Gemeinsame Grundlagen finden: russische und georgische zivilgesellschaftliche Initiativen in Tbilissi

Von Sofia Gavrilova (Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig)

Zusammenfassung
Diese Analyse untersucht das Neben- und Miteinander sowie die Spannungen zwischen der russischen Diaspora und der georgischen Zivilgesellschaft in Tbilissi nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine 2022. Der Beitrag analysiert, wie diese Wechselwirkungen ein breiteres, dynamisches postkoloniales Verhältnis widerspiegeln. Die Analyse konzentriert sich dabei insbesondere auf die unterschiedlichen »politischen Grammatiken« und die jeweils unterschiedliche Geschichte, die diese beiden Gemeinschaften geprägt haben. Gestützt auf umfangreiche Feldforschung geht die Analyse auf die komplexen Details dieses Zusammentreffens ein. Dabei wird die Bedeutung historischer Narrative, gemeinsamen Handelns und der postsowjetische soziopolitische Kontext herausgearbeitet. Die Analyse legt die Aspekte Sichtbarkeit, Integration und gegenseitiger Wahrnehmung frei, die einen Beitrag für die breitere Diskussion postsowjetischer Gesellschaften, Migrationsfragen und der Entwicklung der Zivilgesellschaft leisten.

Einleitung

Die russische Vollinvasion in die Ukraine, die am 24. Februar 2022 begann, hat mehrere Emigrationswellen aus Russland ausgelöst, wobei viele Menschen sich für Georgien als Zielland entschieden. Diese Migrationsbewegung ist von Forschenden in Bezug auf die Soziologie der russischen Migration untersucht worden (siehe in den Lesetipps: Kamalov et al., 2022; Darieva et al., 2023; Baranova, 2024). Den Auswirkungen auf die aufnehmenden Gesellschaften wurde weniger Aufmerksamkeit geschenkt. In Georgien ist – wie in vielen postsowjetischen Staaten – durch diese Migration ein einzigartiger soziopolitischer Kontext entstanden. In dieser Analyse wird das Verhältnis russischer Aktivist:innen und Freiwilliger (der »russischen Zivilgesellschaft im Exil«) und der georgischen Zivilgesellschaft untersucht. Es wird argumentiert, dass diese Begegnung den bemerkenswerten Fall einer Gleichzeitigkeit von (mindestens) zwei Grammatiken kollektiven Handelns (bzw. postsowjetischer politischer Grammatiken) im heutigen Tbilissi darstellt. Mit »politischer Grammatik« meine ich die etablierten Strukturen, Praktiken und das Repertoire kollektiven Handelns, die die Rahmenbedingungen dafür bilden, wie politischer Aktivismus und zivilgesellschaftliche Initiativen innerhalb eines gegebenen soziopolitischen Kontexts umgesetzt werden. Sie spiegelt historische, kulturelle und institutionelle Einflüsse wider, die hinsichtlich der Sichtbarkeit, Legitimität und Effektivität von bürgerschaftlichem Engagement wirksam sind (siehe Bronnikova et al, 2025, in d. Lesetipps). Diese spezifischen politischen Grammatiken prägen die Wechselwirkungen, Machthierarchien und Wahrnehmungen von Legitimität; sie schaffen Spannungen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit.

Die russischen Emigrant:innen trafen nach Beginn der Vollinvasion 2022 in Georgien ein, als dort schon verfahrene politische und gesellschaftliche Spannungen herrschten und lokaler Widerstand gegen russische Initiativen verbreitet war. Die komplizierte, verwobene sowjetische Vergangenheit, die Besetzung von Südossetien und Abchasien wie auch die langjährige Darstellung Georgiens als »Touristenparadies« und als »sonniges Georgien« hat dazu geführt, dass viele prowestliche junge Georgier:innen sich gegen eine zunehmende russische Präsenz auflehnen. Russischsprachige Unternehmen und Bildungsprogramme sehen sich Opposition gegenüber: Es gibt jetzt häufig Graffitis, Proteste und Forderungen, dass sich die Politik einmischen solle (siehe Darieva et al., 2023 in d. Lesetipps). Gleichzeitig ist Tbilissi zu einem Hort russischen politischen Aktivismus geworden. Hier haben sich oppositionelle russische Medien, NGOs zur Unterstützung der Ukraine und Umweltinitiativen niedergelassen, die gezwungen waren, aus Russland unter großem Zeitdruck überzusiedeln. Meine Analyse stützt sich auf ausgiebige Feldforschung, unter anderem auf ethnografische Beobachtungen, Interviews mit russischen und georgischen Aktivist:innen sowie eine Analyse der sozialen Medien und des urbanen Diskurses. Das Ziel war, zu einem nuancierten Verständnis für die Sichtbarkeit, Interaktionen und Machtdynamiken dieser beiden Zivilgesellschaften in Tbilissi beizutragen. Dabei werden deren unterschiedliche Ansätze zu kollektivem Handeln, Integration und zivilgesellschaftlichem Engagement deutlich, die in Tbilissi von 2022 bis 2024 aufeinandertrafen.

