Die Silowiki im Krieg: Die russischen Geheimdienste seit Februar 2022

Von Mark Galeotti (Mayak Intelligence; University College London)

Zusammenfassung
Während der Kreml immer stärker in den Kriegsmodus wechselt, hat sich die Rolle der Geheimdienste mit ihren Operationen im In- und Ausland weiter verstärkt. Dazu gehört auch eine Kampagne von zunehmend unverfrorenen Sabotageaktionen in Europa. Im Innern hat der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) durch die zunehmende Unduldsamkeit des Kreml gegenüber Opposition seine Macht ausbauen und sein Portfolio erweitern können. Im Ausland versuchten die russischen Dienste, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Das war unter anderem durch die massenhafte Ausweisung von Geheimdienstmitarbeiter:innen, die von Botschaften im Westen aus agiert hatten, nicht immer leicht. Daher stützen sich die Nachrichtendienste zunehmend auf Cyber-Operationen und Proxys. Diese sind zwar keineswegs immer erfolgreich gewesen, doch bestehen kaum Zweifel, dass sie für das Vorgehen der Geheimdienste im Innern und im Ausland von zentraler Bedeutung bleiben.

Bereits im Krieg

Im September 2024 erklärte Sir Richard Moore, der Chef des britischen Secret Intelligence Service (besser bekannt als MI6), bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit der CIA, dass »der russische Nachrichtendienst inzwischen ziemlich hemmungslos agiert«. Es wäre wohl besser davon auszugehen, dass die »Spezialdienste« (wie sie im Russischen genannt werden) – also im Wesentlichen der Auslandsnachrichtendienst (SWR), der Militärgeheimdienst »Hauptverwaltung des Generalstabs« (GU, immer noch weithin als GRU bekannt) und der FSB – sich schnell, ja geradezu enthusiastisch an die wilden Zeiten angepasst haben.

Es gibt einen markanten Unterschied zwischen Nachrichten- und Geheimdiensten in Friedens- und in Kriegszeiten. Zu Friedenszeiten sind sie und ihre politischen Auftraggeber risikoscheuer und eher darauf bedacht, Informationen zu sammeln, als Aktivitäten mit unmittelbarer Auswirkung an den Tag zu legen, etwa eine Brücke zu sprengen oder eine Regierung zu stürzen. Im Krieg hingegen gehen sie mehr Risiko ein, weil es sich eher lohnt, Gelegenheiten zu ergreifen und die Prämisse, Fehlschläge zu vermeiden, nicht mehr an oberster Stelle steht. Also konzentrieren sie sich mehr auf aktive Operationen oder werden durch einen neuen Dienst ergänzt – wie im Fall von Stalins mörderischer Spionageabwehr »SMERSch«, die 1942 gegründet (erst 1943 verkündet) und 1946 aufgelöst wurde.

Die russischen Nachrichtendienste haben im Gleichschritt mit Putin seit 2011/12 zunehmend im Kriegsmodus operiert. Putin hat die Bolotnaja-Proteste nicht als Wut auf ein manipuliertes politisches System wahrgenommen, sondern eher als Beleg für den »hybriden Krieg« des Westens interpretiert, als Versuch, sein Regime zu destabilisieren. Dieser Krieg habe laut Putin begonnen, nachdem die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton den Oppositionsführer:innen »eine Freigabe erteilt habe«. Dies waren erste Anzeichen einer zunehmend paranoiden Weltsicht, die durch den Falken Nikolaj Patruschew, Putins langjährigen Sekretär des russischen Sicherheitsrates und de facto Sicherheitsberater, zusätzlich genährt wurde. Allerdings war es eine spiegelbildliche Verkehrung. Die russischen Geheimdienste sind schließlich Erben des sowjetischen KGB mit all seinen »aktiven Maßnahmen«, also politischen Operationen, die von Sabotage bis Subversion reichten, und sie gingen deswegen davon aus, dass diese auch in der Doktrin der westlichen Geheimdienste eine zentrale Rolle spielen.

