Kadyrow brüstet sich mit seinen Erfolgen (Februar–Mai 2022)
Nach Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine wurde Kadyrows Telegram-Kanal allmählich zum wichtigsten Sprachrohr für die Propaganda des Regimes in Tschetschenien. Der Kanal war 2017 eingerichtet worden und hatte anfangs 50.000 Abonnent:innen. Nach der Sperrung seines Instagram-Accounts und dem Beginn des großangelegten Krieges gegen die Ukraine schoss die Zahl seiner Follower:innen in die Höhe und belief sich am 16. Oktober 2023 auf über zwei Millionen. Damit wurde Kadyrows Telegram-Kanal zum wichtigsten Medium des tschetschenischen Regimes.
Mit Hilfe einer Textanalysesoftware konnten wir berechnen, dass in dem Zeitraum von Februar 2022 bis Oktober 2023 ganze 95 Prozent der Inhalte von »Kadyrow_95« den Krieg in der Ukraine betrafen. Im Großen und Ganzen befand sich Kadyrows Propaganda auf einer Linie mit dem übergeordneten russischen Narrativ, das ebenfalls den Krieg rechtfertigte, indem die Ukrainer:innen mit Schmähworten wie »Nazis« und »Bandera-Banditen« gebrandmarkt wurden. Innerhalb des großen Themas Krieg haben sich verschiedene Einzelthemen entwickelt, unter anderem der Erfolg von Kadyrows Truppen, Kadyrows Anstrengungen, den Ukrainer:innen den Kampfeswillen zu nehmen, und die Versuche der Propaganda, die Erfolge der Ukraine herunterzuspielen. Die Entwicklung von Kadyrows Rhetorik in Bezug auf Russlands militärische Strategien in der Ukraine und als Reaktion auf politische Entwicklungen innerhalb der russischen Eliten machen deutlich, wie Kadyrow sich strategisch an die Dynamik des Krieges angepasst hat, um seine eigenen politischen Interessen zu verfolgen.
Unmittelbar nach dem russischen Einmarsch war Kadyrows Telegram-Kanal für einige Tage verdächtig still. Die erste Nachricht zum Krieg erschien am 26. Februar 2022, und zwar mit einem Video, das »Kadyrowzy« zeigte, die inoffiziellen Streitkräfte der tschetschenischen Führung. Im Video war eine Vielzahl gut ausgerüsteter Truppen zu sehen, die sich zum Appell sammelten. Das sollte demonstrieren, dass Kadyrows Truppen bereit sind, an die ukrainische Front zu ziehen. In dem Text zum Video wurde behauptet, die Einheiten bestünden aus 12.000 Soldaten und Kadyrow habe persönlich zu ihnen gesprochen. Kadyrow zog in dieser Phase in seinem Diskurs Parallelen zwischen der Lage in Syrien und jener in der Ukraine, indem er den Westen beschuldigte, den Krieg angezettelt zu haben. Er betonte die Schlüsselrolle von Wladimir Putin für die Sicherheit Russlands wie auch für die der international nicht anerkannten »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk und der Bevölkerung dort. Wenn er von der militärischen und politischen Elite der Ukraine sprach, benutzte Kadyrow abfällige Begriffe wie »Nazis« »Terroristen« oder »Satane« (mit letzteren waren gewöhnlich die tschetschenischen Freiwilligen gemeint, die auf Seiten der Ukraine kämpfen). Er verkündete seine Absicht, die Menschen im Donbas zu befreien und deutete sogar eine Bereitschaft an, Europa »einzunehmen« und zu »beherrschen«. Diese Behauptungen wurde mit Rufen wie »Achmat sila« und »Allahu akbar« beantwortet. Die Parole »Achmat sila« (dt.: »Achmat ist die Kraft«) wurde vor einigen Jahren von Kadyrows Regierung geprägt und verbreitet, um als Teil des Gedenkens an und des Personenkults um Kadyrows Vater zu dienen. Achmat Kadyrow hatte das derzeitige Regime begründet und war 2004 durch ein Attentat ums Leben gekommen. Wie in seinen Reden üblich, bekundete Kadyrow, er wolle »jeden Befehl des Oberkommandierenden« (also Wladimir Putins) ausführen.