Kollision politischer Grammatiken

Die russische Zivilgesellschaft vor 2022

Vor dem Februar 2022 waren die Formen kollektiven Handelns in der russischen Zivilgesellschaft durch das zunehmend repressive politische Regime bedingt. Den traditionellen Formen politischen Engagements wie etwa Straßenproteste wurde mit staatlicher Repression begegnet, was Aktivist:innen zwang, alternative Strategien zu verfolgen. Das führte zu dem, was Anna Colin-Lebedev 2017 als »Grammatik kollektiven Handelns durch emotionale Bindung« bezeichnet hat. Kollektives Handeln ergibt sich dabei eher aus emotionalen und persönlichen Bindungen, denn aus ideologischer Konfrontation. Freiwilligenarbeit und lokale gegenseitige Hilfe wurden in Russland zu vorherrschenden Formen zivilgesellschaftlichen Engagements. Viele Menschen mit politischem Bewusstsein wandten sich sozialen Initiativen zu, die in kleinerem Umfang spürbare Unterstützung bieten, etwa humanitäre Hilfe, und nur in geringerem Maße direkten politischen Widerstand leisten. Dieser Ansatz wurde als Alternative zu einer offenen Konfrontation mit dem Staat wahrgenommen, die es dem/der Einzelnen ermöglichte, sich zu engagieren, ohne ein großes persönliches Risiko einzugehen. Eine weitere, sehr populäre Art des politischen Engagements folgte der »Theorie der kleinen Schritte«, die angesichts der politischen Repressionen aufkam.

Russische Zivilgesellschaft im Exil

Nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine wurde diese Grammatik kollektiven Handelns in den Kontext Georgien verpflanzt bzw. dort gleichsam mit dem Fallschirm abgeworfen. Das erfolgte ohne kritische Reflexion hinsichtlich des unterschiedlichen politischen Klimas, der anderen Formen gesellschaftlichen Engagements und eines anderen Verständnisses von politischem Aktivismus. Viele russische Emigrant:innen, die aktive Bürger:innen bleiben wollten, wandten sich der Freiwilligenarbeit zu und unterstützten insbesondere ukrainische Geflüchtete (siehe Darieva et al., 2023, in d. Lesetipps). Diese Art des Engagements wurde sowohl von den Georgier:innen, wie auch von den Ukrainer:innen mit Skepsis aufgenommen, die mehr offene politische Opposition sowie eine deutlichere und stärker hörbare Stimme erwarteten.

Nach ihrer Ankunft in Tbilissi gründeten russische Migrant:innen mehrere Freiwilligengruppen zur Unterstützung ukrainischer Geflüchteter. Organisationen wie »Entscheide dich zu helfen«[1] oder »Freiwillige von Tbilissi« verteilten Lebensmittelspenden und boten rechtliche und medizinische Unterstützung. Diese Initiativen blieben jedoch weitgehend innerhalb russischsprachiger Kreise und reproduzierten eher isolierte Gemeinschaften, anstatt eine breitere Integration in die georgische Gesellschaft zu fördern. Viele georgische Aktivist:innen nahmen diese Initiativen als eigennützig wahr. Man registrierte, dass die Initiativen nur selten über die russischen Migrant:innennetzwerke hinausreichten. Darüber hinaus stammte die Finanzierung dieser Gruppen aus der russischen Diaspora, und nicht von georgischen oder internationalen Organisationen. Dieses Finanzierungsmodell verstärkte die Trennung von lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen und sorgte dafür, dass die russischen Initiativen in der breiteren georgischen Gesellschaft nur begrenzt sichtbar blieben. Das sprachliche und kulturelle Inseldasein russischer Freiwilligeninitiativen machte deren Verhältnis zu georgischen Aktivist:innen noch komplizierter. Viele russische Freiwillige mieden ein direktes Engagement bei den georgischen politischen Protesten, weil sie befürchteten, eine Beteiligung könnte zu einer Ausweisung oder unerwünschten Überprüfung führen. Diese Zurückhaltung wurde von den Georgier:innen, die offenen, konfrontativen Protest als essentielles Mittel zivilgesellschaftlichen Engagements betrachten, als Passivität aufgefasst (siehe Daucé et al., 2024, in d. Lesetipps).