Im Inland erfolgte eine stete Bewegung weg von dem relativ lockeren »hybriden Regime« der ersten Amtszeiten Putins und unter Medwedew, als eine beträchtliche Bewegungsfreiheit für die Zivilgesellschaft und sogar Dissens zugelassen wurden, solange dies nicht die Vormacht des Regimes in Frage stellte. Der Aufstieg des Geheimdienststaates bedeutete, dass die Sicherheitsbehörden sowie Polizei und Justiz mehr Machtbefugnisse, Ressourcen und Bewegungsspielraum erlangten. Während das Innenministerium (MWD) zögerlich war, sich vorrangig als politische Polizei zu betätigen, weil es befürchtete, dadurch zu wenig Ressourcen für seine eigentlichen Kernaufgaben bei der inneren Sicherheit übrig zu haben und Bemühungen, ein zumindest ansatzweise nicht auf Repression basierendes Verhältnis zur Gesellschaft aufzubauen, gefährden würde (das sollte einer der Gründe dafür werden, dass das MWD 2016 seine für die öffentliche Sicherheit zuständigen Einheiten an die neugebildete Nationalgarde verlor), nutzte der FSB die neuen Möglichkeiten voll aus.

Die Auslandsgeheimdienste begannen ebenfalls, die Schlagzahl zu erhöhen, wobei mögliche negative Rückwirkungen in Kauf genommen wurden. Diese Kriegsmentalität trat 2013/14 während der Revolution der Würde in der Ukraine (die von Putin als vom Westen orchestrierter Staatsstreich charakterisiert wurde) noch deutlicher hervor. Somit waren die russischen Geheimdienste schon vor der Vollinvasion vom Februar 2022 – in den Worten eines/r Mitarbeiter:in der britischen Spionageabwehr – »unverfroren, aggressiv und agierten ohne Rücksicht auf Verluste«. Man ging mit stärkerer Zusammenarbeit zwischen Diensten (oder wenigstens weniger Konkurrenz) als zuvor zu Werke. Seit langem hatte Putin mit Hilfe überlappender Aufgabenbereiche und einer Drohung mit Auflösung – wie es der Föderalen Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information (FAPSI) erging, die 2003 von ihren Rivalen geschluckt wurde – die Dienste ermutigt, miteinander um Haushaltsmittel, Zuständigkeiten und Vorrang zu wetteifern. Die Einschätzung ausländischer Geheimdienste ist allerdings, dass dies seit 2022 in geringerem Maße der Fall ist. In Kriegszeiten gibt es weniger Appetit oder Raum für horizontale Rivalitäten.

Neue Herausforderungen

Der Krieg gegen die Ukraine ist Putin zufolge nur Teil einer globalen Auseinandersetzung. In seiner Rede zum »Tag des Sieges« 2023 behauptete er, dass »erneut ein realer Krieg gegen unser Land geführt wird«. Während ein direktes militärisches Vorgehen gegen die viel mächtigere NATO außer Frage steht (selbst wenn nicht der Großteil der russischen Streitkräfte in der Ukraine gebunden wäre), und angesichts des Umstandes, dass die westliche finanzielle und militärische Hilfe für die Kriegsanstrengungen von Kyjiw entscheidend ist, wurde die Maßgabe erteilt, diese westlichen Aktivitäten zu stören. Darüber hinaus hat das Sanktionsregime des Westens für die Dienste eine neues Tätigkeitsfeld geschaffen: die Umgehung jeglicher Sanktionen, sei es gegen den Import von Mikrochips oder operative Finanzmittel der Dienste in aller Welt.

Auch gibt es spezifische neue Herausforderungen, nach der Vollinvasion insbesondere auf der internationalen Ebene. Die massenweise Ausweisung bekannter und mutmaßlicher Geheimdienstmitarbeiter:innen an russischen Botschaften in Ländern des Westens – allein in Europa wurden 400 bis 600 Diplomat:innen ausgewiesen, die als Spione verdächtigt wurden – schuf ernste Probleme für den Militärgeheimdienst GU, und stärker noch für den Auslandsgeheimdienst SWR. Nachrichtendienstliche Operationen, die sich auf Mitarbeiter:innen stützen, die unter dem Deckmantel der Diplomatie tätig waren, wurden oft vorübergehend gelähmt, da aktive Agent:innen ihre Führung verloren und potenzielle Agent:innen nicht mehr gezielt angeworben wurden. Mit der Zeit wurden Ersatzlösungen gefunden. Die Russ:innen griffen zunehmend auf Proxys zurück, die auf diverse Art tätig werden, angefangen von politischen Sympathisant:innen vor Ort bis hin zu Kriminellen, die über das Darknet rekrutiert werden und womöglich keine Ahnung haben, dass sie für Moskau arbeiten.

