(15. September 2025)
Am 12., 13. und 14. September fanden in Russland Wahlen statt, bei denen 20 Gouverneure [durch Direktwahl – Anm. d. Red.], 11 Regionalparlamente und 25 Stadtparlamente von Regionshauptstädten gewählt wurden [(Einheitlicher Wahltag) – Anm. d. Red.]. Insgesamt fanden Wahlen in 81 Regionen mit mehr als 5.000 Wahlkampfkampagnen auf unterschiedlichen Ebenen statt. 46.000 Abgeordnetenmandate und Wahlämter standen zur Wahl. 55 Millionen Wähler:innen konnten potenziell an den Wahlen teilnehmen.
Dies sind die ersten Wahlen, die nach der Schließung der Bewegung zum Schutz von Wähler:innenrechten »Golos« stattfanden. Die Organisation ist im Juli 2025 aufgelöst worden, nachdem ihr Co-Vorsitzender, Grigorij Melkonjants, wegen der Organisation von Aktivitäten »unerwünschter« Organisationen angeklagt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
»Indem der Wahlkampf gesäubert, ein intransparentes elektronisches Wahlsystem aufgezwungen und die letzte unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation zum Schweigen gebracht wurde, hat der Kreml nun die Kontrolle über jeden Aspekt des politischen Lebens. Im heutigen Russland sind Wahlen zu einem administrativen Ritual geworden, sie sind nicht ein genuin demokratischer Wettbewerb.« (Stefanie Schiffer, Geschäftsführung Europäischer Austausch gGmbH (EPDE))
REM hat die Abstimmungsprozesse verfolgt und die wichtigsten Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen zusammengefasst.
1. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Wahlen 2025: Ein Sieg ohne Wettbewerb
Bei den Gouverneurswahlen siegten erwartungsgemäß die vom Kreml unterstützten Kandidat:innen und die meisten Regional- und Kommunalparlamente blieben, trotz kleinerer Rückschläge für die Regierungspartei, unter der Kontrolle von »Einiges Russland«.
Nach offiziellen Zahlen erhielt die Partei Einiges Russland 81 % der Mandate in den Regionalparlamenten. Ihre Kandidat:innen für Gouverneursposten erhielten zwischen 60 % und 87 % der Stimmen in allen Regionen, in denen Wahlen stattfanden. Nur in einigen wenigen kleinen Städten siegten ihre Gegner. Zu den neu gewählten Regionalchefs zählen ein »Veteran des Krieges in der Ukraine« und ein ehemaliger Beamter aus den besetzten Gebieten der Ukraine.
Solch ein Ergebnis ist kein Beweis für die bedingungslose Wähler:innenunterstützung für die Regierungspartei, sondern vielmehr das Ergebnis jahrelanger systematischer Säuberung des Wahlfeldes von unabhängigen Kandidat:innen, der Einführung rechtlicher Hürden gegen eine Teilnahme der Opposition (wie der Ausschluss von »Ausländischen Agent:innen« von der Kandidatur), der Verweigerung des gleichberechtigten Zugangs zu Wahlkampfmitteln für diejenigen, die dennoch zum Wahlkampf zugelassen werden, sowie weitreichende Verstöße währende des Wahlprozesses.
Das Hauptinstrument der Behörden, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen, bleibt der Zwang von Wähler:innen, Wahlbeteiligungsmanipulation und das Ausüben von Druck auf diejenigen, die den Versuch unternehmen, die Wahlabläufe zu beobachten. Das Schlüsselproblem ist die Abwesenheit eines genuinen politischen Wettbewerbs, denn viele potentielle Kandidat:innen sind vom Wahlkampf und oder einer Kandidatur ausgeschlossen. Gleichzeitig sind diejenigen, denen die Aufstellung zur Wahl gestattet wird, dem ständigen Risiko ausgesetzt, ihr Mandat zu verlieren, durch die Anschuldigung, ein(e) »Ausländische(r) Agent:in« zu sein, oder durch strafrechtliche Anklagen. Im Ergebnis werden diejenigen von Wahlen ausgeschlossen, die willens sind, teilzunehmen und diejenigen, die nicht willens sind, werden zur Teilnahme gezwungen.
