Einleitung
Die regierende Partei der Regionen hatte gehofft, dass die Parlamentswahlen 2012 das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine voranbringen würden. Im Vorfeld der Wahlen stand sie demzufolge vor zwei Aufgaben, die nur sehr schwer gleichzeitig zu erfüllen waren: Man wollte die Legitimität des Wahlprozesses in der Ukraine glaubhaft machen, gleichzeitig aber die Mehrheit im neuen Parlament behalten. Bei der Bewältigung der ersten Aufgabe sollten die Überwachungskameras in den Wahllokalen und die große Zahl internationaler Wahlbeobachter behilflich sein. Die Partei der Macht setzte damit auf den demokratischen Ablauf des Wahltages. Am 30. Oktober erklärte Ministerpräsident Mykola Asarow, dass die Wahlen ohne Manipulationen abgelaufen seien, was schon allein daran deutlich werde, dass die Ergebnisse fast exakt den Wahltagsbefragungen entsprechen. Allerdings konzentrierten sich die ersten Einschätzungen der Wahlbeobachter nicht auf den Wahltag selbst, sondern kritisierten den Ablauf des Wahlkampfs. Nach Beginn der Stimmenauszählung, die zwei Wochen dauerte und entgegen der Darstellung Asarows von offenkundigen Wahlfälschungen begleitet wurde, war klar, dass die Partei der Regionen an der ersten Aufgabe kläglich scheitern, die zweite Aufgabe aber vollständig erfüllen wird.
Das Parlament zu Zeiten Janukowytschs
Rein formal ist die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, seit der Wahl von Wiktor Janukowytsch zum Präsidenten funktionsfähiger geworden. Allerdings wurde die erhöhte Funktionalität durch einen Verlust an Unabhängigkeit erreicht. Noch vor wenigen Jahren war das Parlament in der Ukraine eines der wichtigsten Machtzentren. Durch die Verfassungsreform von 2004 erhielt es weitreichende Befugnisse, darunter auch das Recht, die Regierung zu ernennen und zu entlassen.
Im Jahr 2010 verlor die Werchowna Rada jedoch allmählich ihren Einfluss. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts im Frühjahr 2010, dass einer Koalition auch einzelne Abgeordnete angehören können, haben viele Oppositionsabgeordnete die Seiten gewechselt. Auf diese Weise gelang es Janukowytsch, schnell eine propräsidentielle Mehrheit im Parlament zu bilden. Schon im Oktober 2010 wurde die Verfassungsreform von 2004 aufgehoben und die Ukraine kehrte zur Verfassung von 1996 zurück, die dem Präsidenten weitreichende Befugnisse einräumt. Schließlich hat die Exekutive die Entscheidungsfindung im Parlament vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Die meisten Abstimmungen im Parlament laufen nun nach Handlungsanweisungen von Michail Tschetschetow ab, einem Abgeordneten aus der Partei der Regionen. Dabei wird für abwesende Parteimitglieder gleich mitabgestimmt. Solche Fälle gab es zwar auch schon unter Präsident Wiktor Juschtschenko, aber in letzter Zeit sind sie offensichtlich zur Regel geworden. So wurden z. B. nur 14 % der Gesetze zwischen Mai 2011 und Mai 2012 unter Anwesenheit aller abstimmenden Abgeordneten verabschiedet.
Stimmung vor den Wahlen
In den letzten zwei Jahren hat die Werchowna Rada einige sehr unpopuläre Gesetze verabschiedet, so etwa das neue Steuergesetz, die Strafprozessordnung, die Anhebung des Renteneintrittsalters, die Abschaffung der Privilegien für Afghanistanveteranen und Tschernobyl-Liquidatoren, das Sprachengesetz u. a. Als Ergebnis hat die Proteststimmung in der Ukraine zugenommen: Ende 2010 widersetzten sich Unternehmer dem neuen Steuergesetz, 2011 protestierten Afghanistanveteranen und Tschernobyl-Liquidatoren, im Sommer 2012 gab es weitverbreitete Proteste gegen die Möglichkeit, der russischen Sprache den Status der Regionalsprache einzuräumen.