In Russland ist der Sicherheitsapparat mit mehreren, bisweilen zusammenhängenden Problemen konfrontiert: die gesellschaftliche Unzufriedenheit (vor allem durch eine drohende Mobilmachung) nimmt zu, und gleichzeitig führt der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) und der ukrainische Militärgeheimdienst (Hauptverwaltung Aufklärung – HUR) aggressiv und einfallsreich Subversion und Sabotage durch. Die Scherheitsdienste berichten zwar ständig von Festnahmen und angeblich vereitelten Operationen, dennoch sind sie kaum in der Lage, Kyjiw daran zu hindern, Operationen innerhalb Russlands umzusetzen oder andere zu diesen anzustacheln und der unterschwelligen Unzufriedenheit in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen.

Der SWR: Raus aus den Botschaften

Der Auslandsgeheimdienst SWR wurde durch die jüngsten Entwicklungen am stärksten getroffen. Traditionell gewann dieser Geheimdienst nachrichtendienstliche Informationen durch Agent:innen, die an die Botschaften abgeordnet waren. Zum Teil wurde dieser Verlust im Cyberbereich kompensiert, der zuvor vor allem in der Informationsbeschaffung tätig war (insbesondere die Hackersparte, die im Westen als APT 29 bzw. »Cozy Bear« bekannt ist). Seit 2022 ging man stärker zu disruptiven Attacken über. Am stärksten wurden die Online-Operationen zur Rekrutierung ausgebaut, da diese jetzt schwieriger vor Ort zu bewerkstelligen ist.

Der SWR hat sich eindeutig an die neuen Einsatzbedingungen angepasst. Gleichzeitig konnte der Dienst weiterhin russische Strukturen als Frontorganisationen nutzen (unter anderem die »Stiftung zur Förderung und zum Schutz der Rechte von Landsleuten im Ausland«, deren Führung von vielen aktiven SWR-Mitarbeiter:innen durchsetzt ist). Es besteht bei westlichen Abschirmdiensten allerdings der Eindruck, dass diese Anpassung nur Stückwerk und sehr viel weniger von den für den SWR früher typischerweise koordinierten Taktiken geprägt war. In einem gewissen Maße ist dies wohl auf das Fehlen einer starken und engagierten Führung zurückzuführen. Der 69-jährige Sergej Naryschkin, der seit 2016 an der Spitze des SWR steht, erweckt den Eindruck, ein »permanenter Ersatzmann« zu sein, wie ein Geheimdienstveteran es ausdrückte. Er war mit diesem Posten abgespeist worden, nachdem der Kreml ihn als Vorsitzenden der Staatsduma durch Wjatscheslaw Wolodin ersetzte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er einen Posten als Senator im Föderationsrat anstrebt, was ein perfekter aktiver Ruhestand wäre, um sich seinen eigentlichen Interessen zu widmen, nämlich seiner Rolle als Vorsitzender der Russischen Historischen Gesellschaft.

Die Rolle des SWR-Direktors bestand schon immer eher darin, politische Interessen durchzusetzen als das operative Vorgehen zu leiten. Und es scheint innerhalb des Dienstes das Gefühl zu geben, dass Naryschkin nicht in der Lage ist, unter den neuen Bedingungen Führungsstärke an den Tag zu legen. Seit Putin ihn auf der Sicherheitsratssitzung am 21. Februar 2022 vor laufenden Fernsehkameras vorführte, ist seine Autorität im Dienst ohnehin nachhaltig beschädigt. Die Folge ist, dass einzelne Abteilungsleiter:innen, Abteilungen oder Residenturen oft nahezu autonom operieren oder Anweisungen direkt vom Präsidenten erhalten. Das kann gewissermaßen eine Stärke sein, indem es Ambitionen und Phantasie auf eine Weise freisetzt, die dem im Allgemeinen durch Mikromanagement gekennzeichneten SWR recht fremd ist. Es erzeugt aber auch Probleme: Es gibt Streitereien über Zuständigkeiten, Abteilungen arbeiten gegeneinander, das Vorgehen wird fragmentiert.

