Nach einem Jahr Krieg: Deutschland im Spiegel der russischen Medien

Von Daria Zakharova (Bremen)

In den 14 Monaten seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat Deutschland den Umfang seiner Hilfe für das Land erheblich aufgestockt. Führende deutsche Politiker wie Olaf Scholz, Frank-Walter Steinmeier und Annalena-Baerbock haben die Ukraine mitten im Krieg persönlich besucht.

Russische Offizielle und Moskaus Propaganda haben diese Entwicklung negativ aufgenommen. Die russischen staatlichen Medien berichten nach diesem Jahr noch aggressiver über Deutschland. Dabei greifen sie oft dazu, deutsche Politiker zu beleidigen und das Land der Abhängigkeit von den USA zu beschuldigen.

In den russischen Medien ist aktuell zudem eine Rhetorik populär, die von einer angeblichen massenhaften Ablehnung in der deutschen Gesellschaft in Bezug auf Waffenlieferungen an die Ukraine spricht.

Deutsche gegen Waffenlieferungen an die Ukraine

Anfang 2023 fand in Berlin eine Demonstration gegen Waffenlieferungen an die Ukraine statt. Als Organisator:innen traten die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Journalistin Alice Schwarzer auf. Sie forderten einen Stopp der Waffenlieferungen und eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit Russland. Zu der Demonstration kamen zwischen 10.000 und 13.000 Personen. Im April gab es in Dutzenden deutschen Städten Ostermärsche, bei denen traditionell ähnliche Forderungen geäußert wurden. Daran nahmen insgesamt einige tausend Menschen teil.

Die russische Propaganda berichtete von diesen Demonstrationen sehr viel intensiver als westliche Medien. »In Berlin fand eine Demonstration gegen Waffenlieferungen an Kiew statt«, »In der BRD wird weiter dagegen protestiert, dass Kiew mit Waffen vollgepumpt wird«, »In Deutschland gab es Demonstrationen für eine friedliche Beilegung des Konflikts in der Ukraine« – von solchen Schlagzeilen gab es in den russischen Medien mehr als genug. In der Rhetorik der staatlichen Medien wird intensiv betont, dass die einfachen Deutschen das Vorgehen ihrer Regierung nicht unterstützen. »Bei der Frage, wie ein Frieden zu erreichen wäre, haben die deutsche Regierung und die Bevölkerung, wie es scheint, unterschiedliche Ansichten«, heißt es in einer Reportage des staatlichen Fernsehsenders »Rossija 24«. Die Tradition der Märsche, ihr Wesen und politische Ausrichtung wurden in den Beiträgen natürlich verschwiegen. Die Medien wendeten die übliche Strategie einer populistischen Berichterstattung an. Die russische Propaganda übertreibt und verzerrt die deutsche Realität regelmäßig.

Deutschland ist nie ein »souveräner Staat« gewesen

Ein weiteres Element, das seit dem vergangenen Jahr intensiv von der russischen Propaganda eingesetzt wird, besteht darin, führende deutsche Politiker schlecht zu machen. Zudem wird betont, dass deren Vorgehen nicht eigenständig ist.

Dieses Narrativ bediente der russische Präsident Wladimir Putin zuletzt im März 2023 im Fernsehsender »Rossija 1«. »Es ist doch so, dass europäische Politiker selbst mehrfach öffentlich davon gesprochen haben, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu keiner Zeit im vollen Sinne des Wortes ein souveräner Staat war. Das sind nicht meine Worte. Das sind die Worte bekannter, zumindest eines bekannten und in Deutschland sehr geachteten Politikers. Ihm kann man nur zustimmen«, erklärte Putin. Wer dieser Politiker ist oder war, sagte Putin allerdings nicht.

Intensiv wurde auch das Narrativ von einer angeblichen Abhängigkeit Deutschlands von den USA verbreitet. Im staatlichen Radiosender »Westi FM« erklärte der Direktor des »Zentrums für militärische und politische Forschungen«, Aleksej Podberjoskin, dass »Scholz eine reine Marionette in den Händen der USA« sei. »[Deutschland] ist nicht nur ein besetztes Land. Es ist ein Land, das sich Biden absolut unterordnet. Die USA haben in den 70er- und 80er-Jahren [des 20. Jahrhunderts] alles Mögliche unternommen, um die herrschende Elite nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa vorzubereiten und abzulösen.«

Besondere Aufmerksamkeit widmeten die russischen Medien dem Besuch von Olaf Scholz in den Vereinigten Staaten im März 2023. Angesichts des Umstandes, dass Reisen des russischen Präsidenten in westliche Staaten wegen des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes nicht möglich sind, ist die Propaganda bestrebt, die Isolation Putins gewissermaßen zu »normalisieren« und dabei die Zusammenarbeit westlicher Führer, unter anderem die von Olaf Scholz und Joe Biden, zu diminuieren.

Der Fernsehsender »Rossija 1« brachte einen Beitrag zur Visite von Olaf Scholz in den USA. Der Titel lautete: »Details der Beziehungen von ›Onkel‹ Biden zu ›Bubi‹ Scholz«. Am Beginn heißt es dort: »Während seines Besuchs bei Biden saß Olaf Scholz dort mit verschlossener Haltung, die Beine überschlagen, die Hände verschränkt. Etwas aus dem Bereich des Unterbewussten. Psychologen würden sagen, dass dieser Mensch seinem Gesprächspartner nicht traut. Innerlich stimmt er ihm nicht zu«. Im Weiteren berichtet der Beitrag davon, dass die Vereinigten Staaten Deutschland angeblich zur Lieferung von Leopard-Panzern zwingen, während sie selbst es mit der Lieferung von Abrams-Panzern nicht eilig hätten. Ein ähnliches »Problem« wird in einem anderen Bericht des Senders hervorgehoben: »Biden hat Deutschland praktisch hintergangen: Berlin hat Kiew erst dann Leopard-Panzer geliefert, nachdem Washington auch die Lieferung amerikanischer Abrams zugesichert hat. In den [Vereinigten] Staaten nahm man dann schnell von diesen Worten Abstand. Und Scholz tut so, als sei nichts geschehen«, kommt der Bericht zum Schluss. Die russische Propaganda manipuliert hier den medialen Raum, da die USA sich keineswegs weigerten, der Ukraine Abrams-Panzer zu liefern.

