Ernüchterung nach dem Fest der Haushaltsausgaben

Von Andrei Yakovlev (Davis Center der Universität Harvard, Cambridge, MA/Freie Universität Berlin)

Nach drei Jahren Krieg lässt sich konstatieren, dass die Wirtschaft in Russland sich als sehr viel stabiler erwiesen hat, als das im Frühjahr 2022 nicht nur fast alle westlichen, sondern auch viele russische Expert:innen annahmen. Natürlich können wir diskutieren, inwieweit die Statistikbehörde Rosstat die Daten »aufgebessert« hat. Es ist jedoch offensichtlich, dass trotz der breitangelegten internationalen Sanktionen, die nach Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine verhängt wurden, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Russland 2022 nur unwesentlich schrumpfte. 2023 und 2024 war dann sogar ein Wirtschaftswachstum zu beobachten. Dieses Wachstum des BIP wurde von steigenden Reallöhnen begleitet, und zwar nicht nur in der Rüstungsindustrie, sondern auch in den nichtmilitärischen Branchen.

Diese Entwicklung lässt sich durch verschiedene Faktoren erklären. Die Entscheidung des Kreml für den Krieg wurde getroffen, ohne die Interessen der Unternehmen oder die Argumente des Wirtschaftsblocks in der Regierung zu berücksichtigen. Die russischen Unternehmen hatten allerdings seit Ende der 2000er Jahre viel Erfahrung gesammelt, um plötzlichen Schocks zu widerstehen. Die in den 2010er Jahren gestiegene Qualität der russischen Bürokratie – mit einem Rückgang der Korruption auf der unteren und mittleren Ebene – blieb von vielen Expert:innen im Westen unbeachtet. Das Gleiche gilt für die effizienten, schnell wirksamen Kommunikationsmechanismen zwischen Staat und Unternehmen, die während der Coronapandemie entwickelt wurden. Dadurch konnten 2020 wirksame Instrumente für eine Unterstützung durch den Staat entwickelt werden, die dann im Frühjahr 2022 erneut und in sehr viel größerem Umfang aktiviert wurden.

Darüber hinaus spielte auch der widersprüchliche Zuschnitt der Sanktionen eine wichtige Rolle. Die Sanktionen gegen russische Ölexporte, die den russischen Staatshaushalt am stärksten treffen konnten, wurden erst im Dezember 2022 verhängt. Dadurch erzielte Russland 2022 aufgrund der gestiegenen Energiepreise im Vergleich zu 2021 zusätzliche Exporteinnahmen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar. Die persönlichen Sanktionen, die gegen russische Großunternehmer ohne eine für die Unternehmen verständliche Exit-Strategie verhängt wurden, haben dazu geführt, dass die Oligarchen samt ihrem Kapital in den Armen des Kreml landeten.

Darüber hinaus wurde das Jahr 2022 von einem offensichtlichen Bruch zwischen dem Westen und den Ländern des »globalen Südens« geprägt. Die Sicherheitsexpertin Fiona Hill erklärte im Mai 2023, die stärker entwickelten Länder hätten die zunehmende Rolle des »globalen Südens« im weltweiten Handel und dem Finanzsystem unterschätzt. Dadurch blieb die Wirksamkeit der von den USA und der EU verhängten Sanktion recht begrenzt, weil sie nicht auch von einer Mehrheit der Länder des »globalen Südens« unterstützt wurden. Der Umstand, dass man sich nicht den Sanktionen anschloss, bedeutet allerdings nicht, dass die betreffenden Länder Russland unterstützen. Die Regierungen dieser Länder waren schlicht und einfach nicht bereit, die Kosten der Sanktionen zu tragen. Gleichzeitig verdienen Unternehmen aus diesen Ländern an der Umgehung der Sanktionen – unter Berücksichtigung der Bedingungen, die Russland diesen Unternehmen bot. In Wirklichkeit jedoch bedeutete es eine Krise jenes »regelbasierten Modells«, das die entwickelten Industrieländer etliche Jahrzehnte vorangetrieben hatten.

