Deutsche Wirtschaft und der Krieg

Von Alexander Libman (Freie Universität Berlin)

Putins Krieg gegen die Ukraine wurde zu einer enormen Herausforderung für die deutsche Wirtschaft. Zwar haben sich (nicht zuletzt wegen sehr milder Temperaturen) die schlimmsten Erwartungen bezüglich der Energieknappheit im Winter 2022/23 nicht verwirklicht; jedoch bedeutet es nicht, dass die Anpassung Deutschlands an die neue wirtschaftliche Realität erfolgreich abgeschlossen ist. Ganz im Gegenteil, die großen Kraftproben stehen noch bevor.

Es geht dabei um eine dreifache Herausforderung. Erstens, haben der Krieg und die Sanktionen selbstverständlich enorme Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Nach den Daten des statistischen Bundesamtes sind die deutschen Exporte nach Russland 2022 im Vergleich zu 2021 um 45 % gesunken. Die wichtigsten Exportgüter Deutschlands nach Russland sind mittlerweile pharmazeutische Erzeugnisse. Falls man auf die Warenmenge schaut, sind die deutschen Importe aus Russland ebenso um 41 % gesunken; da aber russische Exportgüter, vor allem Energieträger und Rohstoffe, deutlich teurer wurden, ist der Wert der deutschen Importe um 6,5 % gestiegen. Hinter diesen Zahlen verbergen sich massive Unterbrechungen der Lieferketten, die weit jenseits der im Vordergrund der öffentlichen Debatte stehenden Energiefragen reichen. Die komplexe Natur der modernen Marktwirtschaft macht eine genaue Abschätzung der Konsequenzen von diesen Unterbrechungen kaum möglich: sie haben (und werden noch lange) unvorhersagbare Konsequenzen für verschiedene Unternehmen und Branchen haben.

Ebenso unklar bleibt, inwieweit die deutsche Wirtschaft es wirklich schaffen wird, dauerhaft ohne russische Energieimporte erfolgreich zu bleiben: zumindest soll bis Winter 2023/24 gewartet werden, in den Deutschland (anders als den vergangenen Winter) ohne volle Gasspeicher gehen wird. Die Anpassung an den Ausfall der russischen Gaslieferungen kann auch in Form der Reduktion der Produktion bzw. der Abwanderung der deutschen Unternehmen erfolgen, was natürlich für die deutsche Wirtschaft keine guten Nachrichten wäre.

Russland war außerdem ein wichtiger Standort für deutsche Investitionen. Nach dem Kriegsausbruch haben viele deutsche Unternehmen angekündigt, den russischen Markt zu verlassen bzw. ihre Assets zu verkaufen. Wie viele tatsächlich aus Russland zurückgezogen sind, lässt sich anhand der bestehenden Daten nicht definitiv behaupten, was zum Teil an sehr intransparenten Exit-Modalitäten liegt; die bestehenden Schätzungen liegen sehr weit auseinander. Es scheint der Fall zu sein, dass zumindest einige Unternehmen darauf wetten, dass Russland nach wie vor ein für sie zugänglicher und attraktiver Markt bleibt, oder zumindest keinen Weg sehen, ihre Assets ohne enorme Verluste loszuwerden. Ob es in der Tat der Fall sein wird, hängt von der Entwicklung des Sanktionsregimes ab, aber auch von den Maßnahmen der russischen Regierung (die im April 2023 zum ersten Mal die ausländischen Assets von zwei Firmen, darunter einer deutschen, unter externe Verwaltung gestellt hat) und von der allgemeinen Entwicklung der russischen Wirtschaft.

Viel gravierender ist jedoch die zweite Herausforderung. Der Krieg gegen die Ukraine scheint ein Katalysator für grundsätzliche Veränderungen in der Weltwirtschaft zu sein – den Rückgang der Globalisierung und die wirtschaftliche Fragmentierung der Welt. Massive Sanktionen, die gegen Russland beschlossen wurden, lassen andere autoritäre Staaten sich verwundbar fühlen. Staaten wie China gehen jetzt davon aus, dass der Westen durchaus bereit ist, seine Kontrolle über die Infrastruktur der globalen Welt (etwa Zahlungsverkehr) als Wirtschaftswaffe einzusetzen, auch gegen Länder, die für die Weltwirtschaft sehr wichtig sind (wie Russland). Daher werden sie sich in den kommenden Jahren stark bemühen, ihre Abhängigkeit vom Westen in diesen kritischen Bereichen zu reduzieren. Aber auch die westlichen Staaten sehen jetzt die wirtschaftlichen Verflechtungen mit autoritären Staaten nicht mehr als Chance, diese Staaten zu verändern, sondern primär als Risiko. Es gibt außerdem genug Stimmen in Europa und in den USA, die die Länder des globalen Südens dazu auffordern, eine Partei in der Konfrontation gegen Russland und China zu ergreifen – was auf sehr viel Resistenz seitens dieser Staaten stößt. Die USA scheuen sich letztendlich nicht davon, ihre Wirtschaft auf Kosten der europäischen Verbündeten zu unterstützen.

Gerade für eine exportorientierte Wirtschaft wie Deutschland ist der Rückgang der Globalisierung mit enormen Problemen verbunden. Eine Vorstellung, wirtschaftliche Beziehungen primär mit Ländern zu pflegen, die ähnliche Werte wie Deutschland verfolgen, kann sich als illusorisch erweisen. Außerdem wird auch die wirtschaftspolitische Macht Deutschlands angesichts der Entflechtung zurückgehen: Sanktionen wirken zum Beispiel primär nur gegen Länder, mit denen es intensive Wirtschaftsbeziehungen gab. Ohne diese Wirtschaftsbeziehungen haben sogar schärfste Sanktionsmaßnahmen kaum Einfluss.

Dazu kommt die dritte Herausforderung, diesmal einer politökonomischen Natur. Globale und regionale Veränderungen fordern Deutschland dazu auf, die Außenpolitik gegenüber vielen Ländern umzudenken, wo Deutschland in der Vergangenheit primär auf Wandel durch Handel gesetzt hat. Jedoch ist es auch ein Jahr nach dem Kriegsausbruch unklar, wie die Grundlagen der neuen globalen Außenpolitik Deutschlands aussehen könnten. Die deutsche Debatte fokussiert sich sehr stark auf moralische Aspekte und nicht auf strategische Ziele und Wirksamkeit der Politikinstrumente. Einer strategischen Diskussion kann Deutschland jedoch in der langen Frist nicht entgehen.

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