Während dieser ersten Phase folgten Kadyrows Posts und Reden eng der Linie der frühen russischen Kriegspropaganda. Er wählte einen überaus optimistischen Ton und konnte es kaum erwarten, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj und die ukrainischen Truppen sich in die Länder des Westens flüchten würden. Kadyrow behauptete sogar, er werde bald in einem im Westen produzierten, von seinen Truppen eroberten gepanzerten Fahrzeug in Kyjiw einmarschieren, wobei er andeutete, dass alles, worauf er warte, der Befehl des Oberkommandierenden sei. Er wich nur an den Punkten von Russlands offizieller Position ab, wo er diese als zu nachgiebig betrachtete: Er kritisierte die Friedensverhandlungen, die bald nach Beginn der russischen Vollinvasion eingeleitet wurden, wobei er meinte, die »Sache müsse zu Ende gebracht werden«, weil »sie [die Ukraine und der Westen] nur die Sprache der Stärke verstehen«.
Kurzum, der tschetschenische Führer positionierte sich und seine Streitkräfte strategisch als unerschütterliche Unterstützer von Putins Ukraine-Politik. Diese Haltung sollte über den gesamten Beobachtungszeitraum bestehen bleiben. Kadyrow griff die russische Propaganda auf und umriss die Kriegsziele mit »Befreiung der unterdrückten Bevölkerung« und »Beendigung des Völkermords an Russen, die im Donbas acht Jahre lang zu leiden hatten«.
Kadyrows doppeltes Spiel: »Ja« zum Krieg, aber »Nein« zur Mobilmachung (Mai bis September 2022)
Bis zum Frühling 2022 sorgte die gescheiterte Einnahme von Kyjiw und die verlorene Kontrolle über die nördliche Ukraine für einen merklichen Wandel in Kadyrows Diskurs. Diese Veränderungen wurden nach der Aufstellung des Freiwilligenbataillons »Achmat« im Mai und durch Kadyrows Reaktion auf die Mobilmachung deutlich, die im September verkündet wurde. In dieser Phase reduzierte Kadyrow den Teil seiner Rhetorik, der einen schnellen Sieg aufgrund eines »Befehls des Oberkommandierenden« erwarten ließ. Stattdessen versuchte er, die Aufmerksamkeit auf kleinere Erfolge wie die Einnahme von Mariupol zu lenken, auch wenn das nur begrenzt gelang. Bis Mai 2022 hatte Kadyrow über ein Dutzend Mal verkündet, Mariupol sei eingenommen und alle »Nazis« seien entweder getötet, gefangen oder geflohen. Er unterstützte zwar weiterhin den Krieg gegen die Ukraine und dessen Ziele und feierte die militärischen Erfolge an Orten wie Mariupol, Popasna, Sewerodonezk und Lyssytschansk. Doch gab es bei seinen Botschaften auch grundlegende Veränderungen.
Zu diesen Veränderungen in seinem Narrativ hatte unter anderem der Umstand geführt, dass Kadyrows Truppen in dieser Zeit höhere Verluste erlitten. Er begann, sich direkt an die Ukrainer:innen zu wenden, um zu versuchen, deren Gefühl für ein mit Russland geteiltes Erbe und die gemeinsame Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg« wachzurufen. In einer dieser Stellungnahmen schrieb er: »Ukraine! Ukrainer! Wollen wir vergessen, dass wir Brudersprachen sprechen? Wollen wir vergessen, dass unsere Großväter gemeinsam gekämpft haben…«
Auch wenn seine Loyalität zu Putin unverändert blieb, erlaubte sich Kadyrow, andere Personen im Kreml zu kritisieren. So verurteilte er beispielsweise Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow, dass dieser den populären Showmaster Iwan Urgant, der gegen den Krieg war und Russland nach der Invasion in die Ukraine verlassen hatte, einen Patrioten nannte. Er argumentierte, Peskow hätte stattdessen die Leistungen von Kadyrow und seiner Truppen an den Fronten in der Ukraine hervorheben sollen: »Das ist es, was es braucht, um ein Patriot zu werden«, und fügte dann hinzu: »Ich bin überrascht, dass Peskow meine Beförderung zum Generalleutnant nicht kommentiert hat […] Wir [Kadyrowzy] treiben Tag und Nacht die Spezialoperation voran.«
Da die Aussicht auf einen schnellen Sieg in der Ukraine schwand, wurde Kadyrow sich des zunehmenden Einflusses itschkerischer [tschetschenischer] Kräfte bewusst (Gemeint sind hier einige Freiwilligenbataillone aus Tschetschenen, die in der Ukraine unter dem Banner eines unabhängigen Tschetscheniens kämpfen), wie auch der wachsenden Unzufriedenheit in der tschetschenischen Bevölkerung in Bezug auf den Krieg. Diese Unzufriedenheit ist offensichtlich und wurde häufig durch Beiträge illustriert, die auf dem oppositionellen tschetschenischen Telegram-Kanal »1Adat« veröffentlicht wurden. Später in dieser Phase galten also viele seiner Botschaften den tschetschenischen Landsleuten, wobei er seine Entschlossenheit unterstrich, angesichts der im September 2022 verkündeten Mobilmachung die Interessen Tschetscheniens zu verteidigen. In seinen Stellungnahmen auf Tschetschenisch setzte er einen stärkeren Akzent auf ethnische Identität, Traditionen und Nationalismus.