2. Die wichtigsten Merkmale der russischen Regionalwahlen 2025: Mangelnde Wahlintegrität
Nach der Auflösung der wichtigsten russischen Wahlbeobachtungsorganisation Golos gibt es im Land keine unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppen mehr. Auch Plattformen, die Berichte von Wahlverstößen sammelten, wie etwa die von Golos entwickelte »Karte der Verstöße«, wurden ebenfalls geschlossen.
Unabhängige Beobachter:innen wurden effektiv vom Wahlmonitoring durch weitreichende rechtliche Einschränkungen des Zugangs zu Wahllokalen abgehalten. Zugang zur Beobachtung hatten nur Vertreter:innen von Parteien innerhalb des Systems oder einzelne Kandidat:innen, und selbst dieser war oft eingeschränkt.
Trotz dieser Hindernisse konnten in den Regionen, in denen es Kandidat:innen, Parteien und unabhängigen Initiativen gelang, systematische Beobachtungen zu organisieren, Verstöße aufgedeckt werden. Dies war der Fall in der Region Krasnodar, wo Beobachter:innen der KPRF aktiv waren, und in der Oblast Moskau, wo die »Gruppe der Vereinigten Unabhängigen Beobachter:innen« Beobachtungen durchführte. Aus anderen Regionen sind nur Teilstücke aus Berichten aufgetaucht.
Doch selbst diese begrenzten Berichte bestätigen eine beunruhigende Realität: Russische Wahlen können nicht als fair oder wettbewerbsorientiert angesehen werden – nicht nur aufgrund der mangelnden Chancengleichheit während der Nominierungs- und Wahlkampfphase (wie in unserem »Election Update XIII« ausführlich beschrieben [s. dazu die Leseempfehlungen unten – Anm. d. Red.]), sondern auch aufgrund zahlreicher Verstöße während des Wahlhergangs.
Wahlanalysten, die Online-Wahldaten und Wahlbeteiligungsdaten auswerten, berichteten ebenfalls von zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Wir veröffentlichen Auszüge davon.
2.1. Druckausübung auf Wähler:innen
Das wichtigste Instrument der Behörden zur Manipulation von Wahlergebnissen ist der Zwang zur Stimmabgabe von Mitarbeiter:innen staatlich kontrollierter Institutionen. Dazu gehören lokale, kommunale und staatliche Beamte, Mitarbeiter:innen staatlicher, regionaler und kommunaler Stellen sowie Mitarbeiter:innen staatlicher Unternehmen, Schulen usw. Allein diese Wählerschaft in die Wahllokale zu bringen, stellt eine ausreichende Stimmenzahl für staatlich unterstützte Kandidat:innen sicher.
In den vergangenen Jahren konnte durch den sogenannten »administrativen Zwang« zumindest das formelle Wahlgeheimnis in den Wahllokalen gewahrt werden. Mit der Einführung der elektronischen Fernabstimmung (rus.: DEG – distanzionnoe elektronnoe golosowanie) ist es für die Behörden deutlich einfacher geworden, das gewünschte Ergebnis sicherzustellen.
Heutzutage sind vom Staat abhängige Wähler:innen oft gezwungen, am Freitagmorgen, den ersten Wahltag, von ihrem Arbeitsplatz aus elektronisch abzustimmen. Die Geheimhaltung und Freiheit dieser Wahl bleiben fraglich: Dieser Vorgang kann von Arbeitgeber:innen leicht überwacht werden.
Bei den Regionalwahlen 2025 wurde über den Zwang zur kontrollierten elektronischen Stimmabgabe aus Jekaterinburg, Tomsk, Ischewsk, Perm, Komi und anderen Regionen berichtet.
