Herausforderungen der Datenerhebung in Kriegszeiten
Der Security Radar 2025 ist die vierte Ausgabe einer repräsentativen Meinungsumfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit 2019 in ausgewählten OSZE-Ländern durchgeführt wird. Die Umfragen wurden im September 2024 in 14 Ländern durchgeführt, darunter Deutschland, Frankreich, Russland, die Ukraine und die USA.
Die Umfrage erfasst Einstellungen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen mit einem besonderen Fokus auf den Krieg gegen die Ukraine und dessen Auswirkungen auf die europäische Sicherheit. Der Security Radar beleuchtet die Wahrnehmung gegenseitiger Bedrohungen, die Einstellungen zu nationalen und multilateralen Institutionen sowie außenpolitische Prioritäten.
Repräsentative Erhebungen in Kriegszeiten stellen eine Herausforderung dar und bedürfen einer vorsichtigen Interpretation. Der Krieg hat auch Russlands gesellschaftliche Struktur verändert: Hunderttausende Männer wurden eingezogen, während vulnerable Gruppen mit den Folgen von Sanktionen und wirtschaftlicher Unsicherheit kämpfen. Zudem liegt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit sozial erwünschter Antworten vor, welche die Ergebnisse unter Umständen verzerren können. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt die Durchführung von Umfragen in Russland und der Ukraine für das Verständnis der europäischen Sicherheitslage unerlässlich. Die beauftragten Meinungsforschungsinstitute haben ihre Methoden an die Kriegsbedingungen angepasst. Für die Datenerhebung in Russland wurde ein unabhängiges Institut engagiert, dessen Identität jedoch aus Sicherheitsgründen vertraulich bleibt, um das Risiko einer Strafverfolgung aufgrund des Status der Friedrich-Ebert-Stiftung als »unerwünschte Organisation« in Russland zu vermeiden. Die Umfrage wurde per Telefon durchgeführt, wobei der Fragebogen gekürzt und einige Begriffe angepasst wurden, um die Sicherheit der Befragten zu gewährleisten und politische und strafrechtliche Umstände zu berücksichtigen (so wurde beispielsweise der Begriff »militärische Spezialoperation« anstelle von »russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine« verwendet).
Wahrnehmung der innenpolitischen Lage in Russland
80 Prozent der Befragten in Russland geben an, über die Zukunft besorgt zu sein. Die Meinungen über die wirtschaftliche Lage im Land sind geteilt: 47 Prozent rechnen nicht mit einer Verschlechterung, 46 Prozent hingegen schon, wobei die jüngeren Befragten größere Bedenken äußern. Die russische Wirtschaft hat sich als anpassungsfähig und widerstandsfähig gegenüber dem Krieg und den anschließenden Sanktionen erwiesen. Allerdings ist der Rubel stark gefallen, was die Importe verteuert und die russische Wirtschaft belastet.
Die Wahrnehmung des internationalen Ansehens Russlands ist gespalten: 54 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass ihr Land in der Welt nicht den Stellenwert genießt, den es ihrer Meinung nach verdient hat. Dagegen glauben 38 Prozent, dass Russland die ihm gebührende Anerkennung erfährt – ein Wert, der leicht über dem Gesamtdurchschnitt aller Länder der Umfrage (32 Prozent) liegt.
Die Hälfte der befragten Russ:innen ist der Ansicht, dass ihr Wohlstand eng an den Wohlstand anderer Länder gekoppelt ist, trotz der Sanktionen, die als Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine verhängt wurden und darauf abzielen, Russland zu isolieren.
Die Wahrnehmung der Welt
Auch wenn die russische Perspektive von der der anderen Befragten abweicht, gibt es doch gemeinsame Anliegen. Die Meinungen der russischen Befragten unterscheiden sich also, aber nicht so sehr, wie man auf Anhieb erwarten würde.
Ein Unterschied in der russischen öffentlichen Meinung ist die klare Ablehnung einer stärkeren Rolle internationaler Organisationen. Die Vereinten Nationen werden mit 51 Prozent Zustimmung am positivsten beurteilt, was leicht über dem Wert in Deutschland (48 Prozent) liegt, aber unter dem länderübergreifenden Durchschnitt der Umfrage. Die OSZE folgt dicht dahinter mit 48 Prozent Zustimmung. Es überrascht nicht, dass eine größere Rolle der NATO auf überwältigende Ablehnung stößt (70 Prozent).