Die öffentlichen Proteste von tschetschenischen Frauen gegen die Mobilmachung und die Entsendung weiterer tschetschenischer Truppen in die Ukraine beunruhigten Kadyrow in einem Maße; dass er sich weigerte, zusätzliche tschetschenische junge Männer für den Krieg zu mobilisieren. Dabei behauptete er: »die Tschetschenische Republik hat die notwendigen Mobilmachungsmaßnahmen bereits zu 254 Prozent erfüllt«. Er erklärte aber auch, er werde weiterhin die Mobilmachung unterstützen.
Unterdessen blieb Kadyrows russischsprachige Rhetorik eine grobe Kopie des politischen Diskurses des Kremls, wobei er den Krieg in der Ukraine zum Anlass nahm, seine Linientreue zu Wladimir Putin hervorzuheben. Er wartete zwar immer noch auf den Befehl des Oberkommandierenden, um in diesem Krieg für den Sieg zu sorgen, doch wurde diese Vorstellung jetzt seltener erwähnt.
Konflikt mit dem Generalstab: Putin ist immer noch sakrosankt, andere sind entbehrlich (September 2022–März 2023)
Zwischen September 2022 und März 2023 konzentrierte sich Kadyrows Diskurs auf das mangelhafte Vorgehen des russischen Verteidigungsministeriums, insbesondere, weil es nicht in der Lage war, in der Region Charkiw die Front zu halten, und weil sich die russischen Truppen nach dem Debakel von Lyman im September 2022 ungeordnet zurückzogen. Kadyrow kritisierte vehement Generaloberst Lapin für dessen »Inkompetenz« und den Umstand, dass dieser sich nicht an der Front blicken ließ. Lapin sei, betonte er, für seine Rolle in Lyssytschansk mit dem Titel »Held Russlands« ausgezeichnet worden, obwohl »er physisch gar nicht vor Ort gewesen war«. In einer Telegram-Nachricht vom 1. Oktober 2022 erwähnte Kadyrow, dass er seine Besorgnis in Bezug auf Lapin gegenüber dem Chef des Generalstabs, Walerij Gerassimow, geäußert habe. Gerassimow missachtete jedoch seine Warnungen und machte seine Unterstützung für Lapin deutlich. Das war ein Schritt, den Kadyrow als »militärischen Nepotismus« bezeichnete. Er beschuldigte Gerassimow, »Lapin zu decken«, und deutete an, dass die Inkompetenz des Generalstabs dazu beigetragen habe, dass die Ukraine die Gegend bei Isjum zurückgewinnen konnte.
Einige Tage später, an seinem 47. Geburtstag und wohl mit Blick auf seine Rolle im Krieg in der Ukraine, wurde Kadyrow in den Rang eines Generaloberst befördert, was einem Viersternegeneral entspricht. Diese Beförderung, die seiner Stimme mehr Gewicht gab, fiel mit bestimmten Entwicklungen an der Front zusammen, etwa der Ernennung von General Sergej Surowikin zum Oberkommandierenden der russischen Truppen in der Ukraine. Nach der Beförderung suchte Kadyrow die direkte Konfrontation mit dem Generalstab, wobei er mit Akteuren wie Jewgenij Prigoschin und General Surowikin gemeinsame Sache machte, um deren Einfluss innerhalb des Verteidigungsministeriums auszubauen. Mindestens in drei Fällen äußerte Kadyrow seine starke Unterstützung für Prigoschin, wobei er ihn als wahren Patrioten pries und den Kommandeur und seine Soldaten für deren Leistungen an der Front lobte. Kadyrow schlug auch in der Diskussion um Surowikin und dessen Entscheidung zum Rückzug aus Cherson einen Ton an, der beide unterstützte. Er betonte den Wert, den Surowikin dem Leben der Soldaten beimaß, für die er die Verantwortung hatte.