Gleichzeitig gab es in der georgischen Gesellschaft eine breite Unterstützung für die Ukraine, die auf den Straßen gezeigt und artikuliert wurde. Die Unterstützung für die Ukraine ist in den Straßen von Tbilissi sichtbar und sehr markant. Ukrainische Flaggen hängen an privaten Balkonen, Graffitis zur Unterstützung der Ukraine sind in den Städten von Georgien gut sichtbar im urbanen Raum zu finden und rufen zur Teilnahme an Demonstrationen für die Ukraine auf. Die Demonstration am 24. Februar 2023 zum Beispiel füllte einen Großteil der Innenstadt von Tbilissi.

In jüngerer Vergangenheit stand die Mobilisierung gegen den Entwurf eines Gesetzes über »ausländische Agenten« zwar nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, wurde aber dennoch so wahrgenommen. Die Demonstrant:innen verurteilten das »russische Gesetz«, wie sie es nennen, und zwar als Symbol für eine russische Einmischung in die Angelegenheiten Georgiens. In der Zeit von der Einreichung des Gesetzentwurfs Ende Februar 2023 bis zur Verabschiedung am 7. März schlossen sich Vertreter:innen der georgischen Zivilgesellschaft zusammen, um zu protestieren und sich den Gesetzesänderungen mit vereinten Kräften entgegenzustellen. Daher stützt sich die georgische Grammatik kollektiven Handelns weitgehend auf ein Repertoire direkter, lauter und sichtbarer öffentlicher Aktionen und Proteste. Damit soll nicht gesagt werden, die russische Grammatik agiere nicht – sie tut es. Generell jedoch stellt die Kultur, sich zu äußern und gehört zu werden, also die Triebkraft der öffentlichen Proteste und der Artikulation von Rechten und Meinungen in Tbilissi, etwas dar, was in der russischen Zivilgesellschaft in den Vorkriegsjahrzehnten dramatisch abgenommen hat. Daher ist Tbilissi 2022 und 2023 zu einem Schlachtfeld sehr aktiver und lauter öffentlicher Proteste geworden – zur Unterstützung der Ukraine und zum Aufbau von Widerstand gegen Russland und russische Präsenz in Georgien. Darüber hinaus sind die emigrierten russischen NGOs, die intellektuellen und kulturellen Projekte sowie die Freiwilligenorganisation mit einem anderen Fokus und einer anderen Agenda in Georgien eingetroffen.

Wechselseitige Missverständnisse und hohe Erwartungen

Die anhaltende Migration von Russ:innen nach Georgien, um dort auch zu bleiben, wirft die Frage auf, wie die georgische Zivilgesellschaft das Miteinander oder sogar Zusammenarbeit mit russischen Organisation und Initiativen wahrnimmt und auf Basis welcher Informationen die georgische Zivilgesellschaft agiert. Die Haltung gegenüber den Russ:innen, die nach Georgien kommen, ist bei Vertreter:innen der georgischen Zivilgesellschaft insgesamt homogen: Man stimmt darin überein, dass dies negative Folgen für die Sicherheit des Landes hat. Die meisten, die ich interviewt habe, halten es für unfair, die Russ:innen für das Vorgehen ihrer Regierung verantwortlich zu machen; ebenso wenig wie die Georgier:innen für deren Regierung. Allerdings meinten einige immerhin, dass eine Anerkennung und ein Reflektieren der politischen Prozesse und der Verantwortlichkeit durch Aktionen in Georgien entscheidend ist. »Apolitisch zu bleiben ist nicht die richtige Haltung«, meinte eine:r der Interviewten. Für die meisten war die anfängliche Reaktion auf die Migrationswellen aus Russland negativ; man war sehr besorgt: »Wenn du kollektiv auf eine Nation wütend bist, ist es schwierig, positive Gefühle für Angehörige dieser Nation zu haben«.[2] Für einige wenige hat sich die Haltung mit der Zeit etwas verändert. Die unausweichliche alltägliche Interaktion im öffentlichen Raum, insbesondere mit Familien und dem Zusammenleben mit der neuen Diaspora machte den Anpassungsprozess gewissermaßen logisch. Die Mehrheit der Befragten gibt jedoch an, dass ihre Gefühle und Einstellungen gleich geblieben sind.