Die GU: Zurück zu den Basics

Die GU ist stets recht strikt in die Spezialeinheiten (die »Speznas«) und die »Agentura« (die nachrichtendienstliche Sparte) unterteilt gewesen. Die Spezialeinheiten sind in der Ukraine intensiv im Einsatz und haben sehr schwere Verluste erlitten, insbesondere in der Frühphase des Krieges, wodurch ihre Fähigkeiten stark beeinträchtigt sind. Die nachrichtendienstlichen Operationen der GU im Westen haben ebenfalls durch die Ausweisungen gelitten. Die GU ging allerdings schneller als der SWR dazu über, Proxys zu kultivieren und einzusetzen. Hauptziel ihrer Einsätze ist es inzwischen, den Westen durch Disruption zu beeinflussen und weitreichende Sabotagekampagnen vorzubereiten für den Fall, dass sich die Beziehungen weiter verschlechtern sollten.

Schließlich ist Sabotage ein zentrales Element der GU-Mission, insbesondere im Krieg. Im Laufe des Jahres 2023 häuften sich die offensichtlich vom Kreml freigegebenen Attacken in Europa. So wird die GU mit einer Reihe von Operationen in Verbindung gebracht wie etwa der Brandstiftung in Ostlondon und dem Mordanschlag auf den Deserteur Maxim Kusminow in Spanien. Ihre auf »blutige Angelegenheiten« [im Russischen als mokrye dela, wörtlich »nasse Sachen«, bekannt, Anm. d. Red.] (Mordanschläge und Sabotage) spezialisierte Einheit 29155 umfasst jetzt Berichten zufolge sogar eine Cybereinheit (die mal »Bleeding bear«, mal »Ember bear« [»blutiger Bär« oder »glühender Bär«, Anm. d. Red.] genannt wird), um ihre Aktivitäten in einer Zeit fortzuführen, in der die Agent:innen vor Ort unter immer schwierigeren Bedingungen operieren müssen.

Das gilt für Europa und Nordamerika. In Afrika jedoch liegen die Dinge gänzlich anders. Nach Jewgenij Prigoschins gescheitertem Aufstand im Juni 2023 ist die Söldnerarmee der Wagner-Gruppe unter konsequent strikte Kontrolle des Militärs genommen worden. Die Söldner, die in der Ukraine kämpfen, mussten sich den regulären Streitkräften anschließen oder einer der weniger autonomen Söldnertruppen, die Teil des »Freiwilligen Expeditionssturmkorps« sind und den regulären, geografisch gegliederten Armeestäben unterstellt sind. In Afrika, dem anderen wichtigen Einsatzgebiet der Wagner-Gruppe, werden die Söldner zu einer neuen Struktur zusammengefasst, dem »Afrika-Korps«. Das wird eng vom Militärgeheimdienst kontrolliert, sein »Kurator«, der die Operationen beaufsichtigt, ist Generalmajor Andrej Awerjanow, der ehemalige Leiter der Einheit 29155. Er wurde zum stellvertretenden Leiter der GU befördert und ist für die neugeschaffenen Einheiten für Spezialoperationen [im Russischen: Sil spezialnych operazij, also militärische Spezialkräfte, Anm. d. Red.] verantwortlich.

Admiral Igor Kostjukow, der Chef der GU, ist seit sechs Jahren im Amt, länger als jeder andere postsowjetische Geheimdienstchef in Russland. Sein Verhältnis zum Chef der Generalstab, General Walerij Gerassimow, scheint gut zu sein. Allerdings ist weniger klar, wie die Zusammenarbeit mit dem neuen Verteidigungsminister Andrej Beloussow funktioniert. Da Beloussows Vorgänger Sergej Schoigu jetzt Sekretär des russischen Sicherheitsrates ist, dürfte das wohl weniger wichtig sein, es sei denn, Gerassimow würde abgelöst. Selbst dann gäbe es wenig Grund anzunehmen, dass sich die operative Kultur oder die aktuellen Missionen der GU ändern wird.