Die Proteststimmungen wurden auch durch massive Reichtumsumverteilungen zugunsten des Großkapitals und der regierenden Politiker intensiviert. Laut Magazin Fokus erhöhte der Oligarch Rinat Achmetow sein Vermögen von 7,5 Mrd. US-Dollar Anfang 2010 auf 18,7 Mrd. US-Dollar Anfang 2012. Im Fokus-Ranking der reichsten Ukrainer sind heute auch fünf Regierungsmitglieder mit einem Gesamtvermögen von 3,3 Mrd. US-Dollar zu finden. Darüber hinaus wurde im Jahr 2012 Oleksandr Janukowytsch, der älteste Sohn des Präsidenten, zum ersten Mal ins Ranking aufgenommen. Sein Vermögen schätzte man auf 100 Mio. US-Dollar. In den ukrainischen Medien wurde sogar der Begriff »Familie« zur Bezeichnung des Netzwerkes der Geschäftspartner des Präsidenten geprägt. Als Ergebnis all dieser Prozesse hat die Partei der Regionen die Unterstützung der Wähler sogar in ihrer Stammregion verloren. So waren laut Umfragen im Sommer 2012 nur 32 % der Bevölkerung aus den fünf östlichen Regionen der Ukraine für die Partei der Regionen, während es vor zwei Jahren noch etwa 65 % waren.
Mit Zunahme der Proteststimmung wuchsen auch die Umfragewerte der Opposition. Im März 2010 hatten lediglich 22 % der Bevölkerung die Oppositionsparteien unterstützt. Ende 2011 waren ihre Werte dann schon auf 34–45 % gestiegen. Auch die zwei regionalen Oppositionsparteien – UDAR von Witalij Klytschko und Freiheit von Oleh Tyahnybok – erhielten im Zuge dessen mehr Unterstützung auf nationaler Ebene.
In Reaktion auf die Verschiebung der Zustimmungswerte zugunsten der Opposition traf die regierende Partei eine Reihe von Entscheidungen, die den Charakter der aktuellen Parlamentswahlen bestimmten. Im Oktober 2011 wurde die ehemalige Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko zu sieben Jahren Haft verurteilt. Einen Monat später verabschiedete das Parlament ein neues Wahlgesetz und im Februar 2012 wurde der ehemalige Innenminister und Vorsitzende der Oppositionspartei Nationale Selbstverteidigung (Narodna Samoobrona) Jurij Luzenko zu vier Jahren Haft verurteilt.
Taktik der Partei der Regionen
Die Verhaftung der Oppositionsführer und die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes haben die politische Situation in der Ukraine dramatisch verändert. So wird mit dem neuen Wahlgesetz die Sperrklausel von 3 % auf 5 % erhöht, das Antreten von Parteienbündnissen verboten und die Möglichkeit, «gegen alle» zu stimmen, vom Wahlzettel gestrichen. Zentraler Punkt des neuen Wahlgesetzes war jedoch die Rückkehr zu einem gemischten Wahlsystem, wonach je eine Hälfte der Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird und die andere Hälfte nach dem Mehrheitswahlrecht. Die letzten Parlamentswahlen nach diesem Wahlsystem fanden in der Ukraine im Jahr 2002 statt. Obwohl die Oppositionsparteien damals entsprechend den über die Verhältniswahl vergebenen Stimmen gewonnen hatten, wurde im Parlament eine Mehrheit aus dem Pro-Kutschma-Wahlbündnis »Für eine einheitliche Ukraine« (Sa edynu Ukrainu) und unabhängigen Abgeordneten aus Einzelwahlkreisen gebildet.
Im Jahr 2012 wollte die Partei der Regionen dieses Szenario wiederholen und dabei die stärkste Fraktion im neuen Parlament bleiben. Es ist ihr gelungen: Sie verfügt nun sogar über 10 Sitze mehr als nach den vergangenen Wahlen. Allerdings haben nur 72 der 185 gewählten Abgeordneten der Partei der Regionen ihre Mandate über die Verhältniswahl bekommen. Die Partei der Regionen hat gewonnen, aber nur dank der Wahlergebnisse in den Einzelwahlkreisen.
Ein weiterer wichtiger Schlüssel zum Erfolg der regierenden Partei war der Einsatz administrativer Ressourcen. Journalisten des ukrainischen TV-Senders »TVi« haben die Verteilung der staatlichen Transferleistungen an lokale Regierungen im Vorfeld der Wahlen analysiert und herausgefunden, dass allein an die Region Donezk doppelt so viel Geld verteilt wurde (79 Mio. Euro) wie an die acht Regionen der Westukraine (42 Mio. Euro). Dabei haben zwei von der Partei der Regionen in Einzelwahlkreisen aufgestellte Mitglieder des Haushaltsausschusses der Werchowna Rada ihren eigenen Einzelwahlkreisen 24 Mio. Euro zugewiesen. Im Ergebnis haben beide mit mehr als 60 % der Stimmen die Wahlen gewonnen.