Der Wahlanalyst Iwan Schukschin analysierte das elektronische Abstimmungsverhalten in den russischen Regionen und stellte fest, dass mehr als die Hälfte der Wähler:innen, die elektronisch abgestimmt hatten, ihre Stimme innerhalb der ersten Stunden nach Öffnung der Wahllokale am Freitagmorgen abgaben. Ein Rekord wurde in der Oblast Tomsk aufgestellt: Über die Hälfte aller für die elektronische Stimmabgabe registrierten Wähler:innen gaben ihre Stimme innerhalb von nur 2 Stunden und 35 Minuten ab. Landesweit wurde dieser Schwellenwert innerhalb von 3 bis 4 Stunden erreicht. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass abhängige Wähler:innen angewiesen werden, von ihrem Arbeitsplatz aus abzustimmen und Rückmeldung an ihre(n) Vorgesetzte(n) zu geben haben.
Die Manipulation der elektronischen Stimmabgabe erreichte 2025 ein neues Niveau. In Frjasino (Oblast Moskau) deckten Beobachter:innen mehrere geheime »DEG-Bezirke« auf – verdeckte Standorte für kontrollierte elektronische Fernabstimmungen (DEG). An diesen Standorten unterstützten speziell geschulte Personen die Wähler:innen bei der Anmeldung im elektronischen Wahlsystem, wiesen sie an, für den/die Kandidaten/-in von Einiges Russland zu stimmen, und überwachten den Wahlvorgang. Unabhängigen Beobachter:innen war der Zutritt zu solchen Wahllokalen nicht gestattet. Sowohl die Wahlkommission als auch die Polizei ignorierten die Beschwerden von Beobachter:innen.
E-Voting-Experten bezweifeln nicht, dass illegale »DEG-Wahllokale« Teil einer breiteren, systematischen Praxis sind, die wahrscheinlich auch außerhalb der Oblast Moskau angewendet wird. Traditionelle Methoden der Wahlmanipulation haben sich lediglich in den digitalen Raum verlagert, und Untergrundstandorte werden nun genutzt, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen.
2.2. Manipulation dank Fernwahl
Die Stimmabgabe außerhalb offizieller Wahllokale, wie z. B. die Stimmabgabe zu Hause, ist am schwierigsten zu überwachen und am leichtesten zu manipulieren. Aus diesem Grund versuchen lokale Wahlkommissionen möglichst viele »Heimwähler:innen« einzubeziehen, wenn sie das Wahlergebnis manipulieren wollen.
In Perm wurde die Leiterin einer territorialen Wahlkommission dabei gefilmt, wie sie ihren Untergebenen eine Quote von 2.500 Anträgen auf Heimwahl festlegte. Ähnliche Vorfälle wurden aus Krasnodar und Samara gemeldet. In Woronesch entdeckten Beobachter:innen eine mobile Wahlurne mit abnehmbarer Seitenwand, in die Stimmzettel von Dritten eingeworfen werden konnten.
2.3. Druckausübung auf Beobachter:innen und Falsch-Beobachtungen
Seit 2018 arbeitet die russische Regierung an einem eigenen System der »Wahlbeobachtung«. Zentrale Akteurin in diesem System ist die regierungsnahe NGO »Unabhängige öffentliche Überwachung« (rus.: Nesawisimyj obschtschestwennyj monitoring oder NOM). Das System zielt darauf ab, den Wahlbeobachtungsprozess zu kooptieren und unabhängige Beobachter:innen zu diskreditieren, indem es die Illusion einer umfassenden öffentlichen Kontrolle erweckt und gleichzeitig konsequent »keine Verstöße« meldet.
Laut NOM wurden im Vorfeld des »Einheitlichen Wahltags 2025« rund 70.000 »öffentliche Beobachter:innen« in 769 Workshops von 700 Expert:innen geschult. NOM veröffentlichte außerdem eine »Berichtskarte« als Gegenstück zur »Karte der Verstöße«.
Anstatt Wahlunregelmäßigkeiten zu dokumentieren, behaupten die Berichte von NOM überwiegend, dass die Wahlen reibungslos verlaufen, und sie loben häufig die Arbeit der Wahlkommissionen. Während der drei Wahltage reichten die sogenannten »öffentlichen Beobachter:innen« von NOM über 118.000 Berichte bei der Berichtskarte ein. Davon wurden nur sechs als »Verstöße« bezeichnet, und selbst diese bezogen sich laut NOM nicht auf Handlungen der Wahlkommissionen, sondern auf »unzulässige oder illegale Handlungen bestimmter politischer Parteien und ihrer Vertreter:innen«.