Der FSB: Volle Machtentfaltung

Während der SWR und die GU sich an schwierigere Bedingungen anpassen mussten, ist der FSB in vielerlei Hinsicht Nutznießer der aufgepeitschten und paranoiden Umgebung. Die Ironie besteht darin, dass dies Putin – oder zumindest Russland – keinen guten Dienst erwies. Von allen Diensten war der FSB am zuversichtlichsten, dass Wiktor Janukowytsch die Revolution der Würde von 2013/14 überstehen würde. Und auch vor der Vollinvasion 2022 legte der FSB den größten Optimismus an den Tag: Der FSB glaubte – oder behauptete zumindest –, dass er ein ausgedehntes Netz von Agent:innen habe, die bereit und scharf darauf seien, Moskau zu unterstützen. In der Praxis stellte sich das weitgehend als Illusion heraus, da viele Ukrainer:innen, die bereit gewesen waren, Geld vom FSB anzunehmen, keinerlei Absicht hatten, ihr Land wirklich zu verraten. Auch war es so, dass das DWKR, das »Direktorat für militärische Spionageabwehr« des FSB, erst verspätet entdeckte, dass Jewgenij Prigoschin etwas gegen Schojgu und Gerassimow im Schilde führte, was Prigoschin wiederum in Zugzwang brachte. Da der FSB buchstäblich in letzter Minute davon erfuhr, war zu diesem Zeitpunkt schon jegliche Chance vertan, den Aufstand noch verhindern zu können.

Gleichwohl scheint der FSB, dem Putin immerhin selbst entwuchs, für seine Fehler keine langwährenden Konsequenzen zu spüren bekommen zu haben. Während das Regime zunehmend autoritär wurde und immer weniger Dissens tolerierte, wurde der Auftrag des FSB im Innern stetig erweitert. Seine Rolle bei der Serie von Verhaftungen und Ermittlungen gegen höhere Offiziere des Militärs, etwa wegen Korruptionsvorwürfen – die zwar nicht vom FSB geführt wurden, und auch keine »Säuberung« waren, wie manchmal behauptet wird – hat dazu geführt, dass das Strafermittlungskomitee [im Russischen Sledstwennyj Komitet, vor dem 15. Januar 2011 war es formal Teil der Staatsanwaltschaft und ist seither eine eigenständige Behörde, Anm. d. Red.] zu einer Art Zweigstelle des FSB degradierte. Im Ausland stärkte die Unterbrechung der Operationen von SWR und GU aufgrund der umfangreichen Ausweisungen die Stellung des FSB. Dessen Cyber-Operationen haben seit langem den Westen ins Visier genommen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat beispielsweise Hacker des »Zentrums 18« des FSB beschuldigt, Attacken gegen britische Parlamentarier:innen unternommen zu haben. Der FSB fährt jetzt allerdings auch seine physischen Operationen vor Ort hoch, vor allem in Europa. Das war eine Reaktion auf die Probleme, vor denen SWR und GU nun standen. Schließlich hatten sich die Auslandsoperationen des FSB im Allgemeinen nicht auf Botschaftsmitarbeiter:innen gestützt. Vielmehr konzentrierten sie sich auf Gruppen von »Illegalen« (Agent:innen ohne den diplomatischen Deckmantel) in anderen Organisationen der russischen Diaspora. Der FSB wurde beschuldigt, in jüngster Zeit eine Reihe von Versuchen unternommen zu haben, im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag und im österreichischen Parlament politische Kreise zu infiltrieren mit dem Ziel einer Untergrabung der Unterstützung für die Ukraine.

Der FSB zeigte sich gut aufgestellt und konnte rasch auf die neuen Anforderungen reagieren, sich auf Proxys stützen zu müssen. Das beruhte nicht zuletzt auf seinen Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Der FSB bekämpft größere kriminelle Organisationen, es bestehen aber auch korrupte Verbindungen. Diese können genutzt werden, um operative Kräfte zu rekrutieren oder Beziehungen zu anderen im Ausland tätigen Gruppen aufzubauen. Es wird zwar davon ausgegangen, dass letztendlich die GU hinter der Ermordung von Kusminow in Spanien steckt. So haben beispielsweise spanische Geheimdienstkreise nahegelegt, dass der Mord von der lokalen organisierten Kriminalität begangen wurde. Diese seien auf Vermittlung durch den FSB angeheuert worden. Dies ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie die Kultur der russischen Geheimdienste sich von Wettbewerb zu (wenn auch mitunter zähneknirschender) Zusammenarbeit gewandelt hat.