Infolge der fehlgeschlagenen Außenpolitik wurden geopolitische Fragen – wahrscheinlich zum ersten Mal bei Wahlen in der Ukraine – stark vernachlässigt. Stattdessen konzentrierte sich die Partei der Regionen in ihrer Wahlkampagne auf die »Verbesserung der Situation« im Land im Vergleich zur Krise der Ära Juschtschenko. Weitere wichtige Punkte waren der Erfolg der Europameisterschaft 2012, die sozialen Initiativen des Präsidenten und die Sprachpolitik. Im April 2012 unterstützte das Parlament die Initiative Janukowytschs, den Staatshaushalt um 1,7 Mrd. Euro oder 5 % zu erhöhen. Die Mittel sollten für die Rentenanhebung, für Staatshypotheken und die Entschädigung für verlorene Einlagen der Sparkasse der UdSSR verwendet werden. Im Juli 2012 hat das Parlament dann das Gesetz über die russische Sprache gebilligt. Doch weder die sozialpopulistischen Maßnahmen noch die Sprachpolitik brachten die erhofften Ergebnisse. In sechs von acht Regionen, die Russisch zur Regionalsprache erhoben haben, hat weniger als die Hälfte der Bevölkerung für die Partei der Regionen gestimmt.
Neue politische Landschaft
Das Verbot des Antritts von Parteienbündnissen bei den Wahlen sollte den Prozess der Vereinigung der Opposition erschweren. Bei den Parlamentswahlen von 2006 und 2007 waren nämlich solche Bündnisse aus Oppositionsparteien angetreten. Allerdings haben sich schon im April 2012 die Parteien Front des Wandels (Front Smin) von Arsenij Jazenjuk, Nationale Selbstverteidigung von Jurij Luzenko und mehrere kleine Parteien mit Vaterland (dem ehemaligen Block Julija Tymoschenko) vereint. Seitdem Tymoschenko die Teilnahme an den Parlamentswahlen verweigert wurde, führt Arsenij Jazenjuk die Vereinigte Opposition Vaterland an.
Trotz der Gefahr, die 5%-Hürde nicht überwinden zu können, wollten sich nicht alle Oppositionsparteien mit der Vereinigten Opposition Vaterland vereinen. Die Umfragewerte der heutigen Wahlsieger Freiheit und UDAR ließen lange Zeit den Einzug ins Parlament fraglich erscheinen: UDAR überwand die 5%-Hürde erst Anfang 2012 und das Rating von Freiheit schwebte bis zum Wahltag um 5 %. Nichtdestotrotz haben diese Parteien beschlossen, allein bei den Wahlen anzutreten, und begründeten dies mit der unterschiedlichen Wählerschaft. Daraufhin koordinierten die drei oppositionellen Kräfte ihre Aktionen im Rahmen des Zusammenschlusses »Widerstand gegen die Diktatur«, der im August 2011 zustande kam. Im Juli 2012 vereinbarten dann die Partei Freiheit und die Vereinigte Opposition Vaterland eine gemeinsame Kandidatenliste für die Einzelwahlkreise. Eine solche Vereinbarung konnte zwischen der Partei UDAR und den anderen Oppositionsparteien nicht erreicht werden, obwohl die Verhandlungen schon im Januar 2012 begonnen hatten. Nur zwei Wochen vor den Wahlen haben die Parteien UDAR und Vaterland beschlossen, einige Kandidaten in Einzelwahlkreisen zugunsten der jeweils anderen Partei zurückzuziehen. In vielen Einzelwahlkreisen jedoch haben die Oppositionskandidaten auch weiterhin miteinander konkurriert, wovon die Regierungskandidaten profitiert haben.