Die Ansichten der Russ:innen zur globalen Machtdynamik zeigen, dass sie an ein Ende der westlichen Vorherrschaft glauben. Während der Westen im Allgemeinen als Feind angesehen wird, nehmen die Befragten die USA in weitaus stärkerem Maße als Gegner wahr als die EU. Dies spiegelt sich auch in der Wahrnehmung widersprüchlicher Interessen zwischen Russland und den USA (84 Prozent) und Russland und der EU (68 Prozent) wider. Bemerkenswert ist, dass sich beide Werte seit der letzten Umfrage nahezu verdoppelt haben, was auf eine zunehmende konfrontative Grundstimmung in der internationalen Zusammenarbeit hindeutet, welche zunehmend von Misstrauen und Rivalität geprägt ist.
Die USA bleiben in den Augen der Befragten der »Hauptgegner«. Eine Mehrheit glaubt, dass die Ära der amerikanischen Vorherrschaft vorbei ist. Auch die Zusammenarbeit mit den USA wird von fast 70 Prozent abgelehnt. Mit überwältigender Mehrheit sehen die Russ:innen die USA (55 Prozent) als Bedrohung für ihr Land an, mit großem Abstand gefolgt vom Vereinigten Königreich (10 Prozent). Die russische Propaganda spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der Ukraine wider: obwohl die Ukraine russische Gebiete in Kursk besetzt hält und russische Infrastruktur angegriffen wird, betrachten nur 4 Prozent die Ukraine als nationale Bedrohung – ein Wert, der auf dem gleichen Niveau wie dem von China liegt. Die NATO und die EU werden nur von einem verschwindend geringen Prozentsatz genannt. Etwa 1 Prozent erwähnt, dass Russland sein eigener Feind sei.
Das Image der EU ist im Allgemeinen positiv, auch wenn die Meinungen differenziert ausfallen. Bemerkenswert ist, dass die Identifizierung mit der europäischen Kultur in Russland trotz der zunehmenden Distanzierung von der EU aufgrund des Krieges gegen die Ukraine weiterhin bestehen bleibt (69 Prozent, gegenüber 65 Prozent im Jahr 2021). Während 77 Prozent der Meinung sind, dass die EU-Politik den russischen Interessen zuwiderläuft, ist die Einstellung zu einer verstärkten Zusammenarbeit geteilt (48 Prozent sind dagegen und 45 Prozent dafür). Die Russ:innen glauben nicht, dass die EU zu einer Weltmacht wird und lehnen eine größere Rolle der EU in der Zukunft ab (54 Prozent sind dagegen). Der EU wird von den Russ:innen jedoch militärische Stärke zugeschrieben, denn 68 Prozent sind der Ansicht, dass die EU sich auch ohne Unterstützung der USA verteidigen könnte, mehr als doppelt so viele wie der Durchschnitt der befragten europäischen Länder (32 Prozent). Dies ist Ausdruck der Tendenz, dass die EU von außen als mächtiger wahrgenommen wird als von der Bevölkerung ihrer eigenen Mitgliedstaaten. Der Security Radar zeigt, dass sich Russland als Reaktion auf die internationalen Sanktionen verstärkt nach Osten orientiert. Die befragten Russ:innen befürworten eine vertiefte Kooperation mit China, und fast 80 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Interessen Russlands und Chinas nicht im Widerspruch zueinander stehen.
Bemerkenswert ist, dass fast 70 Prozent der Russ:innen ihr Land als neue Führungsmacht unter den nicht-westlichen Ländern sehen, der höchste Wert unter allen Ländern in der Studie, verbunden mit einem »my country first«-Ansatz, in welchem nationale Interessen priorisiert werden sollen. Allerdings erwarten weniger Russ:innen als im Durchschnitt der Umfrage, dass sich die Welt in eine Ära von »my country first« bewegt (45 Prozent gegenüber 73 Prozent).