Ausblick

Es ist unwahrscheinlich, dass die »Spezialdienste« in absehbarer Zukunft ihre herausragende Stellung einbüßen werden. Putin hält offensichtlich an seinem Glauben an sie als Instrument zur Kontrolle im Inland und der Ausgestaltung staatlichen Handelns im Ausland fest. Und in den Beziehungen zum Westen ist wohl kaum eine substanzielle Verbesserung zu erwarten.

Eine Unwägbarkeit betrifft die Führung der Dienste. Im Mai 2024 wurde Patruschew als Sekretär des russischen Sicherheitsrates vom ehemaligen Verteidigungsminister Sergej Schojgu abgelöst. Obwohl Patruschews Rolle als Berater des Präsidenten in Wirklichkeit deutlich breiter ist als seine formale Aufgabe, das Marinewesen zu beaufsichtigen, scheint er seine zentrale Position in den Diskussionen zur nationalen Sicherheit und seine Autorität bei den Geheimdiensten verloren zu haben. Es bleibt abzuwarten, ob Schojgu eine ähnliche Rolle anstrebt (oder sogar lang auf diesem Posten bleibt), doch es wirft Fragen hinsichtlich einiger sich abzeichnender Führungswechsel in den Geheimdiensten auf. Seit 2022 hat es schließlich beträchtliche Änderungen in den oberen Etagen der Dienste gegeben (ganz wie beim Militär), doch sind bisher alle Direktoren auf ihren Posten geblieben. Hier könnte es sehr bald Veränderungen geben.

Naryschkin hat, wie bereits erwähnt, für einige Zeit versucht, den SWR hinter sich zu lassen. Alexander Bortnikow, der Chef des FSB, ist 72 Jahre alt und schon weit über dem offiziellen Alter für den obligatorischen Renteneintritt bei Staatsdienern, zudem leidet er seit Jahren unter gesundheitlichen Problemen. Sein Rücktritt hätte 2021 angestanden. Doch eine in letzter Minute angezettelte Kampagne von Rivalen des in den Startlöchern stehenden Nachfolgers Sergej Koroljow verzögerte den Wechsel. Während des Krieges gegen die Ukraine hielt Putin an Bortnikow fest, um nicht ein Lager dem anderen vorziehen zu müssen. Der 62-jährige Koroljow hat die Reputation eines unerbittlichen und ambitionierten Managers, der es bereits geschafft hat, nicht nur viele seiner Kolleg:innen vor den Kopf zu stoßen, sondern auch höhere Beamte in der GU, dem Innenministerium und dem Strafermittlungskomitee. Führungskämpfe beim FSB sind weiterhin häufiger und folgenreicher als in anderen Diensten (2023 allein gab es drei Wechsel von Direktoratsleiter:innen). Das öffnet den Weg für eine neue Führungsgeneration, und es scheint unwahrscheinlich, dass Bortnikow, der in letzter Zeit nur selten persönlich zu sehen war, lange auf seinem Posten bleiben wird. Derzeit bleibt allerdings unklar, ob es seinen Widersachern schon gelungen ist, Koroljows Nachfolge zu verhindern.

Da der direkte Krieg gegen die Ukraine und der politische Kampf gegen den Westen zum Dreh- und Angelpunkt des späten Putinismus wurden, der wiederum die Autokratisierung im Inneren rechtfertigt, werden die Geheimdienste im Zentrum von Putins Operationen im In– und Ausland bleiben. In der Praxis fällt die Bilanz allerdings gemischt aus. Die Geheimdienste wetteifern miteinander, die Realität so zurechtzubiegen, dass sie möglichst Putins schiefen, voreingenommenen Ansichten schmeichelt. Dies hat wiederum dazu geführt, dass sich Putins Russland katastrophal mit seinen imperialen Ambitionen übernommen hat. Gleichwohl gibt es nicht nur keinerlei Belege, dass dies Putin wirklich bewusst ist, sondern es gibt auch keine Hinweise, dass er, Gefangener seiner langwierigen globalen Auseinandersetzung, die Absicht hat, die »Spezialdienste« zu bestrafen, zu zähmen oder in die Schranken zu weisen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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