Infolge der neuen politischen Verhältnisse sind nicht nur neue Parteien entstanden, sondern auch die alten Parteien haben sich gründlich geändert oder sind ganz von der politischen Bühne verschwunden. So hat sich z. B. die Partei Starke Ukraine des stellvertretenden Ministerpräsidenten Serhij Tihipko letztendlich mit der Partei der Regionen vereint. Ehemals positionierte sich Tihipko, ebenso wie Jazenjuk, als alternative dritte Kraft. Nach dem Eintritt des ersten in die Partei der Regionen und des zweiten in die Partei Vaterland übernahm Witalij Klytschko mit seiner Partei UDAR die Rolle der dritten Kraft. Neben der Partei Starke Ukraine haben auch die Partei Unsere Ukraine von Ex-Präsident Wiktor Juschtschenko und die Volkspartei von Parlamentspräsident Wolodymyr Lytwyn (auch Block Lytwyn) die große Politik mittlerweile verlassen. Dieses Jahr hat die Partei Unsere Ukraine nur 1 % der Stimmen bekommen. Gleichzeitig war Lytwyn viel geschickter als Juschtschenko: Da seine Partei durch die Zusammenarbeit mit der Partei der Regionen diskreditiert war, haben 58 Parteimitglieder in Einzelwahlkreisen kandidiert, einschließlich Lytwyn selbst. Von all diesen Kandidaten haben aber nur Lytwyn und ein weiterer die Wahl gewonnen. Weitere fünf Kandidaten aus dem ehemaligen Block Lytwyn traten über die Parteiliste der Partei der Regionen an, was dem Block im Gegenzug für die Unterstützung des Sprachengesetzes gewährt wurde. Im Ergebnis wird Lytwyn nicht das gleiche Schicksal wie Juschtschenko ereilen: Im neuen Parlament wird er über eine kleine Gruppe von Abgeordneten verfügen (s. Grafik 4).
Neben der rechtspopulistischen Partei Freiheit, die überraschenderweise 10 % der Stimmen bekam, erlangten auch die Kommunisten bei diesen Wahlen erstaunlich viele Stimmen – 13 % im Vergleich zu den 5 % des Jahres 2007. Sie traten mit dem Slogan »Wir geben die Macht zurück ans Volk!« bei den Wahlen an. Und das trotz der Tatsache, dass sie in einer Koalition mit der oligarchisch geprägten Partei der Regionen waren und die Koalition im neuen Parlament fortsetzen wollen. Ihre anti-oligarchische Rhetorik war offensichtlich trotz allem überzeugend.
Darüber hinaus hat sich die Kommunistische Partei vor diesen Wahlen grundsätzlich gewandelt. Manche sagen sogar, dass sie sich von einer ideologischen zu einer technischen Partei gewandelt hat. So haben Experten auf teure Werbekampagnen hingewiesen, die bisher nicht typisch für die Kommunisten waren. Im Vergleich zu anderen alten Parteien haben sie ihre Kandidatenliste am stärksten verändert: Nur ein Drittel der alten Abgeordneten trat auf der neuen Parteiliste auf (s. Grafik 4). Die anderen kandidierten erfolglos in Einzelwahlkreisen (s. Grafik 5). Gleichzeitig hat die Partei den Anteil an jungen Kandidaten fast verdoppelt, wobei diese eher am unteren Ende der Liste platziert wurden. Aus diesen Gründen werden die Kommunisten im neuen Parlament im Durchschnitt 50 Jahre alt sein, aber nur jeder Dritte wird Erfahrung als Abgeordneter haben.
Fälschungen nach den Wahlen
Nach dem Wahltag gab es in mindestens 15 der 225 Einzelwahlkreise Versuche, die Wahlergebnisse zu fälschen. In einem Bezirk wurde Tränengas gegen Journalisten eingesetzt, in einem anderen hat man die Daten bei der Übermittlung an den Server der Zentralen Wahlkommission manipuliert, und in einem weiteren kam es sogar zu einem gewaltsamen Angriff der Spezialeinheit »Berkut« auf die Protestierenden und einem Austausch der Wahlprotokolle. Die eklatanteste Fälschung geschah aber dort, wo das Gericht die Stimmen von fast 30.000 Wählern für ungültig erklärte. Die Regierung hat auf die Wahlfälschungen erst am 2. November reagiert. Ministerpräsident Mykola Asarow erklärte, dass weder die Regierung noch die Partei der Regionen etwas mit der Stimmenauszählung in den Problemwahlkreisen zu tun habe.