Die Russ:innen erwarten eine Zeit der Kriege und Konflikte (58 Prozent). Eine beträchtliche Mehrheit (62 Prozent) befürchtet, dass Russland in Zukunft von Kriegen und Konflikten betroffen sein wird, auch wenn dies etwa zehn Prozentpunkte unter dem Durchschnitt in der Studie liegt (73 Prozent). Allerdings erwarten nur 29 Prozent der Russ:innen einen neuen Weltkrieg. Ihre Sorge gilt den Spannungen zwischen Russland und dem Westen, denn 64 Prozent halten neue Kriege in Europa aufgrund dieser wachsenden Spannungen für wahrscheinlich. Etwa 61 Prozent der Befragten erwarten eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und dem Westen. Dies ist wesentlich höher als der Durchschnitt von 48 Prozent in der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA und zeigt, dass die Besorgnis in Russland größer ist. Außerdem sehen 57 Prozent einen neuen Kalten Krieg voraus, eine Ansicht, die von 54 Prozent der Befragten in den USA geteilt wird.
64 Prozent der Befragten, der höchste Anteil in der Umfrage, sind der Ansicht, dass das Völkerrecht an Relevanz verloren hat und zunehmend missachtet wird. Die Russ:innen unter 30 Jahren haben noch etwas mehr Vertrauen in die Einhaltung des Völkerrechts (39 Prozent). Dies ist besonders im Kontext von Putins Militärpolitik bemerkenswert: Der russische Einmarsch in die Ukraine ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht, wie bereits der Internationale Gerichtshof am 16. März 2022 urteilte.
Die Wahrnehmung des Krieges gegen die Ukraine
Die russische Wahrnehmung des Krieges steht in starkem Kontrast zur internationalen Sichtweise. Nur Serb:innen haben eine ähnliche Einstellung.
Russland annektierte 2014 völkerrechtswidrig die Krym und marschierte im Februar 2022 in die Ukraine ein. Auf die Frage nach den Gründen für den Krieg nennen die Befragten den Schutz der russischen Interessen (37 Prozent), den Kampf gegen den Faschismus (23 Prozent) und den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas (21 Prozent).
Etwa 73 Prozent der befragten Russ:innen machen die USA für den Krieg verantwortlich, ein deutlicher Anstieg gegenüber 51 Prozent im Jahr 2021. Dies entspricht der russischen Propaganda, die den Westen als Aggressor darstellt. Danach folgen die EU (32 Prozent) und die Ukraine (30 Prozent) mit fast gleichen Anteilen, wenn auch mit einem deutlichen Rückgang im Vergleich zu 55 Prozent im Jahr 2021. Im Gegensatz zur europäischen und amerikanischen Sichtweise sehen jedoch nur 22 Prozent Russland in der Verantwortung, bei den Befragten unter 30 Jahren sind es sogar 44 Prozent. Nur geringfügig weniger als im Vergleich zu den Europäer:innen sind der Meinung, dass die Beendigung des Krieges entscheidend für die Verbesserung der europäischen Sicherheit ist (62 Prozent).
Wie erwartet lehnt eine Mehrheit der Russ:innen die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO oder der EU ab. Nur Serb:innen teilen diese Ansicht, während alle anderen befragten Nationen eine eher positive Haltung einnehmen. Etwa 69 Prozent der Russ:innen sehen in der NATO-Erweiterung eine Bedrohung für die europäische Sicherheit, während 51 Prozent ähnliche Bedenken hinsichtlich der EU-Erweiterung hegen. So wird vor allem die NATO (bzw. die USA) als »Hauptgegner« gesehen und viel weniger die EU.
Putins Propaganda prägt die öffentliche Meinung in Russland, wenngleich die russischen Befragten einige Wahrnehmungen mit anderen befragten Nationen teilen. Dies deutet auf einige Gemeinsamkeiten hin. So ist beispielsweise mit 65 Prozent die Sorge vor einer nuklearen Eskalation weit verbreitet. Etwa 45 Prozent der Russ:innen glauben nicht, dass der Krieg innerhalb der nächsten 12 Monate beendet wird. Dies liegt sogar noch über dem Durchschnitt der Gesamtstudie von 37 Prozent. Bemerkenswert ist, dass selbst in Russland nur 36 Prozent der Befragten glauben, dass Russland militärisch siegen wird. Sie glauben ebenso wie die Befragten in anderen Ländern, dass der Krieg durch eine diplomatische Lösung beendet werden kann.