Gleichzeitig kritisierte Kadyrow General Soboljew, der ihn beschuldigt hatte, die NATO zu provozieren und einen dritten Weltkrieg anzuzetteln. Kadyrow reagierte, indem er Soboljew einen Vogel Strauß (sprich »Feigling«) nannte, der seinen Kopf vor Angst in den Sand steckt. Es war nicht das erste Mal, dass Kadyrow gegen Soboljew wetterte: Der General hatte sich Kadyrows Kritik eingehandelt, nachdem er meinte, die russischen Militärstatuten würden es Soldaten nicht erlauben, lange Bärte zu tragen, wie es die Kadyrowzy tun. Dieser interne Zwist ebbte erst ab, als Präsident Putin im Januar 2023 seine Unterstützung für Sergej Schojgu und Walerij Gerassimow bekräftigte und Surowikin von seinem Kommandeursposten in der Ukraine abberief.
In der gesamten Phase blieben Kadyrows Unterstützung für den Krieg und Loyalität zu Wladimir Putin unerschütterlich. Er erklärte weiterhin seine Bereitschaft, jeden Befehl des Oberkommandierenden auszuführen.
Opposition gegen Prigoschin und Eigenwerbung (März–Oktober 2023)
Im März 2023 zeigte Kadyrow zum ersten Mal seit Beginn des Krieges Sorge um die eigene politische Zukunft. Nachdem Prigoschin seine Kritik am Verteidigungsministerium intensiviert und verlangt hatte, dass Gerassimow und Schojgu entlassen werden, suchte Kadyrow zusammen mit einigen seiner Anhänger (u. a. Adam Delimchanow) online die Konfrontation mit Prigoschin. Diese Auseinandersetzung ließ die Spannungen zwischen Kadyrows engster Umgebung und den ultrarechten Elementen innerhalb der Wagner Gruppe (z. B. Dmitrij Utkin) eskalieren. Kadyrow attackierte unmittelbar den berüchtigten Anführer von Wagner und wies dessen Kritik am Verteidigungsministerium zurück, besonders was die Zuteilung von Rüstungsgütern wie etwa Artilleriemunition betrifft.
Als Antwort auf Prigoschins Behauptungen, seine Truppen hätten nicht genug Munition, um effizient zu kämpfen, meinte Kadyrow, solche Mängel könne es zu Kriegszeiten überall geben. Er sagte: »Das war immer so [im Krieg]« und schlug vor, Prigoschin solle aufhören zu jammern und lieber weiterkämpfen. Er erklärte sich persönlich bereit, Prigoschin zu ersetzen, falls dieser zu schwach sei weiterzukämpfen. Und er wiederholte seine Bereitschaft, jeden Befehl des Oberkommandierenden auszuführen: »Unsere Kämpfer sind bereit vorzurücken und die Stadt einzunehmen. Das würde nur wenige Stunden brauchen.«
Während Prigoschins Aufstand im Juni 2023 stand Kadyrow fest hinter Putin und entsandte unter anderem Truppen nach Moskau, um die Hauptstadt zu verteidigen und »die Rebellion zu ersticken«.
Er betonte, das Ziel dieses Einsatzes [tschetschenischer Truppen] sei, die »Einheit Russlands zu bewahren und dessen Staatlichkeit zu schützen«. Nach dem gescheiterten Aufstand und inmitten von Gerüchten, dass sich seine Gesundheit stark verschlechtert habe und er in einem bedenklichen Zustand sei, drosselte Kadyrow seine Online-Aktivitäten beträchtlich. Anscheinend hatte er die Gefahren erkannt, eine offen gegen das Verteidigungsministerium gerichtete Position einzunehmen. Gegen Ende des Sommers waren es andere Themen, die prominent bei Kadyrows Auftritten in den sozialen Medien auftauchten. Da ging es insbesondere um den Aufstieg seiner Nachkommen und die Stärkung ihrer Rolle in der tschetschenischen Politik. Im Laufe des Sommers stellte Kadyrows Telegram-Kanal häufig Kadyrows Sohn Achmat und dessen politische Betätigung in Tschetschenien in den Vordergrund. Darüber hinaus teilte er ein Video, auf dem sein Sohn Adam vermeintlich eine Person verprügelt, die angeblich vor einer Moschee in Wolgograd eine Koranausgabe verbrannt hatte. In einem vorherigen Telegram-Beitrag über diese mutmaßliche Koran-Schändung hatte Kadyrow den »satanischen« Westen beschuldigt, eine weitere »Beleidigung des Islam« zu orchestrieren. Dieses Narrativ liegt auf einer Linie mit Russlands antiwestlichem Diskurs. Kadyrows Huldigung seiner Söhne unterstreicht, wie Tschetscheniens Normen und Regeln oft Vorrang vor russischem Recht erhalten, insbesondere, wenn es um tschetschenische Identität und den Islam geht.