Die wichtigste Gegenspielerin: Annalena Baerbock

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock liegt mit Olaf Scholz hinsichtlich der negativen Berichterstattung durch russische staatliche Medien gleichauf. Baerbock besucht regelmäßig die Ukraine und gibt forsche Stellungnahmen über Russland ab, was von der dortigen Propaganda negativ aufgenommen wird.

Als Gegengewicht zu Annalena Baerbock rücken die staatlichen Medien ihren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in den Vordergrund. Ein an sich unbedeutender Zwischenfall, der sich beim Gipfeltreffen der G20 in Indien im März 2023 ereignet hat, wurde praktisch in sämtlichen russischen Fernsehsendern erörtert und aufgebauscht. Die deutsche Außenministerin flog zum G20-Gipfel nach Delhi und wurde dort an der Gangway in sehr bescheidenem Rahmen empfangen. Sie ist vom deutschen Botschafter und einem Mitarbeiter des Flughafens erwartet worden, während Lawrow von einer großen Delegation und einer Vielzahl Journalist:innen begrüßt worden war. Die Idee der russischen staatlichen Medien dahinter sollte sein, den Stellenwert Deutschlands und Russland für Indien und auf internationaler Ebene durch die Gegenüberstellung des Empfangs zu zeigen; Baerbock, die nicht einmal von indischen Staatsvertretern in Empfang genommen wurde, und Lawrow, dem quasi der rote Teppich ausgerollt wurde. Die staatlichen russischen Medien berichteten darüber mit folgenden Schlagzeilen: »Ein ›unschöner Anblick‹. Im Netz wird verglichen, wie Indien Baerbock und Lawrow empfing«, »Auf Baerbock wartete niemand, während Lawrow einen üppigen Empfang erlebte: Am indischen Flughafen wurden dezent die Haltungen zu den Delegationsleitern der G20 deutlich«, »›Keiner da‹: Baerbock wurde in Indien nur vom Botschafter und vom Schichtleiter des Flughafens empfangen«.

Die Propaganda war umgehend bemüht, diese Situation mit einer negativen Haltung indischer Politiker zu ihren deutschen Kollegen zu erklären. »Ein prächtiges und bezeichnendes Bild, das insgesamt die Haltungen der internationalen Gemeinschaft zu Russland und zu Deutschland erhellt. Das ist es, was bei einem Verlust der Souveränität und einem [Status als] Marionettenregime herauskommt«, lautete der Kommentar in der wichtigsten Nachrichtensendung des russischen Kanals »360«.

Deutschlands Botschafter in Indien, Philipp Ackermann, erklärte allerdings später, dass dieser Empfang bei der Ankunft in Delhi nicht auf eine indische Haltung zu Deutschland zurückzuführen sei. Ackermann zufolge habe Annalena Baerbock beschlossen, das Flugzeug früher zu verlassen, ohne die offizielle Zeremonie abzuwarten. Diese Klarstellung fand natürlich keine Erwähnung durch die russischen staatlichen Medien.

Insgesamt zeichnet die russische Propaganda ein Bild von Annalena Baerbock, das sie als eine »inkompetente und in der Welt nicht geachtete« Außenministerin Deutschlands hinstellt – im Gegensatz zu ihrem professionellen Amtskollegen Sergej Lawrow.

Fazit

In dem Maße, wie der russische Einmarsch in die Ukraine im vergangenen Jahr immer niederschmetternde Formen annahm (durch massiven Beschuss der Städte und der Infrastruktur sowie den Einsatz von Strafhäftlingen und mobilisierten Bürgern), teilte die Propaganda ähnlich intensiv auf degradierende Weise gegen deutsche Poltiker:innen aus.

In der Rhetorik der regimetreuen Medien sind direkte Beleidigungen führender deutscher Politiker:innen und Schlagzeilen im Stile des Boulevard zu finden. Einige Tendenzen der Propaganda sind durch innenpolitische Veränderungen bedingt, die in Russland im Laufe des vergangenen Jahres stattgefunden haben. Da Wladimir Putin das Land praktisch nicht mehr verlassen kann oder will, propagieren die staatlichen Medien gegenüber ihrem Publikum, dass Auslandsreisen schlecht sind.

Die russische Propaganda sucht in der Bevölkerung Deutschlands nach Unterstützung, da die Deutschen sich angeblich intensiv gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wenden. Dabei werden von der Propaganda die Rollen vertauscht: Deutschland wird zum »Aggressor«, der Waffenlieferungen in die Ukraine pumpt, wodurch der Krieg verlängert wird. Russland hingegen sei eine Friedensmacht, die nach einer Regulierung des Konfliktes strebt.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

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Analyse

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Von Daria Zakharova
Der Beitrag analysiert die Berichterstattung in russischen Medien über die Corona-Impfungen im Westen. Neben allgemeinen Merkmalen der Berichterstattung über die Impfkampagnen im Westen werden auch die wichtigsten Narrative untersucht, die dabei in russischen regierungsfreundlichen Medien eingesetzt werden.
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