Interaktive Workshops für SchülerInnen ab der 7. Klasse
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt zu Polarisierung und heftigen Debatten in der deutschen Gesellschaft. Gleichzeitig verbreitet sich russische Propaganda auch hierzulande über soziale Netzwerke. Gerade an Schulen stellt die russische Propaganda eine große Herausforderung dar. Meine Journalisten-Kollegin Mandy Ganske-Zapf und ich haben deswegen einen Workshop für SchülerInnen ab der 7. Klasse entwickelt: In interaktiven Formaten zeigen wir klassische russische Propaganda-Narrative auf – und erklären, wie man ihnen entgegnen kann. In diesem Text stellen wir unseren Ansatz vor und benennen die Herausforderungen und Hürden, auf die wir im Gespräch mit den SchülerInnen stoßen.
Journalistischer und wissenschaftlicher »Faktencheck«
Sind das wirklich Nazis in Kyjiw? Ist Putin wie Hitler? Gehört die Ukraine ursprünglich zu Russland? So lauten die Fragen, die Schülerinnen und Schüler in unseren Workshops stellen. Sie dürfen uns alle Fragen stellen – und diese gehen ihnen zum Glück nicht aus.
Uns geht es darum, mit ihnen gemeinsam Antworten zu finden. In unserem Workshop bedeutet das: »Faktencheck« – nach allen Regeln des Journalismus und der Wissenschaft. Denn diese abstrakten Regeln gibt es tatsächlich, in unseren Workshops machen wir sie anschaulich und erlebbar. Entscheidend dabei ist, zunächst die Quelle der Informationen zu überprüfen. Wir stellen uns mit unseren beruflichen Profilen, Stationen, Werdegängen, Studienabschlüssen (Slawistik und Politikwissenschaft) zuallererst vor und erklären, woher wir wissen, was wir im Klassenzimmer erzählen.
Dabei ist es uns wichtig zu vermitteln, wo Urteile und Argumente auf Fakten basieren – und wo auf Propaganda und Desinformation. Denn auch wenn alle Beteiligten einer Debatte von seriösen Fakten ausgehen, können sie zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen – etwa in der Frage: »Taurus liefern – ja oder nein?«.
Es gibt jedoch Argumente, die nur die halbe Wahrheit erzählen – oder den Fakten schlicht nicht entsprechen. Kompensiert wird stattdessen mit Emotionalisierung, Verschwörungsmythen und dem Anzweifeln von gesichertem Wissen. Wir versuchen, dafür zu sensibilisieren, wo faktenbasierte Diskurse aufhören und Propaganda beginnt.
Was tun, wenn Fakten sich nicht unabhängig prüfen lassen? Wenn die Wissenschaft in bestimmten Fragen uneins ist? Dann sollte dieser ambivalente Sachverhalt offen angesprochen werde.
Propaganda erkennen – und widerlegen
Die Workshops, die wir entwickelt haben, lassen sich an alle Jahrgangsstufen und Schultypen anpassen, sie beinhalten eine Fragerunde – bauen aber zunächst immer auf einem Grundgerüst auf: Ausgehend von den Ansprachen Putins unmittelbar vor Beginn des großflächigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zeigen wir einige der klassischen russischen Propagandanarrative auf. Russland als »vom Westen umzingelt«, die Ukraine als »Marionette« des Westens, das Narrativ von den »Faschisten« in Kyjiw und die Behauptung, dass die Ukraine »schon immer russisch gewesen« sei.
Punkt für Punkt dröseln wir auf, setzen Fakten dagegen. Unser Ansatz verfolgt dabei eine Mischung aus Landes- und Medienkunde. Erstens geht es uns darum, Propaganda zu erkennen und sie anhand von Fakten zu widerlegen. Zweitens zeigen wir auf, warum bestimmte Propagandanarrative starke Wirkung entfalten. Unter anderem deswegen, weil sie aus dem historischen Gedächtnis und aus Mythen rund um den Zweiten Weltkrieg schöpfen. Viele SchülerInnen haben sich mit dem Zweiten Weltkrieg im Lehrplan bereits auseinandergesetzt und können mit ihrem Wissen hier anknüpfen. Drittens arbeiten wir deutlich heraus, wie Propagandanarrative vor allem aus dem russischen Staatsfernsehen in unterschiedlichen Formaten (TV-Talkshows etc.) aufgegriffen und bis in die EU verbreitet werden.
Unsere Lehrmaterialien sind anschaulich: Wir zeigen Karten, untertitelte Ausschnitte aus Talkshows, Fotos oder Filmausschnitte. Außerdem ist es uns wichtig, SchülerInnen möglichst mit Beispielen aus ihrer Lebenswelt abzuholen. Willkürlich Grenzen zu verschieben verbietet das Völkerrecht, auch das erklären wir im Workshop. Außerdem veranschaulichen wir, wo es hinführen würde, historisch mit dem Mittelalter zu argumentieren und heute von den selben Staatlichkeiten auszugehen, wie es sie in früheren Jahrhunderten gab. An einer Schule in Magdeburg löste die Karte vom Frankenreich des 8. und 9. Jahrhunderts erst großes Staunen aus: Sind wir jetzt alle Franzosen oder alle Franzosen Deutsche? Und dann die Erkenntnis: Damals gab es Deutschland oder Frankreich genauso wenig wie Russland oder die Ukraine, wie wir die Länder als Nationalstaaten in ihren heutigen Grenzen kennen.