Nach den Protesten der Opposition gegen die Wahlfälschungen hat die Werchowna Rada am 6. November 2012 zwei Resolutionen verabschiedet: eine empfiehlt der Zentralen Wahlkommission, Nachwahlen in fünf Einzelwahlkreisen durchzuführen, die andere legt die Einsetzung einer Untersuchungskommission fest, die den Vorwürfen des Wahlbetrugs nachgehen soll. Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, was als nächstes passieren wird. Auf jeden Fall sind beide Resolutionen der Beweis dafür, dass die Regierung die Wahlfälschungen anerkennt. Somit hat die Opposition einen großen psychologischen Sieg errungen.
7. Legislaturperiode des Parlaments
Die regierende Partei der Regionen hat diese Wahlen zwar gewonnen, die Mehrheit der Wähler hat sie aber nicht unterstützt. Das unerwartet hohe Ergebnis der nationalistischen Partei Freiheit ist eine Manifestation der Radikalisierung in der ukrainischen Gesellschaft.
Obwohl die drei Oppositionsparteien ihre Zusammenarbeit im neuen Parlament bereits angekündigt haben, bleibt die Frage nach ihrem problemlosen Zusammenspiel noch offen. Bisher ist es der Opposition gelungen, ihre Aktionen gegen die Regierung zu koordinieren und gemeinsam aufzutreten. Der Wahlkampf zeigte aber, dass man schnell zu Kontroversen kommt, wenn es darum geht, Kompromisse einzugehen. Fraglich ist auch das Gewicht der Opposition im Parlament auf lange Sicht. Heute verfügt sie über 40 % aller Plätze. Es ist aber möglich, dass dieser Anteil sich bald verringert, falls manche Abgeordneten die Seiten wechseln. Wenn das nicht passiert, wird die Opposition die bisher unbegrenzte Macht Janukowytschs teilweise einschränken können.
Als Erstes plant die Opposition, im neuen Parlament das Gesetz über die Amtsenthebung des Präsidenten zu verabschieden. Angesichts der Machtposition Janukowytschs und seiner Partei ist dieses Vorhaben kaum umsetzbar. Wie zuvor wird im Parlament eine »steuerbare« Mehrheit aus der Partei der Regionen, der Kommunistischen Partei und den unabhängigen Abgeordneten gemeinschaftlich abstimmen. Dabei wird die »goldene Aktie« in der neuen Werchowna Rada Rinat Achmetow haben, der zwar bei diesen Wahlen nicht selbst kandidierte, aber eine Rekordzahl eigener Leute ins Parlament gebracht hat. Nach einigen Schätzungen werden etwa 40 Abgeordnete die Interessen Achmetows und seines Freundes, des stellvertretenden Ministerpräsidenten Borys Kolesnikow, vertreten. Die anderen Gruppierungen innerhalb der Partei der Regionen, außer der von Janukowytsch und seiner Familie, sind deutlich schwächer. So zählt die Gruppe des Gasoligarchen Dmytro Firtasch und des Leiters der Präsidialverwaltung Serhij Ljowotschkin nicht mehr als 30 Personen. Allerdings zogen die meisten Abgeordneten aus der Gruppe Firtasch-Ljowotschkin nicht über die Parteiliste ins Parlament ein, wie die Leute Achmetows, sondern durch den Wahlsieg in Einzelwahlkreisen, was als Anzeichen für den Einflussverlust ihrer »Chefs« gedeutet werden kann.
Neben den Wahlergebnissen gab es Anfang November 2012 noch ein wichtiges Ereignis, das die künftigen Entwicklungen in der Ukraine beeinflussen könnte. In den letzten Arbeitstagen der alten Werchowna Rada hat Janukowytsch ein Gesetz über Volksabstimmungen durch das Parlament gepeitscht. Nun können die Ukrainer über ein Referendum die Verfassung ändern und man braucht dafür weder das Parlament noch das Verfassungsgericht. Offenbar wollte Wiktor Janukowytsch damit, angesichts der großen Zahl der Oppositionsabgeordneten im neuen Parlament, seine Zukunft sichern. Schließlich könnte die Rückkehr zu einer parlamentarischen Regierungsform eine der möglichen Referendumsfragen werden. Dann könnte Janukowytsch Ministerpräsident werden, falls er sich nur geringe Chancen auf den Präsidentenposten bei der Wahl 2015 ausrechnet. So einen Versuch unternahmen schon einmal Leonid Kutschma und auch Wladimir Putin. Während der erste scheiterte, gelang es dem zweiten sogar ohne Verfassungsreform. Ob Janukowytsch das auch schafft, bleibt abzuwarten.