in wichtigen Sektoren wie Bildung, Medizin, Verteidigung und der Ausbildung von Ingenieuren ermöglicht«, so das Ministerium.
Sie betonten, dass ab 2024 eine neue Liste von Fachgebieten und Studienrichtungen in der Hochschulbildung in Kraft treten wird, die den Trend zur Priorisierung der Studiengänge mit Spezialistenabschluss und zur Einführung von Bildungsprogrammen mit einem langen Zyklus (5–6 Jahre) mit einer Verringerung der Bachelor- und Masterprogramme bzw. einer Erhöhung der Anzahl der Spezialistenausbildungen fortsetzt.
Quelle: Interfax: W Rossii rasschirjat podgotowku po programmam spezialiteta, 23.03.2022, https://www.interfax.ru/russia/830856.
16.03.2022
Der Vorsitzende der Juristenvereinigung Russland (Assozijazija juristow Rossii, AJuR), der Vorsitzende der Kommission der Juristenvereinigung Russland für juristische Ausbildung und habilitierte Jurist (Doktor juriditscheskich nauk), Professor Sergej Stepaschin, erklärte, dass der Beitritt Russlands zum Bologna-Prozess nicht nur die Erwartungen nicht erfüllt habe, sondern auch zum Verlust der wichtigsten Vorzüge des klassischen russischen und sowjetischen Bildungssystems geführt habe.
»Die automatische Anerkennung von Hochschulabschlüssen russischer Absolventen an westlichen Universitäten hat nie stattgefunden. Darüber hinaus hat der Kampf Russlands für den Schutz der Rechte der Bevölkerung der DNR (»Donezker Volksrepublik«) und LNR (»Luhansker Volksrepublik«) zu einer Diskriminierung russischer Studierender aufgrund ihrer Nationalität und zu zahlreichen Fällen der Ausweisung russischer Studierender von Schulen und Universitäten im Ausland geführt, darunter auch von teilnehmenden Institutionen des Bologna-Prozesses, was in der Geschichte der weltweiten Hochschulbildung beispiellos ist«, so Stepaschin.
Er betonte, dass es notwendig sei, die Rückkehr zum System der russischen Hochschulbildung in den klassischen Varianten – der Abschluss als diplomierter Spezialist und die Aspirantur – so schnell wie möglich auf die Tagesordnung genommen werden sollte.
»Russland und die UdSSR haben über lange Jahre hinweg eine große Zahl erstklassiger Fachleute hervorgebracht, was durch das hohe Niveau russischer und sowjetischer Wissenschaft und Industrie bestätigt wird. Deshalb ist es notwendig, alle Vorteile des Bologna-Prozesses und des klassischen Studiums zu bewahren und zu verbessern, um sie den modernen Gegebenheiten anzupassen«, sagte Sergej Stepaschin.
Seit dem Beitritt Russlands zum Bologna-Prozess sei genug Zeit vergangen, um eine Bilanz der Reform des russischen Hochschulwesens zu ziehen.
»Und sie (die Vorzüge des Bologna-Systems, Anm. der Redaktion) haben meiner Meinung nach die Erwartungen nicht erfüllt. Ich denke, es ist an der Zeit, dass sich Russland aus dem Bologna-Prozess verabschiedet«, resümierte der Vorsitzende der Juristenvereinigung Russlands.
Quelle: Assoziazija Juristow Rossii: Sergej Stepaschin: Prischlo Wremja Rossii peresmotret neobchodimost utschastija w Bolonskom obrasowatelnom prozesse, 16.03.2022, https://alrf.ru/news/sergey-stepashin-prishlo-vremya-rossii-peresmotret-neobkhodimost-uchastiya-v-bolonskom-obrazovatelno/.