Eine Herausforderung, vor der wir standen: Nicht alle Jahrgangsstufen, in denen wir die Workshops anbieten, haben im Unterricht bereits über die strukturellen Unterschiede zwischen staatlichen und öffentlich-rechtlichen Medien, zwischen Aktivismus und Journalismus gesprochen. Um diese Unterschiede möglichst niedrigschwellig, aber dennoch anschaulich zu vermitteln, haben wir ein Rollenspiel entwickelt:
Nach dem ersten Workshopteil über Propagandanarrative und russische Medien werden die SchülerInnen selbst zu JournalistInnen. Sie interviewen zunächst eine Moskauerin, die beim russischen Staatssender Perwyj Kanal (Erster Kanal) arbeitet. Möglichst ähnliche Fragen stellen sie danach einer russischen Journalistin, die im Exil lebt und arbeitet. Es ist jeweils eine von uns Workshopleiterinnen, die diese Rollen übernimmt. In diesem Rollenspiel wird ganz deutlich: Die Antworten der beiden Interviewpartnerinnen auf ganz ähnliche Fragen fallen komplett unterschiedlich aus. Nach jeder einzelnen Fragerunde werten wir gemeinsam aus, was geantwortet wurde. Dabei geht es uns vor allem darum, das jeweilige Verständnis von »Journalismus« und der eigenen Rolle zu vergleichen, für sogenannten Whataboutism (also eine Gegenfrage aufzuwerfen, die vom eigentlichen Thema ablenkt) zu sensibilisieren und zu vermitteln, wie man ihm entgegnet. Unsere Antworten basieren auf Berichten und Interviews mit staatlichen russischen MedienvertreterInnen und auch JournalistInnen von russischen Exilmedien, u. a. in unabhängigen russischen Online-Medien wie – dem früheren – Lenta.ru, Meduza, The Village u. v. m. sowie auf Büchern von Joshua Yaffa oder Marina Owsjannikowa. Sehr deutlich wird dabei, wie PropagandistInnen ticken. Dass es zum eigenen Selbstverständnis gehört, sich in den Dienst des russischen Staates zu stellen. Und dass die Lüge, so seltsam es in den Ohren vieler SchülerInnen hier erscheinen mag, in diesen Propagandaorganen als legitimes Mittel zum Zweck betrachtet wird. Diese Einblicke machen vielen SchülerInnen erst verständlich, warum es unsinnig ist, Propaganda als Nachrichten oder Berichterstattung zu lesen und zu analysieren. Wichtig ist dabei auch, unser eigenes Selbstverständnis als Journalistinnen kontrastierend und ergänzend ins Spiel zu bringen.
Den inneren Kompass schärfen
Was wir vermitteln wollen: Vertrauen. Klingt das pathetisch? Mit Sicherheit, aber genau das wollen wir eben erreichen. Vertrauen in verantwortungsvollen Umgang mit Informationen. Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Propaganda und Desinformation von verlässlicher Information zu unterscheiden, wenn es um Russlands Krieg gegen die Ukraine geht. Vertrauen in sich selbst, Propagandanarrativen und Verschwörungstheorien auch im eigenen Umfeld entgegenzutreten. Hierzu gehören auch Whataboutism und die Frage »Wem nützt es?«. Darauf aufbauend wollen wir die SchülerInnen ermuntern, anhand verlässlicher, wissenschafts- und faktenbasierter Informationen ein Bild von den aktuellen Ereignissen in der Ukraine und in Russland zu machen. Wir wollen ihren inneren Kompass schärfen, um verantwortungsvoll mit Medien umzugehen.
Unser Projekt ist noch in der Pilotphase, das Feedback ist bislang durchweg positiv. Hürden sind hauptsächlich enge schulische Abläufe, die wenig Raum für derartige Workshops lassen. Deshalb ist es uns wichtig, unsere Module anschlussfähig zu machen, um auch auf klassische Lehrplanthemen wie den »Zweiten Weltkrieg« intensiver eingehen zu können. Sowieso sprechen wir uns im Vorfeld eng mit den Lehrkräften ab. Wir bemerken außerdem mitunter eine gewisse Sorge, mit dem Workshop zu einem solch polarisierenden Thema womöglich Debatten in der Schüler- wie Elternschaft zu provozieren. Dem begegnen wir, indem wir klarstellen, dass wir keiner parteipolitischen Linie folgen. Unser Maßstab ist das Prinzip des journalistischen und wissenschaftlichen »Faktenchecks«.
In der Pilotphase wird das Projekt »Russische Propaganda erkennen – interaktive Workshops an Schulen« durch die Marion Dönhoff Stiftung gefördert. Seit Februar 2024 fungiert außerdem die Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt als Kooperationspartner. Weitere Informationen gibt es unter: tamina-kutscher.deund mgzapf.de.