Zweifellos spielten auch die Anreize eine erhebliche Rolle, die sich durch den Beginn des Krieges ergaben und vom Kreml wirksam genutzt wurden. Diese Anreize betrafen nicht nur die Rücklagen, die in den vergangenen 20 Jahren durch die Anstrengungen von Alexej Kudrin, German Gref und anderen liberalen Technokraten in der Regierung gebildet worden waren. Der Kreml griff nach Kriegsbeginn auf diese Reserven zurück, und der dadurch erzeugte »Haushaltsimpuls« stützte in der Wirtschaft spürbar die Nachfrage. Auch der Rückzug großer europäischer Unternehmen aus Russland spielte eine Rolle. Die Auswirkungen dieser Prozesse sind mit denen der Rubelabwertung von 1998/99 vergleichbar. Die hatte seinerzeit dazu geführt, dass die Rubelpreise für Importe in Rubel auf das Drei- bis Vierfache stiegen. Vor diesem Hintergrund hatten sich Nischen für russische Hersteller geöffnet. 2022 entstanden solche Nischen (und die damit verbundenen Gewinnmöglichkeiten) aufgrund der durch die Sanktionen ergangenen Importverbote für europäische Waren. Eine andere Quelle für Renten war die Umverteilung der Assets ausländischer Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Betätigung in Russland eingestellt hatten. Hier drängt sich die Analogie zu den Renten auf, die sich in den 1990er Jahren aus der Privatisierung ergaben. Schließlich wäre noch das Bestreben zu nennen, die Sanktionen zu umgehen. Das führte dazu, dass eine ganze Zwischenhändlerindustrie entstand, die daran gut verdient. Auch hier gibt es wohl eine Analogie, nämlich zu den Finanzmittlern, die in den 1990er Jahren Bartergeschäfte und die geldlose Verrechnung organisierten. Und dann verdienten die Banken – wie in den 1990er Jahren – sehr gut an den Operationen mit dem Staat. Seinerzeit ging es um den Markt der kurzfristigen Staatsanleihen (GKO) und den Devisenhandel, jetzt war es die Vergabe von Krediten aufgrund von staatlichen Programmen mit Zinssätzen, die von der Regierung subventioniert wurden.

All diese Möglichkeiten für Rent-Seeking haben bei den russischen Unternehmen für eine gewisse Euphorie gesorgt, die 2023 und Anfang 2024 bei den Unternehmensbefragungen deutlich erkennbar war, die die Zentralbank durchführte. Diese Möglichkeiten fielen allerdings im gleichen Maße zusammen, wie die Quellen der jeweiligen Renten versiegten. In den 1990er Jahren dauerte dieser Prozess sieben Jahre und wurde durch den Zusammenbruch und die Rubelabwertung vom August 1998 abgeschlossen. Jetzt reichten die Quellen für die Renten, mit denen gleichzeitig der Krieg finanziert, die Sozialleistungen bestritten und die Wirtschaft gestützt werden konnten, für zweieinhalb Jahre. Schon seit dem Herbst 2024 wurde klar, dass der Kreml vor der Wahl zwischen »Kanonen« und »Butter« steht.

Der Haushaltsentwurf (Finanzplanung) für die Jahre 2025 bis 2027, der im September in die russische Staatsduma eingebracht wurde, zeigte deutlich, dass für den Kreml die Verteidigungsausgaben Priorität haben. Deren Umfang wurde nicht nur um 25 Prozent erhöht (nach einem 70-prozentigen Anstieg im Haushalt 2024), sondern es wurde auch für 2026 und 2027 eine Fortführung dieses Rekordniveaus festgeschrieben – im Unterschied zum vorherigen Haushalt, in dem für die Zeit nach 2024 eine Reduzierung dieser Ausgaben vorgesehen war. Gleichzeitig wurde zum ersten Mal unter Putins Herrschaft nominal eine Kürzung der Ausgaben unter dem Einzelplan »Sozialpolitik« angesetzt. Vor diesem Hintergrund führte die Erhöhung des zentralen Zinssatzes auf 21 Prozent, die die Zentralbank zur Inflationsbekämpfung und zur Verhinderung eines Überhitzens der Wirtschaft vorgenommen hat, offensichtlich zu einer angespannten Stimmung in den Unternehmen. In der Öffentlichkeit setzten heftige Diskussion über die Folgen der hohen Zinssätze und das Risiko massenhafter Insolvenzen in der Baubranche sowie in anderen Wirtschaftsbereichen ein. Diese Anspannung führte zwar zu keiner wirklichen Krise, doch räumen sämtliche Expert:innen ein, dass eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums unausweichlich ist. Und die dürfte zu Lasten der nichtmilitärischen Branchen erfolgen.