Eine der bedeutendsten Spannungen zwischen der russischen und der georgischen Zivilgesellschaft besteht hinsichtlich der Frage der Sichtbarkeit. Russische Aktivist:innen fühlen sich oft Druck aus zwei widersprüchliche Richtungen ausgesetzt. Einerseits gab es den Zwang, politisch behutsam zu bleiben, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Andererseits herrschte die Erwartung, dass sie sich aktiv und lautstark gegen den russischen Angriffskrieg stellen. Viele Russ:innen klagen, sie seien in der georgischen Zivilgesellschaft nicht sichtbar und ihre Präsenz werde trotz ihrer Leistungen nicht wahrgenommen. Diese Unsichtbarkeit ist allerdings zum Teil selbstgemacht, da viele einen ruhigen, begrenzten Aktivismus öffentlichen Demonstrationen vorziehen. Auch die Zurückhaltung, nationale Symbole wie die russische Flagge einzusetzen (und sei es in ihrer modifizierten Antikriegs-Version weiß-blau-weiß), trägt zur mangelnden Sichtbarkeit in Bezug auf öffentliche Proteste bei. Georgier:innen hingegen betrachten hörbaren und sichtbaren Protest als grundlegenden Bestandteil zivilgesellschaftlicher Aktionen. Die großen Demonstrationen gegen den Einfluss Russlands, etwa die gegen das Gesetz über »ausländische Agenten«, illustrieren die georgische Grammatik kollektiven Handelns, bei der öffentliche Konfrontation und die Besetzung urbaner Räume betont wird. Die Unterschiede dieser Ansätze befördern wechselseitige Missverständnisse und Enttäuschungen.

Bei den Interviews sprachen die meisten Respondent:innen über den Umfang der Kompromisse, die Georgien durch die Beherbergung der russischen Gemeinschaften eingehe. »Durch das Bereithalten eines sicheren Raumes für Organisationen, die nicht mehr in Russland tätig sein können, ergeben sich für Georgien geopolitische Risiken. Allerdings können diese NGOs für jene, die in Russland verblieben sind und unterdrückt werden, Veränderungen bringen, und sie sollten verantwortungsbewusst diese Gelegenheit nutzen, um dafür Bewusstsein zu schaffen. Andererseits könnten Organisationen, die allein zur Unterstützung der russischen Diaspora gegründet wurden, zu einer Trennung zwischen den Gemeinschaften beitragen. Wenn die Russ:innen sich integrieren wollen, sollten sie die Dienste georgischer NGOs in Anspruch nehmen«, sagt eine:r der Respondent:innen.[3]

Der russische zivilgesellschaftliche Aktivismus wurde kritisiert und als imperial geprägt bezeichnet. Und er wurde mit der allgemeinen Haltung der russischen Diaspora in Tbilissi verglichen. Wie erwähnt, war das Narrativ vom Imperialismus oder sogar von einer »dritten Besatzung« recht häufig anzutreffen, und zwar nicht nur in Bezug auf die stärkere Präsenz von Russ:innen, sondern auch auf russische Aktivist:innen. Als Beispiel wurde eine russische Queer-Initiative erwähnt, die eine Veranstaltung zur Unterstützung der LGBTQI-Gemeinschaft organisierte und behauptete, es sei die erste Veranstaltung dieser Art in Georgien. Dadurch sei die Arbeit georgischer Organisationen entwertet worden, was den »zivilisatorischen Impetus« von Russ:innen in Georgien illustriere.

Vor dem Hintergrund einer wachsenden Zahl russischer Unternehmen, die meist negativ und als Bedrohung wahrgenommen werden, erscheinen auch die russischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Initiativen in einem negativen Licht. Unsere Befragten betonen die Bedeutung der staatlichen Kontrolle und Registrierung der russischen Organisationen, einschließlich des dritten Sektors, und plädieren für deren Transparenz und Offenheit.