In Russland wächst die Einsicht, dass es an der Zeit ist, Verhandlungen aufzunehmen. Demnach ist zu erwarten, dass die in Riad geführten Gespräche zwischen hochrangigen Chefdiplomaten der USA und Russlands in Russland auf Zustimmung stoßen – auch wenn sie offiziell nur als »Gespräche über die Ukraine« deklariert wurden. Rund 76 Prozent sehen es als inakzeptabel an, überhaupt keine Verhandlungen zu beginnen. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) würde Verhandlungen ohne Vorbedingungen akzeptieren. Zu den annehmbarsten Bedingungen zur Aufnahme von Verhandlungen gehören die Freilassung aller Kriegsgefangenen durch die Ukraine (89 Prozent) und die Einstellung der Kampfhandlungen (82 Prozent) sowie die Anerkennung der Souveränität Russlands über die annektierten Gebiete durch die Ukraine (73 Prozent). Eine Mehrheit hält es jedoch für nicht hinnehmbar, dass Russland alle Truppen abziehen muss (63 Prozent). Die Einstellung zu international vermittelten Verhandlungen sind gemischt (50 Prozent sehen dies als nicht hinnehmbar an, 41 Prozent als hinnehmbar), was angesichts des historisch gewachsenen Widerstands Russlands gegen eine externe Einmischung in seine Sicherheitsangelegenheiten bemerkenswert ist. Dennoch könnte diese partielle Bereitschaft zur Diplomatie als Grundvoraussetzung für künftige Friedensbemühungen gedeutet werden.
Trotz der Sanktionen und der daraus resultierenden Isolationspolitik vor allem der EU und der USA gegenüber Russland sind 62 Prozent der Meinung, dass Russland durch den Krieg gestärkt wurde. Diese Ansicht spiegelt sich in der Wahrnehmung Chinas wider, das 54 Prozent als gestärkt ansehen. Im Gegensatz dazu werden die USA, die NATO und die EU allgemein als geschwächt oder unverändert angesehen.
Blick nach vorne
Mit Blick auf die nächsten fünf Jahre sind die Russ:innen nach wie vor optimistisch, was ihr eigenes Land betrifft (57 Prozent), eine Einschätzung, die im Vergleich zu 2021 (18 Prozent) deutlich gestiegen ist. In Bezug auf Europa sind sie deutlich pessimistischer, während ihre Aussichten für die globalen Entwicklungen gemischt sind (34 Prozent erwarten eine Verschlechterung, 33 Prozent eine Verbesserung).
Die russischen Befragten verfolgen gleichzeitig eine pragmatische und interventionistische Haltung. Sie legen den Fokus auf ihr eigenes Wohlergehen und bevorzugen eine Zurückhaltung in internationalen Angelegenheiten (56 Prozent). Sie befürworten am stärksten die Zusammenarbeit mit allen Ländern, auch mit jenen, die ihre Werte nicht teilen, solange dies zur Friedensförderung beiträgt (76 Prozent). Die Zustimmung zu militärischen Interventionen ist von 37 Prozent im Jahr 2021 auf 47 Prozent gestiegen, während sich 45 Prozent weiterhin dagegen aussprechen.
Diplomatische Verhandlungen werden von einer überwältigenden Mehrheit (87 Prozent) als legitim angesehen. Nur 34 Prozent halten Wirtschaftssanktionen und 29 Prozent militärische Interventionen für legitim. Die Ablehnung von Sanktionen lässt sich auf die Auswirkungen des derzeitigen Sanktionsregimes auf das tägliche Leben der Menschen zurückführen.
Putins neue Nukleardoktrin hat die Hürde für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt. Russland signalisiert durch Drohungen und den möglichen Einsatz von Atomwaffen eine erhöhte Bereitschaft zur Eskalation. In diesem Zusammenhang ist die Einstellung der Befragten zu Atomwaffen besonders besorgniserregend. Während 67 Prozent den Einsatz von Atomwaffen ablehnen, betrachten 16 Prozent sie als »letztes Mittel«. 17 Prozent erachten sie als notwendig, um lebenswichtige Interessen zu verteidigen, der höchste Anteil im diesjährigen Security Radar.
Die Befürwortung einer Erhöhung der Militärausgaben ist mit 67 Prozent so hoch wie nie zuvor in der Studie und mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 2021 (32 Prozent). Bei der Frage nach der Priorisierung von Sozial- und Wirtschaftsausgaben (45 Prozent) oder Verteidigungsausgaben (44 Prozent) lagen die Antworten der Befragten fast gleichauf. Dies ist ein bedeutender Unterschied zur Ukraine, wo die Verteidigungsausgaben die höchste Priorität haben. Eine Mehrheit befürwortet die Finanzierung der Verteidigung durch eine Sonderabgabe für Reiche, während nur 9 Prozent Kürzungen bei den Sozial- und Wirtschaftsausgaben befürworten – der niedrigste Wert in der Umfrage.