Was bleibt unter dem Strich? Die Wirtschaft in Russland hat den Belastungen durch die Sanktionen standgehalten, allerdings zu einem hohen Preis. Die Rücklagen, die über 20 Jahre hinweg gebildet wurden, sind praktisch aufgebraucht. Gleichzeitig erfolgte nahezu das gesamte Wachstum, das 2023 und 2024 zu beobachten war, allein in der Rüstungsindustrie und benachbarten Branchen. Beim Außenhandel hat sich eine starke Abhängigkeit von China entwickelt (über ein Drittel der Exporte und Importe entfallen auf den südöstlichen Nachbarn). Bis 2022 hatte es derartige Werte noch beim Handel mit der EU gegeben. Während die russischen Firmen durch ihre Beziehungen zu europäischen Partnern auch noch Investitionen und einen Zugang zu neuen Technologien erhielten, geht es bei der Volksrepublik allein um Handel, bei dem ein Großteil der Gewinne von chinesischen Firmen gemacht wird.

Zu Beginn des Krieges verfügten die meisten Industriebranchen in Russland über recht moderne Produktionsanlagen. Diese Modernisierung war mit Hilfe westlicher Technologien und Maschinen erfolgt. Daher mussten die russischen Unternehmen nach Verhängung der Sanktion das Problem lösen, wie sie sich mit Ersatzteilen und Komponenten für diese Anlagen versorgen könnten. Das wurde bereits 2022 unternommen, indem man zu Lieferungen aus China und der Türkei überging. Jetzt allerdings wird es notwendig, die Anlagen durch neuere zu ersetzen. Und es liegt auf der Hand, dass sich der Rückstand zu entwickelten Industrieländern weiter vergrößert hat. Ein markantes Beispiel ist die Entscheidung von Ende 2024, die Laufzeiten Zehntausender Fahrstühle in Wohnblöcken zu verlängern.

Die russische Industrie ist nicht in der Lage, die nötige Menge Fahrstühle herzustellen, und für Importe fehlt das Geld.

Darüber hinaus leidet die Wirtschaft durch die Mobilmachung, die Rekrutierung von Vertragssoldaten und die große Emigrationswelle unter einem drastischen Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig wachsen die sozialen Spannungen, da der Anstieg der Reallöhne 2023 und 2024 bekanntermaßen nur die »Durchschnittstemperatur im Krankenhaus« widerspiegelt, besonders in den Regionen. Die Durchschnittswerte, die Rosstat vermeldet, setzen sich aus den gestiegenen Einkommen der Familien von Mobilisierten und Vertragssoldaten (auf das Drei- bis Vierfache) und dem fehlenden Anstieg bei den Einkommen von Ärzt:innen, Lehrer:innen, Rentner:innen sowie vielen Mitarbeiter:innen in der Privatwirtschaft zusammen, bei denen die Gehälter und Löhne nicht mit jenen in der Rüstungsindustrie schritthalten können.

Das alles bedeutet nicht, dass die Wirtschaft in Russland morgen oder übermorgen zusammenbricht. Ihr steht aber in der Zukunft eine langwährende Stagnation bevor. Die Tendenz in dieser Richtung wird durch eine bereits seit 2023 erfolgende Umverteilung von Eigentum verstärkt (wobei es die dem Kreml gegenüber völlig loyalen »neuen Unternehmer« sind, die Assets erhalten). Die im Februar begonnenen Gespräche zwischen dem Kreml und der neuen US-Administration werden hier kaum etwas ändern. Die EU war einst der wichtigste Handelspartner Russlands; sie bot einen Zugang zu Technologien und Entwicklungsmöglichkeiten. Auf europäischer Seite ist aber hinsichtlich der Beziehungen zu Putin keine Veränderung zu erwarten. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass in drei Jahren Krieg jene menschlichen und finanziellen Ressourcen aufgebraucht sind, die in den 2000er und 2010er Jahren aufgebaut wurden, und die man jetzt für eine Weiterentwicklung hätte einsetzen können.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

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Analyse

Von einer Anpassung zur Mobilisierung: Die Logik der Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen angesichts des Krieges und der Sanktionen

Von Andrei Yakovlev
In dem Beitrag werden auf der Grundlage einer neuen Interviewreihe die Faktoren betrachtet, die die wirtschaftliche Entwicklung 2023 beeinflussten. Darüber hinaus werden die veränderten Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen betrachtet, die seit der zweiten Hälfte 2023 zu beobachten waren und sich in der ersten Hälfte 2024 weiterentwickelten. Letzteres spiegelte sich in einer Reihe von Signalen wider, die Unternehmen erhielten, in den damit verbundenen Erwartungen der Unternehmer:innen und – vor diesem Hintergrund – in einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass sich das Wirtschaftsmodell, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Russland Bestand hatte, verändern wird.
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