Im Gegensatz dazu waren Beobachter:innen von Kandidat:innen und Parteien, die nicht mit NOM zusammenarbeiten, bei ihren Versuchen, Verstöße zu dokumentieren, häufig Druck, Einschüchterungen und sogar Gewalt ausgesetzt. In der Region Krasnodar wurden Wahlbeobachter:innen der KPRF aus Wahllokalen ausgesperrt, am Filmen gehindert und in einem Fall während einer mobilen Stimmabgabe aus einem Auto geworfen. Bei weiteren Vorfällen verlor ein Wahlbeobachter in Orenburg nach dem Filmen von Vorgängen nach der Stimmabgabe seine Akkreditierung, in Tatarstan wurde eine Beobachterin für drei Stunden inhaftiert, im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen wurde Wahlbeobachter:innen die Sicht versperrt und in Woronesh wurde ein Beobachter gewaltsam von maskierten Männern angegriffen.
2.4. Fälschung der Wahlbeteiligung
Der Wahlanalyst Iwan Schukschin, der bei den Präsidentschaftswahlen 2024 22 Millionen gefälschte Stimmen aufdeckte und auf die russische Fahndungsliste gesetzt wurde, hat in mehreren Regionen, in denen Gouverneurswahlen stattfanden, groß angelegte Wahlbeteiligungsfälschungen aufgedeckt. Schukschins Diagramme zeigen ganze Cluster von Wahllokalen, die identische, überhöhte Wahlbeteiligungen meldeten, was ein klares Zeichen für Manipulation ist. Seiner statistischen Analyse zufolge können die schlimmsten Fälle von Wahlbeteiligungsfälschungen in der Oblast Leningrad, in der Region Krasnodar und der Jüdischen Autonomen Oblast festgestellt werden, die allein am ersten Wahltag eine Rekordwahlbeteiligung von 61 % meldeten. Er weist auch auf verdächtige Diskrepanzen bei der Wahlbeteiligung in der Oblast Kursk hin, die wahrscheinlich mit »extraterritorialen Wahllokalen« zusammenhängen, in denen Kursker Wähler:innen ihre Stimme außerhalb ihrer Heimatregion abgaben.
2.5. Weitere Verstöße: Stimmzettelfälschung, Beförderung und Bestechung von Wähler:innen
Auch andere für russische Wahlen typische Formen von Wahlbetrug wurden dokumentiert.
In Noworossijsk (Region Krasnodar) und Lipezk zeigen Fotos Stapel von Stimmzetteln in transparenten Wahlurnen.
In Nowosibirsk konnte der organisierte Wähler:innentransport zu den Wahllokalen dokumentiert werden. In Gelendshik wurden mehr Stimmzettel ausgegeben als Unterschriften auf den Wählerlisten vorhanden waren. In Rjasan wurden Störungen der Videoüberwachung in Wahllokalen gemeldet.
In Frjasino (Oblast Moskau) stellten Beobachter:innen fest, dass sich die Zahl der Stimmzettel über Nacht halbiert hatte und der Platz der Wahlurne verlegt worden war, was auf einen möglichen Versuch der Stimmzettelmanipulation hindeutet.
In diesem Jahr wurden Frjasino (Oblast Moskau) und die Region Krasnodar zu Brennpunkten für Wahlmanipulationen. Dort wurden illegale E-Voting-Wahllokale aufgedeckt, ebenso wie Manipulationen an Wahlurnen und Verstöße gegen Stimmenauszählungsverfahren.
Die Redaktion der Russland-Analysen dankt REM und EPDE für die freundliche Genehmigung, eine Übersetzung des englischsprachigen Original abdrucken zu dürfen, die ursprünglich am 16.09.2025 bei EPDE unter https://epde.org/?news=russian-election-monitor-statement-on-russian-regional-elections-2025 erschienen ist.