Mediennutzung und Einstellungen
Die Medien werden in Russland vom Staat streng kontrolliert, unabhängiger Journalismus ist fast nicht mehr möglich. Bereits vor dem Krieg gegen die Ukraine gab es massive Eingriffe in die Pressefreiheit, etwa durch Zensurgesetze, staatliche Propaganda und die Einschüchterung kritischer Journalist:innen. Nach dem Einmarsch in die Ukraine hat sich diese Situation noch weiter verschärft, viele unabhängige Journalist:innen und Medien sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Gleichzeitig wurden ausländische soziale Medien und Webseiten blockiert, um alternative Informationsquellen zu unterdrücken. Die staatliche Kontrolle der Medienlandschaft führt dazu, dass die russische Bevölkerung in erster Linie staatlich gelenkte Informationen konsumiert, was eine differenzierte Meinungsbildung erheblich erschwert.
Diese Entwicklungen haben ebenso die öffentliche Wahrnehmung der Objektivität der Medien deutlich verändert: Der Anteil der Befragten, der die Medien für parteiisch hält, ist von 53 Prozent im Jahr 2021 auf 33 Prozent gesunken, während die wahrgenommene Objektivität der Medien von 33 Prozent im Jahr 2021 auf 61 Prozent gestiegen ist. 47 Prozent der befragten Russ:innen geben das Fernsehen als ihre Hauptinformationsquelle für Nachrichten an. Inzwischen beziehen 40 Prozent ihre Informationen aus sozialen Medien, wobei Telegram bei jüngeren Befragten besonders beliebt ist. Befragte, die Online-Medien nutzen, empfinden die Medienberichterstattung häufiger als einseitig (etwa 85 Prozent), während diejenigen, die sich auf Fernsehen, Radio oder Printmedien verlassen, diese als objektiver ansehen (etwa 80 Prozent). Soziale Medien werden in ihrer Berichterstattung als ausgewogener wahrgenommen.
Die Daten des Security Radars 2025 zeigen deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung des Krieges durch die Russ:innen abhängig davon, wie sie die Objektivität der Medien einschätzen. Diejenigen, die den »objektiven« Medien vertrauen, nennen als Gründe für die Invasion den Schutz der russischen Interessen, den Kampf gegen den Faschismus und die Verteidigung der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas. Diejenigen, die die Medien als parteiisch wahrnehmen, geben häufig »Ich weiß es nicht« als Antwort an oder nennen Motive wie das Streben nach globaler Macht. In Bezug auf den Ausgang des Krieges gehen die Befragten, die sich auf die Objektivität der Medien verlassen, von einem militärischen Sieg Russlands aus, während die anderen weder eine Lösung noch eine diplomatische Einigung erwarten.
Die staatliche Propaganda zeigt Wirkung. Aber sie hat ihre Grenzen: Wer den staatlich kontrollierten oder als vermeintlich objektiv geltenden Medien vertraut, neigt dazu, die Sicht der Regierung auf die Invasion zu teilen und einen militärischen Sieg Russlands zu erwarten. Wer die Berichterstattung hingegen als einseitig wahrnimmt, zeigt sich skeptischer und hinterfragt die Regierungsnarrative.
Fazit
Die breite Akzeptanz einer diplomatischen Lösung und der Wunsch nach Verhandlungen könnten es dem russischen Regime erleichtern, sich auf Verhandlungen einzulassen. Zumindest vor der eigenen Bevölkerung hätte das Regime keinen Gesichtsverlust zu befürchten. Dieser Spielraum könnte sogar Zugeständnisse ermöglichen. Ob dieser Spielraum genutzt wird, hängt letztlich von den Interessen der russischen Machtelite ab. Der autoritäre Charakter des russischen Staates mindert den Einfluss der öffentlichen Meinung. Dies macht Entscheidungsprozesse in der Regel sehr intransparent. Dennoch geben Umfragen einen Einblick in die Grundstimmung der Bevölkerung, die auch in Autokratien berücksichtigt werden muss. Die Ergebnisse des diesjährigen Security Radar können zumindest als leichter Rückenwind für erste Schritte des Regimes in Richtung Verhandlungen gewertet werden.
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