Bereits nach Abschluss unseres Untersuchungszeitraums entschloss sich Kadyrow, zwei neue Bataillone aufzustellen, die nach tschetschenischen Helden benannt wurden, die im 18. und 19. Jahrhundert gegen Russland gekämpft hatten. Eines der beiden wurde nach Scheich Mansur benannt, was eine klare Parallele zu dem gleichnamigen tschetschenischen Bataillon darstellt, das jetzt auf Seiten der Ukraine kämpft. Das zweite war nach Bajsangur Benoj benannt, einem tschetschenischen Helden der Kaukasus-Kriege (1801–1864). Dieser Schritt ermöglichte es Kadyrow, die Identitätspolitik seiner Opponenten zu vereinnahmen und gleichzeitig seine enge Verbindung mit den Tschetschen:innen zu betonen, für die diese Namen in der kollektiven Erinnerung für bedeutende Figuren stehen. Dieses neue Muster zeigt, wie Kadyrow die Kriegspropaganda einsetzt, um sein Regime in Tschetschenien zu stabilisieren und die Rolle seiner Familie innerhalb dieses Regimes zu stärken.
Schlussfolgerungen
Die Analyse von Kadyrows Telegram-Kanal »Kadyrow_95« ergibt, dass das Oberhaupt der Tschetschenischen Republik nach dem Februar 2022 die Entsendung der Kadyrowzy in die Ukraine dazu genutzt hat, um Putin seine Ergebenheit zu demonstrieren, sein eigenes politisches Überleben zu sichern und die Tschetschen:innen an sein Regime zu binden. Der tschetschenische Diktator hat die militärischen und politischen Erfolge Russlands in der Ukraine instrumentalisiert, um das Narrativ von seinem Beitrag zum Krieg und den russischen Patriotismus im Allgemeinen zu stützen. Gleichzeitig hat er aus den militärischen Misserfolgen Vorteile gezogen, indem er das Verteidigungsministerium, Schojgu, Gerassimow und Prigoschin zur Stärkung seiner eigenen Position in der gesamtrussischen Politik kritisierte. Er manövriert geschickt innerhalb der russischen Elite in dem Versuch sicherzustellen, dass er als Herrscher in Tschetschenien unersetzlich und auf föderaler Ebene nützlich ist.
Kadyrows rhetorischer Wandel nach dem Juni 2023 zeigt, dass er die Risiken und Grenzen verstanden hat, die mit der Instrumentalisierung des Krieges in der Ukraine zum Zweck, auf föderaler Ebene daraus politisches Kapital zu schlagen, verbunden sind. Das Schicksal von Jewgenij Prigoschin illustriert auf drastische Weise die Gefahren, die mit überzogenen Ambitionen einhergehen. Kadyrow hat die Konfrontation mit dem Verteidigungsministerium nicht weiter eskaliert und stattdessen den Aufstand Prigoschins dazu genutzt, seine Linientreue zum Regime unter Beweis zu stellen. Durch die Entsendung seiner Truppen zur Niederschlagung des Aufstands und zur Sicherung der russisch-ukrainischen Grenze bei Belgorod positionierte sich der tschetschenische Führer erneut als Vorkämpfer in der Schlacht zur Bewahrung von Wladimir Putins Regime in Russland. Seine Unterstützung ging so weit, dass zusätzliche Achmat-Einheiten in verlustreiche Schlachten geschickt wurden, um die russische Armee bei Bachmut, Awdijiwka und Robotyne zu unterstützen. Diese Einheiten bestanden zwar vorwiegend aus ethnischen Russ:innen, doch stellte Kadyrow ihr Engagement als bedeutenden Beitrag seines Regimes zu den allgemeinen Kriegsanstrengungen dar. Unsere Analyse zeigt Kadyrows Anpassungsfähigkeit und seine Resilienz angesichts der politischen Herausforderungen auf, die der Krieg mit sich brachte. Der Imperativ des politischen Überlebens hat ihn zwar dazu verdammt, das Streben nach einer höheren Position in der politischen Hierarchie in Moskau einzustellen. Doch wäre es keine Überraschung, wenn Kadyrow erneut versuchen sollte, politische Ambitionen an den Tag zu legen und den föderalen Eliten die Stirn zu bieten.
Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder
Dieser Beitrag ist zuerst als Eurasia Policy Memo Nr. 869 im Dezember 2023 bei PONARS erschienen.