Der Krieg und die Kirchen

Von Regina Elsner (Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS), Berlin)

Eine Ausrichtung mit Folgen

Am 24. Februar 2022 wandte sich das Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), Patriarch Kirill, mit einer Stellungnahme an die Gläubigen. Darin heißt es: »Mit tiefem und herzlichem Schmerz nehme ich das Leid der Menschen wahr, das durch die Ereignisse verursacht wurde. Als Patriarch der gesamten Rus' und Primas der Kirche, dessen Herden sich in Russland, der Ukraine und anderen Ländern befinden, fühle ich zutiefst mit all den Betroffenen mit.« Ohne in dem gesamten Text zu erwähnen, um welche »Ereignisse« es sich handelt, legte Patriarch Kirill in wenigen Sätzen die Argumentation offen, mit der er in den kommenden Monaten Russlands Krieg gegen die Ukraine rechtfertigen würde: die »gottgegebenen Gemeinsamkeiten« des russischen und des ukrainischen Volkes, die gegen eine mutwillige Spaltung geschützt werden müssen. Nicht nur der Krieg selbst, sondern auch die Haltung der russischen Kirchenleitung zu diesem Krieg wird die orthodoxe Landschaft der Region langfristig grundlegend verändern.

Russische Orthodoxie: Moralische Bankrotterklärung

Die Leitung der ROK hat, mit verschiedenen Nuancen und Dynamiken, Russlands militärisches Handeln in der Ukraine seit dem 24.02.2022 unverändert unterstützt. Wortführend ist dabei Patriarch Kirill, der in zahlreichen Predigten die geistliche bzw. »metaphysische« Dimension des Krieges als Verteidigung gegen das Böse und äußere Feinde der historischen Rus' dargelegt hat. Die Charakterisierung des Krieges als Verteidigung ermöglicht es der Kirchenleitung, Konzepte des »gerechten Kriegs«, der humanitären Intervention und einer religiös begrüßenswerten Selbstaufopferung der Soldaten der russischen Streitkräfte anzuwenden. Kirchliche Medien schließen nahtlos an die politische Propaganda über den angeblichen Faschismus und Satanismus in der Ukraine an, und Militärseelsorger gelten als wichtigste Akteure der ideologischen Mobilisierung an der Front.

Eine besondere Bedeutung nimmt die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) ein. Aus der Perspektive der ROK gehört die Orthodoxie der Ukraine kirchenrechtlich zum Moskauer Patriarchat. Alle anderen orthodoxen Kirchen in der Ukraine gelten als Spaltungsversuch, und Kritik in der Ukraine an der UOK aufgrund ihrer Verbindung nach Moskau werden als staatliche Repressionen gedeutet. Die ukrainischen Gläubigen werden so durch Moskau als »Märtyrer für den Glauben« vereinnahmt, ohne jedoch ihre tatsächliche Lage, ihre ukrainische Identität und ihren Widerstand gegen den Krieg wahrzunehmen.

Die Haltung der Kirchenleitung zum Krieg ist auch deswegen so desaströs, weil sie einerseits die Verbrechen der russischen Armee, das brutale Vorgehen gegen Zivilist:innen, die Deportation von ukrainischer Bevölkerung, und andererseits die massiven Repressionen gegen Kriegsgegner:innen in Russland selbst ignoriert. In der Kirche werden Priester und aktive Gläubige, die nicht mit der offiziellen Position zum Krieg einverstanden sind, von staatlichen und kirchlichen Organen unter Druck gesetzt, es werden Kündigungen und Versetzungen ausgesprochen, einige Strafverfahren führten zu hohen Geldstrafen. Der Widerstand innerhalb der Kirche ist darum kaum wahrnehmbar, Priester, die häufig kinderreiche Familien haben, gehen ein großes Risiko ein, wenn sie sich öffentlich äußern. Denunzianten berichten nachweislich aus Gottesdiensten an die Kirchenleitung.

In dieser Situation muss man von einer moralischen Bankrotterklärung der Leitung der ROK sprechen, deren Zukunft nach dem Krieg vollkommen unklar ist. Zwar bemühen sich ökumenische Partner wie der Vatikan oder der Ökumenische Rat der Kirchen um einen fortgesetzten Dialog, diese Kontakte werden jedoch durch die ROK regelmäßig als Zeichen der Zustimmung instrumentalisiert. Die völlig unverhüllte ideologische Unterstützung von Russlands Vernichtungsplänen der Ukraine mit scheinbar christlichen Argumenten machen die Kirchenleitung zu toxischen Teilnehmern jeglicher Gespräche, die sich kirchlich oder gesellschaftlich um Frieden bemühen.