Die Erwartungen an russische Aktivist:innen und Vertreter:innen russischer NGOs, die in Georgien tätig sein wollen, können folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Befragten betonen, wie wichtig es ist, sich des georgischen Kontextes bewusst zu sein, ihre eigenen (russischen) Privilegien gegenüber den lokalen Gemeinschaften zu erkennen und eine gewisse Sensibilität für die Umgebung zu entwickeln. »Viele Russ:innen, die nach Georgien gingen, haben gegen den Krieg gegen die Ukraine protestiert, ohne irgendeine Ahnung von der Geschichte mit Abchasien und Südossetien zu haben; und sie waren von der Tatsache überrascht, dass Georgier:innen auf Russland wütend sind«[4], sagt ein:e Respondent:in. Daher ist für Russ:innen, die nach Georgien gehen, Selbstkritik eine der wichtigsten Formen des Aktivismus. Zweitens heben die Befragten hervor, wie wichtig es sei, persönliche Erfahrungen eines Lebens in einem totalitären Regime zu teilen. Sie sagten, die »Instrumentalisierung der georgischen Gesellschaft und die Objektivierung der lokalen politischen Herausforderungen durch russische Aktivist:innen komme nicht gut an«.[5] Drittens sieht die Hälfte der Respondent:innen in bestimmten Richtungen Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit russischen Organisationen, etwa beim Aufbau von Hilfen für Kriegsbetroffene, beim Austausch von Erfahrungen und Fähigkeiten in der Menschenrechtsarbeit und bei gemeinsamen Anstrengungen zur Eröffnung eines offenen Dialogs in Bezug auf Initiativen zur russisch-georgischen Geschichte und zu Umweltthemen.

Schlussfolgerungen und Implikationen

Der Beitrag analysierte das Miteinander und die Spannungen zwischen russischen und georgischen zivilgesellschaftlichen Initiativen in Tbilissi und konzentrierte sich dabei auf die unterschiedlichen Grammatiken kollektiven Handelns. Die russischen Migrant:innen, die durch Jahre der Repression geprägt wurden, befolgen weitgehend eine Grammatik der emotionalen Bindung, wobei das Gewicht auf eines in seiner Reichweite beschränkten, von der Gemeinschaft getragenen Aktivismus gelegt wird. Die georgische Zivilgesellschaft hingegen arbeitet entlang einer Grammatik der Konfrontation, bei der öffentlicher Protest und sichtbare Opposition im Vordergrund stehen. Diese Unterschiede haben zu Missverständnissen und einer nur begrenzten Integration der russischen Exilgemeinde in die georgische Gesellschaft geführt. Russische Aktivist:innen sind zwar bemüht einen Beitrag zu leisten, haben aber oft Schwierigkeiten, sich in den georgischen Erwartungen über politisches Engagement zurechtzufinden. Die Georgier:innen wiederum begegnen den russischen Initiativen mit Skepsis. Diese werden als losgelöst von größeren Kämpfen für Gerechtigkeit und politischen Wandel wahrgenommen. Die Analyse unterstreicht schließlich die Notwendigkeit für Dialog und Anpassung zwischen diesen beiden politischen Kulturen. Da Migration und grenzüberschreitender Aktivismus weiterhin für postsowjetische Gesellschaften prägend sind, wird das Verständnis für das Nebeneinander verschiedener zivilgesellschaftlicher Traditionen entscheidend sein, um ein inklusives und effektives zivilgesellschaftliches Engagement in Georgien und anderswo fördern zu können.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Anmerkung: Diese Analyse basiert auf den Feldforschungen, die zusammen mit Olga Bronnikova und Tamara Margvelashvili von 2022 bis 2024 durchgeführt wurden, sowie auf dem Artikel »Finding the Common Ground: Visibility, Cooperation and Tensions between Russian and Georgian Civil Society Initiatives in Tbilisi« von Olga Bronnikova, Sofia Gavrilova und Tamara Margvelashvili, 2023 in der Zeitschrift »Problems of Post-Communism«, (08. Januar 2025, S. 1-13; https://doi.org/10.1080/10758216.2024.2437577.


Verweise

[1] https://volunteerstbilisi.com/, https://choosetohelp.ge/eng

[2] Interview mit A.B., März 2023.

[3] Interview mit T.K., 13. März 2023.

[4] Interview mit A.T., 17. März 2023

[5] Ibid.

Lesetipps / Bibliographie

  • Bronnikova, Olga, Sofia Gavrilova und Tamara Margvelashvili. Finding the Common Ground: Visibility, Cooperation and Tensions between Russian and Georgian Civil Society Initiatives in Tbilisi, 2023. Problems of Post-Communism (2025): 1–13, https://doi.org/10.1080/10758216.2024.2437577.

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