Analyse Von Svetlana Erpyleva
Dieser Beitrag untersucht, wie Bewohner:innen der Oblast Kursk, einer Grenzregion, die direkt vom Krieg gegen die Ukraine betroffen ist, den Krieg interpretieren und damit umgehen. Gestützt auf ethnografische Feldforschung im Herbst 2024, als Teile der Oblast kurzzeitig von ukrainischen Truppen besetzt wurden und es täglich Luftangriffe gab, arbeitet die Studie heraus, dass die Bewohner:innen sich weder hinter ihren Staat stellten noch sich gegen ihn wandten. Trotz des Umstandes, dass sie unmittelbar von Gewalt und Vertreibung betroffen waren, gingen sie bei politischen Bewertungen und Werturteilen über den Krieg auf Distanz. In den seltenen Fällen, in denen sie den Krieg beurteilten, wechselten sie flexibel zwischen Kri- tik und Rechtfertigung, je nach dem Kontext der Unterhaltung. Faktoren wie ein Gefühl der Hilflosigkeit, sich widersprechende Narrative in den Medien und der Versuch des russischen Staates, in Kriegszeiten eine Normalisierung der Lage zu erreichen, haben zu dieser Distanzierung beigetragen.
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Analyse Von Svetlana Erpyleva, Oleg Zhuravlev
Auf der Grundlage von qualitativen Längsschnittdaten (Interviews mit Russ:innen aus dem Frühjahr und Herbst 2022) befassen sich die Verfasser:innen mit der Frage, wie sich die Wahrnehmung des Krieges durch gewöhnliche Russ:innen, die nicht eindeutige Gegner:innen des russischen Einmarschs in die Ukraine sind, im Laufe der Zeit verändert. Einerseits ändert sich die Wahrnehmung des Krieges nicht radikal (aus Befürworter:innen werden nicht Gegner:innen und umgekehrt). Andererseits ist die Wahrnehmung nicht stabil und im Wandel begriffen. Diese beiden auf den ersten Blick widersprüchlichen Tendenzen sind Bestandteile ein und desselben Phänomens, nämlich einer »erzwungenen« und raschen Politisierung eines zuvor apolitischen Teils der russischen Gesellschaft.
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