Ukrainische Orthodoxie: Spirituelle Unabhängigkeit und Identitätskonflikte

Die Vereinnahmung der ukrainischen Orthodoxie durch das Moskauer Patriarchat hatte seit der Unabhängigkeit der Ukraine zu Identitätskonflikten der Kirchen im Land geführt. Die Kirchenfrage wurde politisch instrumentalisiert, sowohl in der Ukraine (besonders im Zuge des Wahlkampfs von Poroschenko 2018), als auch von Russland (wo man der Ukraine Repressionen gegen die UOK vorwarf und die angebliche Verfolgung von Christen schließlich ein zentrales Argument der Kriegsführung wurde). Unter dem Vorwand des Schutzes orthodoxer Gläubiger wurden seit Februar 2022 mehr als 140 Kirchen der UOK durch die russische Armee zerstört, insgesamt sind ca. 500 religiöse Gebäude betroffen.

Mit der großangelegten Invasion seit Februar 2022 wandte sich die Mehrheit der Gläubigen, Priester und Bischöfe der UOK endgültig von Moskau ab. Zunächst wurde der Patriarch nicht mehr in der Liturgie genannt, dann wuchs die Zahl der Übertritte in die seit 2019 unabhängige, mit der UOK konkurrierende Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU). Schließlich beschloss ein Konzil am 27. Mai 2022 die »vollständige Trennung« der UOK vom Moskauer Patriarchat. Allerdings blieb diese Erklärung kirchenrechtlich vage; Moskau ignorierte sie vollständig und erklärte die Entscheidung mit dem »beispiellosen Druck auf die Kirche«. Gleichzeitig gab es vermehrte Beweise über die Kollaboration von Bischöfen und Priestern der UOK mit den russischen Besatzern. Die Kirche wurde zu einem der wichtigsten Schauplätze der Suche nach dem innerukrainischen Feind. Im Dezember 2022 kündigte Wolodymyr Selenskyj ein gezieltes Vorgehen gegen den russischen kirchlichen Einfluss an, um die »geistlich Unabhängigkeit« des Landes zu sichern – ein Begriff, der problematisch an die »geistliche Sicherheit« in Russland erinnert.

Das rechtliche Vorgehen gegen russische Einflüsse in der UOK ist eine Gratwanderung zwischen dem Schutz vor Kollaboration und einer Verletzung der Religionsfreiheit. Die Stigmatisierung der Gläubigen der UOK, entsprechende Medienkampagnen und pauschale Vorwürfe durch die OKU sind ein großes Problem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Krieg. Auch die Bestrebungen, die UOK umzubenennen, oder die Einführung des neuen Kalenders als scheinbare Abgrenzung gegen Russland sind Schritte, die die zukünftige Annäherung der beiden orthodoxen Kirchen und innerukrainische Versöhnungsprozesse erschweren.

Gesellschaftlich ist das Vertrauen in die Kirchen laut Umfragen seit Kriegsbeginn signifikant gesunken, sie werden immer weniger als stärkende Ressource für eine gesellschaftliche Identität wahrgenommen. Der jüngste Besuch des Allukrainischen Rates der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Rom, die gemeinsamen Dokumente gegen die »Gender-Ideologie« und zahlreiche gemeinsame Stellungnahmen zum Krieg zeigen, dass strategische Kooperationen zwischen den Kirchen möglich sind. Innerkirchlich ist aber auch klar, dass die Konfliktthemen zwischen den beiden orthodoxen Kirchen nicht allein in der Ukraine und nicht politisch geklärt werden können. Sie würden eine umfassende Initiative der orthodoxen Gemeinschaft erfordern, die jedoch zutiefst zerstritten ist. Die Situation der Kirchen wird darum kompliziert bleiben, und damit auch weiterhin ein leichtes Mittel der Instrumentalisierung durch Russland.

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Am 6. Januar 2019 ist die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine mit dem sogenannten Autokephalie-Tomos anerkannt worden. Damit sollten die anhaltenden Diskussionen um die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche in der Ukraine von Moskau beendet werden. Politische Verstrickungen und kirchliche Machtkämpfe führen jedoch dazu, dass die kirchliche Lage in der Ukraine noch viele Jahre konfliktreich bleiben wird.
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Analyse

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